Urteil des BGH vom 27.04.2016

Ablauf der Frist, Wahrung der Frist, Versicherer, Ex Nunc

ECLI:DE:BGH:2016:270416UIVZR223.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 223/14
Verkündet am:
27. April 2016
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
8. April 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai
2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revision s-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
18.507,82
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rück-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier fondsgebundener Le-
bensversicherungen.
Diese wurden jeweils aufgrund eines Antrags d. VN mit Versiche-
rungsbeginn zum 1. September 2000 (Endziffer 01) und zum 1. Oktober
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2000 (Endziffer 02) nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG
in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abge-
schlossen. D. VN zahlte in der Folge die Versicherungsprämien für die
beiden Versicherungen. Auf ein Schreiben d. VN vom Mai 2010, das der
Versicherer als Kündigung wertete, wurde ihm der Rückkaufswert hin-
sichtlich des Vertrages mit der Endziffer 01 ausgezahlt. Mit Schreiben
vom 12. November 2010 erklärte d. VN außerdem u.a. den Widerspruch
gemäß § 5a VVG a.F. Dasselbe geschah mit Schreiben vom 26. Novem-
ber 2010 hinsichtlich der Versicherung mit der Endziffer 0 2. Der Versi-
cherer wertete auch letzteres Schreiben als Kündigung und zahlte eben-
falls den Rückkaufswert abzüglich eines sogenannten Policendarlehens
aus.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf die Verträge
geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits erbrachten Zah-
lungen.
Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wirk-
sam zustande gekommen, weil er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde.
Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen-
den - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt
werden können.
Der Versicherer hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ver-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht
ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt, weil jeweils der
Hinweis auf die einzuhaltende Schriftform fehle . Die Verträge seien aber
gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der erste n
Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen
Begründung versagt werden.
a) Die zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsverträ-
ge schaffen keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Sie sind infolge
des jeweiligen Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen.
Der jeweilige Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a
Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ord-
nungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wider-
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spruchsrecht. Die jeweilige Widerspruchsbelehrung in dem maßgebli-
chen Versicherungsschein genügt diesen Anforderungen nicht, weil sie
keinen Hinweis darauf enthält, dass der Widerspruch schriftlich zu erhe-
ben war. Die notwendige Belehrung über das gesetzliche Formerforder-
nis (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR 58/03, VersR 2004,
497 unter 3 b) konnte d. VN nicht aus der Formulierung entnehmen, dass
zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs g e-
nüge. Selbst wenn ein verständiger Versicherungsnehmer nur verkörpe r-
te Erklärungen als der Absendung zugänglich ansieht, so bleibt für ihn
dennoch unklar, ob hierzu eine Verkörperung in Textform ausreicht oder
ob es nicht der traditionellen Schriftform bedarf (vgl. Se natsurteile vom
29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 24 und IV ZR
112/14, juris Rn. 12).
Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduzier t
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
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wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Wi-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages mit der Endziffer
01 steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil
vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchs-
rechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebe n-
falls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37
m.w.N.).
cc) Die Ausübung des Widerspruchsrechts ist - entgegen der Revi-
sionserwiderung - auch nicht ausnahmsweise deshalb treuwidrig, weil
d. VN sogenannte Policendarlehen des Versicherers in Anspruch ge-
nommen hat. Dies folgt im Streitfall schon daraus, dass es sich um V o-
rauszahlungen auf die künftige Versicherungsleistung handelte, die der
Versicherer dementsprechend nach der Kündigung des Versicherung s-
vertrages mit dem Rückkaufswert verrechnet hat. Mit Rücksicht dara uf,
dass d. VN nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt
worden war, ließ die Inanspruchnahme dieser Vorauszahlungen keinen
Schluss darauf zu, d. VN hätte auch bei Kenntnis des Widerspruch s-
rechts an den Versicherungsverträgen festgehalten und werde von dem
ihm zustehenden Widerspruchsrecht keinen Gebrauch machen.
b) Aus der Erklärung des Widerspruchs folgende bereicherung s-
rechtliche Ansprüche waren bei Erhebung der Klage im Jahre 2011 nicht
verjährt. Die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des
§ 195 BGB begann hinsichtlich beider Verträge mit Schluss des Jahres
2010, da der Kläger erst in dem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach
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einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereich e-
rungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im
Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte
d. VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der
Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Se-
natsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).
c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern n ur ei-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation beme ssen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsge richt zurückzuver-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei
auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14,
VersR 2015, 1101 Rn. 36 ff. und IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104
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Rn. 34 ff.) sowie vom 11. November 2015 (IV ZR 513/14, VersR 201 6, 33
Rn. 31 ff.) zu beachten haben.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 28.03.2012 - 26 O 367/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.05.2014 - 20 U 84/12 -