Urteil des BGH vom 26.01.2016

Karenzzeiten Leitsatzentscheidung

ECLI:DE:BGH:2016:260116BENVR51.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
EnVR 51/14
Verkündet am:
26. Januar 2016
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Karenzzeiten
EnWG § 10c Abs. 6
a) Die für die zweite Führungsebene bestehenden Karenzzeitenregelungen in § 10c
Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 EnWG verstoßen nicht gegen höherrangi-
ges Recht.
b) § 10c Abs. 6 EnWG erfasst diejenigen Führungskräfte der zweiten Führungsebe-
ne, die umfangreiche Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Trans-
portnetzes und seinen Zustand haben müssen und die unternehmerischen Ent-
scheidungen der obersten Unternehmensleitung in Bezug auf Betrieb, Wartung
und Entwicklung des Netzes maßgeblich beeinflussen können.
BGH, Beschluss vom 26. Januar 2016 - EnVR 51/14 - OLG Düsseldorf
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom
26. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Rich-
ter Prof. Dr. Strohn, Dr. Grüneberg, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur wird der Beschluss
des
3. Kartellsenats
des
Oberlandesgerichts
Düsseldorf
vom
25. August 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Be-
schwerdegericht den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 5. Februar
2013 abgeändert hat.
Die Beschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 2 bis 20
gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 5. Februar 2013
werden insgesamt zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 2,
3, 5, 7, 10 und 13 bis 20 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens
einschließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur wer-
den der Antragstellerin und den Beigeladenen zu 2 bis 20 auferlegt.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 50.000
€ festge-
setzt.
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Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um Rechtmäßigkeit und Auslegung der Karenzzeiten-
regelungen des § 10c EnWG.
Die Antragstellerin betreibt bundesweit ein 2.300 km langes Gasfernleitungs-
netz. Sie ist ein 100-prozentiges Tochterunternehmen der W.
KG, die über mehrere Unternehmen in den Bereichen Erdgashandel,
-vertrieb und -speicherung aktiv ist. Die Anteile an der W.
KG werden zu 50,02% von der zum B. -Konzern gehörenden W. -
Beteiligungs-GmbH
und
zu
49,98%
von
der
G.
GmbH gehalten. Die G. GmbH gehört über die O.
zur russischen O. .
Mit Bescheid vom 5. Februar 2013 zertifizierte die Bundesnetzagentur die
Antragstellerin gemäß § 4a EnWG als Unabhängige Transportnetzbetreiberin. Zu
diesem Zeitpunkt waren die Beigeladenen zu 2 und 3 Geschäftsführer der Antrag-
stellerin, wobei der Beigeladene zu 2 für den Geschäftsbereich "Steuerung und Fi-
nanzen (GT)" und der Beigeladene zu 3 für den Geschäftsbereich "Netz (GN)" zu-
ständig war. Die Beigeladenen zu 4 bis 20 gehörten der zweiten Führungsebene an
und leiteten jeweils einen der Bereiche "Recht und Versicherung (GTJ)", "Einkauf
(GTB)", "Controlling (GTC)", "Gasdisposition (GTD)", "Vertragsermittlung (GTE)",
"Finanzen und Steuern (GTF)", "Personal und Verwaltung (GTH)", "IT Management
(GTI)", "Kapazitätsmanagement (GTK)", "Marktgebietsmanagement (GTM)", "Regu-
lierungsmanagement (GTR)", "Leitungsrechte und -dokumentation (GNL)", "Anlagen-
technik (GNA)", "Montage (GNM)", "Trassenengineering (GNT)", "Betriebstechnik
Ost (GNO)" und "Betriebstechnik West (GNW)". Nummer 3 des Tenors des Zertifizie-
rungsbescheids enthält die Feststellung, dass die jeweilige Leitung dieser Bereiche
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den Vorgaben des § 10c Abs. 6 EnWG unterliege. In der Begründung des Bescheids
wird insoweit ausgeführt, dass lediglich die drei weiteren Fachbereiche "Kommunika-
tion (GT/S)", "Qualitätsmanagement (GT-QM)" und "Sicherheit, Umwelt und Gesund-
heit (HSE)" netzfremde, nicht von § 10c Abs. 6 EnWG erfasste Tätigkeiten ausüben
würden. Ferner lehnte die Bundesnetzagentur in Nummer 6 des Bescheids den An-
trag der Antragstellerin auf Nichtanwendung der Karenzzeitenregelungen für die
zweite Führungsebene ab.
Zum 1. Oktober 2013 veränderte die Antragstellerin ihre Führungsstruktur,
wobei zugleich der Beigeladene zu 3 aus der Geschäftsführung ausschied. Zwischen
der Geschäftsführung und der Fachbereichsebene richtete die Antragstellerin eine
neue zweite Führungsebene ein, die aus drei Ressorts besteht. Das Ressort 1
"Steuerung und Finanzen" wird - neben seiner Geschäftsführertätigkeit - von dem
Beigeladenen zu 2 geleitet und umfasst die Fachbereiche GTC, GTF, GTH, GTJ und
GTR. Das Ressort 2 "Netz" wird von dem Beigeladenen zu 3 geleitet und aus den
Fachbereichen GNA, GNL, GNM, GNO, GNT und GNW gebildet. Dem Ressort 3
"Kapazität und Entwicklung" steht ein weiterer Geschäftsführer vor; es umfasst die
Fachbereiche GTB, GTD, GTE, GTI, GTK und GTM. Mit Schreiben vom 2. Dezember
2013 teilte die Bundesnetzagentur der Antragstellerin hierzu mit, dass nach ihrer Auf-
fassung die Leiter der den Ressorts 1 und 3 zugehörigen Fachbereiche weiterhin der
zweiten Führungsebene zuzuordnen seien, weil diese Ressorts von den amtierenden
Geschäftsführern geleitet würden und damit weiterhin unmittelbar der Geschäftsfüh-
rung nachgeordnet seien. Dagegen sei in Bezug auf das Ressort 2 nur noch deren
Leiter, der Beigeladene zu 3, als zweite Führungsebene einzustufen, während die
Fachbereichsleiter des Ressorts 2 nicht mehr den Karenzzeitenregelungen unterfie-
len, so dass für diese nunmehr die "Abkühlungszeit" begonnen habe.
Mit ihrer Beschwerde hat sich die Antragstellerin gegen die Feststellung in
Nummer 3 des Bescheids vom 5. Februar 2013, soweit sich diese nicht auf die
Fachbereiche "Gasdisposition (GTD)", "Kapazitätsmanagement (GTK)", "Marktge-
bietsmanagement (GTM)", "Betriebstechnik Ost (GNO)" und "Betriebstechnik West
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(GNW)" bezieht, gewandt. Ferner hat sie - unter Aufhebung von Nummer 6 des Zerti-
fizierungsbescheids - die Feststellung begehrt, dass die Sperrzeiten für die Ge-
schäftsführung und die Mitarbeiter der zweiten Führungsebene der Antragstellerin
nicht gelten, hilfsweise, dass die Karenzzeit maximal ein halbes Jahr, höchst hilfs-
weise einen anderen unter vier Jahren liegenden Zeitraum betrage. Die Beigelade-
nen zu 4 bis 15 haben beantragt, Nummer 3 des Zertifizierungsbescheids aufzuhe-
ben, soweit sich die Feststellung zu ihren Lasten auf die nachlaufende Karenzzeit
bezieht. Schließlich haben die Beigeladenen zu 2 bis 20 - unter Aufhebung von
Nummer 6 des Zertifizierungsbescheids - die Feststellung begehrt, dass die Karenz-
regelungen für sie nicht gelten, hilfsweise, dass die nachlaufende Karenzzeit maxi-
mal ein halbes Jahr, höchst hilfsweise einen anderen unter vier Jahren liegenden
Zeitraum betrage.
Das Beschwerdegericht hat den Bescheid in Nummer 3 abgeändert und
festgestellt, dass - zum Zeitpunkt des Zertifizierungsbescheids und vorbehaltlich ei-
ner Einordnung der jeweiligen Fachbereichsleiterstellen als "2. Führungsebene" der-
zeit - die jeweilige Leitung der Bereiche "Gasdisposition (GTD)", "Kapazitätsma-
nagement (GTK)", "Marktgebietsmanagement (GTM)", "Betriebstechnik Ost (GNO)",
"Betriebstechnik West (GNW)", "Vertragsermittlung (GTE)", "Anlagentechnik (GNA)",
"Montage (GNM)", "Trassenengineering (GNT)", "IT Management (GTI)" und "Ein-
kauf (GTB)" den Vorgaben des § 10c Abs. 6 EnWG unterliege. Die weitergehende
Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die
Antragstellerin, die Beigeladenen zu 2 und 3 sowie zu 5, 7, 10 und 13 bis 20 und die
Bundesnetzagentur mit ihren - vom Beschwerdegericht zugelassenen - Rechtsbe-
schwerden, mit denen sie ihre jeweiligen Begehren weiterverfolgen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur ist begründet; sie führt - so-
weit die Beschwerde Erfolg gehabt hat - zur Aufhebung der Entscheidung des Be-
schwerdegerichts und zur vollumfänglichen Zurückweisung der Beschwerde der Be-
schwerdeführer. Die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen
sind dagegen unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
Die Beschwerden seien teilweise begründet. Die Karenzzeitenregelungen
seien allerdings verfassungsgemäß, weil sie nicht in unzulässiger Weise in Grund-
rechte, sei es aus dem Grundgesetz, sei es aus der Charta der Grundrechte der Eu-
ropäischen Union abgeleitete Rechte, eingriffen. Dabei könne dahinstehen, ob die
Vorschrift des § 10c EnWG - wegen der detaillierten europäischen Vorgaben - an der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union oder am Grundgesetz zu messen
sei. Die hier betroffenen Grundrechte wiesen nach deutschem und europäischem
Recht weitgehend ähnliche Schutzbereiche auf, die indes nicht in unverhältnismäßi-
ger Weise berührt würden.
Die Karenzzeitenregelungen griffen zwar in den Schutzbereich der unter-
nehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRCh, der Berufsausübungsfreiheit der betroffe-
nen Netzbetreiber und die Berufswahlfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG der jeweiligen
Leiter der zweiten Führungsebene ein. Der Eingriff sei aber gerechtfertigt. Die Rege-
lungen seien geeignet, das Diskriminierungspotential innerhalb des Unternehmens-
verbunds zu vermindern. Es liege auf der Hand, dass innerhalb eines Konzerns
schon aufgrund einer oft jahrelangen Zusammenarbeit in verschiedenen Positionen
im Unternehmen ein relevantes Diskriminierungspotential bestehen könne. Es sei
daher naheliegend, dass für das Entflechtungsmodell des Unabhängigen Trans-
portnetzbetreibers als "dritte Option" einer Entflechtung besondere gesetzliche An-
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forderungen vorzusehen seien, um die Unabhängigkeit der Beteiligten sicherzustel-
len.
