Urteil des BGH vom 09.11.2016

Gesetzliche Vermutung, Rechtliches Gehör, Gefährdung, Vermögensverfall

ECLI:DE:BGH:2016:091116BANWZ.BRFG.61.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (Brfg) 61/15
vom
9. November 2016
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Dr. Bünger und Dr. Remmert sowie die
Rechtsanwälte Dr. Kau und Dr. Wolf
am 9. November 2016
beschlossen:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das
Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes
Nordrhein-Westfalen vom 21. August 2015 wird abgelehnt.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000
€ fest-
gesetzt.
Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe
für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die 1934 geborene Klägerin ist seit 1965 als Rechtsanwältin zugelassen.
Mit Bescheid vom 15. April 2015 widerrief die Beklagte die Zulassung der Klä-
gerin zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7
BRAO). Die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen.
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Die Klägerin beantragt nunmehr die Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag der Klägerin ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4
VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er hat jedoch keinen Erfolg. Die
von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor (§ 112e
Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 5 VwGO, § 124a Abs. 5 Satz 2
VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
(§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulas-
sungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine
erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt
wird (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg)
11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 3; vom 21. April 2016 - AnwZ (Brfg) 1/16, juris Rn. 3;
vom 8. Juni 2016 - AnwZ (Brfg) 18/16, juris Rn. 3; jeweils mwN). Daran fehlt es
hier.
a) Der Anwaltsgerichtshof hat mit Recht seine - von der Klägerin in Abre-
de gestellte - Eigenschaft als gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG)
bejaht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur
Senatsbeschlüsse vom 7. Oktober 2003 - AnwZ (B) 38/02, juris Rn. 4, 10; vom
6. November 2006 - AnwZ (B) 87/05, juris Rn. 7; vom 11. Mai 2010 - AnwZ (B)
110/09, juris Rn. 4; jeweils mwN; vgl. bereits Senatsbeschlüsse vom 6. Februar
1961 - AnwZ (B) 9/60, BGHZ 34, 235, 238 ff.; vom 6. März 1961
- AnwZ (B) 11/60, juris Rn. 4, insoweit in BGHZ 34, 342 nicht abgedruckt; vom
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20. März 1961 - AnwZ (B) 15/60, BGHZ 34, 382, 384 und 386 f.; vom 13. Juli
1964 - AnwSt (B) 3/64, NJW 1964, 1912; jeweils zu den früheren anwaltlichen
Ehrengerichtshöfen) und des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur BVerfG,
NJW 2006, 3049, 3050 mwN) handelt es sich bei den Anwaltsgerichtshöfen um
grundgesetzmäßige unabhängige staatliche Gerichte. Letzteres gilt ebenso für
den Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschlüsse vom
20. März 1961 - AnwZ (B) 15/60, aaO, S. 385 ff.; vom 13. Juli 1964 - AnwSt (B)
3/64, aaO; vom 7. Oktober 2003 - AnwZ (B) 38/02, aaO Rn. 10; BVerfG, NJW
1969, 2192). Entgegen der Auffassung der Klägerin steht damit auch dessen
Eigenschaft als gesetzlicher Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG außer
Frage.
b) Da die vorbezeichneten Rechtsfragen seit langem höchstrichterlich
geklärt sind, vermögen diese, anders als die Klägerin meint, der Rechtssache
auch keine grundsätzliche Bedeutung zu verleihen (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Hieran ändern die in der Begründung des Antrags auf Zu-
lassung der Berufung angeführten, beim Bundesverfassungsgericht anhängigen
und auf die gesetzlich vorgesehene Mitgliedschaft in Industrie- und Handels-
kammern bezogenen Verfassungsbeschwerden 1 /12 und 1
/13, deren Ausführungen die Klägerin auf die Pflichtmitgliedschaft in
Rechtsanwaltskammern übertragen wissen will, nichts. Diese Verfassungsbe-
schwerden erfordern, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend angenommen hat,
insbesondere nicht eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens bis zur Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hat
bereits mehrfach entschieden, dass die gesetzlich vorgesehene Pflichtmitglied-
schaft in Industrie- und Handelskammern mit dem Grundgesetz vereinbar ist
(vgl. nur BVerfGE 15, 235, 239 ff.; BVerfG, NVwZ 2002, 335, 336 f.; jeweils
mwN; siehe auch BVerwGE 107, 169, 170 ff.; 122, 344, 349 f.; jeweils mwN).
