Urteil des BGH vom 24.02.2016

Versicherer, Ablauf der Frist, Treu Und Glauben, Versicherungsschutz

ECLI:DE:BGH:2016:240216UIVZR126.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 126/15
Verkündet am:
24. Februar 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 3. Februar 2016 einge-
reicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagtenseite gegen das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 16. Ja-
nuar 2015 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
2.817,56
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier fondsgebundener Le-
bensversicherungen und Nutzungsersatz wegen ungerechtfertigter Be-
reicherung.
Diese wurden jeweils aufgrund eines Antrags d. VN mit Versich e-
rungsbeginn zum 1. Oktober 2004 bzw. zum 1. November 2004 nach
dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen
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Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Die d. VN über-
sandten Versicherungsscheine enthielten Belehrungen über das Wide r-
spruchsrecht nach § 5a VVG a.F.
Jeweils mit Schreiben vom 28. Mai 2013 erklärte d. VN den Wider-
spruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., mit Schreiben vom 25. Juni
2013 hilfsweise die Kündigung. Der Versicherer akzeptierte die Künd i-
gungen und zahlte die Rückkaufswerte aus.
Mit der Klage hat d. VN Rückzahlung aller auf die Verträge geleis-
teten Beiträge (3.197,55
€ bzw. 3.123,65 €) nebst Nutzungszinsen abzü-
glich der bereits gezahlten Rückkaufswerte verlangt.
Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wirk-
sam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Ge-
meinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der
Widerspruch noch erklärt werden können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
hat ihr in Höhe von 2.817,56
€ nebst Zinsen stattgegeben. Mit der Revi-
sion erstrebt der Versicherer auch insoweit Klageabweisung.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat d. VN einen Anspruch auf Erstattung
der von ihr auf die Versicherungsverträge geleisteten Prämien abzüglich
der auf den Risikoschutz entfallenden Prämienanteile und auf die von
dem Versicherer gezogenen Nutzungen zuerkannt und die Rückkaufs-
werte in Abzug gebracht. D. VN habe den Vertragsschlüssen noch w i-
dersprechen können. Die 14-tägige Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1
Satz 1 VVG a.F. sei nicht wirksam in Gang gesetzt worden. Die in den
Versicherungsscheinen enthaltenen Widerspruchsbelehrungen seien in-
haltlich fehlerhaft, weil der notwendige Hinweis darauf fehle, dass der
Widerspruch in Textform zu erheben sei. Dieser Hinweis sei nicht des-
halb entbehrlich, weil von der "Absendung" des Widerspruchs die Rede
sei.
§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., der ein Erlöschen des Widerspruchs-
rechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie vorgesehen habe, sei
auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar.
D. VN habe das Widerspruchsrecht nicht verwirkt und mit der E r-
klärung des Widerspruchs im Jahr 2013 nicht gegen Treu und Glauben
verstoßen, da die Beklagte es versäumt habe, d . VN ordnungsgemäß zu
belehren.
D. VN könne somit aus ungerechtfertigter Bereicherung die gezahl-
ten Versicherungsprämien zurückverlangen. Dabei müsse sie sich den
darauf entfallenden reinen Risikoanteil für die Lebensversicherungen
einschließlich der Todesfall-Zusatzversicherungen anrechnen lassen, um
den während der Zeit der Prämienzahlung genossenen Versicherung s-
schutz als erlangten Vermögensvorteil auszugleichen. Es könne nicht da-
rauf abgestellt werden, welche Kosten entstanden wären, wenn alternativ
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jeweils reine Risikolebensversicherungen abgeschlossen worde n wären.
Die von dem Versicherer angeführten Beträge (104,42
€ und 147,17 €)
seien gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zugrunde zu legen. Demgegenüber
komme eine Anrechnung des Prämienanteils, der auf Abschluss - und
Verwaltungskosten entfallen sei, nicht in Betracht. Die Beklag te könne
insoweit vor allem nicht den Einwand der Entreicherung erheben.
Nutzungen stünden d. VN nur in Höhe der von dem Versicherer
angegebenen Beträge von 218,28
€ bzw. 210,63 € zu, die sich aus einer
positiven Fondsentwicklung ergäben. Weitergehend e Nutzungen könne
d. VN nicht beanspruchen. Der Anspruch beschränke sich auf die Erstat-
tung der tatsächlich durch die Beklagte gezogenen Nutzungen. Der ihr
insoweit obliegenden Darlegungs- und Beweislast habe d. VN nicht ge-
nügt.
Die Forderungen d. VN seien nicht verjährt, da sie erst mit Aus-
übung des Widerspruchsrechts entstanden und die Verjährung rechtze i-
tig gehemmt worden sei.
II. Die hiergegen gerichtete Revision ist zulässig, insbesondere
gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufgrund der Zulassung durch das Beru-
fungsgericht statthaft. Dieses hat die Revision entgegen der Auffassung
der Revisionserwiderung nicht nur beschränkt auf die Höhe der gegen
die Beklagte bestehenden Zahlungsansprüche d. VN zugelassen. Eine
Beschränkung der Revisionszulassung auf die Anspruchshöhe lässt sich
dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Ausweislich seines Tenors wurde
die Revision zugelassen, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt
worden ist, was ihre Verurteilung dem Grunde nach mitumfasst. Eine
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eindeutige Zulassungsbeschränkung auf die Frage der Anspruchshöhe
ist auch den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht zu entne h-
men. Das Berufungsgericht hat die Zulassung damit begründet, dass die
bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsve r-
trages, dem wirksam widersprochen worden sei, bislang in den Einze l-
heiten nicht geklärt sei.
