Urteil des BGH vom 18.11.2014

Genehmigung, Unterbrechung, Rechtsschutz, Ausschluss, Verwaltungsprozess

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
E n V R 5 9 / 1 3
vom
18. November 2014
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2014
durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg sowie die Richter
Prof. Dr. Strohn, Dr. Grüneberg, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
beschlossen:
Das Verfahren ist unterbrochen.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin betreibt ein Elektrizitätsverteilnetz. Die Beteiligte
bezieht daraus Strom. Die für die Landesregulierungsbehörde handelnde
Bundesnetzagentur hat mit Beschluss vom 2. Dezember 2011 die unbefristete
Befreiung der Beteiligten von den Netzentgelten ab dem 1. Januar 2011 gemäß
§ 19 Abs. 2 Satz 2 und 3 StromNEV in der vom 4. August 2011 bis zum
21. August 2013 geltenden Fassung genehmigt. Das Beschwerdegericht hat
diese Genehmigung auf das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin aufgehoben.
Dagegen wenden sich die Bundesnetzagentur und die Beteiligte mit der vom
Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Beschwerde-
führerin entgegentritt.
Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist über das Vermögen der
Beteiligten das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Ihre bisherigen Verfahrens-
bevollmächtigten haben dies unter Hinweis auf § 240 ZPO mitgeteilt. Die
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Beschwerdeführerin macht geltend, eine Unterbrechung des Verfahrens sei
nicht eingetreten. Die übrigen Beteiligten haben von einer Stellungnahme zu
dieser Frage abgesehen.
II.
Das Verfahren ist entsprechend § 240 ZPO unterbrochen.
1. Nachdem zwischen den Verfahrensbeteiligten Streit über den Eintritt
einer Unterbrechung entstanden ist, hat der Senat entsprechend § 303 ZPO
eine Zwischenentscheidung zu treffen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 31. Okto-
ber 2012 - III ZR 204/12, BGHZ 195, 233 Rn. 5). Einer mündlichen Verhandlung
bedarf es dazu jedenfalls deshalb nicht, weil die Verfahrensbeteiligten darauf
verzichtet haben (§ 81 Abs. 1 Halbsatz 2, § 88 Abs. 5 Satz 1 EnWG).
2. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Be-
teiligten hat zur Unterbrechung des Verfahrens geführt.
a) Die Vorschriften der §§ 239 ff. ZPO, die aufgrund der Verweisung in
§ 173 Satz 1 VwGO im Verwaltungsprozess entsprechend gelten (BVerwGE
44, 148, 150; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2009, § 94
Rn. 105 ff.), sind im energiewirtschaftsrechtlichen Verfahren ebenfalls entspre-
chend anwendbar. Dies gilt insbesondere für § 240 ZPO (vgl. zum Kartell-
verwaltungsverfahren BGH, Beschluss vom 24. September 2002 - KVR 15/01,
WRP 2003, 77 - Fährhafen Puttgarden I [insoweit nicht bei BGHZ 152, 84]).
b) Gemäß § 240 Satz 1 ZPO wird ein anhängiges Verfahren durch die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unter-
brochen, sofern es die Insolvenzmasse betrifft. Diese Voraussetzungen liegen
im Streitfall vor.
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aa) Als Partei im Sinne der genannten Vorschrift sind im Beschwerde-
und Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz jedenfalls
diejenigen Beteiligten anzusehen, ohne deren Einbeziehung eine Entscheidung
in der Sache nicht ergehen darf (vgl. für Verfahren in Kartellverwaltungssachen
BGH, WRP 2003, 77 - Fährhafen Puttgarden I; für notwendig Beigeladene im
finanzgerichtlichen Verfahren BFHE 151, 15). Als Antragstellerin des Ausgangs-
verfahrens gehört die Beteiligte zu diesem Personenkreis (dazu Gussone in
Danner/Theobald, Energierecht, Stand Okt. 2011, EnWG § 79 Rn. 8 mwN).
bb) Ein Verfahren betrifft die Insolvenzmasse, wenn es zu ihr in recht-
licher oder wenigstens wirtschaftlicher Beziehung steht. Bei einer behördlichen
Genehmigung ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn sie oder der auf ihre
Erteilung gerichtete Anspruch einen wirtschaftlichen Wert verkörpert, der als zur
Insolvenzmasse gehörend anzusehen ist (vgl. BVerwGE 115, 179, 181;
BVerwG, GewArch 2007, 247; Rudisile, aaO Rn. 110 mwN; siehe auch BFHE
151, 15).
Im Streitfall ist die Beteiligte durch die angefochtene Genehmigung von
der Zahlung von Netzentgelten befreit worden. Die von der Beschwerdeführerin
angestrebte Aufhebung dieser Genehmigung würde dazu führen, dass die
Beteiligte Entgeltansprüchen der Beschwerdeführerin ausgesetzt ist. Damit
verkörpert die angefochtene Genehmigung einen wirtschaftlichen Wert. Dieser
ist der Insolvenzmasse zuzurechnen, weil der Ausschluss von Entgeltansprü-
chen dieser zugutekommt.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Insolvenzmas-
se nicht erst durch einen nachfolgenden Rechtsstreit über Entgeltansprüche der
Beschwerdeführerin betroffen. Ansprüche, die den Gegenstand eines solchen
Rechtsstreits bilden können, entstehen nicht erst mit deren Geltendmachung
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durch die Beschwerdeführerin, sondern jedenfalls mit der rechtskräftigen Aufhe-
bung der angefochtenen Genehmigung.
c) Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, unter welchen
Voraussetzungen das unterbrochene Verfahren von einem der Beteiligten
aufgenommen werden kann, bedarf im derzeitigen Verfahrensstadium keiner
Entscheidung. Die Voraussetzungen für die Aufnahme eines wegen Insolvenz-
eröffnung unterbrochenen Verfahrens sind in § 85 und § 86 InsO geregelt. Bei
der Auslegung dieser Vorschriften sind die berechtigten Interessen der Betei-
ligten, insbesondere das Interesse an effektivem Rechtsschutz, angemessen zu
berücksichtigen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. April 2013 - X ZR 169/12, BGHZ
197, 177 = GRUR 2013, 862 Rn. 9 f. - Aufnahme des Patentnichtigkeitsverfah-
rens). Soweit die unmittelbare Anwendung der Vorschriften im Einzelfall nicht
ausreicht, um diesem Anliegen Rechnung zu tragen, kommt auch ihre entspre-
chende Anwendung in Betracht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. März 2010
- I ZR 158/07, BGHZ 185, 11 = GRUR 2010, 536 Rn. 28 - Modulgerüst). Ange-
sichts dessen besteht weder ein Anlass noch ein hinreichender Grund, § 240
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ZPO einengend auszulegen und schon den Eintritt der Unterbrechungswirkung
davon abhängig zu machen, welche Möglichkeiten zur Aufnahme des unter-
brochenen Verfahrens bestehen.
Limperg
Strohn
Grüneberg
Bacher
Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Jena, Entscheidung vom 24.07.2013 - 2 Kart 10/11 -