Urteil des BGH vom 02.02.2016

Beirat, Geschäftsführer, Gesetzliche Vertretung, Gesellschafterversammlung

ECLI:DE:BGH:2016:020216BIIZB2.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZB 2/15
vom
2. Februar 2016
in dem Rechtsstreit
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Februar 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann und den Richter Prof. Dr. Strohn, die
Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart sowie den Richter Sunder
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss
des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in
Hamburg vom 2. März 2015 wird auf ihre Kosten als unzuläs-
sig verworfen.
Wert des Beschwerdeverfahrens: 221.580,36
Gründe:
I. Die Parteien streiten im Urkundenprozess über Ansprüche des Klägers
auf Geschäftsführervergütung.
Der Kläger, der mit Wirkung ab 1. Juli 2012 zum Geschäftsführer der Be-
klagten bestellt war, wurde mit Beschluss des Beirats der Beklagten vom
27. November 2013 mit sofortiger Wirkung abberufen und sein Anstellungsver-
hältnis wurde fristlos gekündigt.
Der Beschluss des Beirats lautet in Nummer 4 wie folgt:
„Herr Dr. U. [Vorsitzender des Beirats] wird beauftragt, Herrn
H. [Kläger] die Beschlüsse bekanntzugeben. Herr Dr. U. wird
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von den Beiräten bevollmächtigt, sämtliche Rechtsgeschäfte und Erklä-
rungen im Zusammenhang mit der Abberufung von Herrn H. und
der Kündigung des Anstellungsverhältnisses von Herrn H. im Na-
men der Gesellschaft abzugeben.“
Mit Beiratsbeschluss vom 29. November 2013 wurde M. T.
mit Wirkung vom 1. Dezember 2013 zum neuen Geschäftsführer bestellt.
Nach § 8b (2) des Gesellschaftsvertrages der Beklagten entscheidet der
dreiköpfige Beirat mit der die Kompetenz der Gesellschafterversammlung ver-
drängenden Zuständigkeit in sämtlichen Angelegenheiten, die nach der gesetz-
lichen Vorschrift des § 46 GmbHG zum Aufgabenkreis der Gesellschafter gehö-
ren und deren Übertragung auf einen Beirat zulässig ist. Nach § 8b (5) ist der
Beirat „kein Aufsichtsrat im Sinne des § 52 GmbHG“.
Der Kläger trat der Kündigung seines Anstellungsvertrags entgegen und
erhob am 5. Februar 2014 im Urkundenprozess Klage auf Zahlung seiner Ge-
schäftsführervergütung gegen die Beklagte, vertreten durch den Beirat, dieser
vertreten durch die Beiratsmitglieder. Die Beklagte, vertreten durch den Beirat
bzw. dessen Mitglieder, beauftragte einen Prozessbevollmächtigten und erwi-
derte auf die Klage. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht er-
kannte die Beklagte die Ansprüche des Klägers auf Zahlung der Geschäftsfüh-
rervergütung für die Monate Dezember 2013 bis Juli 2014 mit der Maßgabe an,
dass ihr die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten werde. Das
Landgericht verurteilte die Beklagte durch Anerkenntnisvorbehaltsurteil vom
1. Oktober 2014 unter Vorbehalt ihrer Rechte im Nachverfahren zur Zahlung
von 221.580,36
€ zuzüglich Zinsen an den Kläger. Das Nachverfahren hat die
Beklagte, vertreten durch ihren Beirat, mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2014
eingeleitet.
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Die Beklagte hat, vertreten durch ihren (neuen) Geschäftsführer
T. und einen anderen Prozessbevollmächtigten, (bereits) mit Schrift-
satz vom 3. November 2014 gegen das Anerkenntnisvorbehaltsurteil Berufung
eingelegt. Sie hat die Ansicht vertreten, die gegen die Beklagte, vertreten durch
den Beirat, gerichtete Klage sei gegen eine nach dem Gesetz nicht ordnungs-
gemäß vertretene Partei erhoben worden. Zuständiges Vertretungsorgan der
Beklagten sei gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG die Geschäftsführung. Der
Geschäftsführer genehmige die Prozessführung nicht. Zur Begründung der Un-
zuständigkeit des Beirats für die Prozessvertretung hat die Beklagte unter Vor-
lage einer eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers T. zu-
sammengefasst Folgendes vorgetragen:
Der Beirat der Beklagten sei aufgrund seiner die Gesellschafterversamm-
lung verdrängenden Kompetenz der Ansicht des Klägers gefolgt, dass die Be-
klagte durch den Beirat vertreten werde. Der Beirat habe seine Zuständigkeit
und die sich daraus ergebende Unzuständigkeit der Geschäftsführung dem Ge-
schäftsführer schon zu Beginn und auch während des Urkundenprozesses mit-
geteilt. Den Entwurf der Klageerwiderung im Urkundenverfahren habe der Pro-
zessbevollmächtigte dem nunmehrigen Vertreter der Beklagten Rechtsanwalt
H. in dessen Eigenschaft als Vertreter der Gesellschafter zugeleitet.
Dieser habe in seiner Antwortmail unter anderem darauf hingewiesen, dass die
Beklagte im Prozess doch durch ihre Geschäftsführung vertreten werde. Darauf
habe der vom Beirat beauftragte Prozessvertreter, Rechtsanwalt R. , erwi-
dert, dass der Beirat im Streit mit Herrn H. das zuständige Organ sei. Diese
beiden E-Mails sowie vor Einreichung bei Gericht auch die Klageerwiderung
seien dem Geschäftsführer der Beklagten bekannt gewesen. Der Geschäftsfüh-
rer sei auch über den weiteren Gang des Urkundenverfahrens informiert gewe-
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sen, habe aber aufgrund der ihm mitgeteilten Zuständigkeit des Beirats zu kei-
nem weiteren Schriftsatz im Urkundenprozess Stellung genommen.
Das Berufungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die Beru-
fung der Beklagten als unzulässig verworfen, da die Beklagte im Rahmen der
Einlegung der Berufung durch den allein durch ihren Geschäftsführer beauftrag-
ten Prozessbevollmächtigten nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen sei.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraus-
setzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder
entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch er-
fordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung
des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der ange-
fochtene Beschluss verletzt auch nicht den verfassungsrechtlich verbürgten
Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG
i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet: Nach Maßgabe von § 8b (2) Satz 1 des Gesellschaftsvertrages
der Beklagten entscheide der Beirat der Beklagten mit der die Kompetenz der
Gesellschafterversammlung verdrängenden Zuständigkeit in sämtlichen Ange-
legenheiten, die nach der gesetzlichen Vorschrift des § 46 GmbHG zum Aufga-
benkreis der Gesellschafter gehörten und deren Übertragung auf den Beirat
zulässig sei. Hiernach stehe anstelle der in Streitigkeiten über den Bestand des
Anstellungsverhältnisses eines Geschäftsführers zur Vertretung der Gesell-
schaft bzw. zu einer insoweit abweichenden Beschlussfassung berufenen Ge-
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sellschafterversammlung dem Beirat der Beklagten gemäß § 46 Nr. 8 Alt. 2
GmbHG unter anderem auch die Vertretung der Beklagten in dem vorliegenden
Passivprozess gegen den Kläger zu. Auf der Grundlage des Beiratsbeschlus-
ses vom 27. November 2013, durch den das Beiratsmitglied Dr. U. unter
anderem zu sämtlichen Rechtsgeschäften im Zusammenhang mit der Kündi-
gung des Anstellungsverhältnisses des Klägers bevollmächtigt worden sei, ste-
he dem Geschäftsführer der Beklagten deren gesetzliche Vertretung im vorlie-
genden Rechtsstreit nicht zu, so dass er den im Berufungsverfahren tätigen
Rechtsanwalt nicht wirksam mit der Prozessführung für die Beklagte habe be-
auftragen können.
2. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen
Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zu
Recht als unzulässig verworfen, da ihr Prozessbevollmächtigter im Berufungs-
verfahren nicht wirksam bevollmächtigt war. Prozessvertreter der Beklagten
gemäß § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG im vorliegenden Rechtsstreit mit dem früheren
Geschäftsführer ist der Beirat der Beklagten mit der Folge, dass nur dieser ei-
nen Rechtsanwalt mit der Vertretung der Beklagten im Prozess beauftragen
und ihm wirksam Prozessvollmacht erteilen konnte (vgl. BGH, Urteil vom
26. Oktober 1981 - II ZR 72/81, WM 1981, 1353, 1354; MünchKommGmbHG/
Liebscher, 2. Aufl., § 46 Rn. 278 mwN).
a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass es
nach § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG der Gesellschafterversammlung (hier also dem
Beirat, dem diese Kompetenz übertragen war) obliegt, einen Vertreter der Ge-
sellschaft in Prozessen zu bestimmen, die sie gegen einen Geschäftsführer
führt. Diese Vorschrift, die sowohl für Aktiv- wie auch für (hier) Passivprozesse
gilt (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991 - II ZR 31/91, BGHZ 116, 353, 355),
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soll die unvoreingenommene Prozessführung in Rechtsstreitigkeiten sicherstel-
len, in denen regelmäßig die Gefahr besteht, dass die nach § 35 GmbHG an
sich zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Geschäftsführer befangen sind.