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Durchgreifende Gründe, die eine Änderung dieser Rechtsprechung erwarten
ließen, zeigt die Klägerin nicht auf.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vermag die Klägerin
auch nicht mit ihrer ebenfalls auf Art. 101 GG gestützten Rüge dazulegen, der
Geschäftsverteilungsplan des - aus sieben Rechtsanwälten und drei Berufsrich-
tern bestehenden - 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-
Westfalen sehe für die Sachbehandlung keine Spruchkörper vor, sondern ledig-
lich eine Regelung der Terminsbeteiligung der Senatsmitglieder. Die Klägerin
meint, dass es deshalb an einer richterlichen Zuständigkeit im Vorfeld eines
Verhandlungstermins fehle, wenn nicht der Vorsitzende sogleich einen Termin
bestimme, und dass zudem andere Richter zuständig würden, wenn der Vorsit-
zende einen anderen als den theoretisch möglichen früheren Verhandlungster-
min bestimme und diesem Termin andere Richter zugeteilt seien. Die Klägerin
zeigt indes nicht auf, inwiefern die von ihr angegriffenen Gesichtspunkte des
Geschäftsverteilungsplans im vorliegenden Fall zum Tragen gekommen seien.
Damit fehlt es bereits an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit (vgl.
hierzu nur Senatsbeschlüsse vom 4. Februar 2016 - AnwZ (Brfg) 59/15, juris
Rn. 10; vom 17. März 2016 - AnwZ (Brfg) 6/16, juris Rn. 10; jeweils mwN) der
von der Klägerin insoweit als klärungsbedürftig angesehenen Rechtsfragen.
Soweit die Klägerin schließlich eine grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache daraus herleiten will, dass verwaltungsrechtliche Anwaltssachen
nicht durch die aus ihrer Sicht sachnähere Verwaltungsgerichtsbarkeit ent-
schieden werden und die Bundesrechtsanwaltsordnung für die Mitglieder der
Anwaltsgerichtsbarkeit besondere Kenntnisse auf dem Gebiet des Verwaltungs-
rechts nicht vorschreibe, verkennt sie die bereits seit langem höchstrichterlich
erfolgte Klärung, dass der Gesetzgeber bei der Zuweisung verwaltungsrechtli-
che Anwaltssachen an die Anwaltsgerichtsbarkeit innerhalb des ihm verfas-
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sungsrechtlich zukommenden Spielraums gehandelt hat (vgl. nur Senatsbe-
schlüsse vom 20. März 1961 - AnwZ (B) 15/60, BGHZ 34, 382, 386 f.; vom
7. Oktober 2003 - AnwZ (B) 38/02, juris Rn. 4; BVerfG, NJW 1969, 2192).
c) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
(§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen entgegen der Auf-
fassung der Klägerin auch nicht, soweit der Anwaltsgerichtshof das Vorliegen
der Voraussetzungen eines Widerrufs der Zulassung der Klägerin zur Rechts-
anwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO bejaht hat.
aa) Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwalt-
schaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist,
es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet
sind. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete,
schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht
ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.
Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und
Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse
vom 16. April 2007 - AnwZ (B) 6/06, ZVI 2007, 619 Rn. 5; vom 29. Juni 2011
- AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 4; vom 21. April 2016 - AnwZ (Brfg)
1/16, juris Rn. 6; jeweils mwN). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Wi-
derrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist dabei allein auf den Zeitpunkt
des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, vorliegend mithin auf
den Erlass des Widerrufsbescheids der Beklagten vom 15. April 2015, abzustel-
len; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzu-
lassungsverfahren vorbehalten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom
29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, aaO Rn. 9 ff.; vom 9. Juni 2015
- AnwZ (Brfg) 16/15, juris Rn. 7; vom 21. April 2016 - AnwZ (Brfg) 1/16, aaO
Rn. 4; jeweils mwN).
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(1) Hiervon ausgehend hat der Anwaltsgerichtshof mit Recht angenom-
men, dass sich die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt in Vermögensverfall
befunden hat. Nach den von der Klägerin insoweit nicht angegriffenen Feststel-
lungen des Anwaltsgerichtshofs war sie in das vom Vollstreckungsgericht zu
führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) wie folgt eingetragen: Zum einen wegen
Abgabe der Vermögensauskunft am 3. September 2014 vor dem Amtsgericht
B. (mit dem Vermerk, dass eine Gläubigerbefriedigung nicht möglich sei)
aufgrund einer wegen rückständiger Rechtsanwaltskammerbeiträge erfolgten
Zahlungsaufforderung der Beklagten, zum anderen wegen eines Haftbefehls
des Amtsgerichts B. vom 6. November 2014 aufgrund der Vollstreckung aus
einem zugunsten der D. GmbH ergangenen Kostenfestsetzungs-
beschluss.
Der Anwaltsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei die-
ser Sachlage gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbs. 2 BRAO bereits eine gesetzliche
Vermutung für einen Vermögensverfall der Klägerin spricht. Diese gesetzliche
Vermutung hat die Klägerin nicht widerlegt. Nach der ständigen Rechtspre-
chung des Senats muss ein Rechtsanwalt, der im Schuldnerverzeichnis einge-
tragen ist, zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls ein vollstän-
diges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vor-
legen und konkret darlegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhält-
nisse nachhaltig geordnet sind (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 6. Februar 2014
- AnwZ (Brfg) 83/13, BRAK-Mitt. 2014, 164 Rn. 5; vom 4. Februar 2016
- AnwZ (Brfg) 59/15, juris Rn. 5; jeweils mwN).
(2) Dies hat die Klägerin trotz entsprechender Aufforderung der Beklag-
ten nicht getan. Insbesondere hat sie nicht hinreichend dargelegt, dass ihre
Vermögens- und Einkommensverhältnisse - vom maßgeblichen Zeitpunkt des
Widerrufsbescheids aus gesehen - zumindest in absehbarer Zeit nachhaltig
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geordnet sein würden (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Februar 2016 - AnwZ (Brfg)
59/15, aaO Rn. 6). Sie hat auch nicht geltend gemacht, die oben genannten
Forderungen beglichen zu haben. Die Klägerin hat vielmehr in mehreren
Schriftsätzen umfangreich zu den Hintergründen der oben genannten und wei-
terer gegen sie geltend gemachten Forderungen vorgetragen, die sie als Er-
gebnis eines gegen sie und ihren Ehemann geführten "Rache- und Vernich-
tungsfeldzuges" bestimmter Gläubiger ansieht, an dessen Ende sie allerdings
den Kampf gewinnen und über Schadensersatzansprüche gegen diese Gläubi-
ger verfügen werde. Anders als die Klägerin meint, kommt es bei der Beurtei-
lung des Vorliegens eines Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) indes
auf dessen Ursachen und Hintergründe nicht entscheidend an (vgl. Senatsbe-
schlüsse vom 27. Mai 2013 - AnwZ (Brfg) 14/13, juris Rn. 4; vom 18. Februar
2014 - AnwZ (Brfg) 2/14, juris Rn. 4). Auch sind die von der Klägerin vorge-
brachten Einwendungen gegen die den oben genannten Eintragungen im
Schuldnerverzeichnis zugrunde liegenden Forderungen im vorliegenden Ver-
fahren unbehelflich. Gleiches gilt, da es - wie erwähnt - maßgeblich auf den
Zeitpunkt des Widerrufs der Anwaltszulassung ankommt, für die von der Kläge-
rin angeführten möglichen künftigen Schadensersatzforderungen gegen ihre
Gläubiger.
