Urteil des BGH vom 26.06.2012

Leitsatzentscheidung zu Schutz der Gläubiger, Übertragung, Gegenleistung, Aktiengesellschaft, Anfechtungsklage

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
II ZR 30/11
Verkündet am:
26. Juni 2012
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
AktG § 57, § 241 Nr. 3, § 311
a) Wenn die Hauptversammlung einer abhängigen Aktiengesellschaft mit der Stim-
menmehrheit des herrschenden Unternehmens einem nachteiligen Rechtsge-
schäft zustimmt, muss bereits der Hauptversammlungsbeschluss einen Nachteil-
sausgleich vorsehen.
b) Wenn der Nachteil, der der abhängigen Gesellschaft auf Veranlassung des herr-
schenden Unternehmens zugefügt wird, bezifferbar ist, muss eine Ausgleichs-
vereinbarung nach § 311 Abs. 2 AktG, die einen Zahlungsanspruch begründet,
den Ausgleichsanspruch beziffern und darf ihn nicht von der späteren Feststel-
lung des Nachteils abhängig machen.
BGH, Urteil vom 26. Juni 2012 - II ZR 30/11 - OLG München
LG München I
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann und den
Richter Dr. Strohn, die Richterin Dr. Reichart, die Richter Dr. Drescher und Born
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Kläger zu 2, 4, 5 und 6 wird das Urteil des
7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 22. Dezem-
ber 2010 aufgehoben.
Der Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte, die frühere B. bank AG, und
die U. SpA (im Folgenden: U. ), die damals ca. 94%
des Grundkapitals der Beklagten hielt, vereinbarten am 12. September 2006 die
Übertragung des Osteuropageschäfts der Beklagten. Die U. kaufte Ak-
tien der Bank A.
AG für 12,5 Milliarden € und der J.
C. Bank HVB U.
für 83 Millionen € von der Beklagten, die Bank
A. AG kaufte von der Beklagten deren Anteile an der C.
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Bank für 1,29 Milliarden
€ sowie
deren Anteile an der H. Bank
für 70 Millionen € und die H.
Bank kaufte von der Beklagten Vermögensgegenstände der
H. Niederlassung V. für 10,67 Millio
nen € und Vermögensgegenstände
und Verbindlichkeiten der H. Niederlassung T. für 71,6 Milli
onen €.
Auf der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 25. Ok-
tober 2006 stimmten die Aktionäre mehrheitlich den einzelnen Verträgen über
die Veräußerung des Osteuropageschäfts zu.
In der Hauptversammlung der Beklagten am 26. und 27. Juni 2007 wur-
de die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die U. be-
schlossen. Auf einer weiteren Hauptversammlung am 29. und 30. Juli 2008
wurden die Zustimmungsbeschlüsse vom 25. Oktober 2006 bestätigt, unter Ta-
gesordnungspunkt 8.1. und 8.2. die Anteilskaufverträge mit der U. , un-
ter Tagesordnungspunkt 8.3. und 8.4. die Anteilskaufverträge mit der Bank A.
AG und unter Tagesordnungspunkt 8.5. und 8.6. die Unter-
nehmenskaufverträge mit der H. Bank . Nach der Eintragung
der Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die U. am
15. September 2008 im Handelsregister fasste die Alleinaktionärin am
5. Februar 2009 einen weiteren Bestätigungsbeschluss.
Gegen die Zustimmungsbeschlüsse vom 25. Oktober 2006 erhoben zahl-
reiche Aktionäre Anfechtungsklage. Das Landgericht München I erklärte die
Beschlüsse für nichtig. Die Verhandlung über die Berufung der Beklagten setzte
das Berufungsgericht entsprechend § 148 ZPO im Hinblick auf das vorliegende
Verfahren aus.
Die Kläger, die damals Aktionäre der Beklagten waren, haben gegen die
Bestätigungsbeschlüsse der Hauptversammlung vom 29. und 30. Juli 2008 An-
fechtungsklage erhoben, die Kläger zu 5 und 6 nur gegen die Bestätigungsbe-
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schlüsse zu 8.1. und 8.2. Die Klagen haben sie unter anderem damit begründet,
die Zustimmungsbeschlüsse vom 25. Oktober 2006 seien nach § 241 Nr. 3
AktG nichtig, weil die Veräußerung des Osteuropageschäfts erheblich unter
Wert erfolgt sei und damit gegen § 57 Abs. 1 AktG verstoße. Eine Vereinbarung
vom 21. Dezember 2007 zwischen der Beklagten und U. , in der sich
U. verpflichtet habe, Nachteile binnen einer bestimmten Frist in bar
auszugleichen, wenn durch eine Gerichtsentscheidung festgestellt werde, dass
der Verkauf des Osteuropageschäfts für die Beklagte nachteilig sei, ändere da-
ran nichts.
