Urteil des BGH vom 01.10.2015

Privatsphäre, Gesamtstrafe, Überprüfung, Geschäftsführer

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 102/15
vom
1. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges u.a.
hier: Revisionen der Angeklagten S. und D.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerde-
führer und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag
-
am
1. Oktober 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 357 StPO einstimmig
beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten S. und D. wird
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 4. September 2014
a) soweit es den Angeklagten S. betrifft,
aa) im Schuldspruch zu Fall II.2. der Urteilsgründe dahin neu
gefasst, dass der Angeklagte des Betruges schuldig ist,
bb) hinsichtlich der Einzelstrafe im Fall II.3. der Urteilsgründe
aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststel-
lungen mit Ausnahme derjenigen zum irrtumsbedingt
eingetretenen Vermögensschaden im Komplex II.3.a)
der Urteilsgründe ("Aktion Privatsphäre") aufrecht erhal-
ten,
cc) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
im Fall II.5. der Urteilsgründe sowie in den Aussprüchen
über die Gesamtstrafe und über das Absehen von einer
Verfallsanordnung;
b) soweit es den Angeklagten D. betrifft,
aa) im Schuldspruch zu Fall II.6. der Urteilsgründe dahin neu
gefasst, dass der Angeklagte des Betruges schuldig ist,
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bb) hinsichtlich der Einzelstrafen in den Fällen II.3. und 4.
der Urteilsgründe aufgehoben; jedoch bleiben die jeweils
zugehörigen Feststellungen mit Ausnahme derjenigen
zum irrtumsbedingt eingetretenen Vermögensschaden
im Komplex II.3.a) der Urteilsgründe ("Aktion Privatsphä-
re") und zur Einbindung des Angeklagten in das Tatge-
schehen im Komplex II.4.e) der Urteilsgründe ("Werbe-
stop") aufrecht erhalten,
cc) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
im Fall II.5. der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über
die Gesamtstrafe;
c) soweit es die Mitangeklagten F. und M.
betrifft,
mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben im
Fall II.5. der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die je-
weilige Gesamtstrafe;
d) soweit es die Mitangeklagte K. betrifft,
aa) hinsichtlich der Einzelstrafe zu Fall II.3. der Urteilsgründe
aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststel-
lungen mit Ausnahme derjenigen zum irrtumsbedingt
eingetretenen Vermögensschaden im Komplex II.3.a)
der Urteilsgründe ("Aktion Privatsphäre") aufrecht erhal-
ten,
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bb) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
im Fall II.5. der Urteilsgründe sowie in den Aussprüchen
über die Gesamtstrafe und über das Absehen von einer
Verfallsanordnung, soweit der von der Strafkammer fest-
gestellte Betrag 159.301 € übersteigt.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwie-
sen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen "gewerbsmäßigen"
Betruges und gewerbsmäßigen Bandenbetruges in drei Fällen zu einer Ge-
samtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und festge-
stellt, dass gegen ihn wegen eines Betrages in Höhe von 1.002.706,80 € des-
halb nicht auf die Anordnung des Verfalls von Wertersatz erkannt wird, weil An-
sprüche Verletzter entgegenstehen. Den Angeklagten D. hat es des
gewerbsmäßigen Bandenbetruges in drei Fällen und des "gewerbsmäßigen"
Betruges schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei Jahren und zehn Monaten verhängt. Die nicht revidierenden Mitangeklag-
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ten F. , M. und K. hat das Landgericht wegen deren
jeweiliger Beteiligung an diesen Fällen zu Bewährungsstrafen verurteilt; hin-
sichtlich der Mitangeklagten K. hat es zusätzlich festgestellt, dass einer
Verfallsanordnung Ansprüche Verletzter entgegenstehen, jedoch an sich ein
Betrag von 351.699 € dem Verfall von Wertersatz unterliegt. Die Revisionsfüh-
rer wenden sich gegen ihre Verurteilungen mit der allgemeinen Sachrüge und
beanstanden das Verfahren. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entschei-
dungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Revision des Angeklagten S.
1. Aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ausgeführ-
ten zutreffenden Gründen fehlt es nicht an der Verfahrensvoraussetzung einer
wirksamen Anklage und ist die von dem Angeklagten erhobene Verfahrensrüge
nicht begründet.
2. Der Schuldspruch im Fall II.5. der Urteilsgründe ("Forderungs-
management") hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Weder tragen
die Feststellungen die Annahme eines vollendeten gewerbsmäßigen Banden-
betrugs (§ 263 Abs. 5 StGB) noch sind diese ausreichend belegt. Im Einzelnen:
a) Nach den diesbezüglichen Feststellungen fasste der Angeklagte zu-
sammen mit dem Angeklagten D. und der Mitangeklagten K.
den Entschluss, gemeinsam sogenanntes Forderungsmanagement zu betrei-
ben. Über die Firmen MS und SK schlos-
sen sie Verträge mit anderen Unternehmen, den sog. Produktgebern, ab, für
die sie Forderungen gegenüber den ihnen genannten Personen geltend ma-
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chen sollten. Die einzuziehenden Forderungen sollten aus dem telefonischen
Vertrieb von Gewinnspieleintragungsdiensten und Zeitschriftenabonnements
resultieren. 50% der generierten Einnahmen sollten an die jeweiligen Produkt-
geber zurückfließen, den Rest sollten die Angeklagten S. , D. und
K. vereinnahmen.
Auf dieser Grundlage versendeten die Angeklagten Schreiben an die von
ihren Vertragspartnern mitgeteilten Kunden, mit denen sie die Zahlung der
ihnen genannten Ansprüche anmahnten. In den Fällen der Forderungen, die
mit dem Vertrieb des Lotterieeintragungsdienstes "Gewinnerzentrale 49" in Zu-
sammenhang standen, wurden die Kunden in den von den Angeklagten ver-
sendeten Schreiben aufgefordert, einen Betrag in Höhe von 99 € zur Vertrags-
beendigung zu zahlen. Die Geschädigten wurden zum Teil durch die in den
Mahnschreiben aufgeführte Drohung, dass rechtliche Schritte eingeleitet wür-
den bzw. dass im Falle von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen höhere Kosten
entstünden, zu Zahlungen veranlasst, obwohl weitere Maßnahmen gar nicht
geplant waren. In einigen Fällen wurde bei den überwiegend älteren Adressa-
ten der Eindruck hervorgerufen, dass sie tatsächlich einen Vertrag geschlossen
hatten und damit ein entsprechender Irrtum erregt. Insgesamt erwirkten die An-
geklagten auf diese Weise Zahlungen in Höhe von 192.398 €.
Hinsichtlich der aus dem Gewinnspieleintragungsdienst "Gewinnerzent-
rale 49" geltend gemachten Ansprüche sah der Angeklagte die Möglichkeit,
dass es sich um nicht bestehende Forderungen handelte, und billigte dies (UA
S. 58). Bezüglich der Forderungen aus den vertriebenen Zeitschriftenabonne-
ments sowie einem Teil der anderen Gewinnspieleintragungsdienste wusste
der Angeklagte S. , "dass diese Forderungen tatsächlich nicht berechtigt
waren, d.h. dass entweder gar keine Forderungen bestanden oder aber dass
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entsprechende Verträge aufgrund von Betrugshandlungen zustande gekom-
men waren" (UA S. 58 f.). Hinsichtlich des verbleibenden Teils der Gewinn-
spieleintragungsdienste, aus denen die angemahnten Zahlungsansprüche re-
sultierten ("ProWin 59", "Euromillions", "SmartWin" und "WinTotal 24"), wusste
er zumindest, "dass derartige Gewinnspiele unter falschen Versprechungen
vertrieben wurden, was hinsichtlich dieser Gewinnspiele auch tatsächlich der
Fall war" (UA S. 59).