Der Anwaltsgerichtshof hat im Rahmen seiner Erwägungen zum Vermö-
gensverfall der Klägerin mit Recht auch auf deren nur sehr geringes Einkom-
men abgestellt. Nach ihrem eigenen Vortrag verfügt die Klägerin außer einer
Altersrente in Höhe von 567,96 € über keine weiteren Einkünfte und erhält So-
zialhilfe in Gestalt der Grundsicherung im Alter gemäß Kapitel 4 des zwölften
Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XII). Bei dieser Sachlage ist der Anwalts-
gerichtshof mit zutreffenden Erwägungen zu der - durch die Fruchtlosigkeit der
oben genannten und weiterer Vollstreckungsmaßnahmen bestätigten - Beurtei-
lung gelangt, die Klägerin werde ihre schlechten finanziellen Verhältnisse in
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absehbarer Zeit weder ordnen können noch sei sie im Stande, ihren Verpflich-
tungen nachzukommen.
bb) Auch soweit die Klägerin gegen den Widerruf ihrer Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft einwendet, es fehle jedenfalls an einer Gefährdung der In-
teressen der Rechtsuchenden, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, ernstliche
Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu begründen.
(1) Die Klägerin führt hierzu aus, sie habe im Laufe des Jahres 2014 die
wenigen vorhandenen Fremdmandate beendet und beabsichtige, keine
Fremdmandate mehr zu übernehmen, sondern künftig nur noch sich selbst und
ihren Ehemann anwaltlich zu vertreten. Letzteres sei erforderlich, um für den
"anders nicht mehr führbaren", ihren Ehemann und sie selbst "existentiell be-
treffenden Kampf" gegen zwei ihrer Gläubiger "die anwaltliche Möglichkeit der
Selbstvertretung verfügbar zu halten." Zudem habe sie bereits im Juni 2014 bei
der Beklagten einen Antrag auf Befreiung von der Kanzleipflicht gestellt, der
allerdings bisher nicht beschieden worden sei. Auch sei zu berücksichtigen,
dass keine der im Rahmen des Widerrufs ihrer Anwaltszulassung angeführten
Forderungen aus einem Fremdmandat stamme.
(2) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wer-
tung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts
grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden.
Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen
ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem
Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der ge-
setzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen
Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststel-
lungslast trifft. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt jedoch zu-
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mindest voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für
eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maß-
nahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern
(vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 26. August 2013 - AnwZ (Brfg) 31/13, juris
Rn. 5; vom 9. Februar 2015 - AnwZ (Brfg) 46/14, juris Rn. 12; vom 17. März
2016 - AnwZ (Brfg) 6/16, juris Rn. 4; jeweils mwN). Eine solche Ausnahmesitua-
tion ist hier nicht gegeben. Die Klägerin ist nach wie vor Einzelanwältin.
Mit ihrem Vortrag zu den von ihr ergriffenen Maßnahmen, mit denen eine
Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden vermieden werden soll, ver-
mag die Klägerin nicht durchzudringen. Selbst auferlegte Beschränkungen des
in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind nämlich - wie der Senat in
ständiger Rechtsprechung annimmt (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 16. März
2015 - AnwZ (Brfg) 47/14, juris Rn. 6; vom 3. Juni 2015 - AnwZ (Brfg) 11/15,
juris Rn. 8; vom 8. Juni 2016 - AnwZ (Brfg) 18/16, juris Rn. 5; jeweils mwN)
- nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen. Dies
gilt auch für die von der Klägerin vorgetragene Absicht, künftig Fremdmandate
nicht mehr zu übernehmen. Denn wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausge-
führt hat, bleibt es der Klägerin unbenommen, diesen Entschluss wieder zu än-
dern, so dass nicht ausgeschlossen ist, dass ihr künftig Fremdgelder anvertraut
werden und in Bezug auf diese Gelder die Interessen ihrer Mandanten durch
einen möglichen Zugriff der Gläubiger gefährdet werden (vgl. Senatsbeschluss
vom 3. November 2015 - AnwZ (Brfg) 40/15, juris Rn. 7).