Nach der Rechtsprechung des Senats sind davon auch Prozesse gegen aus-
geschiedene Geschäftsführer umfasst (BGH, Urteil vom 20. November 1958
- II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 357; Urteil vom 16. Dezember 1991 - II ZR 31/91,
BGHZ 116, 353, 355), sodass der hier vorliegende Rechtsstreit, in dem ein Ge-
schäftsführer seine Abberufung und fristlose Kündigung anzweifelt und dem-
gemäß im Urkundenprozess sein Gehalt einklagt, davon fraglos umfasst ist.
Gleichwohl kann nach der Rechtsprechung des Senats die Gesellschaft durch
einen neuen Geschäftsführer so lange vertreten werden, wie die Gesellschaf-
terversammlung (hier: der Beirat) nicht von ihrer Befugnis Gebrauch macht, ei-
nen - anderen - besonderen Vertreter zu bestellen (BGH, Urteil vom
24. Februar 1992 - II ZR 79/91, ZIP 1992, 760, 761; Urteil vom 4. November
2002 - II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 282; Urteil vom 6. März 2012
- II ZR 76/11, ZIP 2012, 824 Rn. 12).
b) Das Berufungsgericht ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei davon ausge-
gangen, dass der Beirat im Rechtsstreit mit dem Kläger Prozessvertreter der
Beklagten nach § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG ist, so dass die Beklagte durch den
Beirat und nicht durch den (neuen) Geschäftsführer vertreten wird und nur der
Beirat eine wirksame Prozessvollmacht erteilen konnte.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob, wie das Berufungsgericht möglich-
erweise gemeint hat, in der Übertragung der Befugnisse aus § 46 Nr. 5 und
Nr. 8 GmbHG auf den Beirat zugleich die (konkludente) Übertragung der Pro-
zessvertretung in den aus dem Widerruf der Bestellung zum Geschäftsführer
und der Kündigung des Anstellungsvertrages resultierenden Prozessen zu se-
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hen ist, ohne dass es noch einer Beschlussfassung des Beirats nach § 46 Nr. 8
Alt. 2 GmbHG bedurft hätte, oder ob, falls man auch in derartigen Konstellatio-
nen (weiterhin) einen Beschluss des Beirats zur Bestellung des Prozessvertre-
ters nach § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG für erforderlich hält, dieser bereits in Num-
mer 4 des Beschlusses des Beirats vom 27. November 2013 zu sehen ist. Je-
denfalls haben die Beiratsmitglieder dadurch, dass sie sich nach den eigenen
Angaben ihres neuen Geschäftsführers mit der Frage der Prozessvertretung
durch den Beirat nach § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG befasst und ihm das Ergebnis,
sie seien der Prozessvertreter, mitgeteilt haben, sowie dadurch, dass sie einen
Prozessbevollmächtigten mit der Verteidigung der Beklagten gegen die Klage
beauftragt haben, ihren für eine Beschlussfassung über ihre Bestellung nach
§ 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG erforderlichen Willen ausreichend klar zum Ausdruck
gebracht (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 1999 - II ZR 47/98, ZIP 1999, 1352 f.;
insoweit in BGHZ 142, 92 nicht abgedruckt). Einem Stimmverbot unterlagen die
Beiratsmitglieder bei einer Beschlussfassung hinsichtlich ihrer eigenen Bestel-
lung als Prozessvertreter nicht (BGH, Urteil vom 20. Januar 1986 - II ZR 73/85,
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BGHZ 97, 28, 34 f.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 46
Rn. 70; MünchKommGmbHG/Liebscher, 2. Aufl., § 46 Rn. 274, jew. mwN).
Bergmann
Strohn
Caliebe
Reichart
Sunder
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 01.10.2014 - 419 HKO 11/14 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 02.03.2015 - 11 U 264/14 -