b) Diese Feststellungen genügen nicht den Anforderungen des § 267
Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach im Urteil die für erwiesen erachteten Tatsachen
anzugeben sind, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden
werden. Hierzu hat der Tatrichter die Urteilsgründe so abzufassen, dass sie
erkennen lassen, welche der festgestellten Tatsachen den einzelnen objektiven
und subjektiven Tatbestandsmerkmalen zuzuordnen sind und sie ausfüllen
(BGH, Beschluss vom 13. Januar 2005 - 3 StR 473/04, BGHR StPO § 267
Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 13). Rechtsbegriffe müssen durch die ihnen zu-
grunde liegenden Vorgänge aufgelöst werden, sofern sie nicht allgemein geläu-
fig sind oder sich die ihnen zugrunde liegenden Tatsachen aus dem Urteilszu-
sammenhang ergänzen lassen (KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 267 Rn. 9;
LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 267 Rn. 38 jeweils mwN).
Nach diesen Maßstäben belegen die Urteilsgründe das Tatbestands-
merkmal des Vermögensschadens (§ 263 Abs. 1 StPO) nicht hinreichend. Ein
solcher scheidet aus, wenn durch die täuschungsbedingt erwirkte Zahlung eine
entsprechende Zahlungspflicht des Getäuschten erlischt (st. Rspr.; vgl. etwa
BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 - 5 StR 468/12, BGHR StGB § 263 Abs. 1
Vermögensschaden 80). Dies kommt vorliegend in den Fällen in Betracht, in
denen die angeschriebenen Kunden zunächst tatsächlich einen Vertrag mit den
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Produktgebern geschlossen hatten. Dass die Befreiung von der vertraglichen
Zahlungspflicht keinen kompensationsfähigen Vorteil begründete, weil es sich
um nach § 123 BGB anfechtbare Verträge handelte (vgl. BGH aaO), lässt sich
anhand der Urteilsfeststellungen nicht nachvollziehen. Allein die pauschale,
nicht näher ausgeführte Feststellung, die Verträge seien aufgrund von Betrugs-
handlungen oder falschen Versprechungen zustande gekommen, zeigt die
Voraussetzungen eines Anfechtungsrechts nach § 123 BGB oder anderer auf
Vertragsaufhebung gerichteter Rechte der Kunden nicht auf; der Rechtsbegriff
des Betrugs ist ebenso ausfüllungsbedürftig wie die Deutungsspielräume zu-
lassende Wendung "falsche Versprechungen". Insbesondere wird nicht ersicht-
lich, dass die Kunden über denWert der erworbenen Gegenleistung getäuscht
worden waren. Mangels näherer Feststellungen zu den vertriebenen Gewinn-
spieleintragungsdiensten und Zeitschriftenabonnements lässt sich deren Wert
nicht in Beziehung zu den jeweils geltend gemachten Forderungen setzen;
dass die Teilnahme an Gewinnspieleintragungsdienste oder erworbene Zeit-
schriftenabonnements per se wertlos sind, versteht sich nicht von selbst.
Schon aus diesem Grund bedarf der Schuldspruch der Aufhebung. Die
Urteilsgründe lassen offen, ob die bei der Bestimmung des Vermögensscha-
dens berücksichtigten Einzelzahlungen der Geschädigten auch auf Fälle zu-
rückgingen, in denen gar kein Vertragsschluss zwischen den Kunden und den
Produktgebern zustande gekommen war. Die in den Urteilsgründen enthaltene
tabellarische Auflistung differenziert insoweit - was für sich genommen aller-
dings noch keinen Rechtsfehler begründet - nicht.
