Urteil des BGH vom 19.10.2015

Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Vollzug, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 3 1 0 / 1 4
vom
19. Oktober 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 19. Oktober 2015
beschlossen:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlan-
desgerichts München - 25. Zivilsenat - vom 11. Juli 2014
wird gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf seine Kosten zurück-
gewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
12.415,26
€ festgesetzt.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite
(Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO zu-
rückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorlie-
gen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die
Parteien mit Beschluss vom 17. August 2015 auf die beabsichtigte Zu-
rückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend B e-
zug genommen.
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Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 17. September 2015 gibt
keine Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die E u-
roparechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründet
dies im Streitfall nicht die Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher au s-
geführt hat, wäre es d. VN, der trotz Belehrung darüber, dass er den Ver-
trag nicht zustande kommen lassen musste, diesen bis zur Kündigung
fast 13 Jahre durchgeführt hat, wegen widersprüchlichen Verhaltens
verwehrt, sich bei unterstellter Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Pol i-
cenmodells auf eine Unwirksamkeit des Vertrages zu berufen. Die Frage
einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union in
einem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhalten der Versicherung s-
nehmer festgestellt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht. Entgegen
der Ansicht der Revision sind die Maßstäbe für die Berücksichtigung der
Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung des G e-
richtshofs der Europäischen Union auch geklärt (siehe im Einzelnen S e-
natsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 41 f.;
BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März 2015 - 1 BvR 3280/14, ju-
ris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verha l-
tens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang mit dieser Rech t-
sprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch BVerfG aaO).
Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrechtlich ung e-
klärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale
Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt
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dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher
Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung di e-
ser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nation a-
len Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtspr e-
chung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen
(BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträc h-
tigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die prak-
tische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck
des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten
Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versich e-
rungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages si-
cherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im
Streitfall, dass d. VN, der dem geltenden nationalen Recht entsprechend
ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, den Vertrag o h-
ne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen gleichwohl in
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Vollzug gesetzt und ihn über mehrere Jahre durchgeführt hat (vgl. e r-
gänzend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015,
876 Rn. 13 f.).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG München II, Entscheidung vom 06.02.2014 - 10 O 4863/13 Ver -
OLG München, Entscheidung vom 11.07.2014 - 25 U 658/14 -