Urteil des BGH vom 05.07.2011

Leitsatzentscheidung zu Strafbarkeit, Beschränkung, Erfüllung, Ordnungswidrigkeit, Straftat

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 87/11
vom
5. Juli 2011
Nachschlagewerk:
ja
BGHSt:
ja
Veröffentlichung:
ja
___________________________________
AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 7
Das Tatbestandsmerkmal der wiederholten Zuwiderhandlung nach § 95 Abs. 1
Nr. 7 AufenthG erfordert weder eine Ahndung des Erstverstoßes noch eine
sonstige behördliche Reaktion, die geeignet ist, dem Ausländer sein Fehlver-
halten vor Augen zu führen.
BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 - 3 StR 87/11 - LG Berlin
in der Strafsache
gegen
- 2 -
wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung
nach dem Aufenthaltsgesetz
- 3 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. Juli 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 2. Dezember 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-
gen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen wiederholter Zuwiderhand-
lung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 AufenthG in 15 Fällen zu
einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10
€ verurteilt und die Zah-
lung in monatlichen Raten bewilligt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision
rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung durch den Senat
bedürfen über die Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen An-
tragsschrift hinaus lediglich folgende Gesichtspunkte:
I. Die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, wonach bestraft
wird, wer wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1
AufenthG zuwiderhandelt, werden durch die Feststellungen belegt.
1
2
- 4 -
Danach wurde der Asylantrag des Angeklagten, eines türkischen Staats-
bürgers kurdischer Herkunft, mit seit dem 23. März 2004 bestandskräftigem
Bescheid vom 10. Dezember 1999 abgelehnt. Sodann lebte der Angeklagte auf
der Grundlage regelmäßig verlängerter Duldungen in Deutschland; er besaß
keinen Aufenthaltstitel und war vollziehbar ausreisepflichtig. Sein Aufenthalt
war - was er wusste - räumlich auf das Land Brandenburg beschränkt. Der An-
geklagte hielt sich jedoch bereits Anfang des Jahres 2007 wiederholt ohne Er-
laubnis in Berlin auf. Im Tatzeitraum zwischen dem 27. Oktober 2007 und dem
21. Juli 2009 verließ er - ebenfalls ohne Erlaubnis - insgesamt 15 mal das Land
Brandenburg, um überwiegend in Berlin, aber auch in anderen Bundesländern,
an politischen bzw. gesellschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen und Kon-
takt zu Landsleuten zu pflegen.
1. Somit verstieß der vollziehbar ausreisepflichtige Angeklagte gegen die
nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gesetzlich angeordnete Beschränkung sei-
nes Aufenthalts auf das Gebiet des Landes Brandenburg. Auf die von der Revi-
sion aufgeworfene Frage, ob § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG auch Zuwiderhand-
lungen gegen behördlich angeordnete Aufenthaltsbeschränkungen nach § 61
Abs. 1 Satz 2 AufenthG umfasst (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Februar
2009 - 1 StR 381/08, BGHSt 53, 181), kommt es deshalb nicht an.
2. Der Angeklagte handelte wiederholt im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 7
AufenthG.
a) Eine wiederholte Zuwiderhandlung setzt zunächst einen vorsätzlich
begangenen Erstverstoß voraus (HansOLG Bremen, Beschluss vom 29. Sep-
tember 2008 - Ss 23/08, StraFo 2008, 520; OLG Brandenburg, Beschluss vom
22. Februar 2007 - 1 Ss 96/06, NStZ 2008, 531). Dieser ist gegeben; denn der
3
4
5
6
- 5 -
Angeklagte hielt sich trotz Kenntnis der räumlichen Beschränkung seines Auf-
enthalts auf das Land Brandenburg bereits zu Beginn des Jahres 2007 mehr-
fach in Berlin auf.
