Urteil des BGH vom 25.03.2015

Leitsatzentscheidung zu Politische Verfolgung, Unterbringung, Psychiatrische Anstalt, Eltern

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 S t R 5 2 5 / 1 3
vom
25. März 2015
BGHSt:
ja
BGHR:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
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StrRehaG § 2 Abs. 1 Satz 2
Die Anordnung der Unterbringung eines Betroffenen in einem Heim für Kinder
oder Jugendliche hat nicht allein deshalb im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2
StrRehaG der politischen Verfolgung gedient, weil sie aus Anlass des Umstan-
des erfolgte, dass die Eltern des Betroffenen infolge ihrer Inhaftierung als Opfer
politischer Verfolgung an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert waren.
BGH, Beschluss vom 25. März 2015 - 4 StR 525/13 - Thüringer OLG
in der Rehabilitierungssache
der
hier: Vorlagebeschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 7. Mai 2013
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts am 25. März 2015 beschlossen:
Die Anordnung der Unterbringung eines Betroffenen in einem
Heim für Kinder oder Jugendliche hat nicht allein deshalb im Sin-
ne des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG der politischen Verfolgung
gedient, weil sie aus Anlass des Umstandes erfolgte, dass die
Eltern des Betroffenen infolge ihrer Inhaftierung als Opfer politi-
scher Verfolgung an der Ausübung der elterlichen Sorge gehin-
dert waren.
Gründe:
I.
Die Betroffene begehrt ihre Rehabilitierung wegen der Unterbringung in
einem Kinderheim der ehemaligen DDR.
Die zum damaligen Zeitpunkt geschiedene Mutter der Betroffenen wurde
durch Urteil des Bezirksgerichts Erfurt vom 20. Oktober 1961 wegen staatsge-
fährdender Hetze gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Strafrechtsergänzungsgesetzes
der DDR zu der Gefängnisstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt.
Sie befand sich vom 9. September 1961 bis zum 9. Mai 1963 in Untersuchungs-
und Strafhaft. Mit Beschluss vom 6. Oktober 1992 hob das Bezirksgericht Erfurt
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das Urteil desselben Gerichts vom 20. Oktober 1961 auf und rehabilitierte die
Mutter der Betroffenen.
Nach ihren im Rehabilitierungsverfahren als zutreffend zugrunde geleg-
ten Angaben wurde die damals 7-jährige Betroffene am Tag der Inhaftierung
ihrer Mutter in das Normalkinderheim „ “ in S.
verbracht, wo sie vom 9. September 1961 bis Anfang Juli 1963 verblieb.
Das Landgericht Erfurt erklärte mit Beschluss vom 29. Oktober 2012 die
vom Rat des Kreises N.
– Jugendhilfeausschuss – vorgenommene
Anordnung der Unterbringung der Betroffenen in Heimerziehung für rechts-
staatswidrig, hob sie auf und stellte
– unter Zurückweisung des Rehabilitie-
rungsantrags im Übrigen
– fest, dass die Betroffene vom 9. September 1961 bis
9. Mai 1963 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat. Gegen diesen Be-
schluss wendet sich die Staatsanwaltschaft, die dem Rehabilitierungsantrag der
Betroffenen entgegengetreten war, mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten
Beschwerde.
II.
Das Thüringer Oberlandesgericht möchte die Beschwerde der Staatsan-
waltschaft verwerfen. Es ist der Auffassung, dass in Fällen, in denen Kinder
oder Jugendliche von den Jugendbehörden der DDR nur deshalb in Heimen
untergebracht wurden, weil ihre Eltern als Opfer politischer Verfolgung inhaftiert
worden waren und deshalb als Betreuungspersonen nicht mehr zur Verfügung
standen, die Anordnung der Heimunterbringung gleichfalls Ausdruck politischer
Verfolgung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG sei und es keiner weiteren
Prüfung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit bedürfe. Denn das Handeln der Verwal-
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tungs- bzw. Jugendbehörde sei eine notwendige Folge des rechtsstaatswidri-
gen Handelns der Justizbehörden, dessen Unrechtsgehalt damit auf die Bewer-
tung des Handelns der Jugendbehörde durchschlage (Thüringer OLG, ZOV
2013, 124; vgl. auch ZOV 2012, 274; ZOV 2012, 134).