Das Landgericht hat die Klagen abgewiesen. Gegen die Zurückweisung
ihrer Berufung durch das Berufungsgericht richten sich die vom erkennenden
Senat zugelassene Revisionen der Kläger zu 2, 4, 5 und 6.
Entscheidungsgründe:
Die Revisionen haben Erfolg und führen zur Zurückverweisung der Sa-
che an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG sei mit
den Zustimmungsbeschlüssen vom 25. Oktober 2006 mit der Rechtsfolge ihrer
Nichtigkeit und damit auch der Nichtigkeit der ersten Bestätigungsbeschlüsse
vom 30. Juli 2008 nicht verletzt, weil diese Vorschrift durch das speziellere Re-
gelungswerk der §§ 311 ff. AktG verdrängt werde. Die Vereinbarung vom
21. Dezember 2007 sei eine wirksame Nachteilsausgleichsvereinbarung. Es sei
unschädlich, dass die durch die Vereinbarung begründete Forderung gegen die
U. in der Höhe nicht beziffert sei und ihr Bestehen von der Entschei-
dung eines Gerichts abhängig gemacht werde. Wenn die Angemessenheit der
Gegenleistung wie hier von anderen Aktionären angezweifelt werde, kämen das
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herrschende Unternehmen und die Gesellschaft in die Situation, entweder in
einem Rechtsstreit zu unterliegen und nach § 317 Abs. 1 AktG umfassend er-
satzpflichtig zu werden oder eine erneute Bewertung durch ein Wirtschaftsprü-
fungsunternehmen mit entsprechenden Kosten für die Gesellschaft vornehmen
zu lassen, wenn ihr nicht gestattet werde, eine solche bedingte Nachteilsaus-
gleichsvereinbarung abzuschließen. Die Vereinbarung sei auch fristgerecht ge-
schlossen worden. Ein Nachteil könne der Gesellschaft erst am 9. Januar 2007
mit der Feststellung der Vollzugsvoraussetzungen des Verkaufs des Osteuro-
pageschäfts durch den Vorstand der Beklagten zugefügt worden sein. Die Ver-
einbarung vom 21. Dezember 2007 sei damit noch vor Ende des Geschäftsjah-
res, in dem der abhängigen Gesellschaft ein Nachteil zugefügt worden sei, ge-
schlossen worden. Weder die Bestätigungsbeschlüsse vom 30. Juli 2008 noch
die Zustimmungsbeschlüsse vom 25. Oktober 2006 seien nach § 243 Abs. 2
AktG anfechtbar. Ein Sondervorteil liege bei Strukturmaßnahmen erst vor, so-
fern er bei einer Gesamtwürdigung als sachwidrige Bevorzugung erscheine.
Das sei hier nicht der Fall.
II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Den
Bestätigungsbeschlüssen vom 30. Juli 2008 kommt keine Heilungswirkung zu,
wenn - wie revisionsrechtlich zu unterstellen ist - die Beklagte für die Übertra-
gung des Osteuropageschäfts keine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat.
Denn in diesem Fall sind die Ausgangsbeschlüsse vom 25. Oktober 2006, mit
denen der Übertragung an die U. zugestimmt wurde, nach § 241 Nr. 3
AktG nichtig.