b) Die Strafbarkeit des Angeklagten wird nicht dadurch ausgeschlossen,
dass eine staatliche Reaktion auf den Erstverstoß nicht festgestellt ist. Das
Tatbestandsmerkmal der wiederholten Zuwiderhandlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 7
AufenthG erfordert weder eine Ahndung des Erstverstoßes noch eine sonstige
behördliche Reaktion, die geeignet ist, dem Ausländer sein Fehlverhalten vor
Augen zu führen (OLG Hamm, Urteil vom 31. Januar 2007 - 1 Ss 500/06;
Erbs/Kohlhaas/Senge, Strafrechtliche Nebengesetze, § 95 AufenthG Rn. 39
[Stand: April 2010]; Lange, StRR 2007, 118; zum AsylVfG vgl. OLG Celle, Urteil
vom 20. Februar 1984 - 1 Ss 28/84, NStZ 1984, 324; OLG Karlsruhe, Urteil
vom 4. August 1988 - 1 Ss 41/88, NStZ 1988, 560; OLG Stuttgart, Urteil vom
13. Oktober 1995 - 1 Ss 416/95, NStZ-RR 1996, 173, 174; MünchKomm
StGB/Schmidt-Sommerfeld, § 85 AsylVfG Rn. 37).
aa) Aus dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich eine derartige Einschrän-
kung, wie sie teilweise in der Literatur vertreten wird (MünchKomm
StGB/Gericke, § 95 AufenthG Rn. 66, 72; HK-AuslR/Wingerter, § 95 AufenthG
Rn. 18; Huber/Stoppa, AufenthG, § 95 Rn. 241, 244; Renner/Dienelt, Auslän-
derrecht, 9. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 50), nicht ableiten. Die Norm verlangt al-
lein eine "wiederholte" Zuwiderhandlung, mithin einen vor der eigentlichen Tat
begangenen gleichartigen Verstoß.
bb) Ein Wille des Gesetzgebers dahin, dass die Strafvorschrift des § 95
Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nur dann eingreifen soll, wenn der Erstverstoß zu einer
staatlichen Reaktion in dem umschriebenen Sinne geführt hat, ist nicht ersicht-
7
8
9
- 6 -
lich. Er lässt sich insbesondere nicht aus den Gesetzesmaterialien herleiten. In
der Begründung zu § 61 und § 95 AufenthG (BT-Drucks. 15/420 S. 92, 98) ist
im Wesentlichen lediglich ausgeführt, vollziehbar Ausreisepflichtige sollten ge-
genüber Asylbewerbern nicht besser gestellt werden. Mit Blick hierauf hat der
Gesetzgeber den erstmaligen Verstoß gegen eine räumliche Aufenthaltsbe-
schränkung des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers nach § 61 Abs. 1
Satz 1 AufenthG in § 98 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG als Ordnungswidrigkeit ausge-
staltet und in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG eine Strafvorschrift geschaffen, die
wie § 34 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AsylVfG aF, § 85 Nr. 2 AsylVfG nF einen wie-
derholten Verstoß des Ausländers voraussetzt. Auch aus den einschlägigen
Materialien zum Asylverfahrensgesetz ergibt sich nicht, dass die Strafbarkeit
davon abhängig sein soll, dass der Erstverstoß in irgendeiner Form zur Ahn-
dung gelangt ist. Nach dem ursprünglichen Gesetzesentwurf der damaligen
Koalitionsfraktionen von SPD und FDP (BT-Drucks. 9/875) sollte bereits der
Erstverstoß als Straftat sanktioniert werden (BT-Drucks. 9/875 S. 8). Der
Rechtsausschuss des Bundestages vertrat demgegenüber in seinem Bericht
(BT-Drucks. 9/1630), auf dem die spätere Gesetzesfassung gründet, die Auf-
fassung, eine Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung der Auf-
enthaltsgestattung solle nicht schon bei einem ersten Verstoß als Strafe be-
droht sein, sondern nur, wenn der Asylbewerber die Zuwiderhandlung wieder-
hole. Erst in einem solchen Wiederholungsfall liege strafwürdiges Unrecht vor.
