Urteil des BGH vom 17.08.2011

Ausschluss der Öffentlichkeit, Vergewaltigung, Entlassung, Wohnung, Verkehr

5 StR 263/11
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 17. August 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. August 2011
beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten E. und
Z. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom
16. Dezember 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit diese
Angeklagten verurteilt worden sind.
2. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das ge-
nannte Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Straf-
ausspruch aufgehoben. Die weitergehende Revision die-
ses Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbe-
gründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagten E. und A. wegen
Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ge-
sprochen und zu Freiheitsstrafen von vier Jahren und sechs Monaten bzw.
zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten Z. hat es
wegen sexueller Nötigung verurteilt und unter Einbeziehung anderweitig ver-
hängter Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und
sechs Monaten festgesetzt.
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I.
Die Revisionen der Angeklagten E. und Z. greifen mit
der Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 6 StPO durch. Hierzu hat der Gene-
ralbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 18. Juli 2011 hinsichtlich beider
Rechtsmittel zutreffend ausgeführt:
„1. Die Revision macht erfolgreich geltend, dass vor der erneuten Verneh-
mung der Nebenklägerin am 30. Juni 2010 für den erfolgten Ausschluss
der Öffentlichkeit ein neuer Gerichtsbeschluss gemäß §§ 174 Abs. 1
Satz 2, 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GVG erforderlich gewesen wäre, ein
solcher jedoch nicht ergangen und verkündet worden ist und auch
durch die Bezugnahme des Vorsitzenden auf den vorausgegangenen
Ausschließungsbeschluss der Strafkammer vom 11. Juni 2010 nicht er-
setzt werden konnte.
2.
Die vom Landgericht getroffenen Entscheidungen über den Ausschluss
der Öffentlichkeit sind zwar nach § 171b Abs. 3 GVG insoweit unan-
fechtbar und deshalb der Revision entzogen (§ 336 Satz 2 StPO), als
es sich um die in § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG aufgeführten Vorausset-
zungen für den Ausschluss handelt. Doch kann in einem solchen Fall
die Revision
wie hier
darauf gestützt werden, die Ausschließung der
Öffentlichkeit sei nicht durch einen den Anforderungen des § 174 Abs. 1
GVG entsprechenden Beschluss gedeckt (vgl. BGH StV 1990, 10;
Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 171b GVG Rdnr. 12).
3.
Die Strafkammer hat mit Beschluss vom 11. Juni 2010 die Öffentlichkeit
für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin gemäß §§ 174 Abs. 1
Satz 2, 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GVG ausgeschlossen. Zwar gilt ein
Beschluss, der die Ausschließung der Öffentlichkeit für die Dauer der
Vernehmung eines Zeugen anordnet, grundsätzlich bis zur Beendigung
des Verfahrens und deckt auch den Öffentlichkeitsausschluss, wenn ei-
ne Vernehmung unterbrochen und an einem anderen Verhandlungstag
fortgesetzt wird (vgl. BGH NStZ 1992, 447). Doch wenn derselbe Zeuge
in der laufenden Hauptverhandlung nochmals unter Ausschluss der Öf-
fentlichkeit vernommen werden soll, ist grundsätzlich gemäß §§ 171b,
174 Abs. 1 Satz 2 GVG ein neuer Gerichtsbeschluss erforderlich und
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mithin eine Anordnung des Vorsitzenden, in der auf einen vorausge-
gangenen Ausschließungsbeschluss Bezug genommen wird, nicht aus-
reichend (vgl. BGH NStZ 1992, 447; 2008, 476; 2009, 286, 287;
NStZ-RR 2009, 213, 214).
4.
So lag es hier.
