Urteil des BGH vom 10.09.2015

Direkter Vorsatz, Untauglicher Versuch, Bedingter Vorsatz, Ermittlungsverfahren

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 S t R 1 5 1 / 1 5
vom
10. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Verletzung des Dienstgeheimnisses u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Septem-
ber 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richter am Oberlandesgericht
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Angeklagte in Person,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Detmold vom 16. Dezember 2014 mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung
– auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Verlet-
zung des Dienstgeheimnisses zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je
150 Euro verurteilt. Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revi-
sion rügt die Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte nicht auch wegen ver-
suchter Strafvereitelung gemäß § 258 StGB verurteilt worden ist. Das von dem
Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte ist Leitender Polizeidirektor. Seit Mitte Juni 2011 ist er
bei der Kreispolizeibehörde P.
als „Leiter Polizei“ tätig.
1
2
3
- 4 -
Anfang Januar 2014 ging bei der von ihm geleiteten Polizeibehörde das
Schreiben eines angeblichen M. ein. Darin wurde behauptet, dass
beim polizeiärztlichen Dienst sowie auch bei der Verkehrspolizei in D.
„seit Jahren“ bekannt sei, dass der Verwaltungsleiter der Polizei L. ,
W. , über Jahre kostenlos Medizin von dem Leiter des polizeiärztlichen
Dienstes in D. , Dr. K. , erhalten habe, obwohl ihm dies nicht
zugestanden habe. Um strafrechtliche Bewertung dieses Verhaltens und weite-
re Veranlassung werde gebeten. W. leitete die Direktion Zentrale
Aufgaben bei der D. Polizei und hatte als Angehöriger der Kreisverwal-
tung zu keiner Zeit Anspruch auf freie Heilfürsorge und Medikamente aus dem
polizeiärztlichen Dienst.
Das Schreiben wurde dem Angeklagten in seiner Eigenschaft als Leiter
der Kreispolizeibehörde von einem Beamten der Kriminalpolizei am 9. Januar
2014 vorgelegt. Er erklärte daraufhin, sich selbst um die Angelegenheit küm-
mern zu wollen. Nach einer vorläufigen Bewertung gelangte er zu dem Ergeb-
nis, dass die erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe letztlich haltlos sein würden
und hielt die Unterstellungen in dem Schreiben für belanglos. Ihm war aber
auch klar, dass aufgrund der in dem Schreiben benannten Personen und Tat-
sachen strafrechtliche Ermittlungen gegen Dr. K. geführt werden
würden und auch die polizeiinternen Vorgänge bei der geschilderten Medika-
mentenabgabe aufgeklärt werden mussten. Zugleich sorgte sich der Angeklagte
um den ihm seit Jahren als zuverlässig und vertrauenswürdig bekannten
Dr. K. , weil dieser aus anderem Anlass kurz zuvor
– aus Sicht des
Angeklagten unberechtigt
– in der Presse massiv kritisiert worden war. Er be-
fürchtete, dass der unter der Berichterstattung in den Medien sehr leidende
Dr. K. aufgrund der Vorwürfe in dem anonymen Schreiben erneut
in die Schusslinie der Presse geraten könnte. Daneben fühlte er sich
4
5
- 5 -
Dr. K. auch deshalb verpflichtet, weil ihm dieser in einer Personal-
angelegenheit schnell und unbürokratisch geholfen hatte. Der Angeklagte ent-
schloss sich daher spontan dazu, Dr. K. von dem Schreiben und dem
darin gegen ihn erhobenen, nach Meinung des Angeklagten unberechtigten,
Vorwurf zu unterrichten. Dabei war er sich darüber im Klaren, dass er in seiner
dienstlichen Eigenschaft als Leitender Polizeidirektor in dieser Angelegenheit
zur Verschwiegenheit verpflichtet war und deshalb mit Dr. K. nicht
über das anonyme Schreiben und dessen Inhalt sprechen durfte. Über seine
Dienstpflichten setzte sich der Angeklagte jedoch ganz bewusst hinweg, weil es
ihm wichtiger war, Dr. K. zu warnen. Dabei war ihm als erfahrenem
Polizeibeamten auch bewusst, dass die Staatsanwaltschaft möglicherweise
gleichwohl ein Ermittlungsverfahren einleiten würde und er dieses gefährdete,
weil er Dr. K. durch seine Vorabinformation die Möglichkeit eröffnete,
rechtzeitig etwaige Beweismittel zur Seite zu schaffen und eine Verteidigungs-
strategie zu entwickeln. Dies nahm er billigend in Kauf.
