Urteil des BGH vom 11.05.2016

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Versicherungsvertrag

ECLI:DE:BGH:2016:110516UIVZR229.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 229/14
Verkündet am:
11. Mai 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
22. April 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai
2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revision s-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
2.494,94
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rück-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Ren-
tenversicherung.
Diese wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf-
grund eines Antrags des Vaters d. VN mit Versicherungsbeginn zum
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1. März 1998 nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der
seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlos-
sen. Der Vater d. VN zahlte in der Folge die Versicherungsprämien . Im
Dezember 2004 wurde der Versicherungsvertrag auf d. VN übertragen.
Mit Schreiben vom 23. Juli 2009 erklärte d. VN die Kündigung des Ver-
trages. Der Versicherer zahlte den Rückkaufswert abzüglich eines ge-
währten Policendarlehens aus. Mit Schreiben vom 12. Mai 2010 erklärte
d. VN den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller geleisteten Beiträ-
ge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil sie nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Auch
nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden -
§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden
können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ver-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Vertragsschluss sei nach dem
Policenmodell erfolgt, weil nicht feststehe, dass dem Vater d. VN bei A n-
tragstellung auch die Verbraucherinformationen überlassen wurden. Der
Versicherer habe zwar mit Übersendung des Versicherungsscheins dem
Vater d. VN eine Widerspruchsbelehrung nicht überreicht . Der Vertrag
sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der
ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung nach § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü n-
dung nicht versagt werden.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertr ag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wider-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, der Versicherer
habe die Übergabe der Verbraucherinformation bei Antragstellung nicht
bewiesen, ist - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - aller-
dings revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Bestätigung im Versi-
cherungsantrag belegt dies gerade nicht. Es ist revisionsrechtlich des-
halb auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht aus der un-
terbliebenen Reaktion des Vaters d. VN auf die später im Versicherung s-
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schein enthaltene Information, ihm sei bei Antragstellung eine Verbra u-
cherinformation ausgehändigt worden, keine Schlüsse gezogen hat. U n-
streitig war dem Vertrag eine Widerspruchsbelehrung nicht beigefügt, so
dass keine ordnungsgemäße Belehrung im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1
VVG erfolgt ist.
Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Wi-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Wider-
spruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36
m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vol l-
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ständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vg l.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei
auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14,
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VersR 2015, 1101 Rn. 36 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 34 ff.)
sowie vom 11. November 2015 (IV ZR 513/14, VersR 2015, 33 Rn. 31 ff.)
zu beachten haben.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 09.12.2011 - 9 O 164/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.05.2014 - 20 U 14/12 -