c) Daneben besteht ein durchgreifender Rechtsfehler darin, dass das
Landgericht seinen Schluss, die in die Bestimmung des Vermögensschadens
eingestellten Zahlungen seien ausschließlich auf Fälle zurückgegangen, in de-
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nen zuvor mit den angeschriebenen Kunden entweder gar kein Vertrag zustan-
de gekommen oder ein solcher aufgrund von Betrugshandlungen bzw. unter
falschen Versprechungen erwirkt worden war, nicht auf eine tragfähige Beweis-
grundlage gestützt hat. Auch der Beweiswürdigung zum Vorsatz des Angeklag-
ten S. lässt sich nicht entnehmen, aufgrund welcher Umstände die Straf-
kammer die Überzeugung gewonnen hat, dass die - für sich betrachtet rechts-
fehlerfrei begründeten - subjektiven Vorstellungen des Angeklagten auch in
objektiver Hinsicht zutrafen. Dies gilt insbesondere auch für die anhand der
Beweiswürdigung nicht nachvollziehbare Differenzierung, wonach den hinsicht-
lich der Produkte "ProWin 59", "Euromillions", "SmartWin" und "WinTotal 24"
geltend gemachten Zahlungsansprüchen sämtlich zunächst zustande gekom-
mene Vertragsabschlüsse zugrunde lagen, die jedoch auf falsche Verspre-
chungen zurückgingen (UA S. 59), hinsichtlich der übrigen Gewinnspieleintra-
gungsdienste und Zeitschriftenabonnements jedoch entweder gar keine Forde-
rungen bestanden oder solche aufgrund von Betrugshandlungen zustande ge-
kommen waren (UA S. 58).
Darüber hinaus entbehrt die Annahme des Landgerichts, sämtliche fest-
gestellten Zahlungen seien irrtumsbedingt geleistet worden, einer sie tragenden
Beweiswürdigung. Dem Urteil lässt sich - auch im Gesamtzusammenhang -
nicht entnehmen, aufgrund welcher Umstände sich die Strafkammer hiervon
überzeugt hat. Dass ein Teil der Adressaten auf die Mahnschreiben und Ange-
bote zur Vertragsaufhebung in Kenntnis der Rechtslage und unbeeinflusst von
der Drohung, es würden andernfalls rechtliche Schritte eingeleitet, nur deshalb
zahlten, weil sie mit der Angelegenheit nicht weiter belästigt werden wollten,
liegt im Hinblick darauf, dass sich der festgestellte Gesamtschaden aus mehre-
ren hundert Einzelzahlungen zusammensetzt, nicht derart fern, dass sich weite-
re Ausführungen hierzu erübrigten (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 23. Juni
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2015 - 1 StR 243/15 juris Rn. 4; vom 7. August 2014 - 3 StR 105/14, juris
Rn. 3).
3. Im Fall II.3. der Urteilsgründe ("Verbraucherschutz") tragen bereits die
- rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen zum Komplex "Der Verbraucher-
berater" (II.3.b) der Urteilsgründe) den Schuldspruch wegen gewerbsmäßigen
Bandenbetruges. Indes kann der Strafausspruch keinen Bestand haben, weil
nicht auszuschließen ist, dass die Strafkammer im Komplex "Aktion Privatsphä-
re" (II.3.a) der Urteilsgründe) den Vermögensschaden fehlerhaft bestimmt hat
und damit für Tat II.3. der Urteilsgründe von einem unzutreffenden Schuldum-
fang ausgegangen ist.
a) Nach den zum Komplex "Aktion Privatsphäre" getroffenen Feststel-
lungen erbrachte der Angeklagte S. ab dem Jahr 2010 unter dem Produkt-
namen "Aktion Privatsphäre" - später auch "Meine Privatsphäre" - Leistungen
auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes. Gegen Zahlung eines Jahresbei-
trags bot er insbesondere Hilfestellungen bei unerwünschten Vertragsschlüs-
sen an. Diese Leistungen bestanden in der Weiterleitung von Widerrufs- und
Kündigungsschreiben, der Ausgabe von Gutscheinen hinsichtlich der Beratung
durch qualifizierte Rechtsbeistände sowie der Einrichtung einer Kundenhotline.
