Urteil des BGH vom 10.02.2016

Ablauf der Frist, Beginn der Frist, Versicherer, Rückzahlung

ECLI:DE:BGH:2016:100216UIVZR175.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 175/15
Verkündet am:
10. Februar 2016
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 20. Januar 2016 einge-
reicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des 4. Z i-
vilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. Fe-
bruar 2015 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
5.001,36
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Ren-
tenversicherung mit Todesfall-Zusatzversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsb e-
ginn zum 1. Dezember 2007 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
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erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingu n-
gen und eine Verbraucherinformation, die eine Belehrung über das Wi-
derspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. enthielt, sowie auf einem gesonder-
ten Blatt ("Wichtige Hinweise") eine weitere Widerspruchsbelehrung.
D. VN leistete zunächst monatliche Beiträge in Höhe von 100
und eine Sonderzahlung von 15.000
€, insgesamt 18.200 €. Nach einer
Aussetzung der Beitragszahlung und einer Beitragsfreistel lung erhielt d.
VN 2011 Teilauszahlungen in Höhe von 6.000,17
€ und in Höhe von
5.500,16
€.
Mit Schreiben vom 22. November 2012 und nochmals mit Schrei-
ben vom 11. Januar 2013 erklärte d. VN unter anderem den Widerspruch
nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des Vertra-
ges. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung, zahlte den Rückkaufs-
wert von 5.696,49
€ und erstattete einen Stornoabzug in Höhe von
289,28
€.
Mit der Klage hat d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleis-
teten Beiträge nebst Nutzungszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz abzüglich der Teilauszahlungen und des bereits
gezahlten Rückkaufswertes, insgesamt 6.745,96
€ verlangt.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
hat ihr in der Hauptsache in Höhe von 1.406,02
€ stattgegeben. Mit der
Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren in Höhe von 5.001,36
€ wei-
ter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht d. VN dem Grunde
nach ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien sowie He r-
ausgabe der Nutzungen aus ungerechtfertigter Bereicherung zu. Der W i-
derspruch sei wirksam gewesen, da die Widerspruchsbelehrung nicht
den gesetzlichen Anforderungen entsprochen habe . Die Belehrung auf
dem Extrablatt zum Policenbegleitschreiben sei zwar drucktechnisch
hervorgehoben durch Fettdruck. Sie entspreche aber inhaltlich nicht den
Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F., da nach ihrem Wortlaut
der Lauf der Widerspruchsfrist innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt des
Versicherungsscheins beginne. Tatsächlich setze aber der Lauf der Frist
die Übersendung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedi n-
gungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbra u-
chinformation voraus. Insoweit komme es nicht darauf an, ob d. VN mit
Übersendung des Versicherungsscheins auch die weiteren maßgeblichen
Unterlagen mitübersandt worden seien. Es werde der unzutreffende Ei n-
druck erweckt, dass allein mit der Übersendung des Versicherung s-
scheins die Frist beginne. Die Widerspruchsbelehrung sei auch nicht
deshalb ausreichend, weil wegen der genauen Angaben über Beginn und
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Ablauf der Frist auf die Verbraucherinformation Bezug genommen werde.
Dort werde zwar der Beginn der Frist zutreffend erklärt. Diese Belehru ng
befinde sich aber nicht an drucktechnisch hervorgehobener Stelle.
Die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei nicht anwend-
bar. Die Vorschrift sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass sie bei
Lebens- und Rentenversicherungen keine Anwendung finde.
D. VN habe Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien in
Höhe von 18.200
€. Des Weiteren könne sie die von dem Versicherer
zugestandenen Nutzungen in Höhe von 725,84
€ und 15,86 € ersetzt
verlangen. Darüber hinausgehende Nutzungen habe sie nicht schlüssig
dargelegt. Sie habe sich darauf beschränkt, die gezogenen Nutzungen
mit einem effektiven Zinssatz von 6,0579% zu errechnen. Es fehle an e i-
ner Grundlage für die tatsächliche Vermutung, dass Nutzungen jedenfalls
in dieser Höhe gezogen worden seien. Die Einholung eines versiche-
rungsmathematischen Sachverständigengutachtens oder eine Auskunft
der BaFin komme daher nicht in Betracht. Auch eine Schätzung auf B a-
sis der üblichen gesetzlichen Verzinsung oder auf Grundlage der in der
Versicherungswirtschaft üblicherweise erzielten Rendite sei nicht mö g-
lich. Im Übrigen lasse sich die Entwicklung der Fonds auch aus allg e-
mein zugänglichen Quellen ermitteln. Außerdem könne bei Berechnung
der gezogenen Nutzungen nur auf denjenigen Anteil abgestellt werden,
der tatsächlich angelegt worden sei. Zwar seien Verwaltungs - und Ab-
schlusskosten im Rahmen der vom Versicherer geltend gemachten En t-
reicherung nicht abzugsfähig. Sie seien aber angefallen und hätten zur
Erwirtschaftung von Gewinnen nicht zur Verfügung gestanden.