Die erste Zuwiderhandlung könne als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
Eine solche abgestufte Sanktionierung erscheine besser geeignet, auf die Zu-
widerhandlungen des Asylbewerbers angemessen reagieren zu können (BT-
Drucks. 9/1630 S. 27 f.). Diesen Ausführungen lässt sich nicht eindeutig ent-
nehmen, dass die Strafbarkeit bei einem wiederholten Zuwiderhandeln von ei-
ner staatlichen Reaktion auf den Erstverstoß abhängen soll (OLG Celle aaO).
Sie sprechen vielmehr eher dafür, dass nach den Vorstellungen des Gesetzge-
- 7 -
bers allein die erneute Zuwiderhandlung das strafbare Unrecht begründet; denn
hätte der Rechtsausschuss eine entsprechende Voraussetzung für die Ahn-
dung des zweiten Verstoßes als Straftat empfehlen wollen, hätte es nahe gele-
gen, dies ausdrücklich zum Ausdruck zu bringen (so zu Recht schon OLG
Karlsruhe aaO; vgl. auch MünchKommStGB/Schmidt-Sommerfeld aaO Rn. 37).
Dementsprechend geht auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum
Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009
(VV AufenthG) davon aus, dass nur der wiederholte, d.h. der mindestens zwei-
te Verstoß gegen die gesetzliche räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1
Satz 1 AufenthG, die Strafbarkeit gemäß § 95 AufenthG begründet (Ziffer
95.1.7.2 VV AufenthG), und sieht es als unerheblich an, ob der erste Verstoß
rechtskräftig geahndet worden ist; erforderlich ist danach lediglich die objektive
Wiederholung (Ziffer 95.1.7.3 i.V.m. Ziffer 95.1.6a.1.2 VV AufenthG).
cc) Systematische Erwägungen sprechen ebenfalls gegen das Erforder-
nis einer staatlichen Reaktion auf den Erstverstoß. Mehrere Strafvorschriften,
welche die Strafbarkeit ähnlich wie § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG von einem
mehrfachen Tätigwerden abhängig machen - etwa die Ausübung der verbote-
nen Prostitution (§ 184e StGB), die Nachstellung (§ 238 StGB), die Erwerbstä-
tigkeit von Ausländern ohne Genehmigung oder ohne Aufenthaltstitel in größe-
rem Umfang (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SchwarzArbG) sowie die Vergehen nach § 27
Abs. 2 Nr. 2 JuSchG, § 148 Nr. 1 GewO und § 20 GPSG -, erfordern ein be-
harrliches Handeln des Täters. Dieses setzt voraus, dass das entsprechende
Verbot aus Missachtung oder Gleichgültigkeit immer wieder übertreten wird.
Erforderlich ist demnach in objektiver Hinsicht stets - insoweit entsprechend
dem wiederholten Zuwiderhandeln nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG - zumin-
dest ein vorangegangener Verstoß. Hinzukommen muss allerdings als subjekti-
10
11
- 8 -
ves Element eine besondere Gesinnung. Zu deren Beurteilung ist eine Ge-
samtwürdigung der verschiedenen Handlungen erforderlich. Dabei stehen die
einzelnen in Betracht kommenden Elemente nicht isoliert nebeneinander; viel-
mehr bestehen Wechselwirkungen, die jeweils Rückschlüsse auf das Vorliegen
der anderen Kriterien erlauben (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 19. No-
vember 2009 - 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 196, 198; Fischer, StGB,
58. Aufl., § 184e Rn. 5). Hieraus folgt, dass eine Ahndung der Vortat zwar als
für die subjektive Komponente der Beharrlichkeit sprechendes Indiz im Rahmen
der erforderlichen Gesamtwürdigung Bedeutung gewinnen kann; eine Reaktion
auf den Erstverstoß ist indessen nicht unbedingt erforderlich und damit keine
konstitutive Voraussetzung beharrlichen Handelns (vgl. SIS-Perron/Eisele,
StGB, 28. Aufl., § 184e Rn. 5; noch offen gelassen in BGH, Urteil vom 25. Feb-
ruar 1992 - 5 StR 528/91, NStZ 1992, 594, 595). Mit diesen Grundsätzen wäre
es nicht zu vereinbaren, wollte man zur Erfüllung des Tatbestands des § 95
Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, der ein wiederholtes Handeln genügen lässt und auf
eine zusätzliche subjektive Komponente verzichtet, eine Reaktion auf den Erst-
verstoß verlangen. Dies gilt selbst auf der Grundlage der Ansicht, dass beharr-
liches Handeln nur vorliegt, wenn zuvor ein Erstverstoß geahndet worden ist
(vgl.
