Urteil des BGH vom 03.03.2016

Einstellung des Verfahrens, Wette, Internet, Versuch

ECLI:DE:BGH:2016:030316U4STR496.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 496/15
vom
3. März 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Computerbetruges u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. März 2016,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung -
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung -
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
der Angeklagte S. in Person,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten R. ,
der Angeklagte H. in Person,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten H. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
des Landgerichts Bochum vom 30. April 2015 mit den zu-
gehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit in den Fäl-
len II.1, 2 und 5 der Urteilsgründe die Angeklagten
S. und H. freigesprochen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
2. Im Übrigen werden die Revisionen verworfen.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels hin-
sichtlich des Angeklagten R. und die diesem Angeklag-
ten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen einer Steuer-
straftat zu einer Geldstrafe verurteilt und ihn
– ebenso wie den Angeklagten
H.
– in vier weiteren Fällen vom Vorwurf des täterschaftlichen bzw. als
Teilnehmer begangenen (gewerbs- und bandenmäßigen) Betrugs freigespro-
chen. Den Angeklagten R. hat es im Fall VII. der Urteilsgründe ebenfalls frei-
gesprochen; in den Fällen II.1, 2 und 5 hat es das Verfahren gegen ihn einge-
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stellt. Mit Ausnahme des Steuervergehens des Angeklagten S. wendet
sich die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revi-
sionen gegen dieses Urteil. Hinsichtlich der Angeklagten S. und H.
erzielen die Rechtsmittel den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Teiler-
folg; im Übrigen erweisen sich die Revisionen als unbegründet.
I.
Nach den Feststellungen wettete der Angeklagte R. von den Nieder-
landen aus auf die Ergebnisse der Fußballspiele des P. gegen den
M. am 18. Mai 2008 (Fall II.1 der Urteilsgründe), Ha.
gegen P. am 26. September 2008 (Fall II.2 der Urteilsgründe) und
M. gegen P. am 23. November 2008 (Fall II.5 der Ur-
teilsgründe). Vor der ersten Wette hatten die Angeklagten S. , damals
Berufsfußballspieler bei dem P. , und H. dem Angeklagten R.
bei einem Treffen in den Niederlanden vorgespiegelt, S. werde zusam-
men mit zwei Abwehrspielern für eine Niederlage seines Vereins sorgen; hierfür
zahlte R. 30.000
€ an S. und H. , die das Geld untereinander
aufteilten. Mindestens den gleichen Betrag erhielten S. und H. in
der Woche nach dem 18. Mai 2008
als Vorschuss „für das nächste Spiel“. Eini-
ge Tage vor dem 26. September 2008 rief H. in Absprache mit S.
R. an und teilte ihm mit, dass die Begegnung Ha. gegen
P.
„das nächste Spiel“ sei. Auch vor der erneuten Begegnung des
M. gegen P. am 23. November 2008 rief H. R. in den
Niederlanden an und gab vor, dass S. und drei weitere Spieler auf eine
Niederlage ihres Vereins hinwirken würden. R. war aber nicht mehr bereit, im
Vorfeld des Spiels Geld zu zahlen. H. sagte S. , dass sie mit Si-
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cherheit nach dem Spiel Geld bekommen würden, wenn R. seine Wette ge-
winnen würde.
In allen drei Fällen setzten R. und ein Geschäftspartner
– im Vertrau-
en auf die Ernsthaftigkeit der Manipulationszusage
– bei in Asien ansässigen
Wettanbietern jeweils mindestens 100.000
€ auf eine Niederlage des
P. . Sie verteilten die Platzierungen auf verschiedene Internet-Wettkonten,
weil die Wettanbieter zur Vorbeugung vor Wettbetrug in den Datenverarbei-
tungsprogrammen Höchstgrenzen für Wetteinsätze festgelegt hatten, bei deren
Überschreitung die Wette nicht mehr automatisiert, sondern erst nach einer
persönlichen Kontrolle durch einen Mitarbeiter erfolgen durfte. Die Wetten wur-
den daher von den asiatischen Anbietern maschinell
– ohne Prüfung – und in
Unkenntnis der Manipulationszusage angenommen. In den ersten beiden Fäl-
len trafen die Wetten zu und R. sowie sein Geschäftspartner erhielten min-
destens das 1,8-fache ihrer jeweiligen Wetteinsätze als Gewinn ausbezahlt. Im
Fall II.5 der Urteilsgründe ging die Wette verloren.
Im Fall VII. der Urteilsgründe hatte die Staatsanwaltschaft den Angeklag-
ten zur Last gelegt, bereits die Manipulation des Spiels P. gegen
A. am 11. Mai 2008 verabredet zu haben. In diesem Fall hat
das Landgericht die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
II.
1. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sind wirksam auf die Fälle
II.1, 2 und 5 sowie VII. der Urteilsgründe beschränkt.