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Thüringer Oberlan-
desgericht durch den Beschluss des Kammergerichts vom 13. Dezember 2011
– 2 Ws 443/11 REHA – gehindert. In dieser Entscheidung hat das Kammerge-
richt eine wegen einer Heimunterbringung in der DDR begehrte Rehabilitierung
versagt und dies
– entscheidungstragend – damit begründet, dass sich die Ein-
weisung eines Betroffenen in ein Kinderheim nicht schon deshalb als Maßnah-
me politischer Verfolgung darstelle, weil sie Folge der Verhaftung und Verurtei-
lung seiner Eltern aus Gründen politischer Verfolgung gewesen sei. Die Einwei-
sung in ein Kinderheim sei in diesen Fällen keine unmittelbare, sondern mittel-
bare Folge der politischen Verfolgung der Eltern. Deshalb müsse sie, um der
Rehabilitierung zugänglich zu sein, ihrerseits politisch begründetes Unrecht sein
und sachfremden Erwägungen folgen, die nicht durch den üblichen rechtskon-
formen Zweck der Einweisung
– hier: fürsorgerische Erwägungen – gedeckt
seien (vgl. auch KG, ZOV 2011, 166; ZOV 2011, 211; VIZ 1997, 663).
Das Thüringer Oberlandesgericht hat daher mit Beschluss vom 7. Mai
2013 (ZOV 2013, 124) die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 13 Abs. 4
StrRehaG dem Bundesgerichtshof zur Beantwortung folgender Rechtsfrage
vorgelegt:
„Ist es in den Fällen der Einweisung in ein Kinderheim in der ehemaligen
DDR für die Rehabilitierung des/der Betroffenen gemäß § 2 StrRehaG
ausreichend, wenn die Heimunterbringung ausschließlich deshalb erfolgt,
weil die Eltern ihrerseits Opfer politischer Verfolgung und deshalb inhaf-
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tiert wurden (sog. ‚mittelbare‘ politische Verfolgung) oder bedarf es der
Feststellung einer darüber hinausgehe
nden (‚unmittelbaren‘) eigenen
politischen Verfolgung des betroffenen Kindes/Jugendlichen bzw. weite-
rer sachfremder Erwägungen, die
– über den haftbedingten Ausfall der
bisherigen Erziehungsberechtigten hinaus
– für die Heimunterbringung
ursächlich geword
en sind?“
Der Generalbundesanwalt ist im Ergebnis der Rechtsauffassung des vor-
legenden Oberlandesgerichts beigetreten und hat beantragt zu beschließen:
„Die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Ju-
gendliche in der ehemaligen DDR ist mit wesentlichen Grundsätzen einer
freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar und damit nach § 2
Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 StrRehaG für rechtsstaatswidrig zu
erklären und aufzuheben, wenn sie ausschließlich deshalb erfolgte, weil
die E
ltern als Opfer politischer Verfolgung inhaftiert wurden.“
III.
Die Rechtsansicht des vorlegenden Thüringer Oberlandesgerichts wird
von den Oberlandesgerichten Dresden (ZOV 2013, 63; ZOV 2012, 140) und
Naumburg (OLGSt StrRehaG § 2 Nr. 4) geteilt.
IV.
Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 13
Abs. 4 StrRehaG sind erfüllt. Die Vorlegungsfrage betrifft die
– hier entschei-
dungserhebliche
– Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung in § 2
Abs. 1 Satz 2 StrRehaG, mithin einer Rechtsfrage, die bereits durch ein ande-
res Oberlandesgericht entschieden worden ist. Das Thüringer Oberlandes-
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gericht kann nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von der Entscheidung
des Kammergerichts abzuweichen.
Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlegungsfrage wird nicht dadurch
in Frage gestellt, dass das Thüringer Oberlandesgericht keine Feststellungen
zu den Unterbringungsbedingungen während des Heimaufenthalts der Be-
troffenen getroffen hat. Das vorlegende Oberlandesgericht ist insoweit der An-
sicht, dass bei der Entscheidung über die Rehabilitierung einer Heimunterbrin-
gung infolge der Änderung des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG durch das am
9. Dezember 2010 in Kraft getretene Vierte Gesetz zur Verbesserung rehabili-
tierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehe-
maligen DDR vom 2. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1744), durch welche die Vor-
schrift um die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder
Jugendliche erweitert worden ist, nicht mehr zu prüfen sei, ob sich diese Unter-
bringung im konkreten Fall als Freiheitsentziehung darstellte oder zumindest
unter haftähnlichen Bedingungen erfolgte, weil der Gesetzgeber durch die Ge-
setzesänderung zum Ausdruck gebracht habe, dass jede Heimeinweisung als
Freiheitsentziehung zu behandeln sei. Diese in der oberlandesgerichtlichen
Rechtsprechung einhellig vertretene Rechtsansicht (vgl. Thüringer OLG, ZOV
2012, 134; KG, ZOV 2014, 21; OLG Naumburg, OLGSt StrRehaG § 2 Nr. 4;
OLG Brandenburg, OLGSt StrRehaG § 1 Nr. 11; OLG Rostock, Beschluss vom
14. November 2011
– I Ws RH 24/11; Mützel, ZOV 2013, 98, 100; aA LG Erfurt,
ZOV 2011, 212; Toberer/Plöger, NJ 2012, 328), die sich darauf stützen kann,
dass mit der Aufnahme der Heimeinweisung in die Regelung des § 2 Abs. 1
Satz 2 StrRehaG die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder
oder Jugendliche mit der Einweisung in eine psychiatrische Anstalt gleichge-
stellt worden ist, für die eine gesetzliche Vermutung ihres freiheitsentziehenden
Charakters angenommen wird (vgl. BVerfG, ZOV 2014, 237 [bei juris Rn. 50];
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Thüringer OLG, ZOV 2012, 134; Gesetzentwurf der Bundesregierung zum
Zweiten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht, BR-Drucks. 92/93, S. 149;
Mützel aaO), ist zumindest vertretbar und damit für den Senat im Vorlegungs-
verfahren bindend (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 1974
– 1 StR 366/73,
BGHSt 25, 325, 328).
Im Hinblick darauf, dass die für das Vorlegungsverfahren maßgebliche
rechtliche Divergenz die Auslegung des Merkmals der politischen Verfolgung in
§ 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG betrifft, hat der Senat die Vorlegungsfrage wie folgt
präzisiert und neu gefasst:
„Hat die Anordnung der Unterbringung eines Betroffenen in einem Heim
für Kinder oder Jugendliche allein deshalb im Sinne des § 2 Abs. 1
Satz 2 StrRehaG der politischen Verfolgung gedient, weil sie aus Anlass
des Umstands erfolgte, dass die Eltern des Betroffenen infolge ihrer In-
haftierung als Opfer politischer Verfolgung an der Ausübung der elter-
lichen Sorge gehindert waren?“
V.
Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus dem Tenor er-
sichtlich.
1. Nach § 1 Abs. 1 StrRehaG ist die strafrechtliche Entscheidung eines
staatlichen deutschen Gerichts im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 8. Mai 1945
bis zum 2. Oktober 1990 auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und auf-
zuheben, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechts-
staatlichen Ordnung unvereinbar ist. Mit der Anknüpfung an wesentliche
Grundsätze einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung wollte der Gesetzge-
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ber dasjenige Staa
tsunrecht erfassen, das als „Systemunrecht“ den Einzelnen
unter Missachtung seiner Individualität und Menschenwürde zum Objekt gesell-
schaftspolitischer Zielsetzungen degradierte (vgl. Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zum Ersten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht, BT-Drucks.
12/1608, S. 16). Der in § 1 Abs. 1 StrRehaG im Sinne einer Generalklausel ge-
regelte Maßstab für die strafrechtliche Rehabilitierung wird durch die in § 1
Abs. 1 Nr. 1 und 2 StrRehaG normierten Regelbeispiele dahin konkretisiert,
dass eine Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen
rechtsstaatlichen Ordnung insbesondere dann gegeben ist, wenn die Entschei-
dung politischer Verfolgung gedient hat oder die angeordneten Rechtsfolgen in
grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat stehen.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG finden die Vorschriften des Straf-
rechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auf eine außerhalb eines Strafverfahrens
ergangene gerichtliche oder behördliche Entscheidung, mit der eine Freiheits-
entziehung angeordnet worden ist, entsprechende Anwendung. Dies gilt nach
§ 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG insbesondere für eine Einweisung in eine psychiat-
rische Anstalt sowie eine Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für
Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfrem-
den Zwecken gedient hat. Aufgrund der in § 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG enthal-
tenen Verweisung auf die Generalklausel des § 1 Abs. 1 StrRehaG setzt die
Rehabilitierung wegen einer Heimunterbringung voraus, dass die gerichtliche
oder behördliche Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder
Jugendliche mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen
Ordnung unvereinbar war. Durch die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2
StrRehaG, die ausweislic
h ihres die Formulierung „insbesondere“ verwenden-
den Wortlauts und der Intentionen des Gesetzgebers (vgl. Gesetzentwurf der
Bundesregierung zum Zweiten Gesetz der Bereinigung von SED-Unrecht,
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BR-Drucks. 92/93, S. 149) als Regelbeispiel ausgestaltet ist, wird klargestellt,
dass die materiellen Rehabilitierungsvoraussetzungen erfüllt sind, wenn die An-
ordnung der Heimunterbringung der politischen Verfolgung oder sonst sach-
fremden Zwecken gedient hat.
