Urteil des BGH vom 09.08.2016

Unterbringung, Leistungsfähigkeit, Gesundheit, Konsum

ECLI:DE:BGH:2016:090816B3STR287.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 287/16
vom
9. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
9. August 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Osnabrück vom 18. Februar 2016, soweit es ihn betrifft
und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblie-
ben ist, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäu-
bungsmitteln in nicht geringer Menge in 22 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe
von vier Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision
des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg;
im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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Während Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten aufweisen, hat das Urteil keinen Bestand, soweit das Landge-
richt eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abge-
lehnt hat. Die Strafkammer hat die Nichtanordnung damit begründet, es könne
nicht sicher festgestellt werden, dass der Angeklagte den Hang habe, berau-
schende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Im Übermaß bedeute, dass der
Täter berauschende Mittel in einem Umfang zu sich nehme, der seine Gesund-
heit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtige; dies habe indes
nicht positiv festgestellt werden können. Damit hat das Landgericht einen unzu-
treffenden Maßstab für die Annahme eines Hangs im Sinne von § 64 StGB an-
gelegt.
Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperli-
cher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf
psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Nei-
gung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu
nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss
von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsum-
gewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem
Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits die Gesundheit, Arbeits-
und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung
für das Vorliegen eines Hangs zukommen. Das Fehlen dieser Beeinträchtigun-
gen schließt indes nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus, der
insbesondere bei Beschaffungskriminalität in Betracht kommt (st. Rspr.; vgl.
etwa BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210; Be-
schluss vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199 mwN; Urteil
vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, juris Rn. 10). Dies hat die Strafkammer ver-
kannt. Dabei liegen die vorstehenden Voraussetzungen eines Hangs ange-
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sichts der Feststellungen nahe, wonach bei ihm eine langjährige Betäubungs-
mittelabhängigkeit besteht (täglicher Konsum von 1 bis 2 g Marihuana; am
Wochenende bis 3,5 g), die Taten überwiegend der Finanzierung seines Be-
täubungsmittelkonsums dienten, er die erste Tat bereits sechs Monate nach
dem Tag beging, an dem die Berufung gegen seine Verurteilung wegen Han-
deltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe
von einem Jahr und neun Monaten verworfen worden war, und er während
siebzehn Taten - nach zwischenzeitlich eingetretener Rechtskraft der Vorverur-
teilung - unter laufender Bewährung stand. Soweit die Strafkammer ab-
schließend zwar das soziale Leben des Angeklagten trotz dessen Betäu-
bungsmittelabhängigkeit als nicht gefährdet angesehen hat, weil dieser in einer
langjährigen Beziehung lebe, die Beziehung zu seiner Familie intakt sei und er
sein Verhalten so anpassen konnte, dass sein Konsum unentdeckt blieb, führt
dies zu keinem anderen Ergebnis. Ungeachtet der erheblichen Freiheitsstrafe
und der hiermit einhergehenden Folgen für den Angeklagten, zu denen sein
Marihuanakonsum ihn trotz der nur kurze Zeit vor den Taten verhängten Be-
währungsstrafe geführt hat, hat das Landgericht insoweit nicht berücksichtigt,
dass die Maßregel des § 64 StGB in erster Linie dem Schutz der Öffentlichkeit
vor gefährlichen Tätern dient (BGH, Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 743/78,
BGHSt 28, 327, 328, 332; Beschluss vom 15. Mai 1996 - 1 StR 257/96, NStZ-
RR 1996, 257) und deshalb - wie dargestellt - auch die Gefährlichkeit des Tä-
ters für das Merkmal des Hangs wesentlich ist.
Da auch das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen
nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung
des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden
werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachho-
lung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO, vgl. BGH,
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Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5); er hat die Nichtanwen-
dung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff
ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt
38, 362).
Der Senat schließt aus, dass die rechtsfehlerhafte Nichtanordnung der
Maßregel nach § 64 StGB Einfluss auf den Strafausspruch gehabt hat. Dieser
kann daher bestehen bleiben.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Einstel-
lungsbeschluss des Landgerichts vom 10. Februar 2016 (Band VIII, Bl. 107)
- entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesan-
walts - den Fall 13 der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Ankla-
geschrift vom 9. Oktober 2015 nicht umfasst hat. Das Verfahren ist insoweit
noch bei dem Landgericht anhängig.
Becker RiBGH Mayer befindet sich Gericke
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker
Spaniol Tiemann
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