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2. Die Revisionen sind unbegründet, soweit sie sich gegen den Frei-
spruch der Angeklagten im Fall VII. der Urteilsgründe wenden. Die Staatsan-
waltschaft hat ihre Aufhebungsanträge zwar auf diesen Fall erstreckt. Sie hat
aber die Rechtsmittel insoweit
– entgegen Nr. 156 Abs. 2 RiStBV – lediglich mit
der allgemeinen Sachrüge begründet. Die Rechtsmittel sind in diesem Umfang
offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO; vgl. hinsichtlich des Angeklag-
ten R. zum Vorrang des Freispruchs vor der Einstellung des Verfahrens we-
gen eines Verfahrenshindernisses KK-StPO/Ott, 7. Aufl., § 260 Rn. 50a mwN;
Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., Einl. Abschn. K Rn. 43; Stucken-
berg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 260 Rn. 38; HK-StPO/Julius,
5. Aufl., § 260 Rn. 8).
3. Erfolg hat die Staatsanwaltschaft hingegen, soweit sie sich mit ihren
Rechtsmitteln gegen den Freispruch der Angeklagten S. und H. in
den Fällen II.1, 2 und 5 der Urteilsgründe wendet.
a) Zwar ist die Wertung des Landgerichts, S. und H. hätten
sich an den Haupttaten des R. lediglich als Anstifter oder Gehilfen (UA 24)
beteiligt, unter Berücksichtigung des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums
(vgl. BGH, Urteile vom 20. Januar 1998
– 5 StR 501/97, NStZ-RR 1998, 136,
und vom 17. Januar 2002
– 4 StR 482/01) vertretbar. Seine Annahme, R.
habe im Fall II.1 der Urteilsgründe lediglich einen untauglichen Versuch des
Computerbetrugs und in den Fällen II.2 und 5 jeweils einen untauglichen Ver-
such des banden- und gewerbsmäßigen Computerbetrugs begangen und die
Angeklagten S. und H. hätten dies gewusst (vgl. zur Straflosigkeit
der Teilnahme in dieser Konstellation BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2006
– 3 StR 392/06, NStZ 2007, 531, 532, und vom 28. Mai 2013 – 3 StR 68/13,
BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 11), erweist sich indes als rechtsfehlerhaft.
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aa) Zu den Fällen II.1 und 2 der Urteilsgründe
(1) Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2012
(4 StR 580/11, Rn. 57 ff., NJW 2013, 1017 f.) eine Strafbarkeit des Wettenden
wegen
– ggf. vollendeten – Computerbetrugs gemäß § 263a StGB beim
„Sportwettenbetrug“ in den Fällen des Abschlusses von Wettverträgen über das
Internet bejaht. Danach sind die Voraussetzungen der Tatmodalität des unbe-
fugten Verwendens von Daten im Sinne des § 263a Abs. 1 StGB erfüllt (be-
trugsspezifische Auslegung). Die Täuschungsäquivalenz ist in Fällen wie den
vorliegenden, in denen die Wetten über das Internet automatisiert abgeschlos-
sen werden, jedenfalls dann zu bejahen, wenn
– wie hier – die Datenverarbei-
tungsprogramme durch die Festlegung von Höchstgrenzen für Wetteinsätze
den Willen der Wettanbieter dokumentieren, Wetten auf manipulierte Spiele gar
nicht oder jedenfalls nicht zu den gegebenen Wettquoten zuzulassen. Daraus
ergibt sich auch, dass der Wettanbieter Wetten auf manipulierte Spiele nicht
angenommen hätte, und zwar selbst dann nicht, wenn der Bestochene tatsäch-
lich nicht bereit oder in der Lage war, auf das Spielergebnis Einfluss zu nehmen
(vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2012
– 4 StR 580/11, Rn. 62, aaO).
(2) In den Fällen II.1 und 2 der Urteilsgründe, in denen die Wettanbieter
den entsprechend der vereinbarten Quote berechneten Gewinn ausbezahlt und
dadurch für sich einen Vermögensverlust in Höhe der Differenz zwischen Wett-
einsatz und Wettgewinn herbeigeführt haben, ist jeweils Vollendung mit einem
Schaden in dieser Höhe eingetreten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember
2012
– 4 StR 580/11, Rn. 63, aaO; vgl. auch zu § 263 StGB BGH, Urteile vom
20. Dezember 2012
– 4 StR 55/12, Rn. 22 ff., BGHSt 58, 102, 108 ff., und 4 StR
125/12, Rn. 35, wistra 2013, 186, 189).
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(3) Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts vermag nicht zu
überzeugen. Es hat in den Fällen II.1 und 2 der Urteilsgründe lediglich eine
Versuchsstrafbarkeit von R. angenommen; einer Vollendung stünde entge-
gen, dass die Spiele in Wahrheit nicht manipuliert gewesen seien. Seine An-
nahme (UA 23 f.), der Senat habe die vorliegende Konstellation lediglich vorge-
täuschter Manipulationsbereitschaft noch nicht entschieden, beruht indes auf
einem Missverständnis des Senatsbeschlusses vom 20. Dezember 2012 (4 StR
580/11).