2. Der Begriff der politischen Verfolgung wird in den Bestimmungen des
Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nicht näher definiert. Die Gesetzes-
materialien beschränken sich insoweit auf den pauschal gehaltenen Hinweis auf
eine politisch-ideologisch motivierte Verfolgung Andersdenkender (vgl. Entwurf
der Bundesregierung zum Ersten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht,
BT-Drucks. 12/1608, S. 16). Zur Auslegung kann indes auf die zum Asylrecht
ergangene Rechtsprechung rekurriert werden (vgl. Schröder in Bruns/Schröder/
Tappert, StrRehaG, § 1 Rn. 80 f.). Danach wohnt dem Begriff der politischen
Verfolgung ein finales Element inne (vgl. BVerwGE 87, 141, 145 mwN). Erfasst
werden Maßnahmen, die ihrem inhaltlichen Charakter nach erkennbar darauf
gerichtet sind, den Betroffenen wegen seiner
– tatsächlich oder vermeintlich
gegebenen
– politischen Überzeugung, religiösen Grundentscheidung oder
eines anderen für ihn unverfügbaren persönlichen Merkmals zu diskriminieren
(vgl. BVerfGE 80, 315, 333 ff. mwN; BVerwG aaO; Jarass in Jarass/Pieroth,
GG, 13. Aufl., Art. 16a Rn. 19). Erforderlich ist eine dem Einzelnen in Anknüp-
fung an eines der genannten Merkmale zielgerichtet zugefügte Rechtsverlet-
zung (vgl. BVerfG aaO). Das mithin bereits aus dem Begriff der politischen Ver-
folgung abzuleitende Erfordernis einer auf die Benachteiligung aus politischen
Gründen abzielenden Zweckbestimmung der Maßnahme wird für die hier in
Rede stehende rehabilitierungsrechtliche Bewertung der Anordnung einer
Heimunterbringung durch eine grammatikalische und systematische Auslegung
des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG bestätigt. Denn gemäß dem Wortlaut der Vor-
schrift muss die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder
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Jugendliche der politischen Verfolgung gerade „gedient“ haben und nach dem
Regelungsgefüge des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG handelt es sich bei dem
Merkmal der politischen Verfolgung lediglich um einen benannten Unterfall
eines mit der Unterbringungsanordnung verfolgten sachfremden Zwecks.
Schließlich gehen auch die Gesetzesmaterialien zum Ersten SED-Unrechts-
bereinigungsgesetz für die Auslegung der gleichgelagerten Vorschrift des § 1
Abs. 1 Nr. 1 1. Halbsatz StrRehaG davon aus, dass die Qualifizierung einer
Entscheidung als Akt politischer Verfolgung eine politisch-ideologische Zweck-
setzung erfordert, die in der Entscheidung erkennbar geworden sein muss (vgl.
Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/1608, S. 17).
Die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Ju-
gendliche hat nach den dargelegten Maßstäben nur dann im Sinne des § 2
Abs. 1 Satz 2 StrRehaG der politischen Verfolgung gedient, wenn sie nach der
ihr erkennbar innewohnenden Zweckbestimmung zumindest auch darauf ab-
zielte, eine politische intendierte Benachteiligung herbeizuführen. Da die Vor-
schrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG nicht auf die Verfolgung gerade des von
der Unterbringung Betroffenen abstellt, ist dabei unerheblich, ob sich der mit
der Anordnung der Unterbringung verfolgte Verfolgungszweck gegen die unter-
zubringende Person selbst oder Dritte richtete. Auch die zur politischen Dis-
ziplinierung von Eltern oder Verwandten angeordnete Heimunterbringung stellt
sich als politische Verfolgung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG dar
(vgl. KG, ZOV 2014, 21; OLG Dresden, ZOV 2011, 259; VerfGH Berlin, Be-
schluss vom 15. Dezember 2014
– 88/13; Mützel, ZOV 2013, 98, 102). Der blo-
ße ursächliche Zusammenhang mit einer gegen die Eltern gerichteten Verfol-
gungsmaßnahme, der bestehen kann, wenn die Anordnung der Unterbringung
in einem Heim für Kinder oder Jugendliche durch die Inhaftierung der die elter-
liche Sorge ausübenden Eltern veranlasst wurde, reicht dagegen nicht aus, um
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die Unterbringungsanordnung selbst als Akt der politischen Verfolgung zu quali-
fizieren.
