Urteil des BGH vom 01.12.2014

Betrug, Vergleich, Aufrechnung, Meinungsfreiheit, Rüge

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (Brfg) 29/14
vom
1. Dezember 2014
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen einer missbilligenden Belehrung
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Präsidentin
Limperg, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Remmert und die Rechtsan-
wälte Prof. Dr. Stüer und Dr. Braeuer
am 1. Dezember 2014
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das
Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes
Sachsen-Anhalt vom 7. März 2014 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelas-
sen. Die Sozietät, der er angehört, vertrat drei Mandanten in einem Rechts-
streit, in welchem diese auf Räumung einer Immobilie in Anspruch genommen
wurden. Der Rechtsstreit endete mit einem gerichtlichen Vergleich, in welchem
sich die dortige Klägerin verpflichtete, die außergerichtlichen Kosten von zwei
der drei Mandanten des Klägers zu übernehmen. Gegenüber dem vom Kläger
erwirkten Kostenfestsetzungsbeschluss erklärte die Bevollmächtigte der Ge-
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genseite die Aufrechnung. Der Kläger widersprach. Als die Bevollmächtigte der
Gegenseite erklärte, an der Aufrechnung festhalten zu wollen, antwortete der
Kläger mit einer E-Mail folgenden Inhalts:
"Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin, tun Sie sich doch bitte einen Gefal-
len und überspannen den Bogen nicht. Ihre Ausführungen im Fernkopieschrei-
ben von soeben, 17.31 Uhr, verstehen wir als Betrugsversuch und werden Sie,
sofern Sie nicht umgehend davon Abstand nehmen, bei der Staatsanwaltschaft
anzeigen. Sie sollten schnell handeln, weil wir bei Betrug keinen Spaß verste-
hen und schon gar nicht, wenn ein Rechtsanwalt der Betrüger ist!!!! Mit freundli-
chen Grüßen …".
Mit Schreiben vom 7. Januar 2014 sprach die Beklagte wegen Verstoßes
gegen das Gebot der Sachlichkeit gemäß § 43a Abs. 3 BRAO eine missbilli-
gende Belehrung aus. Die Klage gegen diese Verfügung ist erfolglos geblieben.
Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4
VwGO statthaft. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils beste-
hen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz
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oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Fra-
ge gestellt wird (BVerfGE 110, 77, 83; BVerfG, NVwZ 2000, 1163, 1164; NVwZ-
RR 2008, 1; NJW 2009, 3642; BGH, Beschluss vom 29. Juli 2011 - AnwZ (Brfg)
11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 3; vgl. ferner BVerwG, NVwZ-RR 2004, 542, 543;
Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl.,
§ 112e BRAO Rn. 77).
b) Das angefochtene Urteil ist richtig.
aa) § 43a Abs. 3 BRAO verbietet ein unsachliches Verhalten bei der Be-
rufsausübung des Rechtsanwalts. Unsachlich sind insbesondere herabsetzen-
de Äußerungen, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen
Anlass gegeben haben (§ 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO).
bb) Die Verfahrensbevollmächtigte der Gegenseite hat weder einen voll-
endeten noch einen versuchten Betrug (§ 263 StGB) zum Nachteil der Mandan-
ten des Klägers begangen. Sie hat insbesondere nicht über Tatsachen ge-
täuscht, sondern lediglich eine Auslegung des gerichtlichen Vergleichs vorge-
nommen, die sich auch im Ergebnis als zutreffend erwies: Die Zwangsvollstre-
ckung aus dem fraglichen Kostenfestsetzungsbeschluss wurde für unzulässig
erklärt; die Mandanten des Klägers wurden verurteilt, die vollstreckbare Ausfer-
tigung des Beschlusses herauszugeben.
Zwar ist das Bemühen des Klägers, ein für seine Mandanten günstigeres
Ergebnis zu erreichen, nicht per se zu beanstanden. Hierzu war der Kläger
vielmehr aufgrund des zwischen ihm und seinen Mandanten bestehenden An-
waltsvertrages berechtigt und verpflichtet. Den objektiv falschen, nicht belegba-
ren Vorwurf des Betruges zu erheben, die Bezeichnung der gegnerischen Be-
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vollmächtigten als Betrügerin und die Drohung mit einer Strafanzeige gingen
jedoch weit über dieses legitime Ziel hinaus. Der Kläger hat die gegnerische
Bevollmächtigte, die ihrerseits die Interessen ihrer Mandantin wahrzunehmen
hatte, vielmehr persönlich angegriffen und beleidigt. Einen Anlass hierzu hatte
die gegnerische Bevollmächtigte nicht gegeben. Sie hatte das Anliegen ihrer
Mandantschaft vielmehr sachlich und höflich vorgebracht und erläutert.