Dort hatte der Senat die damals vom Landgericht Bochum getroffenen
Feststellungen zugrunde zu legen: Bei den Wetten gingen die Wettenden von
der Ernsthaftigkeit der gegen Zahlung teilweise hoher Geldbeträge erhaltenen
Zusagen von Spielern oder Schiedsrichtern aus. Die tatsächliche Bereitschaft
dieser Geldempfänger zur Manipulation konnte indes ebenso wenig sicher fest-
gestellt werden wie deren Einflussnahme auf den Spielverlauf (BGH, Beschluss
vom 20. Dezember 2012
– 4 StR 580/11, Rn. 5, NJW 2013, 1017). Gleichwohl
hat der Senat die Verurteilung der damals Angeklagten wegen vollendeten
Computerbetrugs in den Fällen, in denen die Wetten Erfolg hatten, unter dem
Gesichtspunkt des „Erfüllungsbetrugs“ bestätigt. In den Fällen, in denen die
Wetten verloren gingen, hat der Senat das Urteil zur Feststellung eines Vermö-
gensschadens unter dem Gesichtspunkt des „Eingehungsbetrugs“ aufgehoben
und an das Landgericht zurückverwiesen. An der Auffassung, dass der Bereit-
schaft der Geldempfänger zur Manipulation oder zu einer tatsächlichen Ein-
flussnahme auf den Spielverlauf keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu-
kommt, hält der Senat fest.
(4) Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung kann daher eine
Teilnahmestrafbarkeit der Angeklagten S. und H. in den Fäl-
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len II.1 und 2 der Urteilsgründe nicht verneint werden; dass eine solche aus
sonstigen Gründen von vornherein ausscheidet, ist nicht ersichtlich.
bb) Zum Fall II.5 der Urteilsgründe
In diesem Fall hat das Landgericht zwar nach § 154a Abs. 2 StPO
„ein(en) etwaige(n) Quotenschaden“ (und damit die Frage der Vollendung der
Haupttat) von der Strafverfolgung ausgenommen. Der verbleibende Versuch ist
aber nach dem vorstehend Ausgeführten ein tauglicher, sodass sich auch in
diesem Fall die vom Landgericht angenommene Straflosigkeit der Angeklagten
S. und H. als rechtsfehlerhaft erweist.
b) Die Sache bedarf daher in den Fällen II.1, 2 und 5 der Urteilsgründe
neuer Verhandlung und Entscheidung; einem Schuldspruch durch den Senat
steht entgegen, dass die Angeklagten S. und H. sich nicht gegen
die sie belastenden Feststellungen des angefochtenen Urteils zur Wehr setzen
konnten.
Auf die vom Generalbundesanwalt aufgeworfene Frage, ob sich die An-
geklagten S. und H. wegen Betrugs zum Nachteil des Mitange-
klagten R. strafbar gemacht haben, kommt es für die Entscheidung des Se-
nats nicht an. Daher bedarf es auch keiner Entscheidung, ob dieser rechtliche
Gesichtspunkt von den Anklagen umfasst ist.
4. Die Einstellung des Verfahrens gegen den Angeklagten R. in den
Fällen II.1, 2 und 5 der Urteilsgründe weist keinen Rechtsfehler auf.
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In diesen Fällen steht der Verfolgung des Angeklagten R. , eines nie-
derländischen Staatsangehörigen, das Fehlen der deutschen Strafgerichtsbar-
keit und damit ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis entge-
gen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1986
– 3 StR 472/85, BGHSt 34, 1, 3 f.;
Beschluss vom 12. Juli 2001
– 1 StR 171/01, NJW 2001, 3717 f.). R. hat in
den genannten Fällen den Computerbetrug zum Nachteil der asiatischen
Wettanbieter von den Niederlanden aus begangen. Ein inländischer Tatort im
Sinne der §§ 3, 9 Abs. 1 StGB ist den Feststellungen nicht zu entnehmen und
auch sonst nicht ersichtlich. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstan-
des, dass als Erfolgsort auch der Ort sogenannter Zwischenerfolge in Betracht
kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2012
– 1 StR 154/12, StraFo
2013, 73, zu § 263 StGB; SSW-StGB/Satzger, 2. Aufl., § 9 Rn. 5 mwN). Aus
den Handlungen der Angeklagten S. und H. kann sich für R.
schon deswegen kein inländischer Tatort ergeben, weil deren Verhalten R.
nicht nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann (vgl. oben Ziff. II.3.a).
Das deutsche Strafrecht ist auch nicht über § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB an-
wendbar, schon weil der Angeklagte R. nicht im Inland betroffen wurde (vgl.
LK-StGB/Werle/Jeßberger, 12. Aufl., § 7 Rn. 94). Außerdem wurde ein Ausliefe-
rungsersuchen „innerhalb angemessener Frist“ (vgl. dazu MüKoStGB/Ambos,
2. Aufl., § 7 Rn. 29) nicht gestellt.
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III.
Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird auch die Art der
Beteiligung der Angeklagten S. und H. neu zu bewerten und ggf.
die Frage der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts im Fall II.1 der Urteilsgrün-
de näher zu prüfen haben.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender
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