III. Die Revision ist unbegründet.
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht d. VN Bereicherungsanspr ü-
che zuerkannt.
Die zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsverträge
schaffen keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Sie sind infolge
des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - jeweils rechtzeitig.
a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht or d-
nungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wider-
spruchsrecht. Die in den Versicherungsscheinen enthaltenen Wider-
spruchsbelehrungen sind bereits insofern inhaltlich fehlerhaft, als sie
keinen Hinweis darauf enthalten, dass der Widerspruch in Textform zu
erheben war (Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015,
1101 Rn. 26 m.w.N.).
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Ob - wie die Revision in Betracht zieht - eine Belehrung ausrei-
chend ist, die d. VN weitergehend die Möglichkeit eines Widerspruchs
auch in mündlicher Form einräumt, kann hier dahinstehen. Aus den in
Rede stehenden Belehrungen lässt sich nicht entnehmen, dass auch ein
mündlicher Widerspruch genügen sollte.
b) Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt.
aa) Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jah-
resfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt
die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf
der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europä i-
schen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat
mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) ent-
schieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinie n-
konform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwe n-
dungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung
keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens - und Rentenver-
sicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grund -
sätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht
ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist
und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingu n-
gen nicht erhalten hat.
bb) Entgegen der Auffassung der Revision hat d. VN das Recht
zum Widerspruch nicht verwirkt. Es fehlt hier jedenfalls am Umstand s-
moment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte schon deshalb
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nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat,
indem sie d. VN keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erte ilte
(vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 39 m.w.N.).
Ob - wie die Revision meint - der Verwirkungseinwand möglich ist,
wenn eine Widerspruchsbelehrung nur marginale Fehler aufweist,
braucht hier nicht entschieden zu werden. Der genannte Belehrungs-
mangel - der fehlende Hinweis auf die Textform - ist nicht belanglos,
sondern betrifft einen für die Ausübung des Widerspruchsrechts wesen t-
lichen Punkt (vgl. Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO
Rn. 32; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 30).
2. Aus der Erklärung des Widerspruchs folgende bereicherung s-
rechtliche Ansprüche waren, wie das Berufungsgericht richtig gesehen
hat, bei Klageerhebung im Jahr 2013 nicht verjährt. Die maßgebliche r e-
gelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB konnte erst mit
Schluss des Jahres 2013 beginnen, da d. VN erst in diesem Jahr den
Widerspruch erklärte (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15,
VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).
3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat,
bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zum
Widerspruch des Vertrages faktisch genossenen Versicherungsschutz
anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter B e-
rücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Leben s-
versicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (S e-
natsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
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a) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler die von dem Vers i-
cherer bezifferten Risikoanteile der streitgegenständlichen Lebensversi-
cherungen zugrunde gelegt. Entgegen der Auffassung der Revision kö n-
ne nicht Prämien in Ansatz gebracht werden, die d. VN hätte zahlen
müssen, wenn sie selbständige Risikolebensversicherungen abgeschlo s-
sen hätte. Es geht um die rückwirkende Abwicklung der zwischen den
Parteien abgeschlossenen Verträge, aufgrund derer d. VN bis zum Wi-
derspruch zeitweilig Versicherungsschutz genossen hatte. Dafür sind die
tatsächlich vom Versicherer kalkulierten Risikoanteile anzusetzen, nicht
Prämien für den hypothetischen Fall, dass d. VN alternativ reine Risik o-
lebensversicherungen abgeschlossen hätte.
b) Hinsichtlich der Abschluss- und Verwaltungskosten kann sich
der Versicherer - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat -
auch nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung
berufen. Die Verwaltungskosten sind bereits deshalb nicht bereiche-
rungsmindernd zu berücksichtigen, weil sie nicht adäquat -kausal durch
die Prämienzahlungen entstanden, sondern unabhängig von dem strei t-
gegenständlichen Versicherungsvertrag angefallen und beglichen wo r-
den sind. Auch die Verwendung der Verwaltungskostenanteile der ge-
zahlten Prämien für die Bestreitung von Aufwendungen für den Versich e-
rungsbetrieb wirkt nicht bereicherungsreduzierend, da der Versicherer
auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel erspart hat (Senat s-
urteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 42; IV ZR 448/14
Rn. 47).
Hinsichtlich der Abschlusskosten ist das Entreicherungsrisiko nach
den maßgeblichen Wertungsgesichtspunkten der Beklagten zugewiesen.
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Der mit der richtlinienkonformen Auslegung bezweck te Schutz des Versi-
cherungsnehmers gebietet es, dass der Versicherer in Fällen des wir k-
samen Widerspruchs das Entreicherungsrisiko hinsichtlich der A b-
schlusskosten trägt (Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO
Rn. 43; IV ZR 448/14 aaO Rn. 48).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 16.06.2014 - 26 O 513/13 -
OLG Köln, Entscheidung vom 16.01.2015 - 20 U 124/14 -