1. Die Bestätigungsbeschlüsse vom 30. Juli 2008 sind nichtig, wenn die
Zustimmungsbeschlüsse vom 25. Oktober 2006 nach § 241 Nr. 3 AktG nichtig
sind. Einem Bestätigungsbeschluss haftet ein materiell-rechtlicher Mangel des
Ausgangsbeschlusses ebenfalls an (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2003
- II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210; Urteil vom 12. Dezember 2005
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- II ZR 253/03, ZIP 2006, 227 Rn. 18; Beschluss vom 21. Juli 2008 - II ZR 1/07,
ZIP 2009, 913 Rn. 10; Urteil vom 22. März 2011 - II ZR 229/09, BGHZ 189, 32
Rn. 27), und nach § 241 Nr. 3 AktG nichtige Beschlüsse können nicht bestätigt
werden, wie schon der Wortlaut von § 244 AktG zeigt (BGH, Urteil vom
15. Dezember 2003 - II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 212; Urteil vom
20. September 2004 - II ZR 288/02, BGHZ 160, 253, 256; Urteil vom 22. März
2011 - II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 Rn. 27).
2. Die Zustimmungsbeschlüsse vom 25. Oktober 2006 sind nichtig, wenn
die Beklagte für die in den Zustimmungsbeschlüssen genannten Übertragungen
keine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat.
a) Die Übertragung des Osteuropageschäfts auf die U. war eine
Einlagenrückgewähr nach § 57 Abs. 1 AktG, wenn zwischen dem Wert des
Osteuropageschäfts und der Gegenleistung der U. ein Missverhältnis
bestand. Es ist eine nach § 57 Abs. 1 AktG verbotene Zuwendung, wenn eine
Leistung der Gesellschaft an den Aktionär nicht durch eine gleichwertige Ge-
genleistung des Aktionärs ausgeglichen wird (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG i.d.F.
des MoMiG; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - II ZR 102/07, BGHZ 179, 71
Rn. 12 - MPS; Urteil vom 31. Mai 2011 - II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 Rn. 24
- Dritter Börsengang). Nach den im Revisionsverfahren zu unterstellenden Be-
hauptungen der Kläger soll das Osteuropageschäft der Beklagten unter Wert an
die U. verkauft worden sein.
b) Die Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung vom 25. Oktober
2006 waren in diesem Fall nichtig. Nach § 241 Nr. 3 AktG ist ein Beschluss
nichtig, wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich
oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind.
Dazu zählen die Vorschriften zur Kapitalerhaltung in § 57 AktG (MünchKomm
AktG/Hüffer, 3. Aufl., § 241 Rn. 55; Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl.,
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§ 241
Rn. 210;
Hölters/Englisch,
AktG,
§ 241
Rn. 61;
Schwab
in
K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 241 Rn. 21).
Das Berufungsgericht hat zwar nicht festgestellt, dass die Wirksamkeit
der Kaufverträge oder ihres Vollzugs von der Zustimmung der Hauptversamm-
lung abhängig gemacht war und die Beschlüsse der Hauptversammlung die
Einlagenrückgewähr unmittelbar bewirkten. Ein Hauptversammlungsbeschluss
verletzt § 57 AktG aber nicht nur dann, wenn er unmittelbar zur Einlagenrück-
gewähr führt. Auch wenn der Vorstand - wie bei einem Beschluss zur Ge-
schäftsführung (§ 119 Abs. 2 AktG) - eine Entscheidung der Hauptversammlung
einholt und erst die Umsetzung des Beschlusses zur Einlagenrückgewähr führt,
verstößt die Billigung durch die Hauptversammlung gegen gläubigerschützende
Vorschriften. Nach § 241 Nr. 3 AktG kommt es allein auf den Inhalt des Be-
schlusses an.
c) Der Nichtigkeit der Beschlüsse steht entgegen der Auffassung des Be-
rufungsgerichts nicht entgegen, dass die U. herrschendes Unterneh-
men, der Verkauf unter Wert für die Beklagte ein nachteiliges Rechtsgeschäft
nach § 311 Abs. 1 AktG war und ein Nachteilsausgleich grundsätzlich erst am
Ende des Geschäftsjahres bestimmt werden muss (§ 311 Abs. 2 Satz 1 AktG).