SK-StGB/Wolters,
§
184e
Rn.
3
[Stand:
November
2008];
MünchKommStGB/Hörnle, § 184d Rn. 5; Erbs/Kohlhaas/Liesching, Strafrechtli-
che Nebengesetze, § 27 JuSchG Rn. 11 [Stand: Februar 2004]; Marcks, Mak-
ler- und Bauträgerverordnung, 8. Aufl., § 148 GewO Rn. 1); denn auch nach
dieser Auffassung ist die Reaktion auf den Erstverstoß lediglich zur Begrün-
dung der subjektiven Komponente der Beharrlichkeit von Belang. Auf diese
kommt es bei § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG indes gerade nicht an.
- 9 -
dd) Schließlich erfordern auch verfassungsrechtliche Vorgaben nicht die
Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG dahin, dass der Erstverstoß zu einer
staatlichen Reaktion geführt haben muss, um hinsichtlich des Folgeverstoßes
strafwürdiges Unrecht zu begründen. Insbesondere das Übermaßverbot, dem
wegen des in Androhung, Verhängung und Vollziehung von Strafe zum Aus-
druck kommenden sozialethischen Unwerturteils als Maßstab für die verfas-
sungsrechtliche Legitimierung einer Strafnorm besondere Bedeutung zukommt
(BVerfG, Beschlüsse vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145,
185; vom 15. Mai 1995 - 2 BvL 19/91 u.a., BVerfGE 92, 277, 326), wird auch
dann ausreichend beachtet, wenn die Strafbarkeit allein an die mehrfache vor-
sätzliche Zuwiderhandlung anknüpft.
(1) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist
es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns
verbindlich festzulegen. Demgemäß obliegt es diesem u.a., die Grenzlinie zwi-
schen kriminellem Unrecht und Ordnungsunrecht im Einzelnen zu ziehen; ihm
ist mit Blick auf die in diesem Grenzbereich unter Umständen nur graduellen
Unterschiede ein nicht unerheblicher Spielraum eigenverantwortlicher Bewer-
tung einzuräumen (BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juni 1989 - 2 BvL 6/89,
BVerfGE 80, 182, 186; vom 10. April 1997 - 2 BvL 45/92, BVerfGE 96, 10, 26).
Diesen weiten Gestaltungsspielraum überschreitet die Regelung in § 95
Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht dadurch, dass sie zur Erfüllung des Vergehenstat-
bestands eine staatliche Reaktion auf den Erstverstoß nicht verlangt. § 61
Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll es ermöglichen, das Untertauchen eines vollzieh-
bar ausreisepflichtigen Ausländers zu erschweren und die Erfüllung der Ausrei-
sepflicht besser zu überwachen (BT-Drucks. 15/420 S. 92). Die strafrechtliche
Sanktion nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG hat die wirkungsvolle Durchsetzung
12
13
14
- 10 -
dieses legitimen öffentlichen Interesses im Blick. Sie greift erst nach einem vor-
sätzlich begangenen Erstverstoß ein, betrifft mithin nur solche vollziehbar aus-
reisepflichtigen Ausländer, die sich dem Normbefehl mehrfach bewusst und
gewollt widersetzen. Vor diesem Hintergrund beinhaltet die Sanktionsschärfung
von der Ordnungswidrigkeit des Erstverstoßes hin zu einem Vergehen im Falle
der Wiederholung mit einer Strafandrohung von Geldstrafe bis zu einem Jahr
Freiheitsstrafe keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte des Be-
troffenen; sie trägt vielmehr dem erhöhten Schuldgehalt bei Wiederholungsta-
ten im Bereich des Aufenthaltsgesetzes in nicht zu beanstandender Weise
Rechnung.