Die Karenzzeitenregelungen seien zur Zielerreichung erforderlich, nachdem
die Europäische Union und mit ihr der deutsche Gesetzgeber zu dem Ergebnis ge-
kommen seien, dass die Entflechtung bis zum Jahr 2009 nicht in dem notwendigen
Maße umgesetzt worden sei. Die mit den Gas- und Stromrichtlinien und deren Um-
setzung in §§ 6 ff. EnWG erfolgten Änderungen seien deshalb erforderlich gewesen.
Dies werde durch zahlreiche andere Vorschriften und Verbote im Energierecht, die
ebenfalls das Ziel hätten, Diskriminierungen zu vermeiden, nicht in Frage gestellt.
Denn durch die Sperrfristen solle präventiv verhindert werden, dass Diskriminierun-
gen in besonders sensiblen Unternehmensbereichen überhaupt erst entstünden.
Schließlich seien die Bestimmungen auch verhältnismäßig im engeren Sin-
ne. Durch diese Vorschriften würden zwar Führungskräfte in ihren persönlichen Ent-
wicklungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Sperrfristen bezögen sich aber nur auf
bestimmte Tätigkeiten im Unternehmensverbund, weshalb es den Führungskräften
möglich und zumutbar sei, außerhalb des Unternehmens eine neue (Karriere-)Posi-
tion zu suchen. Die Länge der Karenzzeiten von drei und vier Jahren sei nicht zu be-
anstanden. Der Betrieb eines Übertragungsnetzes stelle ein natürliches Monopol dar,
bei dem von vornherein ein erhebliches Diskriminierungspotential bestehen könne,
dessen Vermeidung von hoher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung sei. Außerdem
komme hinzu, dass die (eigentums-)rechtliche Entflechtung bei diesem "dritten" Mo-
dell nur unvollständig erfolge.
Aus diesen Gründen sei auch ein Eingriff in die Eigentumsgarantie aus
Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 17 Abs. 1 Satz 1 GRCh rechtmäßig, sofern die Karenzzeiten-
regeln als zukunftsgerichtete, gegebenenfalls die künftigen Erwerbschancen beein-
trächtigende Normen überhaupt den Schutzbereich dieses Grundrechts tangierten.
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Schließlich sei auch der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20
GRCh nicht verletzt. Es sei sachgerecht, lediglich die Wechselmöglichkeiten inner-
halb des Unternehmensverbunds zu beschränken, weil hier das Diskriminierungspo-
tential strukturell größer sei als bei einem Wechsel von oder nach außen. Eine mög-
liche Ungleichbehandlung mit Führungskräften der beiden anderen Entflechtungsva-
rianten sei ebenfalls gerechtfertigt; bei dem eigentlich unvollkommenen Entflech-
tungsmodell des Unabhängigen Transportnetzbetreibers seien strenge Anforderun-
gen an die persönliche Unabhängigkeit der Führungskräfte zu stellen. Schließlich sei
auch eine Unterscheidung zwischen Führungskräften und sonstigem Personal sach-
gerecht, weil bei Führungskräften aufgrund ihrer Entscheidungsmöglichkeiten die
erhöhte Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie relevante Informationen in diskriminie-
render Weise tatsächlich verwendeten.
Die Vorschrift des § 10c Abs. 6 EnWG erfasse nur die Leiter der zweiten
Führungsebene, die für Betrieb, Wartung oder Entwicklung des Netzes verantwortlich
seien. Entgegen dem weiten Verständnis der Bundesnetzagentur schließe dies nicht
die gesamte zweite Führungsebene ein. Vielmehr seien nach Wortlaut, Historie, Sys-
tematik und Sinn und Zweck der Regelung nur diejenigen Fachbereichsleiter ge-
meint, die eine persönliche und sachliche Verantwortung für die drei relevanten Be-
reiche trügen. Insbesondere beziehe sich der Begriff "Betrieb" nicht auf den gesam-
ten Netzbetrieb, weil ansonsten die weiteren Merkmale der "Wartung" und "Entwick-
lung" des Netzes bedeutungslos wären. Darüber hinaus werde der Anwendungsbe-
reich des § 10c Abs. 6 EnWG durch den Begriff "verantwortlich" weiter einge-
schränkt. Nach der Gesetzesbegründung sei dieser auf die Personen zu beschrän-
ken, die erheblichen Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen und umfangrei-
che Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seinen
Zustand hätten. Der Zweck der Vorschrift könnte zwar für eine weite Auslegung
sprechen, weil dies dem Ziel der Entflechtung stärker dienen würde; eine solche Aus-
legung sei jedoch mit den übrigen Auslegungsgrundsätzen nicht vereinbar. Vor allem
aber sei im Hinblick auf die Länge der Karenzzeiten ein enges Verständnis der Norm
im Sinne einer grundrechtsschonenden Auslegung geboten.
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Nach diesen Maßgaben unterfielen außer den Leitern der Bereiche GTD,
GTK, GTM, GNO und GNW auch die Fachbereichsleiter GTE, GNA, GNM, GNT, GTI
und GTB dem Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG. Diese seien nach der
Aufgabenbeschreibung der Antragstellerin ebenfalls im engeren Sinne für "Betrieb,
Wartung und Entwicklung des Netzes" verantwortlich. Dies gelte insbesondere auch
für den Leiter GTI, der dafür verantwortlich sei, alle IT-Prozesse und damit insbeson-
dere auch gaswirtschaftliche Prozesse zu optimieren. Der Leiter GTB sei nicht nur für
die allgemeine Beschaffung von Material, sondern auch für die Beschaffung speziel-
ler netzspezifischer Komponenten verantwortlich.
Dagegen würden die Leiter der Abteilungen GTC, GTF, GTH, GTR, GTJ und
GNL von § 10c Abs. 6 EnWG nicht erfasst. Der Einfluss im Unternehmen auf finanzi-
elle Mittel, Buchhaltung, Jahresabschluss und Personal genüge nicht, um eine Steu-
erung des Netzbetriebs oder der Netzentwicklung anzunehmen. Eine Verantwortlich-
keit für die Bearbeitung von Rechtsfragen reiche dazu ebenfalls nicht aus; soweit die
Rechtsabteilung Handlungsempfehlungen entwerfe und auf Haftungsrisiken hinwei-
se, sei damit eine faktische Bindung der Geschäftsleitung nicht verbunden. Die Abtei-
lung GNL erfülle vor allem Archivaufgaben.
2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten
stand.
a) Das Beschwerdegericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass die
Karenzzeitenregelungen des § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EnWG nicht
gegen höherrangiges Recht verstoßen. Die dagegen gerichteten Angriffe der
Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 2, zu 3, zu 5, zu 7,
zu 10 und zu 13 bis 20 (das sind die Beschwerdeführer zu 3, zu 4, zu 6, zu 8, zu 11
und zu 14 bis 21; im Folgenden: die Beigeladenen) bleiben ohne Erfolg.
aa) Es spricht einiges dafür, dass die Vorschriften an der Charta der Grund-
rechte der Europäischen Union zu messen sind. Nach der ständigen Rechtspre-
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chung des Gerichtshofs der Europäischen Union finden die in der Unionsrechtsord-
nung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen
Anwendung (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - C-617/10, NJW 2013, 1415
Rn. 19 mwN - Åkerberg Fransson; Urteil vom 30. April 2014 - C-390/12, EuZW 2014,
597 Rn. 33 - Pfleger ua). Dies betrifft zum einen Fälle, in denen Mitgliedstaaten das
Gemeinschaftsrecht, vor allem Verordnungen und Richtlinien, umsetzen oder durch
allgemeine Rechtsakte oder Einzelakte durchführen (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli
1989 - 5/88, Slg. 1989, 2609 Rn. 17 ff. - Wachauf), und zum anderen Fälle, in denen
Mitgliedstaaten Grundfreiheiten auf Grund geschriebener oder ungeschriebener
Schrankenvorbehalte im Gemeinschaftsrecht durch nationales Recht einschränken
(vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 1991 - C-260/89, Slg. 1991, I-2925 Rn. 41 ff. - ERT).
Hier dürfte die erste Fallgruppe einschlägig sein. Nach der Gesetzesbegründung zu
§ 10c EnWG dient die Vorschrift der Umsetzung von Art. 19 der Richtlinie
2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über
gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der
Richtlinie 2003/54/EG (im Folgenden: Stromrichtlinie oder StromRL) und von Art. 19
der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli
2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung
der Richtlinie 2003/55/EG (im Folgenden: Gasrichtlinie oder GasRL). Dabei wird in
den Materialien betont, dass die Richtlinie "keinen Gestaltungsspielraum zulässt"
(BT-Drucks. 17/6072, S. 63 zu § 10c Abs. 2) oder "ein Gestaltungsspielraum für den
deutschen Gesetzgeber (nicht) erkennbar" sei (BT-Drucks. 17/6072, S. 64 zu § 10c
Abs. 5). Infolgedessen entsprechen § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EnWG
nahezu wortgleich Art. 19 Abs. 8 Satz 3, Abs. 3 und 7 GasRL.
Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nichts
anderes. Danach kommen die Unionsgrundrechte jedenfalls dann zur Anwendung,
wenn - wie hier anzunehmen - keine Umsetzungsspielräume verbleiben oder es um
eine Systementscheidung geht (vgl. BVerfGE 118, 79, 95 ff. mwN).
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(1) Entgegen den Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigela-
denen verstoßen Art. 19 der Richtlinien und ihre Umsetzung in § 10c EnWG nicht
gegen die Berufsfreiheit, die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht
nach Art. 15 bis 17 der Charta. Zwar ist deren Schutzbereich berührt oder kann - ins-
besondere im Hinblick auf das Eigentumsrecht - als berührt unterstellt werden. Nach
der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofes können aber weder das Eigentums-
recht noch die freie Berufsausübung oder die unternehmerische Freiheit uneinge-
schränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaft-
liche Funktion gesehen werden (vgl. nur EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1994
- C-306/93, Slg. 1994, I-5555 Rn. 22 = EuZW 1995, 109 - SMW Winzersekt).
Nach dieser Rechtsprechung, die nunmehr in Art. 52 Abs. 1 der Charta nor-
miert worden ist, können folglich die Ausübung des Eigentumsrechts und der unter-
nehmerischen Freiheit sowie die freie Berufsausübung Beschränkungen unterworfen
werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zie-
len der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten
Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewähr-
leisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. EuGH, Slg. 1994, I-5555
Rn. 22 = EuZW 1995, 109 - SMW Winzersekt). Nach Art. 52 Abs. 1 der Charta muss
eine solche Einschränkung, damit sie zulässig ist, ferner gesetzlich vorgesehen sein
und den Wesensgehalt dieser Freiheiten und Rechte achten. Unter Wahrung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darf sie außerdem nur vorgenommen werden,
wenn sie erforderlich ist und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl die-
nenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Frei-
heiten anderer tatsächlich entspricht (vgl. EuGH, EuZW 2014, 597 Rn. 58 - Pfleger
ua). Dabei kommt den Gemeinschaftsorganen grundsätzlich ein weiter Ermessens-
und Prognosespielraum zu, dessen Weite der Unionsgerichtshof insbesondere im
Rahmen wirtschaftspolitischer Maßnahmen besonders hervorhebt (vgl. EuGH, Slg.