Wenn die Hauptversammlung einem nachteiligen Rechtsgeschäft zustimmt,
muss bereits der Hauptversammlungsbeschluss einen Nachteilsausgleich vor-
sehen. Die Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung vom 25. Oktober
2006 haben keinen Nachteilsausgleich vorgesehen.
aa) § 311 Abs. 2 Satz 1 AktG erlaubt dem herrschenden Unternehmen,
den Nachteilsausgleich zeitlich gestreckt erst zum Ende des Geschäftsjahrs
vorzunehmen oder zu bestimmen, wann und durch welche Vorteile der Nachteil
ausgeglichen werden soll, auch wenn der Nachteil gleichzeitig eine unzulässige
Einlagenrückgewähr im Sinn von § 57 Abs. 1 AktG ist (BGH, Urteil vom
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1. Dezember 2008 - II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 Rn. 11 - MPS; Urteil vom
31. Mai 2011 - II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 Rn. 48 - Dritter Börsengang). Die
Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen an das herrschende Unterneh-
men unter ihrem Wert ist ein nachteiliges Rechtsgeschäft im Sinne von § 311
Abs. 1 und 2 AktG.
bb) Wenn die Hauptversammlung einem nachteiligen Rechtsgeschäft
zustimmt, muss bereits der Beschluss selbst den Nachteilsausgleich vorsehen.
Die Ausübung des Stimmrechts des herrschenden Unternehmens in der
Hauptversammlung ist eine nachteilige Veranlassung im Sinn des § 311 Abs. 1
AktG, wenn nachteilige Geschäftsführungsmaßnahmen nach § 119 Abs. 2 AktG
beschlossen werden (H.-F. Müller in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 311
Rn. 21). Dazu genügt auch die Zustimmung zu einer nachteiligen Geschäftsfüh-
rungsmaßnahme, selbst wenn sie noch umgesetzt werden muss, da der Vor-
stand Beschlüsse der Hauptversammlung grundsätzlich umzusetzen hat. Auf-
grund der Legitimationswirkung eines Zustimmungsbeschlusses und seines
Gewichts ist entgegen der Revisionserwiderung auch nicht entscheidend, ob
dem Vorstand für die Umsetzung der Geschäftsführungsmaßnahme trotz der
Zustimmung der Hauptversammlung noch ein Entscheidungsspielraum ver-
bleibt. Dem Zustimmungsbeschluss fehlt die Bedeutung für eine nachteilige
Maßnahme auch nicht, wenn der Vorstand nach § 119 Abs. 2 AktG eine Ent-
scheidung der Hauptversammlung verlangt, ohne dazu - etwa nach den
Grundsätzen der Gelatine-Entscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2004
- II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 - Gelatine I) - verpflichtet zu sein.
Wenn die nachteilige Veranlassung in einem mit der Stimmenmehrheit
des herrschenden Unternehmens gefassten Hauptversammlungsbeschluss be-
steht, kann der Nachteilsausgleich nicht aufgeschoben werden, sondern muss
bereits im Beschluss vorgesehen sein. Die Privilegierung des herrschenden
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Aktionärs, einen Nachteilsausgleich erst zum Ende des Geschäftsjahres zu
vereinbaren, kann nicht greifen, wenn die Hauptversammlung über ein nachtei-
liges Rechtsgeschäft beschließt. Teilweise wird zwar - allerdings in der Regel
im Zusammenhang mit der Anfechtung nach § 243 Abs. 2 AktG - die Ansicht
vertreten, die Privilegierung von § 311 Abs. 2 Satz 1 AktG müsse dem herr-
schenden Unternehmen auch erhalten bleiben, wenn die Hauptversammlung
das nachteilige Geschäft beschließt (Mülbert, Aktiengesellschaft, Unterneh-
mensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl., 1996, S. 288 ff.; Abrell, BB 1974, 1463,
1467; für § 119 Abs. 2 AktG auch Strohn, Die Verfassung der Aktiengesell-
schaft im faktischen Konzern, 1977, S. 39 ff.). Überwiegend wird dagegen ver-
langt, dass der Nachteilsausgleich bereits im Beschluss selbst geregelt wird
(OLG Frankfurt, WM 1973, 348, 350 f.; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 311 Rn. 48 und
§ 243 Rn. 43; MünchKommAktG/Hüffer, 3. Aufl., § 243 Rn. 105; Koppensteiner
in KK-AktG, 3. Aufl., § 311 Rn. 166; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien-
und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., § 311 Rn. 85; H.-F. Müller in Spindler/Stilz,
AktG, 2. Aufl., § 311 Rn. 65; K. Schmidt in GroßkommAktG, 4. Aufl., § 243
Rn. 58; Zöllner in KK-AktG, 1. Aufl., § 243 Rn. 258; Würthwein in Spindler/Stilz,
AktG, 2. Aufl., § 243 Rn. 220 f.; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl.,
§ 311 Rn. 123; Fett in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 311 AktG Rn. 59; im
Ergebnis auch MünchKommAktG/Altmeppen, 3. Aufl., § 311 Rn. 130, 132).
Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Wenn ein Be-
schluss - wie dies regelmäßig der Fall ist - neben dem Nachteil für die abhängi-
ge Gesellschaft auch Sondervorteile für einen herrschenden Aktionär bietet,
muss schon nach dem Wortlaut von § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG mit dem Be-
schluss ein angemessener Ausgleich vorgesehen sein, um die Anfechtbarkeit
zu beseitigen. Der Aktionär kann nicht darauf verwiesen werden, den Beschluss
in der Hoffnung auf einen ungewissen Ausgleich unanfechtbar werden zu las-
sen. Das muss auch gelten, wenn der Beschluss nicht nur anfechtbar, sondern
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wegen Verstoß gegen gläubigerschützende Vorschriften nichtig ist. Zwar wird
ein nichtiger Beschluss nicht infolge Fristablaufs bestandskräftig. Dem Minder-
heitsaktionär ist aber nicht zumutbar, mit einer Klage zuzuwarten, ob und wie
das herrschende Unternehmen noch eine Vereinbarung über den Nach-
teilsausgleich trifft. Die Hauptversammlung kann auch - anders als etwa der
Vorstand - nicht selbst nach der nachteiligen Veranlassung dafür Sorge tragen,
dass der Nachteil spätestens bis zum Ende des Geschäftsjahres durch Vorteile
ausgeglichen oder ein Rechtsanspruch auf die Vorteile vereinbart wird, weil sie
nicht ständig zusammentritt.
III. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderem Grund als richtig.
1. Die Kläger haben durch die Vereinbarung vom 21. Dezember 2007
nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Nichtigkeitsklage verloren. Dabei kann
offen bleiben, ob eine nachträgliche Erledigung der Klage durch einen späteren
Nachteilsausgleich oder sogar nur eine Nachteilsausgleichsvereinbarung eintre-
ten kann (so zur Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 2 AktG Martens, AG 1974, 9,
13; MünchKommAktG/Altmeppen, 3. Aufl., § 311 Rn. 134; aA Mülbert, Aktien-
gesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl., 1996, S. 289;
Zöllner in KK-AktG, 1. Aufl., § 243 Rn. 258). Die Vereinbarung vom 21. Dezem-
ber 2007 genügt nicht den Anforderungen, die an die Bestimmung eines
Rechtsanspruchs auf einen ausgleichenden Vorteil (§ 311 Abs. 2 AktG) zu stel-
len sind.
Wenn der Nachteil, der der abhängigen Gesellschaft auf Veranlassung
des herrschenden Unternehmens zugefügt wird, bezifferbar ist, muss eine Aus-
gleichsvereinbarung, die einen Zahlungsanspruch begründet, den Ausgleichs-
anspruch beziffern und darf ihn nicht von der späteren Feststellung des Nach-
teils abhängig machen. Wenn sich der Nachteil bilanziell niederschlägt, muss
der Vorteil bilanzierbar sein; das gilt dann auch für die Gewährung eines An-
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spruchs auf Ausgleich. Jede Ausgleichsvereinbarung muss zudem Art, Umfang
und Leistungszeit der als Ausgleich zugesagten Vorteile festlegen, um den
Ausgleich nicht auf die lange Bank zu schieben und die Grenzen zum Scha-
densersatzanspruch nach § 317 AktG nicht zu verwischen (Habersack in
Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., § 311 Rn. 63
m.w.N.). Wird nur ein unbezifferter Anspruch auf Ausgleich später festgestellter
Nachteile eingeräumt, wird die erforderliche Klarheit nicht geschaffen und der
Forderung des § 311 Abs. 2 nach konkreter Festlegung der Vorteile nicht ent-
sprochen (vgl. MünchKommAktG/Altmeppen, 3. Aufl., § 311 Rn. 365), jeden-
falls dann nicht, wenn der Nachteil bezifferbar ist.