Im Jahr 2011 agierte der Angeklagte hierbei über die von ihm geleitete Firma
GB , deren eingetragene Geschäftsführerin seine Le-
bensgefährtin war. Nachdem die Gesellschaft im Laufe des Jahres 2011 zu-
nehmend in immer größere finanzielle Schwierigkeiten geraten war, übernahm
die neu gegründete MS , deren Geschäftsführer
der Angeklagte D. war, ca. 13.000 Bestandskunden der "Aktion
Privatsphäre/Meine Privatsphäre". Die Angeklagten S. , D. und
K. fassten dabei den Entschluss, den Mitarbeiterstab und das Leis-
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tungsprogramm erheblich einzuschränken. So wurden die Kundenhotline ein-
gestellt und - mangels finanzieller Mittel - Gutscheine für die anwaltliche Bera-
tung von Kunden nicht mehr zur Verfügung gestellt. Die Kunden unterrichteten
sie hierüber nicht, stattdessen mahnten sie den nächsten Jahresbeitrag in Hö-
he von 69 € an und unterbreiteten Angebote zur Vertragsbeendigung für Beträ-
ge zwischen 39 € bis 89 €. Hierdurch wurde den Kunden in allen Fällen der fal-
sche Eindruck vermittelt, der ursprüngliche Leistungsumfang könne noch er-
bracht werden bzw. eine Vertragsaufhebung sei nur einvernehmlich möglich
und nicht auch wegen der tatsächlich eingetretenen Leistungsunfähigkeit. Die
daraufhin zahlenden Kunden hätten ihre Zahlungen nicht erbracht, wenn sie
um die mangelnde Leistungsfähigkeit der MS (richtig: MS
)
gewusst
hätten.
Dies
war
den Angeklagten S. ,
D. und K. auch bewusst, wobei sie dies billigten. In der Zeit
vom 1. September 2011 bis 30. April 2012 kam es hierdurch zu Zahlungen der
Ku
nden in einer Gesamthöhe von 109.171 €.
b) Die Annahme der Strafkammer, die in die Berechnung des Vermö-
gensschaden eingestellten Zahlungen gingen sämtlich auf täuschungsbedingte
Irrtümer der angeschriebenen Kunden zurück, ist nicht ausreichend belegt. Der
Schluss des Landgerichts beruht ausschließlich auf der Erwägung, es wider-
spreche der Lebenserfahrung, dass Kunden für allenfalls noch rudimentäre
Leistungen einen vollen Jahresbeitrag zahlen oder noch Zahlungen für die vor-
zeitige Beendigung eines Vertrages erbringen, aus dem ihnen ohnehin keine
nennenswerten Gegenleistungen mehr zufließen (UA S. 69). Dabei begegnet
es keinen rechtlichen Bedenken, dass sich die Urteilsgründe nicht dazu verhal-
ten, ob das Landgericht seinen Schluss auch aus der Vernehmung (eines Teils)
der Geschädigten gewonnen hat. Die Strafkammer konnte ihren Schluss auf
die täuschungsbedingte Fehlvorstellung der Verfügenden insoweit auch auf
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Indizien stützen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2013 - 3 StR 162/13, NStZ
2014, 215, 216; Beschluss vom 4. September 2014 - 1 StR 314/14, NStZ 2015,
98, 100 mwN). Allerdings hat sie sich nicht mit der Möglichkeit auseinanderge-
setzt, dass die Kunden jedenfalls teilweise - insbesondere auf die Angebote zur
Vertragsbeendigung hin - unbeeinflusst von Gedanken zur Leistungsfähigkeit
bzw. -willigkeit der Angeklagten in dem Bestreben, nicht weiter belästigt zu
werden, gezahlt haben könnten. Angesichts des Umstandes, dass sich der in-
soweit festgestellte Gesamtschaden aus über 1.600 Einzelzahlungen zusam-
mensetzte, liegt es nicht fern, dass zumindest bei einigen Zahlenden eine sol-
che Motivation handlungsleitend war.
Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Bemessung der Einzelstra-
fe auf dem Rechtsfehler beruht. Auch wenn angesichts der Erwägung des
Landgerichts nahe liegt, dass dem Großteil der festgestellten Einzelzahlungen
täuschungsbedingte Irrtümer zugrunde lagen und diese zur Bestimmung des
Vermögensschadens heranzuziehen sind, obliegt die Prüfung und Entschei-
dung, ob und in welchem - gegebenenfalls unter Anwendung des Zweifelssat-
zes im Wege der Schätzung zu ermittelnden (vgl. auch BGH, Urteil vom
14. August 2008 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 125) - Maß dies der Fall war,
dem Tatrichter. In diesem Umfang sind die ansonsten rechtsfehlerfrei getroffe-
nen Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).