1994, I-5555 Rn. 21 = EuZW 1995, 109 - SMW Winzersekt). Die Rechtmäßigkeit ei-
ner in diesem Bereich erlassenen Maßnahme kann nur dann beeinträchtigt sein,
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wenn diese Maßnahme zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ verfolgt,
offensichtlich ungeeignet ist (vgl. EuGH aaO).
(2) Nach diesen Maßgaben ist der mit § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1,
Abs. 5 EnWG verbundene Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit, der unter-
nehmerischen Freiheit und des Eigentumsrechts nach Art. 52 Abs. 1 der Charta ge-
rechtfertigt.
(a) Die Karenzzeitenregelungen sind Bestandteil des sogenannten ITO-
Modells als einer der drei Entflechtungsoptionen des 3. EU-Liberalisierungspakets
zur Vollendung des Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkts. Während die Kommission
in ihren Richtlinien-Vorschlägen vom 19. September 2007 (KOM(2007) 528 endg.
und KOM(2007) 529 endg.) in Bezug auf die Transportnetzbetreiber für die Einfüh-
rung der eigentumsrechtlichen Entflechtung ("Ownership Unbundling", OU) - also den
Zwangsverkauf der Netze - votiert und das Modell des Unabhängigen Systembetrei-
bers ("Independent System Operator", ISO) nur als zweitbeste Alternative angesehen
hatte, hat als dritte Alternative das Modell eines Unabhängigen Transportnetzbetrei-
bers ("Independent Transmission Operator", ITO) erst auf Initiative von acht Mitglied-
staaten unter Führung von Frankreich und Deutschland Eingang in die Richtlinien
gefunden (vgl. dazu Schmidt-Preuß, et 9/2009, 82 ff.; Monopolkommission, Sonder-
gutachten Nr. 59, BT-Drucks. 17/7181, S. 111 f.). Hintergrund für die Überlegungen
der Kommission zur Erforderlichkeit einer Entflechtung der Transportnetzbetreiber
war der Befund, dass der durch die bisherigen Vorschriften und Maßnahmen vorge-
gebene Rahmen nicht ausgereicht hat, um das Ziel eines gut funktionierenden Bin-
nenmarkts zu verwirklichen (Erwägungsgründe 5 und 7 GasRL, Erwägungsgründe 7
und 10 StromRL). Dazu hat sie insbesondere auf ihre Mitteilung "Untersuchung der
europäischen Gas- und Elektrizitätssektoren gemäß Art. 17 der Verordnung (EG)
Nr. 1/2003 (Abschlussbericht)" vom 10. Januar 2007 verwiesen. Diese Untersuchung
hat ergeben, dass durch die vertikale Integration der Versorgungs- und Netztätigkei-
ten ein systemimmanenter Interessenkonflikt besteht, der zu einem Mangel an Inves-
titionen und zu Diskriminierung geführt hat (S. 13 der Mitteilung). Um diesen Interes-
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senkonflikt aufzulösen und um Verzerrungen bei den Anreizen für Eigentümer
und/oder Netzbetreiber durch die Interessen der verbundenen Versorgungsunter-
nehmen zu vermeiden, hat es die Kommission für notwendig erachtet, die bisherige
- unzureichende - Entflechtung weiter voranzutreiben, wobei sie die eigentumsrecht-
liche Entflechtung als wirksamstes Mittel angesehen hat (aaO; Erwägungsgrund 8
GasRL, Erwägungsgrund 11 StromRL). Die in der Gas- und Stromrichtlinie vorgese-
henen Entflechtungsmodelle sollen daher vor allem dem Zweck dienen, bei vertikal
integrierten Unternehmen die Gefahr einer Diskriminierung in der Ausübung des
Netzgeschäfts zu vermeiden und Anreize zu schaffen, ausreichend in die Netze zu
investieren (Erwägungsgrund 6 GasRL, Erwägungsgrund 9 StromRL).
(b) Vor diesem Hintergrund begegnen die Karenzzeitenregelungen keinen
grundrechtlichen Bedenken.
(aa) Sie sind zur Erreichung der genannten Ziele geeignet und erforderlich.
Die Vorschriften dienen der Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Netzzu-
gangs, der besseren Durchsetzung einer diskriminierungsfreien Tarifgestaltung, der
Verhütung von Quersubventionierungen durch missbräuchlich überhöhte Netzentgel-
te, der Verhinderung einer Weitergabe vertraulicher Informationen im Konzern und
der Unterbindung wettbewerbshemmender Investitionsentscheidungen gerade auch
mit Blick auf den grenzüberschreitenden Handel im Binnenmarkt (vgl. Monopolkom-
mission, Sondergutachten Nr. 49, BT-Drucks. 16/7087, S. 161; Mohr, N&R 2015, 45,
47). Aufgrund der Einbindung des Transportnetzbetreibers in den Verbund eines ver-
tikal integrierten Energieversorgungsunternehmens ist zu besorgen, dass der Netz-
betreiber seine Tätigkeit nicht auf eine möglichst effiziente Bereitstellung der Netz-
dienste im Sinne des § 21 Abs. 2 EnWG ausrichtet, sondern auf eine Beförderung
der Interessen der Wettbewerbsbereiche des Energieversorgungsunternehmens (vgl.
BVerwGE 137, 58 Rn. 44 [zu § 9a AEG]; Mohr, N&R 2015, 45, 46). Dies kann sich in
offenen Netzzugangsdiskriminierungen zeigen, aber auch mittelbar in Form überhöh-
ter Netzentgelte zur Quersubventionierung der Wettbewerbsbereiche und einem am
Konzerninteresse ausgerichteten Ausbau der Netze.
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Insbesondere im Hinblick auf die - in § 6 Abs. 1 Satz 1 EnWG ausdrücklich
normierten - Entflechtungsziele eines transparenten und diskriminierungsfreien Netz-
betriebs ist es erforderlich, die Karenzzeitenregelungen nicht nur auf die Geschäfts-
leitung, sondern auch auf die leitenden Mitarbeiter der zweiten Führungsebene zu
erstrecken. Auch diese können wichtige Tätigkeiten im Hinblick auf einen diskriminie-
rungsfreien Netzbetrieb ausüben, weil sie insoweit - anders als ein Sachbearbeiter -
über einen hinreichend großen Überblick über die Netztätigkeit ihres Arbeitgebers
und eine entsprechende Verantwortung verfügen. Die Gefahr einer Beförderung der
Interessen des Energieversorgungsunternehmens besteht dabei nicht nur bei den
Führungskräften der rein technisch-netzbezogenen Fachabteilungen, sondern auch
bei denjenigen, die einen maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerischen Ent-
scheidungen ausüben.
(bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und
der Beigeladenen steht der Erforderlichkeit der Karenzzeitenregelungen nicht entge-
gen, dass diese durch die übrigen Maßnahmen zur Gewährleistung von Transparenz
und diskriminierungsfreier Ausgestaltung und Abwicklung des Netzbetriebs und da-
mit zur Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der
Versorgung mit Gas und Strom entbehrlich sind.
Das ITO-Modell als dritte Möglichkeit einer Entflechtung umfasst zwar insge-
samt ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Erreichung der genannten Ziele. Dazu
gehören neben den besonderen Entflechtungsvorgaben für Transportnetzbetreiber
nach §§ 8 ff. EnWG die Zertifizierungspflicht nach § 4a EnWG, die Vorschriften über
die Vertraulichkeit wirtschaftlich sensibler Informationen und die Verpflichtung zur
diskriminierungsfreien Verwendung dieser Informationen nach § 6a EnWG, die Ver-
pflichtungen zur diskriminierungsfreien Gewährung von Netzanschluss (§ 17 EnWG)
und Netzzugang (§ 20 EnWG) sowie die Vorschriften über - angemessene, diskrimi-
nierungsfreie und transparente - Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang
(§ 21 EnWG). Diese Maßnahmen werden flankiert durch die Bestellung eines
Gleichbehandlungsbeauftragten beim Unabhängigen Transportnetzbetreiber (§ 10e
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Abs. 2 EnWG), die staatliche Entgeltregulierung (§ 21a EnWG), ein ausdrückliches
Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot nebst entsprechenden Missbrauchsverfah-
ren (§§ 30, 31 EnWG) und umfangreiche behördliche Eingriffsbefugnisse (§ 65
EnWG).
Dessen ungeachtet haben aber der europäische Richtliniengeber wie auch
der nationale Gesetzgeber den Karenzzeitenregelungen eine besondere Bedeutung
für die Unabhängigkeit des Fernleitungsnetzbetreibers beigemessen (vgl. Erwä-
gungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL, BT-Drucks. 17/6072, S. 64).
Insoweit ist es konsequent, dass die Verpflichtung zur Vertraulichkeit wirtschaftlich
sensibler Informationen und zu ihrer diskriminierungsfreien Verwendung nicht nur
den Unabhängigen Transportnetzbetreiber und das vertikal integrierte Energiever-
sorgungsunternehmen selbst trifft, sondern - um die Effektivität des ITO-Modells zu
gewährleisten - auch auf die Führungskräfte erstreckt wird. Denn gerade den Karrie-
re- und Wechselmöglichkeiten innerhalb des vertikal integrierten Energieversor-
gungsunternehmens wohnt ein nicht unerhebliches Diskriminierungspotential inne.
Da eine natürliche Person ihr vorhandenes Wissen schlechterdings nicht "verschlie-
ßen" kann, kann der Gefahr einer Diskriminierung durch einen Wissenstransfer nur
durch nachlaufende Karenzzeiten begegnet werden. Entsprechendes gilt für die vor-
laufenden Karenzzeiten im Hinblick auf die Gefahr einer Bevorzugung des vertikal
integrierten Energieversorgungsunternehmens und einer Ausrichtung der zu fällen-
den unternehmerischen Entscheidungen an dessen Interessen.
(cc) Die sektorspezifischen Tätigkeitsverbote sind schließlich auch verhält-
nismäßig im engeren Sinne. Die Karenzzeitenregelungen dienen dem gewichtigen
öffentlichen Interesse der Union und ihrer Mitgliedstaaten an einem funktionierenden,
wettbewerblichen Energiemarkt, der ein hohes Rechtsgut verkörpert. Die Sperrfris-
tenregeln gelten nur innerhalb des vertikal integrierten Unternehmens. Sie schließen
eine Tätigkeit bei einem anderen Netzbetreiber oder auch in einem netzfremden
Tochterunternehmen innerhalb des (vertikal integrierten) Unternehmensverbunds,
wenn es sich etwa um ein Mehrspartenunternehmen handelt, nicht aus. Die verblei-
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- 16 -
benden Nachteile der Führungskräfte bei ihrem beruflichen Fortkommen innerhalb
des vertikal integrierten Unternehmens und die Erschwerungen bei der Personal-
und Nachwuchsplanung des Unternehmens treten dagegen hinter die mit den Ka-
renzzeitenregelungen verbundenen Ziele zurück.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die in der Gas- und Stromrichtlinie
vorgesehenen Entflechtungsmaßnahmen die Reaktion des europäischen Richtlinien-
und nationalen Gesetzgebers auf eine bis dahin von der Kommission als unzu-
reichend festgestellte Entflechtung der Transportnetzbetreiber mit der damit verbun-
denen Gefahr der Diskriminierung in der Ausübung des Netzgeschäfts und fehlender
Anreize zur Investition in das Netz darstellten. Gegen diese Einschätzung ist auf-
grund des dem Richtliniengebers zukommenden weiten Ermessens- und Prognose-
spielraums nichts zu erinnern; hiergegen bringt auch die Rechtsbeschwerde nichts
vor. Das Modell des Unabhängigen Transportnetzbetreibers ist zudem - im Vergleich
zu den beiden anderen Modellen - für das vertikal integrierte Unternehmen mit den
geringsten Eingriffen verbunden. Für die Geschäftsleitung und die Führungskräfte
der zweiten Führungsebene stellt sich die Rechtslage nicht schlechter dar als bei
dem Modell einer eigentumsrechtlichen Entflechtung.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der
Beigeladenen ist auch die Länge der Karenzzeitenregelungen nicht zu beanstanden.