Der Angeklagte rief daher am 10. Januar 2014 Dr. K. an, un-
terrichtete ihn über den Eingang des anonymen Schreibens und verriet ihm
dessen Inhalt. Dabei machte er deutlich, dass die Medikamentenabgabe in sei-
nen Augen rechtlich nicht zu beanstanden sei. Im weiteren Gesprächsverlauf
sprachen der Angeklagte und Dr. K. auch darüber, dass die Vorfälle
schon Jahre zurücklägen. Der Angeklagte meinte dazu, dass etwaige Straftaten
dann ja ohnehin verjährt seien. Selbst wenn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet
werden würde, werde die Staatsanwaltschaft es letzten Endes sicher auch so
sehen, „dass an der Sache nichts dran sei“. Gleichwohl müsse er das Schrei-
ben an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.
6
- 6 -
Noch am 10. Januar 2014 unterrichtete der Angeklagte den Leiter der
Staatsanwaltschaft P. telefonisch über den Inhalt des anonymen
Schreibens. Am 15. Januar 2014 übergab er das Schreiben persönlich dem
Leitenden Oberstaatsanwalt. Die Staatsanwaltschaft P. leitete das
Schreiben zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft D. weiter, die
daraufhin am 24. Januar 2014 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts
der Untreue gegen Dr. K. einleitete. Nachdem Dr. K. an-
lässlich eines in anderer Sache geführten Gesprächs mit der Polizeipräsidentin
in B. darüber berichtet hatte, dass er von dem Angeklagten über das
anonyme Schreiben informiert worden sei, wurde auch gegen den Angeklagten
ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Am 18. März 2014 wurde bei dem Angeklagten, Dr. K. und
W. gleichzeitig durchsucht. Mit Verfügung vom 15. August 2014
stellte die Staatsanwaltschaft D. das Ermittlungsverfahren gegen
Dr. K. nach § 153 StPO ein, weil die Konkretisierung des von
Dr. K. in nicht verjährter Zeit verursachten Schadens weiterer Ermitt-
lungen bedurft hätte, die zum möglichen Schadensumfang außer Verhältnis
gestanden hätten. Das Ermittlungsverfahren gegen W. wurde am
15. August 2014 von der Staatsanwaltschaft D. gegen Zahlung einer
Geldauflage in Höhe von 4.500 Euro nach § 153a StPO vorläufig eingestellt.
2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als vorsätzliche
Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353b Abs. 1 StGB bewertet.
Eine versuchte Strafvereitelung gemäß § 258 Abs. 1 und 4, §§ 22, 23 Abs. 1
StGB liege nicht vor, weil sich eine von Dr. K. in unverjährter Zeit
begangene Vortat nicht feststellen lasse. Auch sei „der für § 258 Abs. 1 StGB
erforderliche (direkte) Vorsatz zur Strafvereite
lung nicht feststellbar“. Die Ein-
7
8
9
- 7 -
lassung des Angeklagten, er habe in dem Vorwurf gegen Dr. K. kein
strafrechtsrelevantes Verhalten gesehen, sei nicht widerlegbar. Die insofern
gegen den Angeklagten sprechenden Umstände
– langjährige Berufserfahrung,
juristische Kenntnisse, Erwartung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfah-
rens
– begründeten selbst in ihrer Gesamtschau nicht die für eine Verurteilung
erforderliche sichere Überzeugung von einem Strafvereitelungsvorsatz.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Die Begründung, mit der das Landgericht die Annahme einer versuch-
ten Strafvereitelung gemäß § 258 Abs. 1 und 4, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB verneint
hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Erwägungen zur inneren Tatseite lassen besorgen, dass die Straf-
kammer bei der Bewertung des Beweisergebnisses teilweise von einem unzu-
treffenden Maßstab ausgegangen ist.
aa) Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hin-
sicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich
auf alle Umstände des äußeren Tatbestandes bezieht. Bei der Strafvereitelung
nach § 258 Abs. 1 StGB ist dabei in Bezug auf die Tathandlung und den Verei-
telungserfolg direkter Vorsatz („absichtlich oder wissentlich“) erforderlich, wäh-
rend für die Kenntnis der Vortat bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. BGH, Urteil
vom 19. Mai 1999
– 2 StR 86/99, BGHSt 45, 97, 100; Fischer, StGB, 62. Aufl.,
§ 258 Rn. 33; Walter in: LK-StGB, 12. Aufl., § 258 Rn. 112 f. mwN). Eine ge-
10
11
12
13
- 8 -
naue Vorstellung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht ist dabei nicht erfor-
derlich (vgl. Jahn in: SSW-StGB, 2. Aufl., § 258 Rn. 29). Die subjektiven Vor-
aussetzungen für die Annahme einer versuchten Strafvereitelung liegen daher
vor, wenn der Täter es
– ungeachtet fortbestehender Zweifel – nur für möglich
gehalten hat, dass eine Straftat begangen worden ist und die von ihm daraufhin
ins Auge gefasste Handlung darauf abzielt, für den Fall, dass tatsächlich eine
Straftat vorliegt, eine Bestrafung des Vortäters zumindest für geraume Zeit zu
verhindern (vgl. RG, Urteil vom 19. November 1920
– II 1176/20, RGSt 55, 126
zu § 257 StGB aF).