4. Die Feststellung bezüglich des Absehens von der Verfallsanordnung
nach § 111i Abs. 2 StPO erweist sich bereits aufgrund der aufgezeigten
Rechtsfehler im Fall II.5. der Urteilsgründe, die sich auf die Bestimmung des
aus der Tat Erlangten im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erstrecken, als
rechtsfehlerhaft. Die rechtsfehlerhafte Bestimmung des Vermögensschadens
im Fall II.3. der Urteilsgründe wirkt sich demgegenüber nicht aus, weil mit Blick
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auf § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB - entgegengesetzt zu der Interessenlage des An-
geklagten bei der Frage nach der Vollendung des Betruges - davon auszuge-
hen ist, dass die jeweiligen Geschädigten irrtumsbedingt gezahlt haben (vgl.
hierzu und zur Anwendung des § 73 StGB in der Konstellation des Versuchs
BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 267/13, juris Rn. 27 f.).
Allerdings ist die vom Landgericht getroffene Feststellung nach § 111a
Abs. 2 StPO darüber hinaus vollständig aufzuheben, weil die Strafkammer nicht
geprüft hat, ob bereits aufgrund der Härtevorschrift des § 73c StGB von der
Anordnung des Verfalls von Wertersatz abzusehen wäre. Hierzu hätte es sich
angesichts der Feststellungen gedrängt sehen müssen, denn es ist fraglich, in
welchem Umfang die aus den Straftaten erlangten Vermögensvorteile im Ver-
mögen des Angeklagten noch vorhanden waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom
18. März 2015 - 3 StR 644/14, wistra 2015, 270; vom 6. November 2014
- 4 StR 290/14, wistra 2015, 70, 71).
Das neue Tatgericht wird zu beachten haben, dass der einem Auffangs-
rechtserwerb des Staates gemäß § 111i Abs. 5 StPO unterliegende Zahlungs-
anspruch den Angeklagten als Gesamtschuldner treffen könnte (vgl. BGH, Be-
schlüsse vom 18. März 2015 - 3 StR 644/14, wistra 2015, 270; vom 17. Sep-
tember 2013 - 5 StR 258/13, wistra 2013, 474, 475; Urteil vom 28. Oktober
2010 - 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 45 ff.).
5. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge veranlasste umfassende
materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils keinen durchgreifenden Rechtsfeh-
ler zum Nachteil des Angeklagten S. ergeben. Der näheren Erörterung be-
darf nur Folgendes:
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Im Fall II.2. ("Lichtenheimer") wird der Schuldspruch durch die rechtsfeh-
lerfrei begründete Feststellung getragen, dass den auf die Entgegennahme der
versendeten Nachnahmeschreiben erbrachten Zahlungen täuschungsbedingte
Irrtümer der zahlenden Kunden zugrunde lagen. Dass daneben auch sämtliche
auf die Versendung von Mahnschreiben und Vertragsauflösungsangeboten ge-
leisteten Zahlungen irrtumsbedingt waren, hat das Landgericht indes nicht aus-
reichend belegt; der Senat nimmt insoweit auf die zu den Fällen II.5. und II.3.
der Urteilsgründe dargelegten Gründe Bezug. Es ist allerdings auszuschließen,
dass sich der Rechtsfehler bei der Bestimmung des Schuldumfangs zum Nach-
teil des Angeklagten ausgewirkt hat. In die Schadensberechnung eingestellt hat
die Strafkammer ausschließlich eingegangene Zahlung
en in Höhe von 57 € und
59 €. Angesichts der im Urteil genannten, von dem Angeklagten in den ver-
schiedenen Schreiben geltend gemachten Beträge ist jedoch ersichtlich, dass
diesen Zahlungen ausschließlich Nachnahmesendungen zugrunde lagen, so
dass die Strafkammer mit Blick auf deren im Vergleich zu Mahnschreiben oder
Vertragsauflösungsangeboten
unterschiedlichen
Bedeutungsgehalt
ohne
Rechtsfehler von einem entsprechenden Irrtum der Kunden hat ausgehen kön-
nen.