Auch insoweit kommt dem europäischen Richtlinien- und nationalen Gesetzgeber ein
weiter Gestaltungsspielraum zu. Der nationale Gesetzgeber ist in § 10c Abs. 5
EnWG über die in Art. 19 Abs. 7 GasRL vorgesehen Mindestfrist von vier Jahren
nicht hinausgegangen. Die Dauer der Fristen von drei bzw. vier Jahren begegnet
keinen Bedenken. Sie sind geeignet und erforderlich, das erhebliche Diskriminie-
rungspotential im Rahmen des Netzbetriebs zu minimieren. Vor diesem Hintergrund
gehen die Hinweise der Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigelade-
nen auf die Regelung für Handelsvertreter nach §§ 74 ff. HGB, die nur ein zweijähri-
ges Tätigkeitsverbot und zudem nur gegen eine Karenzentschädigung zulassen (vgl.
dazu BVerfGE 81, 242, 252 ff.), oder auf die aktienrechtliche Vorschrift des § 100
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- 17 -
Abs. 2 Nr. 4 AktG für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat ins Leere. Diese
Regelungen betreffen (lediglich) den bilateralen Interessenkonflikt zwischen Prinzipal
und Agent bzw. die - ebenfalls wichtige - Frage einer guten Unternehmensführung
("Corporate Governance"); sie dienen indes nicht dem gewichtigen öffentlichen Inter-
esse an einem diskriminierungsfreien Netzbetrieb und einem wirksamen Wettbewerb
auf dem Erdgas- und Elektrizitätsbinnenmarkt. Im Hinblick darauf sprechen diese
- wenn überhaupt - sogar eher dafür, dass die Karenzzeitenregelungen deutlich über
diejenigen nach §§ 74 ff. HGB bzw. § 100 Abs. 2 Nr. 4 AktG hinausgehen dürfen.
bb) Soweit sich die Rechtsbeschwerdeführer auf eine Verletzung ihrer
Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG berufen, ergibt sich nichts anderes. Deren
Schutzbereich stimmt mit demjenigen der Art. 15 bis 17 der Charta überein und kann
hier ebenfalls als berührt angesehen werden. Der Eingriff ist indes aus den vorste-
henden Gründen gerechtfertigt.
Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf das Grundrecht auf freie Berufs-
ausübung der Beigeladenen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Freiheit der
Berufswahl der Beigeladenen - hier in der Form des Berufswechsels - betroffen oder
lediglich ein Eingriff in ihre Freiheit der Berufsausübung gegeben ist, weil eine - zeit-
lich verzögerte oder praktisch verhinderte - Beförderung auf eine andere Position
innerhalb des vertikal integrierten Unternehmens nicht als eigenständiger Beruf an-
zusehen wäre. Selbst dann, wenn hier die strengeren Maßstäbe, die an eine Zulas-
sungsbeschränkung bei der Wahl eines Zweitberufs zu stellen sind (vgl. dazu
BVerfGE 21, 173, 181; 22, 275, 276), Anwendung finden sollten, begegnen die Ka-
renzzeitenregelungen des § 10c EnWG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Regelungen, die die Aufnahme der Berufstätigkeit von der Erfüllung be-
stimmter Voraussetzungen abhängig machen, sind nur gerechtfertigt, soweit sie zum
Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich sind, d.h. so-
weit der Schutz von Gütern in Frage steht, denen bei sorgfältiger Abwägung der Vor-
rang vor dem Freiheitsanspruch des einzelnen eingeräumt werden muss, und soweit
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dieser Schutz nicht auf andere Weise, nämlich mit Mitteln, die die Berufswahl nicht
oder weniger einschränken, gesichert werden kann (vgl. nur BVerfGE 7, 377, 406 f.;
55, 185, 196). Dies ist hier der Fall.
Die Karenzzeitenregelungen dienen dem gewichtigen öffentlichen Interesse
an einem diskriminierungsfreien Netzbetrieb und der Sicherstellung eines wirksamen
und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas und der
Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs
von Energieversorgungsnetzen. Dahinter müssen die Interessen der Betroffenen an
einem in zeitlicher Hinsicht unbeschränkten beruflichen Fortkommen zurückstehen,
zumal es ihnen unbenommen bleibt, eine solche Position außerhalb des vertikal in-
tegrierten Unternehmens oder - bei einem Mehrspartenunternehmen - auch inner-
halb des vertikal integrierten Unternehmens zu erlangen.
Es ist auch nicht erkennbar, dass die Karenzzeitenregelungen im Hinblick
auf Anwendungsbereich und Dauer durch ein milderes, aber gleich geeignetes Mittel
ersetzt werden könnten. Die Sperrfristen sollen die Unabhängigkeit des Trans-
portnetzbetreibers auf personeller Ebene gewährleisten, indem ein "Wissenstransfer"
innerhalb des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens unterbunden
wird. Dazu bedarf es einer gewissen Anzahl von Jahren. Die Dauer der Karenzzeiten
von drei und vier Jahren ist nicht unverhältnismäßig lang; sie liegt unterhalb der
Dauer einer Regulierungsperiode von fünf Jahren (§ 3 Abs. 2 ARegV). Zur Vermei-
dung des für den Wettbewerb besonders gefährlichen "Wissenstransfers" aus dem
Transportnetzbetreiber heraus ist es auch gerechtfertigt, dass die Karenzzeit für aus-
scheidende Führungskräfte vier Jahre (§ 10 Abs. 5 EnWG) und für eintretende Füh-
rungskräfte (nur) drei Jahre beträgt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EnWG).
cc) Schließlich ist auch der Gleichheitssatz aus Art. 20 der Charta oder Art. 3
Abs. 1 GG nicht verletzt.
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- 19 -
Im Hinblick darauf, dass die Kommission in ihrer Untersuchung der europäi-
schen Gas- und Elektrizitätssektoren bei vertikal integrierten Energieversorgungsun-
ternehmen einen systemimmanenten Interessenkonflikt festgestellt hat, der zu einem
Mangel an Investitionen und zu Diskriminierung geführt hat, ist es sachgerecht, die
Karenzzeitenregelungen auf berufliche Wechsel innerhalb des Unternehmensver-
bunds, aber nicht zu Drittunternehmen zu beschränken. Eine mögliche Ungleichbe-
handlung mit Führungskräften von Unternehmen, die sich einer der beiden anderen
Entflechtungsvarianten unterworfen haben, wäre ebenfalls gerechtfertigt, weil mit den
Sperrfristen die - nach der Einschätzung des Richtliniengebers - für die Zielerrei-
chung an sich unvollkommenen Maßnahmen des Modells des Unabhängigen Trans-
portnetzbetreibers aufgewogen werden sollen, um die Effektivität dieses Modells si-
cherzustellen (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL). Da-
von abgesehen enthalten auch die beiden anderen Entflechtungsvarianten mit § 8
Abs. 2, § 9 Abs. 2 Satz 1 EnWG Vorschriften, die die persönliche Unabhängigkeit der
handelnden Führungspersonen gewährleisten sollen. Die unterschiedliche Behand-
lung von Geschäftsleitern und Führungskräften der zweiten Führungsebene einer-
seits und den übrigen Mitarbeitern des Transportnetzbetreibers andererseits ist be-
reits mangels vergleichbaren Kenntnisstands und mangels vergleichbarer Einfluss-
möglichkeiten auf die Entscheidungen des Unternehmens sachgerecht. Schließlich
ist es auch sachgerecht, dass die Karenzzeitenregelungen uneingeschränkt nur für
Transportnetzbetreiber gelten; dies beruht darauf, dass nach der Einschätzung des
europäischen Richtliniengebers das Diskriminierungspotential vor allem auf der Ebe-
ne der Fernleitungsnetze und weniger auf der Verteilerebene besteht (vgl. Erwä-
gungsgrund 25 GasRL, Erwägungsgrund 26 StromRL).
b) Das Beschwerdegericht hat auch den sachlichen Anwendungsbereich des
§ 10c Abs. 6 EnWG im Grundsatz zutreffend bestimmt. Danach werden von dieser
Vorschrift nicht nur die Leiter derjenigen Abteilungen erfasst, die sich lediglich in
technischer Hinsicht mit Betrieb, Wartung und Entwicklung des Netzes befassen,
sondern auch die Führungskräfte der zweiten Führungsebene, die umfangreiche
Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seinen Zu-
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- 20 -
stand haben müssen und die unternehmerischen Entscheidungen der obersten Un-
ternehmensleitung maßgeblich beeinflussen können.
aa) Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur ist § 10c Abs. 6 EnWG
nicht dahin auszulegen, dass im Zweifel alle leitenden Mitarbeiter der zweiten Füh-
rungsebene erfasst sind, sofern der Netzbetreiber nichts Anderweitiges nachweist.
Eine solche Zweifelsregelung widerspricht dem Charakter dieser Vorschrift als
- grundrechtsrelevanter - Eingriffsnorm, die nur bei Vorliegen der in ihr positiv um-
schriebenen Tatbestandsmerkmale anwendbar ist.
Insoweit hat der Netzbetreiber allerdings im Rahmen der ihm obliegenden
Mitwirkungspflichten nach § 69 EnWG unter anderem das Organisationsschema und
eine detaillierte Arbeitsplatzbeschreibung der fraglichen Führungsstellen vorzulegen.
Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit kann die Regulierungsbehörde
von den Ermittlungsmaßnahmen nach § 68 EnWG Gebrauch machen.
bb) Ebenfalls richtig ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass
unter dem Begriff "Betrieb" nicht der (gesamte) Netzbetrieb an sich zu verstehen ist,
weil ansonsten die weiteren Tatbestandsmerkmale der Wartung und Entwicklung des
Netzes ohne eigenständige Bedeutung wären. Ausgangspunkt der Auslegung einer
Norm ist ihr Wortlaut. Hätte der Gesetzgeber in § 10c Abs. 6 EnWG alle Leiter der
zweiten Führungsebene erfassen wollen, hätte es genügt, das Eingreifen der Vor-
schrift lediglich davon abhängig zu machen, dass die betreffenden Mitarbeiter "unmit-
telbar" der obersten Führungsebene unterstellt sind. Der Dreiklang aus Betrieb, War-
tung und Entwicklung spricht dafür, dass (nur) diejenigen Bereichsleiter erfasst wer-
den, die aufgrund des Aufgabenzuschnitts ihrer Fachbereiche oder Abteilungen
maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen zu den techni-
schen Eigenschaften des Transportnetzes, seinem Zustand und seiner Fortentwick-
lung haben und dazu umfangreiche diskriminierungsrelevante Kenntnisse darüber
haben müssen.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin und der Beigeladenen dürfen
diese Tatbestandsvoraussetzungen nicht dahin verengt werden, dass nur die Fach-
bereiche erfasst werden, die rein technische, netzbezogene Aufgaben zu erfüllen
haben. § 10c Abs. 6 EnWG nimmt zwar mit den Begriffen des Betriebs, der Wartung
und der Entwicklung des Netzes auf die in Art. 17 Abs. 2 Buchst. e StromRL/GasRL
genannten Kernaufgaben des Transportnetzbetreibers Bezug, ohne aber den An-
wendungsbereich darauf einzuschränken. Insoweit hat die Aufzählung in Art. 17
Abs. 2 StromRL/GasRL keine abgrenzende, sondern lediglich eine konkretisierende
Funktion. Auch bei den übrigen in dieser Regelung genannten Bereichen handelt es
sich um Kernaufgaben des Transportnetzbetreibers, wie etwa bei der Investitionspla-
nung und der Netzplanungskompetenz (vgl. Monopolkommission, Sondergutachten
Nr. 59, BT-Drucks. 17/7181, S. 112), aber auch bei anderen unternehmensspezifi-
schen Einrichtungen, wie unter anderem Rechtsabteilung, Buchhaltung und IT-
Diensten. Dies zeigt sich vor allem daran, dass für sie aufgrund ihrer Bedeutung für
den Netzbetrieb und des Umfangs der gespeicherten unternehmensinternen, wirt-
schaftlich sensiblen Daten noch weitere Entflechtungsmaßnahmen vorgesehen sind
(vgl. nur Art. 17 Abs. 5 StromRL/GasRL, § 10c Abs. 5 EnWG für IT-Abteilung, Art. 17
Abs. 6 StromRL/GasRL, § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, § 10a Abs. 7 EnWG für Rech-
nungswesen).
Dieses Verständnis wird durch Art. 19 Abs. 8 StromRL/GasRL belegt, wo-
nach die der obersten Unternehmensleitung unmittelbar unterstellten Personen mit
dem Betrieb, der Wartung oder der Entwicklung des Netzes "befasst" sein müssen.
Es genügt eine für die Aufgabenerfüllung der entsprechenden Fachabteilung not-
wendige Kenntnis der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines
Zustands, verbunden mit einer maßgeblichen Einflussmöglichkeit auf die Entschei-
dungen der Unternehmensführung, ohne dass damit zugleich verlangt wird, dass der
Fachbereich die technischen Aufgaben selbst ausführt. Soweit in den Materialien zu
§ 10c Abs. 6 EnWG als Beispiel für die betroffenen Personen der zweiten Führungs-
ebene der Hauptbereichsleiter Netz genannt wird (BT-Drucks. 17/6072, S. 64), ist
dies zwar zutreffend, vermag aber im Hinblick auf den (weiten) Wortlaut dieser Norm
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wie auch des Art. 19 Abs. 8 StromRL/GasRL keinen engeren Anwendungsbereich zu
begründen.
Insoweit ist im Rahmen der systematischen Auslegung zu berücksichtigen,
dass alle drei Entflechtungsmodelle die bestehenden Interessenkonflikte zwischen
Erzeugern, Lieferanten und Fernleitungsnetzbetreibern wirksam, d.h. (gleich) effektiv
beseitigen wollen (vgl. Erwägungsgrund 9 GasRL, Erwägungsgrund 12 StromRL).
Die Entflechtungsmodelle sollen lediglich auf unterschiedlichen konstruktiven Wegen
eine effektive Trennung der Sparten Erzeugung/Versorgung und der Transportnetze
bewirken. Aufgrund der fehlenden eigentumsrechtlichen Entflechtung muss die Effek-
tivität des ITO-Modells durch besondere zusätzliche Vorschriften sichergestellt wer-
den (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL). Dies erfordert
die Durchtrennung unerwünschter Wissens- und Informationsschnittstellen und so-
genannter weicher Faktoren wie der bewussten oder unbewussten Verbesserung der
persönlichen Karrierechancen derjenigen Führungskräfte, die umfangreiche Kennt-
nisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seinen Zustand
haben müssen und erheblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen
in Bezug auf Betrieb, Wartung und Entwicklung des Netzes haben. Dazu gehören
neben der Geschäftsleitung jedenfalls auch die Leiter der zweiten Führungsebene,
soweit sie für Kerntätigkeiten des Unabhängigen Transportnetzbetreibers zuständig
sind.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin spricht die Vorschrift des § 10d
Abs. 3 EnWG nicht für eine engere Auslegung des § 10c Abs. 6 EnWG. Nach dieser
Vorschrift sind die Karenzzeitenregelungen nur für weniger als die Hälfte der Mitglie-
der des Aufsichtsrates anwendbar. Daraus lässt sich indes wegen des unterschiedli-
chen Regelungszwecks für eine Auslegung des § 10c Abs. 6 EnWG nichts gewin-
nen. Die Vorschriften der §§ 10c, 10d EnWG unterscheiden zwar zwischen dem Auf-
sichtsrat, der Unternehmensleitung, der zweiten Führungsebene und den übrigen
Mitarbeitern des Unabhängigen Transportnetzbetreibers. Diese Regelungen sind
aber nicht allein mit einer verhältnismäßigen Abstufung der Entflechtungsintensität zu
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erklären, sondern tragen dem komplexen Interessengeflecht zwischen dem Unter-
nehmensverbund und der rechtlichen sowie faktischen Unabhängigkeit des Netzbe-
triebs Rechnung. Dabei hat der Aufsichtsrat eine Sonderstellung, weil er nicht nur
Kontrollorgan der Geschäftsleitung ist, sondern über ihn die Anteilseigner - d.h. die
Muttergesellschaft des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens - ihre
eigenen Unternehmensinteressen einfließen lassen dürfen. Demgegenüber müssen
sich die Vorgaben für die personelle Unabhängigkeit des für das operative Tagesge-
schäft zuständigen Managements des Unabhängigen Transportnetzbetreibers allein
an den Entflechtungszielen eines transparenten und diskriminierungsfreien Netzbe-
triebs orientieren. Aufgrund dessen können die in § 10d Abs. 3 EnWG geschützten
Anteilseignerinteressen für die Interpretation des § 10c Abs. 6 EnWG nicht maßgeb-
lich sein (vgl. Mohr, N&R 2015, 45, 47 f.).
cc) Die Materialien bestätigen dieses Auslegungsergebnis. Danach sollen die
Führungskräfte erfasst werden, "die zwar nicht der Unternehmensleitung angehören,
also keine Vertretungsbefugnis für den Unabhängigen Transportnetzbetreiber haben,
aber eine sonst vergleichbare Stellung" (BT-Drucks. 17/6072, S. 64). Dies wird da-
hingehend näher präzisiert, dass "dieser Personenkreis ... ebenfalls erheblichen Ein-
fluss und umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Trans-
portnetzes und seines Zustandes" hat (BT-Drucks. 17/6072, S. 64). Das entspricht
der in den Gesetzesmaterialien in Bezug genommenen Vorstellung des europäi-
schen Richtliniengebers, wonach eine wirksame Entflechtung mittels der Vorschriften
für die unabhängigen Fernleitungsnetzbetreiber vor allem auf den Pfeiler der Maß-
nahmen zur Organisation und Verwaltung der Fernleitungsnetzbetreiber gestützt
werden soll (Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL). Nach die-
sen Erwägungsgründen soll die Unabhängigkeit des Fernleitungsbetreibers insbe-
sondere durch die Karenzzeiten sichergestellt werden, in denen in dem vertikal inte-
grierten Unternehmen keine Leitungsfunktion ausgeübt wird oder keine sonstige
wichtige Funktion wahrgenommen wird, die Zugang zu den gleichen Informationen
wie eine leitende Position eröffnen. Dies bedeutet, dass es für die Anwendbarkeit
des § 10c Abs. 6 EnWG nicht darauf ankommt, ob die betreffende Führungskraft ei-
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ne netzbezogene, technische Abteilung leitet, sondern vor allem darauf, ob sie - in-
nerhalb der zweiten Führungsebene - umfangreiche Kenntnisse der technischen Ei-
genschaften des Transportnetzes und seines Zustandes haben muss und erhebli-
chen Einfluss auf die netzbezogenen Entscheidungen der Geschäftsleitung hat.
dd) Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck des § 10c EnWG für dieses
Normverständnis.
Die Vorschrift regelt die personelle Trennung der Unternehmensleitung und
der weiteren Führungskräfte des Unabhängigen Transportnetzbetreibers von der
Muttergesellschaft des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens, deren
Tochtergesellschaften und Mehrheitsanteilseignern, um damit deren berufliche Un-
abhängigkeit zu gewährleisten (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19
StromRL). Durch die Sicherung der beruflichen Handlungsunabhängigkeit der Füh-
rungskräfte des Unabhängigen Transportnetzbetreibers sollen in Ergänzung zur for-
malen personellen Entflechtung Anreize unterbunden werden, zur Verbesserung der
persönlichen Karrierechancen oder der persönlichen Vergütung Marktaktivitäten des
vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens gegenüber dessen Wettbe-
werbern zu bevorzugen (BerlKommEnR/Säcker/Mohr, 3. Aufl., EnWG § 10c Rn. 1).
Es soll der mit der von der Kommission als unzureichend festgestellten Entflechtung
der Transportnetzbetreiber verbundenen Gefahr der Diskriminierung in der Ausübung
des Netzgeschäfts und der Gefahr fehlender Anreize zur Investition in das Netz be-
gegnet werden. Aufgrund der Einbindung des Transportnetzbetreibers in den Ver-
bund eines vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens ist zu besorgen,
dass der Netzbetreiber seine Tätigkeit nicht auf eine möglichst effiziente Bereitstel-
lung der Netzdienste im Sinne des § 21 Abs. 2 EnWG ausrichtet, sondern auf eine
Beförderung der Interessen der Wettbewerbsbereiche des Energieversorgungsun-
ternehmens (vgl. BVerwGE 137, 58 Rn. 44 [zu § 9a AEG]; Mohr, N&R 2015, 45, 46).
Dies kann sich in offenen Netzzugangsdiskriminierungen zeigen, aber auch mittelbar
in Form überhöhter Netzentgelte zur Quersubventionierung der Wettbewerbsberei-
che und einem am Konzerninteresse ausgerichteten Ausbau der Netze.
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Diese Zielsetzung wird nicht nur durch eine bloß formale personelle Entflech-
tung der Führungskräfte des Unabhängigen Transportnetzbetreibers und des vertikal
integrierten Energieversorgungsunternehmens erreicht, sondern bedarf auch einer
Durchtrennung unerwünschter Wissens- und Informationsschnittstellen und soge-
nannter weicher Faktoren wie der bewussten oder unbewussten Verbesserung der
persönlichen Karrierewünsche der einzelnen Führungskräfte. Nur dann bestehen
wirksame Anreize für das mit dem Netzbetrieb und allen damit zusammenhängenden
Kerntätigkeiten betraute Personal des Unabhängigen Transportnetzbetreibers, damit
dieses aus eigenem Antrieb einen transparenten und diskriminierungsfreien Netzbe-
trieb sicherstellt (Mohr, N&R 2015, 45, 46).
