Urteil des BGH vom 16.09.2015

Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Vollzug, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 1 6 / 1 4
vom
16. September 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 16. September 2015
beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des
Oberlandgerichts Köln vom 6. Dezember 2013 wird ge-
mäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Klägerseite zu-
rückgewiesen.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite
(Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO zu-
rückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorli e-
gen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die
Parteien mit Beschluss vom 30. Juni 2015 auf die beabsichtigte Zurüc k-
weisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend Bezug
genommen.
Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 25. August 2015 gibt kei-
ne Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
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Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die E u-
roparechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründet
dies im Streitfall nicht die Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher au s-
geführt hat, wäre es dem Kläger, der trotz Belehrung darüber, dass er
den Vertrag nicht zustande kommen lassen musste, diesen bis zur Kün-
digung sechs Jahre lang durchgeführt hat, wegen widersprüchlichen
Verhaltens verwehrt, sich bei unterstellter Gemeinschaftsrechtswidrigkeit
des Policenmodells auf eine Unwirksamkeit des Vertrags zu berufen. Die
Frage einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen
Union in einem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhalten der Vers i-
cherungsnehmer festgestellt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht.
Entgegen der Ansicht der Revision sind die Maßstäbe für die Berücksic h-
tigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union auch geklärt (siehe im Einzel-
nen Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn.
41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März 2015 - 1 BvR
3280/14, juris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechtsmissbräuchli-
chen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang mit
dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch BVerfG aaO).
Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrec htlich unge-
klärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale
Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt
dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher
Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung di e-
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ser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nationa-
len Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtspr e-
chung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen
(BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträc h-
tigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die pra k-
tische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und d en Sinn und Zweck
des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten
Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versich e-
rungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages s i-
cherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im
Streitfall, dass d. VN, der dem geltenden nationalen Recht entsprechend
ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, de n Vertrag oh-
ne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diese n gleichwohl in
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Vollzug gesetzt und ihn über mehrere Jahre durchgeführt hat (vgl. er-
gänzend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015,
876 Rn. 13 f.).
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski
Lehmann
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 15.07.2013 - 26 O 252/12 -
OLG Köln, Entscheidung vom 06.12.2013 - 20 U 144/13 -