bb) Diese Abstufung der Vorsatzformen hat das Landgericht nicht er-
kennbar beachtet. Seine
Wendung, dass „der für § 258 Abs. 1 StGB erforderli-
che (direkte) Vorsatz zur Strafvereitelung nicht feststellbar“ sei, weil die Einlas-
sung des Angeklagten, kein strafrechtsrelevantes Verhalten gesehen zu haben,
nicht widerlegt werden könne, legt nahe, dass das Landgericht auch in Bezug
auf die Kenntnis von der Vortat angenommen hat, es müsse ein direkter Vor-
satz nachweisbar sein. Da die Strafkammer nicht positiv festzustellen vermoch-
te, dass der Angeklagte „kein strafrechtsrelevantes Verhalten gesehen“ hat,
sondern sich lediglich nicht in der Lage sah, die für eine Verurteilung erforderli-
che „sichere Überzeugung“ vom Vorliegen des zuvor von ihm geforderten direk-
ten Vorsatzes zu gewinnen, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die
Strafkammer zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn sie das Beweis-
ergebnis unter der zutreffenden Prämisse (ob der Angeklagte eine Straftat des
Dr. K. im Zusammenhang mit dem angezeigten Sachverhalt für mög-
lich gehalten hat) bewertet hätte.
b) Außerdem hat das Landgericht in diesem Zusammenhang nicht er-
kennbar bedacht, dass eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter
14
15
- 9 -
Strafvereitelung selbst dann in Betracht kommen kann, wenn er die Begehung
einer Vortat nur irrtümlich für möglich gehalten hat. In diesem Fall läge ledig-
lich ein untauglicher Versuch vor (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1960
– 4 StR 402/60, BGHSt 15, 210 zur Begünstigung im Amt gemäß § 346 StGB
aF; Walter in: LK-StGB, 12. Aufl., § 258 Rn. 143 f.; Jahn in: SSW-StGB, 2. Aufl.,
§ 258 Rn. 30; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 258 Rn. 37 mwN).
2. Die nach § 301 StPO gebotene Überprüfung des Urteils auch zuguns-
ten des Angeklagten hat keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Da
zwischen einer möglichen Verurteilung nach § 258 StGB und der
– an sich
rechtsfehlerfreien
– Verurteilung wegen § 353b StGB Tatidentität bestünde, ist
auch diese aufzuheben. Denn nur auf diese Weise kann verhindert werden,
dass der nicht vom Rechtsfehler betroffene Teil in Rechtskraft erwächst, was
einer weiteren Verfolgung derselben Tat unter dem rechtlichen Gesichtspunkt,
der Anlass zur Aufhebung gegeben hat, wegen des Verbots aus Art. 103 Abs. 3
GG entgegenstünde (BGH, Urteil vom 20. Februar 1997
– 4 StR 642/96, BGHR
StPO § 353 Aufhebung 1).
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch
für die Strafvereitelung gemäß § 258 StGB Täterschaft und Teilnahme grund-
sätzlich nach den allgemeinen Regeln abzugrenzen sind (vgl. Walter in:
LK-StGB, 12. Aufl., § 258 Rn. 159 mwN). Eine versuchte Strafvereitelung kann
– unbeschadet der weiteren Voraussetzungen – in Betracht kommen, wenn der
Angeklagte die Vorstellung hatte, den Vereitelungserfolg als Täter herbeizufüh-
ren und es ihm nicht lediglich darum ging, den Vortäter bei Selbstschutzmaß-
nahmen zu unterstützen (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 1983
– 4 StR 378/83,
NJW 1984, 135; Walter in: LK-StGB, 12. Aufl., § 258 Rn. 162 mwN). In Fällen,
in denen der Täter dem Vortäter erstmals Kenntnis von einem gegen ihn an-
16
17
- 10 -
hängigen oder anhängig werdenden Ermittlungsverfahren vermittelt, liegt eine
täterschaftliche Begehungsweise nahe (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1990
– 2 StR 38/90, Rn. 16, zitiert nach juris).
Mit Blick auf eine mögliche Verurteilung wegen eines untauglichen Ver-
suchs wird der neue Tatrichter gegebenenfalls auch konkrete Feststellungen zu
den in Betracht kommenden Vortaten zu treffen haben.
Für den Fall, dass eine versuchte Strafvereitelung zu bejahen ist, wird er
sich auch zu § 258a StGB verhalten müssen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni
1990
– 2 StR 38/90, Rn. 27, zitiert nach juris).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak
Franke
Quentin
18
19