Der Schuldspruch war hinsichtlich des Falles II.2. der Urteilsgründe
allerdings neu zu fassen. Die Verwirklichung des Regelbeispiels gewerbsmäßi-
gen Handelns gemäß § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB wird nicht in die Urteils-
formel aufgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 2 StR 183/06,
juris Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 260 Rn. 25 mwN).
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II. Revision des Angeklagten D.
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344
Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Die Verurteilung des Angeklagten D. wegen gewerbsmäßigen
Bandenbetruges (§ 263 Abs. 5 StGB) im Fall II.5. der Urteilsgründe hält aus
den zur Revision des Angeklagten S. dargestellten Gründen sachlichrecht-
licher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
3. In den Fällen II.3. und 4. der Urteilsgründe weist der Schuldspruch
keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Indes
kann der Strafausspruch keinen Bestand haben, da der Schuldumfang in die-
sen Fällen jeweils rechtsfehlerhaft bestimmt ist. Hierzu gilt:
a) Wie bereits zur Revision des Angeklagten S. ausgeführt tragen
die Feststellungen zum Komplex II.3.b) der Urteilsgründe ("Der Verbraucher-
berater") den Schuldspruch wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges (§ 263
Abs. 5 StGB) im Fall 3. der Urteilsgründe. Für den dortigen Teilabschnitt II.3.a)
("Aktion Privatsphäre") ist der festgestellte Vermögensschaden jedoch nicht
rechtsfehlerfrei belegt. Der Senat nimmt insoweit ebenfalls Bezug auf die dies-
bezüglichen Ausführungen zur Revision des Angeklagten S. . Die Feststel-
lungen unterliegen in demselben Umfang der Aufhebung.
b) Im Fall II.4. der Urteilsgründe tragen die dort unter II.4.a) und b)
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten
wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges.
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Allerdings ist das Landgericht auch im Komplex II.4.e) der Urteilsgründe
("Werbestop") von einem mittäterschaftlichen Zusammenwirken der Angeklag-
ten D. und S. ausgegangen und hat die insoweit erwirkten Zahlun-
gen zur Bestimmung des Vermögensschadens herangezogen (UA S. 45). Den
Schluss, dass der Angeklagte D. auch in dieser Tatphase mittäter-
schaftlich mit dem Angeklagten S. agierte, tragen die Feststellungen jedoch
nicht. Tatbeiträge, die der Angeklagte D. in diesem Abschnitt leistete,
werden in den Urteilsgründen nicht geschildert; auch dem Gesamtzusammen-
hang des Urteils lassen sich solche nicht entnehmen. Sie ergeben sich insbe-
sondere nicht daraus, dass der Angeklagte D. eingetragener Ge-
schäftsführer der MS war, die in dem vorange-
gangenen Geschehen (II.4.b) der Urteilsgründe) in die Tat eingebunden war.
Dass der Angeklagte S. über diese Firma auch im Komplex "Werbestop"
agierte, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Hiergegen spricht
überdies, dass die insoweit zur Bestimmung des Vermögensschadens vom
Landgericht berücksichtigten Zahlungen der Geschädigten auf dem Geschäfts-
konto der der Angeklagten K. zuzurechnenden Firma SK eingin-
gen. Auch die von der Strafkammer in der Beweiswürdigung als Beleg für ihre
Feststellungen herangezogene und für glaubhaft erachtete Einlassung des An-
geklagten S. zeigt die Beteiligung des Angeklagten D. nicht auf.
Hieraus folgt lediglich, dass dieser im Fall II.4. der Urteilsgründe "als Geschäfts-
führer der MS-
… involviert gewesen" war (UA S. 80). Eine Ein-
bindung des Angeklagten D. während der Phase "Werbestop" im Jahr
2012 folgt hieraus ebenso wenig wie aus seiner Einlassung, wonach er "Kennt-
nis von sporadischen Nachnahmesendungen in 2012 für den Angeklagten
F.
… gehabt, aber nicht den genauen Umfang gekannt" habe (UA S. 86).