Die Nebenklägerin wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls am
18. Juni 2010 im Einvernehmen sämtlicher Verfahrensbeteiligter als
Zeugin entlassen (PB S. 17). Damit ist ihre Vernehmung abgeschlossen
gewesen und ihre nochmalige Vernehmung am 30. Juni 2010 in nichtöf-
fentlicher Sitzung hat einen neuen Gerichtsbeschluss gemäß § 174
Abs. 1 Satz 2 GVG erfordert. Ein solcher ist ausweislich des Hauptver-
handlungsprotokolls vor der Vernehmung der Zeugin am 30. Juni 2010
nicht ergangen und nicht verkündet worden. In der Sitzungsniederschrift
ist insoweit jeweils vermerkt:
‚Die Öffentlichkeit wurde gemäß Be-
schluss der Kammer vom 11.06.2010, Anlage 3 zum Protokoll, für die
Dauer der Vernehmung der Zeugin K. ausgeschlossen
’ (PB Bl. 20,
21). Das Protokoll ist im Hinblick auf die sonstige Protokollierung von
Beschlüssen in diesem Punkt auch weder lückenhaft noch widersprüch-
lich (vgl. dazu BGH NStZ-RR 2009, 213, 214). Im Übrigen ist die
Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsgegenerklärung vom 25. Mai 2011
dem Vortrag des Beschwerdeführers nicht entgegengetreten, sondern
hat ausgeführt, dass die Verfahrenstatsachen insoweit zutreffend wie-
dergegeben seien. Durch das Protokoll ist daher bewiesen (§ 274
Satz 1 StPO), dass vor der Vernehmung der Zeugin am 30. Juni 2010
der infolge ihrer zuvor angeordneten Entlassung zwingend vorgeschrie-
bene Beschluss des Gerichts nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG nicht er-
gangen, jedenfalls aber nicht verkündet worden ist.
5.
Es liegt auch nicht die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
anerkannte Ausnahme von der Notwendigkeit eines erneuten Gerichts-
beschlusses vor (vgl. BGH StV 2008, 126, 127; NStZ 1992, 447). Da-
nach kann ein solcher entbehrlich sein, wenn dem Protokoll zu entneh-
men ist, dass die Entlassung des Zeugen sofort zurückgenommen wur-
de und die für den Ausschließungsbeschluss maßgebliche Interessen-
lage fortbestand, sodass sich die zusätzliche Anhörung zusammen mit
der vorausgegangenen als eine einheitliche Vernehmung darstellt (BGH
NStZ 1992, 447). So lag der Fall hier aufgrund des zeitlichen Abstands
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und der weiteren Beweisaufnahme zwischen den Vernehmungen er-
sichtlich nicht (die zu § 171b StGB ergangenen Entscheidungen
vgl.
BGH StV 1990, 9 und 10
betrafen jeweils anders gelagerte Sachver-
hal
te).“
II.
Die Revision des Angeklagten A. ist zum Schuldspruch unbe-
gründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat sich aufgrund der als glaubhaft bewerteten
Aussage der Nebenklägerin und des
– später freilich widerrufenen und teil-
weise wieder bestätigten
– Geständnisses dieses Angeklagten davon über-
zeugt, dass der Angeklagte am 18. Januar 2010 dem Mitangeklagten
E. gestattet hatte, zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs mit der
18 Jahre alten Nebenklägerin seine Wohnung zu nutzen und dass die drei
Angeklagten in unterschiedlicher Beteiligung die junge Frau sexuell nötigten.
Das Landgericht hat die Tathandlungen des Angeklagten A. , Kneten
der nackten Brüste, Festhalten der Nebenklägerin auf dem Bett im Zusam-
menhang mit der Ausübung gewaltsam vollzogenen Geschlechtsverkehrs
durch den Mitangeklagten E. und eigener vaginaler Verkehr mit der
Nebenklägerin bis zum für ihn unüberwindbaren Widerstand der jungen Frau
in vollem Einklang mit dem Geständnis festgestellt. Die Annahme mittäter-
schaftlicher Körperverletzung beruht auf einer nachvollziehbaren Bewertung
fehlerfrei festgestellter, im Wesentlichen auf dem Geständnis aufbauender
Umstände (UA S. 21, 37 bis 39). In Übereinstimmung mit der Auffassung des
Generalbundesanwalts ist deshalb auszuschließen, dass sich Fehler des
Landgerichts bei der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Neben-
klägerin auf die Entscheidung über den Schuldspruch hinsichtlich dieses An-
geklagten ausgewirkt haben können.