§ 10c Abs. 6 EnWG soll die Gefahr der Diskriminierung in der Ausübung des
Netzgeschäfts und der Gefahr fehlender Anreize zur Investition in das Netz begeg-
nen. Im Verfahren der Entscheidungsfindung zielt die Vorschrift damit nicht nur auf
deren abschließende Phase - das "Treffen" der Entscheidung - und auch nicht nur
auf das die Entscheidung "treffende" Personal, sondern nimmt auch weitere Phasen
der Entscheidungsvorbereitung und die insofern damit befassten Personen in den
Blick. Erfasst werden damit unter anderem alle Vorbereitungshandlungen, mit denen
sachlich auf die zu treffende Entscheidung Einfluss genommen wird oder Einfluss
genommen werden kann (vgl. BVerwGE 137, 58 Rn. 38 zu § 9a AEG). Auch insoweit
besteht die naheliegende Gefahr, dass die mit diesen Entscheidungen befasste Per-
son den Interessen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens im
Zweifel den Vorzug gibt, schon weil sie dort ihre bisherige berufliche Laufbahn zu-
rückgelegt hat - beruflich "groß geworden" ist - und ihre künftige Laufbahn nicht in
Frage stellen will (vgl. BVerwGE 137, 58 Rn. 44 zu § 9a AEG).
Aufgrund dessen ist es zur Zielerreichung folgerichtig, wenn von § 10c
Abs. 6 EnWG nicht nur die Führungskräfte derjenigen Abteilungen erfasst werden,
die sich lediglich in technischer Hinsicht mit Betrieb, Wartung und Entwicklung des
Netzes befassen, sondern auch die Führungskräfte, die aufgrund ihrer beruflichen
Tätigkeit über umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Trans-
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portnetzes und seines Zustandes verfügen und innerhalb ihres Zuständigkeitsbe-
reichs maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Ge-
schäftsleitung des Transportnetzbetreibers ausüben.
ee) Der Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG wird durch das weitere
Tatbestandsmerkmal der Verantwortlichkeit lediglich in persönlicher Hinsicht, nicht in
sachlicher Hinsicht eingeschränkt.
Nach den Materialien sollen mit diesem Kriterium die Führungskräfte erfasst
werden, "die zwar nicht der Unternehmensleitung angehören, also keine Vertre-
tungsbefugnis für den Unabhängigen Transportnetzbetreiber haben, aber eine sonst
vergleichbare Stellung" (BT-Drucks. 17/6072, S. 64). Dabei handelt es sich jedenfalls
um die Leiter der jeweiligen Fachabteilung, während zweifelhaft ist, ob auch ihre
Stellvertreter, die durchaus über denselben Kenntnisstand bezüglich der technischen
Eigenschaften des Transportnetzes verfügen können, erfasst werden.
Ob nach dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 8 StromRL/GasRL der von dieser
Norm betroffene Personenkreis weiter gezogen werden könnte, bedarf keiner Ent-
scheidung. Die jeweiligen Fachbereichsleiter werden augenscheinlich erfasst. Dies
zeigt auch ein Blick in die englische und französische Fassung der Richtlinien. Die
Formulierungen "... to those directly reporting to them on matters related to the oper-
ation, maintenance or development of the network" bzw. "... celles qui leur rendent
directement com
pte à propos de questions liées à l’exploitation, à la maintenance ou
au développement du réseau" legen nahe, dass zumindest die der Geschäftsleitung
unmittelbar nachgeordneten Bereichsleiter von Art. 19 Abs. 8 StromRL/GasRL er-
fasst sein sollen, weil diese eine unmittelbare und umfassende Berichtspflicht ge-
genüber der Geschäftsleitung haben.
Der persönliche Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG ist damit im
Hinblick auf die Führungskräfte der zweiten Führungsebene dahin eindeutig be-
stimmt, dass jedenfalls die jeweiligen Fachbereichsleiter von der Vorschrift erfasst
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werden. Der von der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der Beigeladenen
gerügte Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz liegt
nicht vor.
ff) Schließlich bedarf es zur Frage des Kenntnisstands des jeweiligen Fach-
bereichsleiters keiner konkreten Feststellungen des Tatrichters im Einzelfall. Viel-
mehr stellen Gesetz und Richtlinien insoweit auf eine generalisierende Betrach-
tungsweise auf der Grundlage der konkreten Aufgabenbeschreibung innerhalb des
Organisationsschemas des Transportnetzbetreibers ab. Die Karenzzeitenregelungen
sollen die Effektivität des ITO-Modells sicherstellen und die im Hinblick auf die Ziele
der Entflechtung bestehenden Schwächen dieses Modells insbesondere im Vergleich
zu dem Modell der eigentumsrechtlichen Entflechtung ausgleichen (vgl. Erwägungs-
grund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL). Aufgrund dessen ist allein maßgeb-
lich, welchen Aufgabenbereich der betreffende Leiter der zweiten Führungsebene hat
und welche Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und
seines Zustands er zur Erfüllung seiner Aufgaben üblicherweise besitzen muss.
gg) Dieses Auslegungsergebnis entspricht den oben dargestellten grund-
rechtlichen Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des
Grundgesetzes und bedarf im Hinblick darauf keiner Korrektur im Sinne einer unions-
rechts- oder verfassungskonformen Auslegung. Der Anwendungsbereich des § 10c
Abs. 6 EnWG ist in persönlicher Hinsicht durch die Beschränkung auf die Leiter der
zweiten Führungsebene und in sachlicher Hinsicht durch die Merkmale des maßgeb-
lichen Einflusses auf die netzbezogenen unternehmerischen Entscheidungen der
Geschäftsleitung und der umfangreichen Kenntnisse der technischen Eigenschaften
des Netzes und seines Zustands hinreichend bestimmt. Im Hinblick auf die mit den
Karenzzeiten verbundene Zielsetzung der Sicherstellung der Effektivität des ITO-
Modells, um für einen gerechten Wettbewerb, hinreichende Investitionen, den Zu-
gang neuer Marktteilnehmer und die Integration der Strom- und Erdgasmärkte zu
sorgen, sind die Karenzzeiten geeignet, erforderlich und verhältnismäßig.
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c) Nach diesen Maßgaben werden für den - hier maßgeblichen - Zeitpunkt
der angefochtenen Zertifizierungsentscheidung neben den Leitern der Fachbereiche
GTD, GTK, GTM, GNO und GNW auch die Leiter der Fachbereiche GTE, GNA,
GNM, GNT, GTI und GTB sowie - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts
- auch diejenigen der Fachbereiche GTC, GTF, GTH, GTJ, GTR und GNL von § 10c
Abs. 6 EnWG erfasst. Insoweit hat die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur
Erfolg, während die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen
unbegründet sind. Im Einzelnen:
aa) Der Fachbereich "Vertragsenergieermittlung (GTE)" ist nach den unan-
gefochten gebliebenen Feststellungen des Beschwerdegerichts für die technische
Gasmessung und Gasabrechnung, die Gasbeschaffenheit und die Messanlagen, wie
etwa Nacheichungen zuständig. Dazu gehört nach dem Vorbingen der Rechtsbe-
schwerde der Antragstellerin und der Beigeladenen auch die Konzeption der Mess-
verfahren sowie die Aufbereitung und Übermittlung abrechnungsrelevanter Messda-
ten. Die darauf fußende Annahme des Beschwerdegerichts, der Leiter der Abteilung
GTE unterfalle § 10c Abs. 6 EnWG, ist nicht zu beanstanden.
Die dagegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerden der Antragstellerin
und der Beigeladenen bleiben ohne Erfolg. Aufgrund der Aufgabenbeschreibung ist
ohne weiteres davon auszugehen, dass der Fachbereichsleiter GTE über umfangrei-
che Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zu-
stands verfügen muss und auch die unternehmerischen Entscheidungen der Ge-
schäftsleitung im Bereich des Messwesens maßgeblich beeinflussen kann. Das
Messwesen ist ein wichtiger Teil des Netzbetriebs, was bereits die detaillierten Rah-
menregelungen der §§ 21b bis 21i EnWG zeigen. Messstellenbetrieb und Messung
sind wichtige Hilfsdienste für die Gewährung von Netzzugang und Energielieferung,
indem die gewonnenen Messdaten die Grundlage für eine Vielzahl von Abrech-
nungsbeziehungen im Strom- und Gassektor bilden. Die Bestimmungen zum Mess-
wesen zielen zum einen auf eine Marktöffnung im Bereich des Zähler- und Messwe-
sens und zum anderen auf einen effizienteren Umgang mit Energie. Damit sollen zu-
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gleich die allgemeinen Ziele des Energiewirtschaftsgesetzes wie der Versorgungs-
und Preissicherheit oder des Klimaschutzes erreicht werden. Die Ausgestaltung und
Konzeption des Messwesens stellt sich damit als eine komplexe Aufgabe dar, die
einen umfangreichen Wissensstand über die technischen Eigenschaften des Trans-
portnetzes und seinen Zustand voraussetzt. Zugleich besteht damit insoweit ein
maßgeblicher Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftslei-
tung.
Aufgrund dessen ist es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde un-
erheblich, dass der Fachbereich GTE keine Entscheidungen über die Steuerung des
Netzes und die Verfügbarkeiten von Kapazitäten trifft. Ebenso ist es ohne Belang,
dass der Fachbereich GTE Dienstleistungen auch für andere Fachbereiche erbringt.
Soweit die Rechtsbeschwerde Feststellungen des Beschwerdegerichts zu dem
Kenntnisstand des Fachbereichsleiters GTE vermisst, bedarf es solcher im Einzelfall
nicht, weil insoweit - wie ausgeführt - eine generalisierende Betrachtungsweise auf
der Grundlage der konkreten Aufgabenbeschreibung anzustellen ist.
bb) Die Fachbereiche "Anlagentechnik (GNA)" und "Montage (GNM)" sind
nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts für die Konstruktion, die techni-
sche Planung, den Bau und die Inbetriebnahme der Gasleitungen verantwortlich und
führen diese Maßnahmen durch.
Zur Erfüllung dieser Aufgabenbereiche bedarf es umfangreicher Kenntnisse
der technischen Eigenschaften des Transportnetzes, was auch von der Rechtsbe-
schwerde der Antragstellerin und der Beigeladenen nicht in Frage gestellt wird. Sie
wenden lediglich ein, dass die beiden Fachbereiche nur für die technische Planung
und Durchführung von Netzausbau- und -umbaumaßnahmen zuständig seien, hin-
gegen keinen (verantwortlichen) Einfluss auf das Ob und Wie solcher Maßnahmen
hätten. Dieses Vorbringen ist insbesondere im Hinblick darauf nicht nachvollziehbar,
dass die beiden Fachbereiche unter anderem für die Konstruktion und die technische
Planung verantwortlich sind. Insoweit haben sie zumindest insoweit maßgeblichen
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Einfluss auf die entsprechenden unternehmerischen Entscheidungen der Geschäfts-
leitung, dass sie bestimmte Konstruktionen oder Planungen aus technischer Sicht
vorziehen oder verwerfen können. Das damit vorhandene Diskriminierungspotential
im Hinblick auf eine Bevorzugung der Interessen des vertikal integrierten Energiever-
sorgungsunternehmens ist dabei gegeben.
cc) Die Abteilung "Trassenengineering (GNT)" ist nach den Feststellungen
des Beschwerdegerichts für die Entwicklung und Planung neuer Leitungstrassen ein-
schließlich der Durchführung der entsprechenden Genehmigungsverfahren und der
ökologischen Begleitung in der Bauphase zuständig.