cc) Ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot des § 43a Abs. 3 BRAO
wird auch weder durch mangelnde Tatsachenkenntnisse noch durch fehlerhafte
Rechtsansichten gerechtfertigt oder entschuldigt. Soweit der Kläger in diesem
Zusammenhang darauf verweist, dass entgegen der Annahme des Anwaltsge-
richtshofs nicht er, sondern eine Rechtsanwältin U. F. den Gerichts-
termin wahrgenommen und den Vergleich geschlossen habe, belegt dies die
umfänglich beschriebenen Fehlvorstellungen, denen der Kläger deshalb unter-
legen sein will, nicht nachvollziehbar. Unabhängig hiervon hätte der Kläger ge-
rade dann, wenn er nicht auf dem neuesten Stand der Angelegenheit war und
seine diesbezügliche Unwissenheit auch nicht durch Rücksprache mit der bes-
ser unterrichteten Terminsvertreterin beheben wollte, Anlass zu größerer Zu-
rückhaltung gehabt.
dd) Die Beklagte hat schließlich nicht gegen das Übermaßverbot versto-
ßen. Sie hat trotz des erheblichen Fehlverhaltens des Klägers von einer Rüge
nach § 74 BRAO abgesehen und sich auf das vergleichsweise milde Mittel der
missbilligenden Belehrung entsprechend § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO beschränkt.
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (112e Satz 2
BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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a) Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine ent-
scheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage auf-
wirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und des-
halb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwick-
lung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 27. März 2003
- V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; BVerfG, NVwZ 2009, 515, 518; BVerwG,
NVwZ 2005, 709). Zur schlüssigen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung
gehören Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der auf-
geworfenen Rechtsfrage sowie ihre Bedeutung für eine unbestimmte Vielzahl
von Fällen oder ihre Auswirkung auf die Allgemeinheit; begründet werden muss
auch, warum ein korrigierendes Eingreifen des Berufungsgerichts erforderlich
ist.
b) Der Kläger hat keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von
grundsätzlicher Bedeutung dargelegt. Die der missbilligenden Belehrung zu-
grunde liegende Vorschrift des § 43a Abs. 3 BRAO ist ein allgemeines Gesetz
im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG, gegen dessen Verfassungsmäßigkeit keine Be-
denken bestehen (BVerfG, NJW 2008, 2424; NJW-RR 2010, 204 Rn. 25).
Ebenso ist geklärt, dass im Rahmen der Anwendung dieser Vorschrift auf den
zu entscheidenden Fall Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Mei-
nungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und des Grundsatzes der freien Advokatur zu
beachten sind. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass Anwälte weder
Strafanzeigen erstatten noch den Verdacht einer Straftat äußern dürften, hat
der Anwaltsgerichtshof nicht aufgestellt.
3. Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs weicht schließlich nicht von der
Entscheidung eines gleich- oder höherrangigen Gerichts ab (§ 112e Satz 2
BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
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a) Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt dann vor, wenn die
anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet
als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit
einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden
Rechtssatz nicht deckt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003, aaO S. 293).
Sie muss im Zulassungsantrag dargelegt werden, indem der entscheidungser-
hebliche Obersatz der angefochtenen Entscheidung herausgearbeitet und dem
in der Vergleichsentscheidung aufgestellten Rechtssatz gegenüber gestellt wird
(vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2011 - IX ZR 212/08, WM 2011, 1196
Rn. 5 f.).
b) Das vom Kläger zitierte, soweit ersichtlich unveröffentlichte und nicht
in Ablichtung beigefügte Urteil des Landgerichts B. vom 12. Oktober 2004
( ) ist keine Entscheidung eines gleich- oder höherrangigen Gerichts
im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Dass der Anwaltsgerichtshof Rechts-
sätze aufgestellt hätte, die von den in der Begründung des Zulassungsantrags
nachgewiesenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abwichen,
legt der Kläger nicht dar und ist auch nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m.
§ 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO,
§ 52 Abs. 1, 2 GKG. Fehlen Anhaltspunkte für eine Streitwertbestimmung, ist
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für das Klagebegehren der
Regelstreitwert von 5.000 € anzusetzen (§ 52 Abs. 2
GKG).
Limperg
Lohmann
Remmert
Stüer
Braeuer
Vorinstanz:
AGH Naumburg, Entscheidung vom 07.03.2014 - 1 AGH 2/14 -