Urteil des BGH vom 19.11.2014

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Prämie, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 3 3 5 / 1 4
Verkündet am:
19. November 2014
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
15. Oktober 2014
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des 7. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
29. Februar 2012 wird als unzulässig verworfen, soweit
sie einen höheren Rückkaufswert weiterverfolgt.
Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsur-
teil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neu-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf bis
9.000
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
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Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier so genannter auf-
geschobener Rentenversicherungen.
Die Versicherungsverträge wurden aufgrund eines Antrags d. VN
jeweils mit Vertragsbeginn zum 1. Dezember 2003 nach dem so genann-
ten Policenmodell des § 5a VVG in der bei Antragstellung gültigen Fas-
sung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Mit Schreiben vom
10. Juli 2009 und vom 16. Juli 2009 wurde jeweils der Widerspruch nach
§ 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. und nach § 8 VVG a.F., vorsorglich die An-
fechtung, hilfsweise die Kündigung des Versicherungsve rtrages erklärt.
Der Versicherer akzeptierte die Kündigungen und zahlte den jeweiligen
Rückkaufswert aus.
Mit der Klage verlangen d. VN Rückzahlung aller auf die Verträge
geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rüc k-
kaufswerts.
Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wirk-
sam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Ge-
meinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der
Widerspruch noch erklärt werden können, außerdem stehe ihnen ein Wi-
derrufsrecht nach § 355 BGB zu. Hilfsweise begehrten d. VN im Wege
der Stufenklage insbesondere Auskunft über die Verrechnung der Ab-
schlusskosten und weitergehende Zahlung. Der Versicherer hat den
Auskunftsanspruch der Klägerin zu 1 teilweise anerkannt.
Das Landgericht hat der Auskunftsklage zum Teil - teilweise durch
Teilanerkenntnisurteil - stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewie-
sen, das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der
Revision verfolgen d. VN das Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist bezüglich eines geltend gemachten höheren
Rückkaufswerts als unzulässig zu verwerfen. Im Übrigen führt sie zur
Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an
das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Es hat d ie Auffassung vertreten,
dass die Widerspruchsbelehrungen in den maßgeblichen Policenbegleit-
schreiben nicht ordnungsgemäß gewesen seien, weil die Länge der Wi-
derspruchsfrist nur mit "14" angegeben wurde, ohne Beifügung einer
Zeiteinheit. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein
Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam g e-
worden.
II. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich der Zahlung ei-
nes höheren Rückkaufswerts der Klägerin zu 1 unzulässig.
Sie ist nur statthaft, soweit das Berufungsgericht den Widerspruch
nach § 5a VVG a.F. für unwirksam erachtet hat. Es hat die Revision z u-
gelassen, da der Bundesgerichtshof in vergleichbaren Fällen eine Vorl a-
ge an den Gerichtshof der Europäischen Union zu § 5a VVG a.F. erwo-
gen habe. Diese in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils mit
der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck gebrachte Beschränkung d er
Revisionszulassung auf den aus dem Widerspruch abgeleiteten Berei-
cherungsanspruch ist wirksam. Der diesem zugrunde liegende Sachver-
halt kann in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem
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für einen höheren Rückkaufswert maßgeblichen Prozessstoff beurteilt
werden (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, VersR 2014,
817 Rn. 11; für BGHZ vorgesehen).
III. Die Revision ist, soweit sie zulässig ist, begründet.
1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Die zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsverträ-
ge schaffen keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Sie sind jeweils
infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Ihr
Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG
a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, wurde in den
Widerspruchsbelehrungen in den Policenbegleitschreiben die Länge der
Widerspruchsfrist nicht in der gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab
dem 1. August 2001 gültigen Fassung zutreffenden Zeiteinheit von "vier-
zehn Tagen" angegeben. Entgegen der Auffassung der Revisionserwide-
rung belehrte der Versicherer d. VN damit nicht ordnungsgemäß i.S. von
§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen so l-
chen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Wider-
spruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahres-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
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richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
VersR 2014, 817 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet,
die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zwe iten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die hilfsweise erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages
steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai
2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach
beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in
Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr müssen sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rücka b-
wicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen
Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherung s-
schutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen
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werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bede u-
tung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 19.05.2011 - 2/23 O 117/10 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 29.02.2012 - 7 U 131/11 -
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