2. Die Rechtsache weist entgegen der Auffassung der Klägerin auch kei-
ne besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 112e
Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Soweit die Klägerin Gegenteiliges
aus dem Umfang ihrer Ausführungen zur Ursache und zum Hintergrund der
gegen sie gerichteten Forderungen und der hierauf bezogenen Akten herleiten
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will, greift dies schon deshalb nicht durch, weil es hierauf, wie oben ausgeführt,
für die Beurteilung des Vorliegens des Vermögensverfalls der Klägerin nicht
entscheidend ankommt.
3. Die Klägerin hat schließlich auch keinen Verfahrensfehler dargelegt,
auf dem die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs beruhen kann (§ 112e
Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Sie rügt insoweit eine Verletzung ih-
res Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), da ausweislich des
Urteils des Anwaltsgerichtshofs eine Befassung mit den Anlagen ihres Schrei-
bens vom 23. September 2014 nicht stattgefunden habe.
Diese Rüge geht schon im Ansatz fehl. Nach ständiger höchstrichterli-
cher Rechtsprechung ist das Gericht nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbrin-
gen - hier mit dem (gesamten) Inhalt der oben genannten Anlagen - in den Ent-
scheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103
Abs. 1 GG kann nur festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Um-
ständen des Einzelfalls zweifelsfrei ergibt, dass Vorbringen eines Beteiligten
entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwo-
gen worden ist (vgl. nur BVerfGE 88, 366, 375 f.; BVerfG, NVwZ 2016, 238
Rn. 45; BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288,
300; BVerwG, NVwZ 2015, 656 Rn. 42 mwN). Solche besonderen Umstände
zeigt die Klägerin nicht auf und sind auch sonst nicht ersichtlich. Der Anwaltsge-
richtshof hat vielmehr das vorbezeichnete Schreiben im Tatbestand des ange-
griffenen Urteils sogar ausdrücklich erwähnt und hierbei auch das von der Klä-
gerin in der Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung angeführte
- unter anderem sie selbst als Prozesspartei betreffende - Urteil des Bundesge-
richtshofs im Verfahren V /11 angesprochen und dessen Inhalt bei der
Feststellung der gegen die Klägerin gerichteten Forderungen zu ihren Gunsten
berücksichtigt. Schon von daher gesehen liegt die Annahme der Klägerin, der
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Anwaltsgerichtshof habe die dem genannten Schreiben beigefügten Anlagen
nicht zur Kenntnis genommen, fern. Hinsichtlich des weiteren von der Klägerin
als übergangen gerügten Inhalts dieser Anlagen, der sich auf die Ursachen und
Hintergründe der dem Widerruf der Anwaltszulassung zugrunde gelegten For-
derungen bezieht, fehlt es zudem aus den oben genannten Gründen an der
Entscheidungserheblichkeit. Soweit die Klägerin dies anders beurteilt, verkennt
sie, dass Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht nicht verpflichtet, den Rechtsansich-
ten der Partei zu folgen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 1. Dezember 2014
- AnwZ (Brfg) 36/14, juris Rn. 12).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
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Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte
Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO,
§ 166 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Kayser
Bünger
Remmert
Kau
Wolf
Vorinstanz:
AGH Hamm, Entscheidung vom 21.08.2015 - 1 AGH 19/15 -
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