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Auch wenn die im Komplex "Werbestop" eingegangenen Zahlungen in
Höhe von insgesamt 5.770 € im Verhältnis zu dem unter Fall II.4.b) der Urteils-
gründe rechtsfehlerfrei festgestellten Vermögensschaden (30.640 €) deutlich
geringer ausfallen, kann der Senat nicht ausschließen, dass die Bemessung
der für Fall II.4. der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafe von einem Jahr auf
dem Rechtsfehler beruht. Der Aufhebung bedürfen die Feststellungen aller-
dings nur, soweit die Einbindung des Angeklagten D. in das im Übrigen
rechtsfehlerfrei festgestellte Geschehen unter II.4.e) der Urteilsgründe betroffen
ist (§ 353 Abs. 2 StPO).
4. Hinsichtlich der verbleibenden Verurteilung im Fall II.6. der Urteils-
gründe weist das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Jedoch war der Schuldspruch neu zu fassen, da die Begehung des Betruges
als gewerbsmäßig (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB) - wie bereits zur Revision
des Angeklagten S. dargelegt - nicht in die Urteilsformel aufzunehmen ist.
5. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das neue
Tatgericht bei Bildung der Gesamtstrafe die Vorverurteilung des Angeklagten
durch das Amtsgericht Düsseldorf vom 9. November 2012 entsprechend den
Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 20. März
2015 zu berücksichtigen haben wird. Sollten in der neuen Hauptverhandlung
keine Feststellungen bezüglich einer strafbaren Beteiligung des Angeklagten
D. im Komplex II.4.e) der Urteilsgründe ("Werbestop") möglich sein,
wäre allerdings auch die für Fall II.4. der Urteilsgründe neu festzusetzende Ein-
zelstrafe mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom
9. November 2012 gesamtstrafenfähig.
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III. Gemäß § 357 StPO war die Aufhebung des Urteils wie folgt auf die
Nichtrevidenten zu erstrecken:
1. Die Aufhebung des Urteils auf die Revision des Angeklagten S. im
Fall II.5. ("Forderungsmanagement") der Urteilsgründe erfasst aufgrund der
materiell-rechtlichen Akzessorietät der Teilnahme auch die jeweilige Verurtei-
lung der Mitangeklagten F. und M. wegen Beihilfe zum
"gewerbsmäßigen" Betrug.
2. Hinsichtlich der Mitangeklagten K. ist deren Verurteilung im
Fall II.5. der Urteilsgründe ("Forderungsmanagement") wegen gewerbsmäßigen
Bandenbetrugs sowie der Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II.3. der Ur-
teilsgründe aufzuheben. Beides entzieht auch dem Ausspruch über die Ge-
samtstrafe die Grundlage. Der Aufhebung unterliegt ferner die Feststellung
nach § 111i Abs. 2 StPO, soweit das Landgericht in die Bestimmung des aus
der Tat Erlangten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB auch die im Rahmen
der Tat II.5. der Urteilsgründe zugeflossenen Beträge (192.398 €) eingerechnet
hat. Insoweit beruht das Urteil auf demselben sachlichrechtlichen Mangel, was
zur Anwendung von § 357 StPO auf die Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO
führt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2014 - 4 StR 290/14, wistra 2015,
70, 71 mwN). Ausgehend von der von der Strafkammer festgestellten Gesamt-
summe von 351.699 €, in deren Höhe Ansprüche Verletzter einer Verfallsan-
ordnung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StPO entgegenstehen, verbleibt ein nicht
von der Erstreckung erfasster Betrag in Höhe von 159.301
€. Darüber hinaus
kommt eine Aufhebung wegen der Nichterörterung der Vorschrift des § 73c
StGB nicht in Betracht (vgl. BGH aaO). Jedoch wird das neue Tatgericht - auch
hinsichtlich des bestehenbleibenden Betrags von 159.301 € - darüber zu ent-
scheiden haben, ob die Mitangeklagte hinsichtlich des dem Auffangrechtser-
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werb unterliegenden Zahlungsanspruchs des Staates (§ 111i Abs. 5 StPO) nur
als Gesamtschuldnerin haftet.
Becker Hubert Schäfer
Gericke Spaniol