Urteil des BGH vom 23.07.2015

Unterlassen, Bedingter Vorsatz, Ärztliche Behandlung, Echtes Unterlassungsdelikt

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landge-
richts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen auf-
gehoben, soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-
mer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverlet-
zung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlasse-
ner Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Voll-
streckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen
versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Frei-
heitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der
Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt
deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen
gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl.
BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1
Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den
Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.
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I.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner
Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leibli-
chen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. -
aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte
E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen
und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig
je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hier-
durch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Kno-
chenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales
Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Häma-
tome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge
wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen
Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand
oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den
Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus
dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das
Kinderbett.
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Im-
biss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem
"Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete,
dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute
daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt
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schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch
aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit er-
kannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und
wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders
als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das
Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes ange-
schwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren.
Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken
rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschau-
en, der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert
sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das
Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L.
in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte
Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde.
Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und woll-
te diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die An-
nahme, dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf
nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontak-
tieren, um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Tele-
fon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu errei-
chen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt
und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung
gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinder-
klinik, wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu
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diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund
der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen
und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die
Augen waren teilweise zugeschwollen.
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung blei-
ben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die
Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blu-
tungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich
altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Be-
reich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch)
nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der
Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behin-
derungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes ent-
fernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie ent-
wickelt.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die An-
geklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224
Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen
gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß
§ 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen
Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein
Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und
dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen
den Mitangeklagten E. ergibt.
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II.
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers
keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil
durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Neben-
klägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401
Abs. 3 Satz 1 StPO).
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum
Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechens-
tatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Un-
terlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte began-
genen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellun-
gen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikations-
tatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheit-
lichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte
betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unter-
lassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
Im Einzelnen:
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass
der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im
Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schwe-
ren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB,
29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schä-
digung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entschei-
dend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe-
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standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu
den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen
(vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheits-
beschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu
verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physi-
schen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer le-
bensbedrohenden, qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit beste-
hen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfor-
dert, dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungs-
prozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25
mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die
tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch
sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schä-
den oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225
Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden.
Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Ge-
fahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits
vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrö-
ßern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdispositi-
on bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/Sternberg-
Lieben, aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver
Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des
qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorlie-
genden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine
Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitange-
klagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die
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Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich
der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhö-
hung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor al-
lem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in
die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten
rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei
Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutz-
verhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbe-
standsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinrei-
chend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung
eines Schutzbefohlenen nicht.
Im Einzelnen:
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtver-
letzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohle-
ner gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und
des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen
begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der
Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl.
BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen
länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Lei-
den körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere
Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be-
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sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März
1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07,
NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen
über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hin-
ausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch
dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern
des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17).
In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem
Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen
Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung
verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ
2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die
Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte
hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres
Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer
ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei die-
sem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1
StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. be-
gangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das
pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinaus-
gingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte
einen entsprechenden Vorsatz hatte.
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter
einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die
sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist ge-
geben, wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung
wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei
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jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl.
BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN).
Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Kör-
perverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat,
ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen
Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten
gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Kranken-
hauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensge-
fährten, den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an
den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gege-
ben, wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die
schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig
handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen
Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungs-
merkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus
Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, et-
wa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder
Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in
der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die
eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische
Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen
(vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist
auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte
jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten
für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen
und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht
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ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das
Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerf-
lich, bewertet hat.
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tat-
einheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - er-
neut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR
539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400
Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfe-
leistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter
einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder
der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen ver-
drängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c
Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert
RiBGH Mayer befindet sich Gericke
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker
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