3. Die gegenteilige Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts ist
zudem mit dem Regelungskonzept des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgeset-
zes nicht zu vereinbaren. Anknüpfend an die in Art. 18 Abs. 1 und Art. 19 des
Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889) geregelte fortbeste-
hende Wirksamkeit von Entscheidungen der Gerichte und der Verwaltungsbe-
hörden der DDR hat sich der Gesetzgeber mit dem durch das Erste SED-
Unrechtsbereinigungsgesetz vom 29. Oktober 1992 (BGBl. I S. 1814) geschaf-
fenen Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz für eine Konzeption der Rehabili-
tierung entschieden, die eine einzelfallbezogene Überprüfung der vom Straf-
rechtlichen Rehabilitierungsgesetz formell erfassten Entscheidungen und sons-
tigen Maßnahmen der Gerichte und Behörden der DDR auf Antrag des Be-
troffenen anhand gesetzlich festgelegter materieller Kriterien vorsieht (vgl. Ge-
setzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/1608, S. 17). Eine die ange-
griffene Entscheidung aufhebende und den Betroffenen rehabilitierende Ent-
scheidung kann nur ergehen, wenn im Einzelfall festzustellen ist, dass hinsicht-
lich der konkret in Rede stehenden Entscheidung die materiellen Rehabilitie-
rungsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. zu dem aus § 10 Abs. 2 StrRehaG resul-
tierenden Beweismaß BVerfG, ZOV 2014, 237 [bei juris Rn. 55]). Die Nicht-
erweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen geht zu Lasten des Antrag-
stellers; der strafprozessuale Zweifelssatz findet keine Anwendung (vgl. BVerfG
aaO und VIZ 2000, 376). Dieses auf eine einzelfallbezogene Überprüfung ein-
zelner Entscheidungen und Maßnahmen abstellende Regelungskonzept des
Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes schließt es aus, für die Anwendung
des Regelbeispiels des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG auf ein nicht näher konkre-
tisiertes unteilbares Verfolgungsschicksal der Familie abzustellen (so OLG
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Naumburg, OLGSt StrRehaG § 2 Nr. 4) oder den Unrechtscharakter der politi-
schen Verfolgung der Eltern allein deshalb auf die Anordnung der Heimunter-
bringung „durchschlagen“ zu lassen, weil die Heimeinweisung der durch die
Inhaftierung der Eltern entstandenen tatsächlichen Situation Rechnung trug.
4. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Mützel, ZOV
2013, 98, 103; Wapler in Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bun-
desländer, Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR
– Expertisen, 5, 95)
kann die Einstufung einer in der Folge der politisch intendierten Inhaftierung der
Eltern erfolgten Heimeinweisung als Akt politischer Verfolgung schließlich nicht
unter Rückgriff auf die in der asylrechtlichen Rechtsprechung anerkannte, unter
bestimmten Voraussetzungen für die minderjährigen Kinder eines Verfolgten
geltende Vermutung einer eigenen politischen Verfolgung (vgl. BVerwGE 75,
304, 312; 79, 244, 245 f.; Randelzhofer in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG,
Art. 16a Abs. 1 Rn. 64 [Stand: März 2007]; Jarass aaO Rn. 12) begründet wer-
den. Denn einer Übertragung dieser asylrechtlichen Vermutung in das Recht
der Rehabilitierung stehen die unterschiedlichen Zielrichtungen des Asylrechts
einerseits und des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes andererseits ent-
gegen. Während im Asylrecht die Frage der Gewährung von Schutz vor staat-
licher Verfolgung im Fokus steht und die widerlegbare Vermutung einer eigenen
politischen Verfolgung der minderjährigen Kinder in diesem Kontext dazu dient,
den personellen Schutzbereich des Asylrechts zu erweitern, um einer prognos-
tisch zu berücksichtigenden potentiellen Gefährdungslage Rechnung zu tragen
(vgl. BVerwG aaO), geht es im Rahmen des Rehabilitierungsrechts um die
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Wiedergutmachung für staatliches Unrecht der DDR und die in diesem Zusam-
menhang vorzunehmende retrospektive Bewertung von durch Gericht und Be-
hörden der DDR getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen.
Mutzbauer
RinBGH Roggenbuck ist infolge
Urlaubs an der Unterschriftsleis-
tung gehindert.
Mutzbauer
Cierniak
Franke
Bender