Die Erfüllung dieses Aufgabenbereichs setzt ebenfalls umfangreiche Kennt-
nisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes voraus, weil die Entwick-
lung und Planung neuer Leitungstrassen nicht losgelöst von den technischen Eigen-
schaften und dem Zustand des bestehenden Transportnetzes erfolgen kann. Entge-
gen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist es unerheblich, dass der Leiter des
Fachbereichs GNT keine (verantwortlichen) Entscheidungen über den konkreten
Netzausbau trifft, sondern solche Entscheidungen lediglich vorbereitet und ausführt.
Insoweit kommt es nur darauf an, dass im Rahmen der fachplanerischen Vorberei-
tung von Netzausbau- oder Umbaumaßnahmen ein hinreichendes Diskriminierungs-
potential im Hinblick auf eine Bevorzugung der Interessen des vertikal integrierten
Energieversorgungsunternehmens besteht. Schließlich bedarf es auch keiner Fest-
stellungen des Beschwerdegerichts zu dem (konkreten) Kenntnisstand des Fachbe-
reichsleiters GNT, weil insoweit eine generalisierende Betrachtungsweise auf der
Grundlage der konkreten Aufgabenbeschreibung anzustellen ist.
dd) Der Fachbereich "IT-Management (GTI)" ist nach den Feststellungen des
Beschwerdegerichts neben den allgemeinen IT-Aufgaben, die für ein Funktionieren
des Netzbetriebs unabdingbar sind, auch für die Entwicklung netzbezogener Soft-
ware, wie etwa zur Optimierung gaswirtschaftlicher Prozesse, zuständig. Wegen die-
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ses spezifischen Aufgabenbereichs hat das Beschwerdegericht den Leiter der IT-
Abteilung GTI dem Anwendungsbereich § 10c Abs. 6 EnWG unterworfen.
Auch dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Schon der allgemeine Aufga-
benbereich der IT-Abteilung der Antragstellerin erfüllt die Anforderungen des § 10c
Abs. 6 EnWG, weil die Bewältigung dieses Aufgabenbereichs umfangreiche Kennt-
nisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands vo-
raussetzt und der Leiter der IT-Abteilung maßgeblichen Einfluss auf die insoweit zu
treffenden Entscheidungen der Geschäftsleitung besitzt. Das gilt erst recht im Hin-
blick darauf, dass nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts dieser Fachbe-
reich gerade auch für die Entwicklung netzbezogener Software zuständig ist.
Die Funktionsfähigkeit und ständige Anpassung der Informationstechnologie
bildet eine Kerntätigkeit des Netzbetriebs. Die Entflechtung der Anwendungssysteme
und der IT-Infrastruktur stellt deshalb nach § 10a Abs. 5 EnWG, Art. 17 Abs. 5
StromRL/GasRL einen Schwerpunkt des Maßnahmepakets des Gesetz- und Richtli-
niengebers im Rahmen des Modells des Unabhängigen Transportnetzbetreibers dar,
um dessen Unabhängigkeit zu gewährleisten und insbesondere die im IT-Bereich
besonders gefährdete Geheimhaltung der gespeicherten Infrastrukturdaten vor ei-
nem unberechtigten Zugriff Dritter, d.h. (einzelfallabhängig) auch vor einem Zugriff
des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens zu schützen (vgl. BT-
Drucks. 17/6072, S. 61).
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der
Beigeladenen ergibt sich etwas anderes nicht daraus, dass Art. 17 Abs. 2 GasRL
zwischen dem Betrieb, der Wartung und dem Ausbau eines sicheren, effizienten und
wirtschaftlichen Fernleitungsnetzes einerseits (Buchstabe e) und allen übrigen unter-
nehmensspezifischen Einrichtungen und Leistungen, unter anderem Rechtsabtei-
lung, Buchhaltung und IT-Dienste andererseits (Buchstabe h) unterscheidet. Daraus
kann nicht gefolgert werden, dass die Leitung des IT-Bereichs von vornherein nicht
von § 10c Abs. 6 EnWG erfasst wird. Art. 17 Abs. 2 GasRL beinhaltet lediglich - in
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Ergänzung zu den in Art. 13 GasRL aufgeführten Aufgaben - eine konkretisierende
Auflistung der Geschäftstätigkeiten des Unabhängigen Transportnetzbetreibers. Dem
Unterpunkt des Art. 17 Abs. 2 Buchst. h GasRL kommt dabei eine Auffang- und Klar-
stellungsfunktion zu. Sein Regelungsbereich beschränkt sich auf die Benennung der
vom Unabhängigen Transportnetzbetreiber rechtlich und tatsächlich unabhängig vom
vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen auszuführenden Aufgaben.
Davon zu trennen ist die in § 10c Abs. 6 EnWG geregelte Frage, wie diese Unab-
hängigkeit auch auf der zweiten Führungsebene gewährleistet wird. Beides ergänzt
sich (vgl. Erwägungsgrund 16 GasRL, Erwägungsgrund 19 StromRL).
ee) Die Abteilung "Einkauf (GTB)" ist nach den Feststellungen des Be-
schwerdegerichts insbesondere für die Beschaffung netznaher Technik und gasspe-
zifischer IT-Systeme zuständig.
Schon dieser Umstand rechtfertigt es, den Leiter dieser Abteilung der Vor-
schrift des § 10c Abs. 6 EnWG zu unterwerfen. Denn damit ist er für eine Kerntätig-
keit des Netzbetreibers verantwortlich zuständig und muss zur sachgerechten Erfül-
lung seines Aufgabenbereichs umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigen-
schaften des Transportnetzes und seines Zustands haben. Zugleich ist damit ein
Diskriminierungspotential zum Vorteil des vertikal integrierten Energieversorgungsun-
ternehmens gegeben. Soweit die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und der
Beigeladenen dagegen vorbringen, die schlichte Beschaffungstätigkeit weise allen-
falls einen mittelbaren Bezug zu den Tätigkeiten Betrieb, Wartung und Entwicklung
des Netzes auf, kann dies keinen Erfolg haben. Ob die weitere Begründung des Be-
schwerdegerichts, die Zuständigkeit der Abteilung GTB für den Einkauf für die ge-
samte W. verdeutliche deren Einbindung in den Netzbetrieb im en-
geren Sinne, den Angriffen der Rechtsbeschwerden standhalten würde, bedarf kei-
ner Entscheidung.
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ff) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts unterfällt auch der Lei-
ter der Abteilung "Controlling (GTC)" dem Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6
EnWG.
Zu dessen Aufgabenbereich hat das Beschwerdegericht zwar keine eigenen
Feststellungen getroffenen. Diese vermag der Senat aber nachzuholen, weil das Be-
schwerdegericht hierfür im Übrigen allein auf die Angaben der Antragstellerin im Zer-
tifizierungsverfahren abgestellt hat und diese auch hier maßgeblich sind. Danach ist
die Abteilung GTC für die Koordination und Durchführung der operativen und rollie-
renden Planung, die Berichterstattung an die Geschäftsführung und Gesellschafter,
das unternehmerische Kostenmanagement, das Risikomanagement, die Unterstüt-
zung von operativen Entscheidungen durch betriebswirtschaftliche Analysen und die
Erarbeitung von regulatorisch erforderlichen Entgelt- und Investitionsbudgetanträgen
zuständig. Die Erfüllung dieses Aufgabenbereichs setzt umfangreiche Kenntnisse der
technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands voraus; zu-
gleich übt sie insbesondere durch das Kosten- und Risikomanagement einen maß-
geblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen aus.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung hat die Abtei-
lung auch nicht nur eine rein unterstützende Funktion. Vielmehr werden durch diesen
Fachbereich Entscheidungen der Unternehmensleitung der Antragstellerin nicht nur
vorbereitet, sondern auch inhaltlich beeinflusst. Dabei handelt es sich um Kernauf-
gaben, die für den Netzbetrieb zwingend erforderlich sind. Die Erarbeitung von regu-
latorisch erforderlichen Entgelt- und Investitionsmaßnahmenanträgen wie auch die
Bearbeitung der Netzkosten, der Effizienz und der Netzentgelte erfordert einen Zu-
gang zu diskriminierungsrelevanten Informationen.
gg) Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf den Leiter des Fachbereichs
"Finanzen und Steuern (GTF)". Dieser ist nach dem maßgebenden Vortrag der An-
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tragstellerin und der Beigeladenen für die Rechnungsprüfung und die Leistungsfaktu-
rierung sowie für die Archivierung der erforderlichen Unterlagen zuständig. Damit
unterfällt er dem Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG.
Anders als das Beschwerdegericht meint, ist nicht entscheidend, ob der Ein-
fluss dieser Abteilung auf finanzielle Mittel, auf Buchhaltung und Jahresabschluss
genügt, um eine Steuerung des Netzbetriebs oder der Netzentwicklung i.S.d. § 10c
Abs. 6 EnWG anzunehmen. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Leiter der Abteilung um-
fangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und sei-
nes Zustands haben muss und die unternehmerischen Entscheidungen der Ge-
schäftsleitung maßgeblich beeinflussen kann. Dies ist bei der gebotenen generalisie-
renden Betrachtungsweise zu bejahen. Die Entflechtung der Buchhaltung und des
Rechnungswesens stellt nach § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, § 10a Abs. 7 EnWG, Art. 17
Abs. 2 Buchst. h, Abs. 6 StromRL/GasRL einen Schwerpunkt des Maßnahmepakets
des Gesetz- und Richtliniengebers im Rahmen des Modells des Unabhängigen
Transportnetzbetreibers dar, um dessen Unabhängigkeit und insbesondere die im
Rechnungswesen besonders zu fordernde Vertraulichkeit der wirtschaftlich sensiblen
Informationen zu gewährleisten (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 61). Insoweit gebieten
§ 10a Abs. 7 EnWG, Art. 17 Abs. 6 StromRL/GasRL einen Erst-recht-Schluss in dem
Sinne, dass die Anforderungen an den unternehmensexternen Abschlussprüfer erst
recht an den für das Rechnungswesen zuständigen Leiter der zweiten Führungsebe-
ne zu stellen sind.
hh) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist auch der Leiter der
Abteilung "Personal und Verwaltung (GTH)" der Karenzzeitenregelung des § 10c
Abs. 6 EnWG unterworfen.