Diesen Anforderungen genügt die Vereinbarung vom 21. Dezember 2007
nicht. Der damit gewährte Ausgleichsanspruch ist nicht beziffert, obwohl bei
einem Verkauf unter dem tatsächlichen Wert die Differenz zu dem von der
U. gezahlten Kaufpreis für die Anteile bzw. die Vermögensgegenstände
bezifferbar ist und der Vorteil in einer Zahlung bestehen soll. Die Vereinbarung
macht den Ausgleichsanspruch zudem von der späteren Feststellung eines
Nachteils abhängig. Die U. sollte zum Ausgleich innerhalb von 10
Werktagen nach der Zustellung einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung ver-
pflichtet sein, in der ein Gericht mit Wirkung gegenüber U. feststellt,
dass der Abschluss oder der Vollzug der Verträge Nachteile für die Beklagte
aufwies. Die Regelung verschob damit einen Ausgleich mindestens auf die lan-
ge Bank, zumal ungewiss ist, in welchem Verfahren eine solche Feststellung
gegenüber der U. getroffen werden sollte. Den Anfechtungsklagen ge-
gen die Zustimmungsbeschlüsse, die außerdem allenfalls mittelbar und nicht
durch den Urteilsausspruch selbst zur Feststellung eines Nachteils führen konn-
ten, wäre die Grundlage entzogen worden, wenn man die Vereinbarung entge-
gen den bestehenden Ausführungen mit dem Berufungsgericht für ausreichend
hielte. Im Ergebnis enthält die Vereinbarung nicht mehr als das Anerkenntnis,
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einen Nachteil ausgleichen zu müssen, wenn und soweit ein solcher gerichtlich
festgestellt würde. Damit werden die Grenzen zum Schadensersatzanspruch
nach § 317 Abs. 1 AktG verwischt, in dessen Rahmen der Nachteil als Teil des
Schadens zu ersetzen ist.
Die Vereinbarung wird entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Beklagte und die U. nicht
wissen können, ob ein Gericht etwa auf eine Anfechtungsklage hin den Wert
der Osteuropabeteiligungen anders einschätzt. Die Regelung über den Nach-
teilsausgleich in § 311 Abs. 2 AktG dient nicht einer Heilung von Beschluss-
mängeln oder der Behebung der Unsicherheit, ob und inwieweit ein Nachteil
vorliegt, sondern soll ein herrschendes Unternehmen nur insoweit privilegieren,
als es die Bestimmung über den Ausgleich eines Nachteils längstens bis zum
Geschäftsjahresende aufschieben darf, ohne schadensersatzpflichtig zu wer-
den.
2. Die Kläger haben auch durch die Übertragung der Aktien auf die
U. das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nicht verloren. Die damit
ausgeschiedenen Aktionäre haben ein Interesse an der Fortsetzung der Klage
trotz der Übertragung der Aktien und des Verlustes der Mitgliedschaft, weil die
Frage der Gleichwertigkeit der Kaufpreiszahlung für ihre Abfindung von Bedeu-
tung sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2006 - II ZR 46/05, BGHZ 169,
221 Rn. 19). Zwar ist der Übertragungsvertrag nicht notwendigerweise nichtig,
wenn die Zustimmungsbeschlüsse nichtig sind. Die Beklagte hätte aber ggf.
einen Schadensersatzanspruch nach § 317 AktG gegen die U. , der in
die Abfindungsrechnung einzustellen wäre. Über diesen wird zwar nicht ent-
schieden, insoweit kommt dem Urteil im Ausgangsprozess aber eine gewisse
indizielle Wirkung zu (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2006 - II ZR 46/05,
BGHZ 169, 221 Rn. 24).
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3. Der neuerliche Bestätigungsbeschluss vom 5. Februar 2009 konnte
das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschlussmängelklage gegen die Bestäti-
gungsbeschlüsse vom 30. Juli 2008 gleichfalls nicht entfallen lassen (vgl. oben
II 1.).
IV. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsgericht
hat - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die
Beteiligungen und Vermögensgegenstände der Beklagten unter Wert an die
U. veräußert wurden. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf
hin, dass die Kläger, die für das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes beweis-
pflichtig sind, darlegen und gegebenenfalls beweisen müssen, dass die Beklag-
te unter Wert veräußert hat.
Bergmann Strohn Reichart
Drescher Born
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 10.12.2009 - 5 HKO 13261/08 -
OLG München, Entscheidung vom 22.12.2010 - 7 U 1584/10 -
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