(2) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung eines Teils des
Schrifttums (HK-AuslR/Wingerter aaO Rn. 18; Huber/Stoppa aaO Rn. 243 f.)
insbesondere nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
10. April 1997 (BVerfG aaO, BVerfGE 96, 10). Zwar hat das Bundesverfas-
sungsgericht dort ausgeführt, die staatliche Strafandrohung für eine erneute
Zuwiderhandlung gegen § 34 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AsylVfG aF - mithin einer
§ 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG vergleichbaren Norm - greife im konkreten Fall erst
Platz, nachdem der Angeklagte trotz einer vorangegangenen Ahndung die
räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung wiederum nicht beachtet
habe. Eine unter solchen Umständen wiederholte Zuwiderhandlung gegen die
Aufenthaltsbeschränkung mit Strafe zu bedrohen, sei zur Durchsetzung der mit
der Regelung verfolgten Zwecke nicht nur geeignet und erforderlich; auch das
Übermaßverbot sei nicht verletzt (BVerfG aaO, BVerfGE 96, 10, 26). Das Bun-
desverfassungsgericht hat im selben Zusammenhang jedoch ausdrücklich be-
tont, dass die genannte Vorschrift nur insoweit überhaupt Gegenstand der Prü-
fung sei, als es zu einer vorangegangenen Ahndung - dort: einer jugendgericht-
lichen Maßnahme nach § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, § 45 Abs. 2, § 47
15
- 11 -
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 JGG - gekommen sei. Aus seinen Darlegungen lässt sich
deshalb nicht der Schluss ziehen, dass für die Verfassungsmäßigkeit entspre-
chender Strafvorschriften eine derartige staatliche Reaktion zwingend erforder-
lich sein soll.
II. Schließlich kann der Ansicht der Revision nicht gefolgt werden, der
Bestrafung des Angeklagten stehe das Meistbegünstigungsprinzip nach § 2
Abs. 3 StGB entgegen. Die die Strafbarkeit des Angeklagten begründenden
gesetzlichen Vorschriften, insbesondere § 95 Abs. 1 Nr. 7 und § 61 Abs. 1 Satz
1 AufenthG, sind nach Begehung der Taten unverändert geblieben. Dies gilt
auch für § 12 Abs. 5 AufenthG, der die Voraussetzungen bestimmt, unter de-
nen die Ausländerbehörde dem Ausländer das Verlassen des beschränkten
Aufenthaltsbereichs erlauben kann. Soweit die Revision auf die Verordnung der
Landesregierung Brandenburg vom 23. Juli 2010 (GVBl. des Landes Branden-
burg, Teil II vom 28. Juli 2010) und den Erlass Nr. 7/2010 des Ministeriums des
Innern des Landes Brandenburg vom 28. Juli 2010 abstellt, regeln die dort ent-
haltenen Bestimmungen - soweit hier von Bedeutung - lediglich auf der Grund-
lage des § 12 Abs. 5 AufenthG, dass die Ausländerbehörden des Landes
Brandenburg durch eine Einzelfallentscheidung Duldungsinhabern die für die
Dauer der Duldung befristete Erlaubnis erteilen sollen, sich vorübergehend in
Berlin aufzuhalten, sofern nicht bestimmte Versagungsgründe vorliegen (vgl.
insbesondere Ziffer II. 3. des genannten Erlasses). Allein dadurch, dass der
16
- 12 -
Angeklagte aufgrund dieser neuen Erlasslage nunmehr möglicherweise eine
derartige Dauererlaubnis für den vorübergehenden Aufenthalt in Berlin erlan-
gen könnte, wird die Strafbarkeit seines abgeurteilten Verhaltens - das im Übri-
gen nicht ausschließlich Aufenthalte in Berlin betraf - nicht berührt.
Becker RiBGH von Lienen befindet Schäfer
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker
Mayer Menges