Die Abteilung GTH unterstützt die anderen Fachbereiche bei der Personal-
beschaffung und ist im Rahmen der Personalbetreuung Ansprechpartner für Ge-
schäftsführung, Mitarbeiter und Betriebsrat in allen personalbezogenen Themen. Die
Erfüllung dieses Aufgabenbereichs erfordert umfangreiche Kenntnisse der techni-
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schen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands, weil die Eigenschaf-
ten und der Zustand des Netzes wie auch Umbau- oder Ausbaupläne die Grundlage
für die Personalplanung bilden und daneben auch Anlass für einzelne Personalge-
spräche sein können. Damit einher geht ein maßgeblicher Einfluss auf die unterneh-
merischen Entscheidungen der Geschäftsleitung.
Dagegen spricht nicht, dass die Personalabteilung in der Aufzählung des
§ 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EnWG fehlt. Diese Liste ist ersichtlich nicht abschließend.
Zudem ergibt sich aus § 10a Abs. 3 EnWG, dass die Entflechtung auch das Perso-
nalwesen erfasst. Mit dieser Regelung soll die Nutzung gemeinsamer Dienstleistun-
gen durch das vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen und den Unab-
hängigen Transportnetzbetreiber eingeschränkt werden, um die Unabhängigkeit des
Unabhängigen Transportnetzbetreibers in allen Bereichen vollständig zu gewährleis-
ten, indem auch mittelbare Einflussnahmen des vertikal integrierten Energieversor-
gungsunternehmens ausgeschlossen werden (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 610). Die
Nutzung gemeinsamer Dienstleistungen betraf vor Inkrafttreten der Entflechtungs-
vorschriften der §§ 10 ff. EnWG vor allem die Bereiche Kundenservice, Buchhaltung,
Rechnungswesen, Datenverarbeitung, Personalwesen und juristische Dienste (vgl.
BerlKommEnR/Säcker/Mohr, 3. Aufl., EnWG § 10a Rn. 17 mwN). Diesen Bereichen
gemein ist der Zugang zu diskriminierungsrelevanten Informationen und ihr Einfluss
auf netzbezogene Entscheidungen der Geschäftsleitung. Dies ist für die Anwendung
des § 10c Abs. 6 EnWG entscheidend.
ii) Anders als das Beschwerdegericht meint, unterfallen auch die Leiter der
Fachbereiche "Recht und Versicherungen (GTJ)" und "Regulierungsmanagement
(GTR)" der Vorschrift des § 10c Abs. 6 EnWG.
Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Fachbereich GTJ
unter anderem für die Erstellung, Prüfung und Beratung bei der Abwicklung von Ka-
pazitätsverträgen, Netzkopplungsvereinbarungen und Netzanbindungsverträgen, die
Erstellung und Prüfung von Netzentgeltgenehmigungen und Investitionsbudgetanträ-
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gen sowie die Beratung bei der Netzentgeltkalkulation zuständig. Die Abteilung GTR
ist für die Mitarbeit, Bewertung und Umsetzung des deutschen und europäischen
Regulierungsrahmens zuständig und nimmt insoweit ebenfalls im Wesentlichen juris-
tische, beratende Aufgaben wahr.
Die Erfüllung dieser Aufgabenbereiche ist ohne umfangreiche Kenntnisse der
technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands nicht denkbar.
Die Rechtsabteilungen haben auch maßgeblichen Einfluss auf die unternehmeri-
schen Entscheidungen der Geschäftsleitung. Sie unterziehen deren Vorstellungen
einer rechtlichen Prüfung, zeigen Handlungsalternativen auf und bewerten sie nach
ihrer rechtlichen Realisierbarkeit und ihren - auch wirtschaftlichen - Folgen; regelmä-
ßig bereiten die Rechtsabteilungen auch künftige Entscheidungen vor, sei es, dass
sie Verhandlungen für künftige Verträge führen, sei es, dass sie die Entscheidungs-
freiheit des Unternehmens gegenüber behördlichen Eingriffen zu wahren suchen
(vgl. BVerwGE 137, 58 Rn. 43 zu § 9a AEG). Damit ist ein hinreichendes Diskriminie-
rungspotential im Hinblick auf eine Bevorzugung der Interessen des vertikal integrier-
ten Energieversorgungsunternehmens vorhanden. Dass sich die Geschäftsleitung im
Einzelfall über Handlungsempfehlungen der Rechtsabteilung hinwegsetzen mag,
ändert daran bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise nichts.
Für eine Anwendung des § 10c Abs. 6 EnWG spricht auch, dass die Ent-
flechtung der Rechtsabteilung und der übrigen juristischen Dienste nach § 10 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4, § 10a Abs. 3 EnWG, Art. 17 Abs. 2 Buchst. h StromRL/GasRL einen
Schwerpunkt des Maßnahmepakets des Gesetz- und Richtliniengebers im Rahmen
des Modells des Unabhängigen Transportnetzbetreibers darstellt, um dessen Unab-
hängigkeit und insbesondere die von der Rechtsabteilung in besonderem Maße zu
fordernde Vertraulichkeit der wirtschaftlich sensiblen Informationen zu gewährleisten
(vgl. dazu auch BVerwGE 137, 58 Rn. 38 ff. zu § 9a AEG).
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jj) Schließlich ist entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts § 10c
Abs. 6 EnWG auch auf den Leiter der Abteilung "Leitungsrechte und Liegenschaften
(GNL)" anwendbar.
Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Fachbereich GNL
für die Beschaffung und Dokumentation der privatrechtlichen Genehmigungen für die
vertragliche und dingliche Sicherung der Leitungsrechte des Netzes zuständig. Auch
die Erfüllung dieses Aufgabenbereichs bringt umfangreiche Kenntnisse der techni-
schen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands mit sich, weil ohne
diese eine sachgerechte Konzeption der entsprechenden Vertragsentwürfe und der
erforderlichen Erklärungen gegenüber dem Grundbuchamt nicht möglich wäre. Zu-
gleich ist damit ein maßgeblicher Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidun-
gen der Geschäftsleitung verbunden. Wegen der fachlichen Nähe zu den Fachberei-
chen "Regulierungsmanagement (GTR)" und "Recht und Versicherungen (GTJ)" gel-
ten im Übrigen die diesbezüglichen Ausführungen entsprechend.
d) Schließlich hat die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und der Beige-
ladenen keinen Erfolg, soweit sie eine Verkürzung der Sperrfristen begehren. Die
Länge der Karenzzeiten begegnet - wie oben ausgeführt worden ist - keinen rechtli-
chen Bedenken.
3. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin und der Beigeladenen kommt
ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht
in Betracht.
a) Gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV ist das letztinstanzliche innerstaatliche Ge-
richt, bei dem eine entscheidungserhebliche Frage über die Auslegung von Handlun-
gen der Organe der Europäischen Union (Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV) gestellt
wird, zur Anrufung des Unionsgerichtshofs immer dann verpflichtet, wenn sich in ei-
nem bei ihm schwebenden Verfahren eine entscheidungserhebliche Frage des Uni-
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onsrechts stellt, es sei denn, das nationale Gericht hat festgestellt, dass die betref-
fende unionsrechtliche Frage bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Ge-
richtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig
ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom
6. Oktober 1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 21 - C.I.L.F.I.T.). Ob ein solcher Fall
gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der be-
sonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abwei-
chender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu beurteilen (EuGH, Urteil
vom 15. September 2005 - C-495/03, Slg. 2005, I-8151 Rn. 33 - Intermodal Trans-
ports). Hierzu muss das nationale Gericht davon überzeugt sein, dass auch für die
Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Unionsgerichtshof die gleiche Gewiss-
heit bestünde (EuGH, Slg. 1982, 3415 Rn. 16 - C.I.L.F.I.T.; Slg. 2005, I-8151 Rn. 39
- Intermodal Transports; vgl. auch BVerfG, NJW 2010, 1268 Rn. 20 f.). Eine Vorlage-
pflicht besteht stets, wenn einzelstaatliche Gerichte Unionsrechtsakte als ungültig
außer Anwendung lassen wollen (sog. Verwerfungsmonopol des Gerichtshofs; vgl.
EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 - C-461/03, Slg. 2005, I-10513 Rn. 19 ff. - Gas-
ton Schul).
b) Nach diesen Maßgaben besteht keine Vorlagepflicht. Die dargestellte
Rechtslage ist vielmehr offenkundig.
aa) Dies betrifft zunächst die Frage nach einem möglichen Verstoß der Ka-
renzzeitenregelungen des § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EnWG gegen
höherrangiges Recht. Diese Frage ist offenkundig zu verneinen. Das Verwerfungs-
monopol des Gerichtshofs der Europäischen Union ist von vornherein nicht berührt.
Der Schutzbereich der Grundrechte auf Berufsfreiheit und die unternehmeri-
sche Freiheit sowie das Eigentumsrecht, wie sie in den Art. 15 bis 17 der Charta nie-
dergelegt sind, und deren Schranken i.S.d. Art. 52 Abs. 1 der Charta sind - wie oben
im Einzelnen dargelegt worden ist - in der Rechtsprechung des Gerichtshofs hinrei-
chend geklärt. Insoweit legen weder die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und
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der Beigeladenen - neue - Zweifelsfragen dar, noch sind solche aus anderen Grün-
den ersichtlich. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass der Unionsgerichtshof
den Gemeinschaftsorganen grundsätzlich einen weiten Ermessens- und Prognose-
spielraum zubilligt, dessen Weite er insbesondere im Rahmen wirtschaftspolitischer
Maßnahmen besonders hervorhebt (vgl. EuGH, Slg. 1994, I-5555 Rn. 21 = EuZW
1995, 109 - SMW Winzersekt). Weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum
wird ein Verstoß des § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EnWG gegen höher-
rangiges Recht bejaht (vgl. BerlKommEnR/Säcker/Mohr, 3. Aufl., EnWG § 10c
Rn. 16, 20; Kment/Knauff, EnWG, § 10c Rn. 14; Busch, N&R 2011, 226, 229; Mohr,
N&R 2015, 45, 47 f.; Säcker/Mohr, N&R 2012, 1, 12 f.; Schmidt-Preuß, et 9/2009, 82,
86); eine vereinzelt gebliebene Gegenauffassung (Michaelis/Kemper, RdE 2012, 10,
12) wird nicht näher begründet.
bb) Des Weiteren bedarf auch die Frage nach dem Umfang des Anwen-
dungsbereichs des § 10c Abs. 6 EnWG keiner Vorlage an den Gerichtshof der Euro-
päischen Union. Der Anwendungsbereich lässt sich - jedenfalls soweit er vorliegend
in Frage steht und wie oben näher ausgeführt - anhand des Wortlauts der zugrunde-
liegenden Richtlinie und ihrem Sinn und Zweck eindeutig beantworten. Zweifelhaft
könnte in diesem Zusammenhang allenfalls die Frage sein, ob der deutsche Gesetz-
geber den Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG in persönlicher Hinsicht zu
eng gezogen hat. Im Übrigen handelt es sich um eine Subsumtion im Einzelfall, weil
für die Anwendung der Vorschrift der konkrete Aufgabenzuschnitt der einzelnen
Fachbereiche maßgeblich ist.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 EnWG.
Meier-Beck
Strohn
Grüneberg
Bacher
Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.08.2014 - VI-3 Kart 57/13 (V) -
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