Urteil des BGH vom 13.10.2015

Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Vollzug, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 2 8 8 / 1 4
vom
13. Oktober 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 13. Oktober 2015
beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Köln vom 11. Juli 2014 wird gemäß
§ 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Klägerseite zurück-
gewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
6.211,41
€ festgesetzt.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite
(Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO zu-
rückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nic ht vorlie-
gen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat d ie
Parteien mit Beschluss vom 8. September 2015 auf die beabsichtigte Zu-
rückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend B e-
zug genommen.
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Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 30. September 2015 gibt
keine Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die Eu-
roparechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründet
dies im Streitfall keine Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher au s-
geführt hat, wäre es dem Kläger, der trotz Belehrung darüber, dass er
den Vertrag nicht zustande kommen lassen musste, diesen bis zum Wi-
derspruch über mehrere Jahre durchgeführt hat, wegen widersprüchli-
chen Verhaltens verwehrt, sich bei unterstellter Gemeinschaftsrechtswi d-
rigkeit des Policenmodells auf eine Unwirksamkeit des Vertrages zu be-
rufen. Die Frage einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Eur o-
päischen Union in einem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhalten
des Versicherungsnehmers festgestellt werden kann, stellt sich im Streit-
fall nicht.
Entgegen der Ansicht der Revision sind die Maßstäbe für die B e-
rücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben auch in der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäisch en Union geklärt (siehe
im Einzelnen Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202,
102 Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März 2015
- 1 BvR 3280/14, juris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechtsmiss-
bräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang
mit dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch BVerfG
aaO).
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Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrechtlich ung e-
klärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale
Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt
dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher
Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung di e-
ser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nationa-
len Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtspr e-
chung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen
(BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträc h-
tigen auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die
praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und
Zweck des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und
Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Vers i-
cherungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages si-
cherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im
Streitfall, dass d. VN, der dem geltenden nationalen Recht entsprechend
ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, d en Vertrag oh-
ne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diese n gleichwohl in
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Vollzug gesetzt und ihn über mehrere Jahre durchgeführt hat (vgl. er-
gänzend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015,
876 Rn. 13 f.).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Karczewski
Lehmann Brockmüller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 07.07.2010 - 26 O 609/09 -
OLG Köln, Entscheidung vom 11.07.2014 - 20 U 100/10 -