2. Die dem Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 StGB entnommene Strafe
hält der
– freilich eingeschränkten (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 1980
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– 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320; BGH, Beschluss vom 10. April 1987
– GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349) sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte A.
schon im Haftprüfungstermin am 29. April 2010
– mithin vor der am
7. Mai 2010 erfolgten Eröffnung des Hauptverfahrens
– teilgeständige, sich in
wesentlichen Punkten mit der Aussage der Nebenklägerin deckende Anga-
ben über das Tatgeschehen gemacht hat (UA S. 37). Vor dem Hintergrund
erheblicher Qualitätsmängel in der Aussage der Nebenklägerin (mangelnde
Aussagekonstanz, nicht auszuschließende taktische Lügen), wäre es not-
wendig gewesen, diese frühen Angaben des Angeklagten dahingehend zu
würdigen, ob sie hinsichtlich des Verbrechens gemäß § 177 Abs. 2
Nr. 2 StGB einen Aufklärungserfolg im Sinne des § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB
bewirkt haben (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46b Rn. 14).
b) Die Würdigung des in der Hauptverhandlung abgelegten Geständ-
nisses weist Wertungsfehler zu Lasten des Angeklagten auf.
Schon die Bewertung als bloßes Teilgeständnis begegnet Bedenken,
zumal sich der Angeklagte hinsichtlich des
„Anpackens“ der Nebenklägerin
über deren Aussage in der Hauptverhandlung hinaus selbst belastet hat (UA
S. 21, 27, 30). Das Landgericht hat nicht ersichtlich erwogen, dass das Ge-
ständnis nach den UA S. 39 getroffenen Feststellungen wegen des Drucks
der Mittäter gesteigerter Schuldeinsicht entsprungen und hinsichtlich der Mit-
angeklagten eine
– auch jenseits des § 46b Abs. 1 StGB – gemäß § 46 StGB
zu erwägende Aufklärungshilfe bewirkt haben könnte (vgl. Lackner/Kühl,
StGB, 27. Aufl., § 46b Rn. 6).
c) Die Strafe muss deshalb hinsichtlich des Angeklagten A.
neu bemessen werden. Dies hat auf der Grundlage der bisherigen Feststel-
lungen zu geschehen, die freilich um solche ergänzt werden können, die den
bisher getroffenen Feststellungen nicht widersprechen.
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III.
Zu der neu vorzunehmenden umfassenden Beweiswürdigung hinsicht-
lich der Angeklagten E. und Z. bemerkt der Senat:
Sollte das Geständnis des Angeklagten A.
– nach neuerlicher
kritischer Prüfung
– mit als Grundlage der Beweisführung herangezogen
werden können, lägen hinsichtlich der Aussage der Nebenklägerin die Vo-
raussetzungen der Konstellation Aussage-gegen-Aussage nicht vor. Gleich-
wohl sind die Qualitätsmängel der Zeugenaussage der Nebenklägerin nicht
lediglich
– wie im angefochtenen Urteil – isoliert, sondern in einer Gesamt-
schau zu bewerten (vgl. Brause, NStZ 2007, 505, 512), in die freilich auch
die die Aussage stützenden Umstände einzubeziehen sein werden.
Soweit erneut bewiesen werden sollte, dass die Nebenklägerin vor
den sie bedrängenden Handlungen der Angeklagten einem Anrufer mitteilte,
„sie müssten jetzt loslegen, sie wollten jetzt ficken“ (UA S. 13), wird ange-
sichts des hierdurch eindeutig erklärten Einverständnisses mit nachfolgenden
sexuellen Handlungen zu erwägen sein, dass bei der späteren ersten ableh-
nenden Äußerung der Nebenklägerin dem Angeklagten E. nicht
– wie bisher angenommen – „spätestens“ klar geworden sein musste, dass
es zu keinem freiwilligen Geschlechtsverkehr kommen werde. Der Zeitpunkt
der Vorsatzbildung wird angesichts des zuvor ausdrücklich geäußerten Wil-
lens der Nebenklägerin zur Vornahme des Geschlechtsverkehrs näherer Prü-
fung und Bewertung bedürfen.
Die vom Tatgericht vorgenommenen Sachverhaltsannahmen zuguns-
ten der Angeklagten ohne kritische Prüfung erschweren ersichtlich seine Be-
weisführung. Der Senat weist darauf hin, dass eine Wahrunterstellung nur
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veranlasst ist, soweit keine begründete Aussicht besteht, dass behauptete,
die Angeklagten begünstigende Fallgestaltungen durch eine Beweisaufnah-
me ausgeschlossen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom
27. April 2004
– 3 StR 112/04, NStZ 2004, 614, 615).
Raum Brause Schaal
Schneider Bellay