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Von den Prämien seien die Zahlungen des Versicherers in Höhe
von 17.486,10
€ in Abzug zu bringen und die Risikoanteile für den Versi-
cherungsschutz während der Laufzeit des Vertrages anzurechnen. Der
Versicherer habe den Risikoanteil für die Hauptversicherung mit 28,58
und für die Todesfall-Zusatzversicherung mit 20,80
€ beziffert; diese Be-
träge habe d. VN unstreitig gestellt.
II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Einen - mit der Revision allein weiterverfolgten - Anspruch auf wei-
tere Nutzungszinsen gemäß § 818 Abs. 1 BGB hat das Berufungsgericht
mit zutreffender Begründung abgelehnt.
1. Entgegen der Auffassung des Versicherers hat es dem Grunde
nach zu Recht die bereicherungsrechtlichen Voraussetzungen bejah t.
Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft
keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Wide r-
spruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war
- ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten
Jahresfrist - rechtzeitig.
a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht or d-
nungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wider-
spruchsrecht. Anders als der Versicherer mit seiner Gegenrüge geltend
macht, ist die drucktechnisch hervorgehobene Belehrung in dem Extr a-
blatt unzureichend und damit fehlerhaft, weil sie entgegen § 5a Abs. 1
Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. für den Fristbeginn allein auf den Erhalt
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des Versicherungsscheins, nicht aber auch der Versicherungsbedingu n-
gen und der Verbraucherinformation abstellt. Insoweit ist ohne Belang,
dass d. VN zusammen mit dem Versicherungsschein auch die übrigen
erforderlichen Unterlagen zugingen und der Fristbeginn in der Belehrung
damit faktisch richtig angegeben worden war (vgl. Senatsurteil vom
29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 27). Die weitere W i-
derspruchsbelehrung in der Verbraucherinformation erklärt zwar den
Fristbeginn zutreffend, ist aber drucktechnisch nicht hervorgehoben.
b) Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung
bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchs-
recht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahre s-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt
die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf
der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Eu ropäi-
schen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat
mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) ent-
schieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinie n-
konform teleologisch dergestalt reduziert werden , dass sie im Anwen-
dungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung
keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens - und Rentenver-
sicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grund -
sätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht
ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist
und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingu n-
gen nicht erhalten hat.
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2. Einen weitergehenden Anspruch auf Nutzungszinsen ge mäß
§ 818 Abs. 1 BGB hat das Berufungsgericht d. VN ohne Rechtsfehler
versagt.
Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 818 Abs. 1
Alt. 1 BGB nur die Nutzungen herauszugeben sind, die vom Bereich e-
rungsschuldner tatsächlich gezogen wurden (Senatsurteile vom 11. No-
vember 2015 - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 41; vom 29. Juli 2015 -
IV ZR 384/14 aaO Rn. 46; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 51; je-
weils m.w.N.). Zudem können, wie das Berufungsgericht richtig erkannt
hat, bei der Bestimmung der gezogenen Nutzungen die gezahlten Prä-
mien nicht in voller Höhe Berücksichtigung finden (Senatsurteil vom
11. November 2015 aaO Rn. 41 ff.). Nutzungen aus dem Risikoanteil,
der dem Versicherer als Wertersatz für den von d. VN faktisch genoss e-
nen Versicherungsschutz verbleibt, stehen d. VN nicht zu (vgl. Senatsu r-
teil vom 11. November 2015 aaO Rn. 42). Auch hinsichtlich des auf die
Abschluss- und Verwaltungskosten entfallenden Prämienanteils hat das
Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend eine V erpflichtung der
Beklagten zur Herausgabe von Nutzungen abgelehnt. Der auf die A b-
schlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt für Nutzungsersatza n-
sprüche außer Betracht. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon
auszugehen, dass der Versicherer diesen Prämienanteil nicht zur Kapi-
talanlage nutzen konnte (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO
Rn. 44 f.).
Hinsichtlich des Verwaltungskostenanteils der Prämien kann nicht
vermutet werden, dass der Versicherer Nutzungszinsen in bestimmter
Höhe erzielt hat. Insoweit hat das Berufungsgericht zu Recht die Darle-
gungs- und Beweislast beim Versicherungsnehmer gesehen und ihm e i-
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nen entsprechenden Tatsachenvortrag abverlangt, der nicht ohne Bezug
zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsäch liche Vermu-
tung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe - etwa in Höhe der hier
von d. VN verlangten Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basi s-
zinssatz - gestützt werden kann (vgl. Senatsurteil vom 11. November
2015 aaO Rn. 46 ff.). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag d. VN
nicht; sie hat nur allgemein vorgetragen, alle deutschen Lebensversich e-
rer hätten zwischen 2000 und 2013 eine durchschnittliche Nettoverzi n-
sung von 4,88% erwirtschaftet.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Dresden, Entscheidung vom 16.04.2014 - 8 O 1265/13 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 24.02.2015 - 4 U 786/14 -