Urteil des BGH vom 03.06.2015

Vollmacht, Unentgeltlich, Untreue, Einverständnis

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 4 3 0 / 1 4
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juni 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterinnen am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Dr. Bartel,
Richterin am Amtsgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Angeklagte in Person,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juni 2014 mit
den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 82 Fällen zu ei-
ner Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die
dagegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts ge-
stützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Der Angeklagte, der als Kundenbetreuer bei verschiedenen Banken
arbeitete, war im Rahmen dieser beruflichen Tätigkeit seit den frühen 90iger
Jahren für die Vermögensberatung des Zeugen Bu. zuständig. Dieser war
schon damals schwer an multipler Sklerose erkrankt, konnte lediglich noch den
Kopf bewegen und hatte Probleme beim Sprechen. Aus diesem Grund fanden
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die Beratungsgespräche in der Wohnung des Zeugen und nach seinem Umzug
in ein Pflegeheim dort statt.
Am 14. Juni 2005 erteilte er dem Angeklagten, auf dessen Redlichkeit er
vertraute, eine allgemeine notarielle Vollmacht. Sie beinhaltete unter anderem
die Vertretung in persönlichen und Vermögensangelegenheiten und berechtigte
ausdrücklich zur Verfügung über das Vermögen des Zeugen. Die Wahrneh-
mung der Vermögensangelegenheiten sollte unentgeltlich erfolgen. Am
16. März 2010 erteilte der Zeuge auch der Ehefrau des Angeklagten eine ent-
sprechende Vollmacht.
Im Jahre 2008 wechselte der Angeklagte zu einem anderen Arbeitgeber,
bei dem er nicht mehr im Privatkundengeschäft tätig war. Aufgrund dessen
wurde das Privatkonto und das Wertpapierdepot des Zeugen Bu. zur F.
S. übertragen. Der Angeklagte war weder berechtigt, eigenmäch-
tig Bargeldabhebungen vorzunehmen, noch sich Geld anzueignen.
In der Zeit vom 30. März 2009 bis zum 27. Januar 2012 vereinnahmte er
in 82 Fällen Gelder in Höhe von 109.540,-
€ für sich selbst, indem er 80 Bar-
geldabhebungen mittels der in seinem Besitz befindlichen EC-Karte des Zeu-
gen Bu. vornahm und in zwei Fällen Überweisungen von dessen Konto auf
sein eigenes Konto veranlasste. Als Verwendungszweck war auf den Überwei-
sungen "Gemäß Vereinbarung" bzw. "Vorschuss gemäß Vereinbarung" ange-
geben.
Keinem dieser Zahlungsvorgänge lag ein Auftrag oder das Einverständ-
nis des Zeugen Bu. zugrunde. Dieser erhielt hiervon erst im Jahre 2012
- nach Bestellung des Zeugen W. zum Betreuer - Kenntnis.
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2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat sich auf
der Grundlage der Angaben des kommissarisch vernommenen Zeugen Bu.
davon überzeugt, dass der Angeklagte unentgeltlich für ihn tätig gewesen sei
und es für keinen der Zahlungsvorgänge einen "Grund" gegeben habe.
II.
Die Revision des Angeklagten hat mit einer die Verletzung des § 261
StPO geltend machenden Verfahrensrüge Erfolg.
1. § 261 StPO verpflichtet das Tatgericht, sein Urteil aus dem Inbegriff
der Hauptverhandlung zu schöpfen. Es muss alle wesentlichen Tatsachen und
Beweisergebnisse, die dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu entnehmen sind,
erschöpfend in einer Gesamtschau würdigen, wenn sie geeignet sind, das Be-
weisergebnis zu beeinflussen bzw. sich die Erörterung aufdrängt. Daran fehlt es
hier.
Der Angeklagte beanstandet zu Recht, dass die Strafkammer die in der
Hauptverhandlung verlesene kommissarische Vernehmung des Zeugen Bu.
nicht vollständig ausgeschöpft und deshalb den durch Verlesung zum Gegen-
stand der Verhandlung gemachten Aussagegehalt der Zeugenangaben bei ihrer
Überzeugungsbildung teilweise unberücksichtigt gelassen hat. Dies kann der
Senat hier mit den Mitteln des Revisionsrechts rekonstruieren (vgl. BGHSt 43,
212, 214).
Das Landgericht hat den die Tat bestreitenden Angeklagten als überführt
angesehen und dies vor allem auf die Aussage des kommissarisch vernomme-
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nen Zeugen Bu. gestützt. Dessen Angaben, der Angeklagte habe unentgelt-
lich für ihn gearbeitet, ihm habe kein Auslagenersatz zugestanden, es habe
keinen Grund für die Abhebungen und auch keine Zustimmung zu den Über-
weisungen gegeben, hat die Strafkammer als glaubhaft angesehen. Sie ist da-
bei davon ausgegangen, dass der seit vielen Jahren schwer an multipler Skle-
rose erkrankte, gelähmte und chronisch bettlägerige Zeuge geistig durch seine
Erkrankung nicht beeinträchtigt sei. Eine darüber hinausgehende Würdigung
von Einzelheiten seiner verlesenen Aussage hat es nicht vorgenommen, ob-
wohl einzelne Angaben, die im Widerspruch zu an anderer Stelle getroffenen
Feststellungen stehen oder aus sich heraus nicht verständlich sind, Anlass ge-
geben hätten, sich mit ihnen im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit bzw. Aussage-
tüchtigkeit des Zeugen auseinander zu setzen. Beispielhaft wird auf folgende
Umstände hingewiesen:
So hat der Zeuge Bu. etwa bei seiner kommissarischen Vernehmung
am 30. April 2014 angegeben, er habe den Angeklagten zuletzt vor drei Jahren
gesehen, er sei sein Betreuer gewesen. Tatsächlich besuchte der Angeklagte
den Zeugen, von dem er zur Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten
notarielle Vollmacht erhalten hatte, bis ins Jahr 2012. Von einer Betreuerbestel-
lung lässt sich den Urteilsgründen nichts entnehmen. Der Zeuge Bu. hat auf
die Frage, wie viele Konten er habe, ausgesagt, er habe (lediglich) ein Konto,
und dies bei der Be. -Bank. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen,
dass dieses Konto im Jahr 2002 aufgelöst worden war und neue Konten mit
Einverständnis des Zeugen bei der C. S. im Jahr 2002 und später im
Jahr 2008 bei der F. S. geführt wurden.
Auf die Frage, ob er seinen Kontostand kenne, hat der Zeuge Bu. die-
sen mit 456.000,-
€ beziffert und auf Nachfrage erklärt, dies wisse er durch ei-
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nen Kontoauszug, den er bekommen habe, als er in Rente gegangen sei. Wann
er in Rente gegangen sei, hat der Zeuge nicht angeben können. Nach diesen
Angaben entstehen Zweifel, ob der Zeuge den offensichtlichen Sinn der an ihn
gerichteten Frage, welchen Stand sein Konto (heute) habe, überhaupt verstan-
den hatte, wenn er die Kenntnisnahme mit dem Eintritt in sein Rentenalter ver-
band, an dessen Zeitpunkt er sich aber nicht zu erinnern vermochte. Diese
Zweifel werden verstärkt, wenn man berücksichtigt, dass der Zeuge an anderer
Stelle der Vernehmung mitgeteilt hat, der Angeklagte habe ihn - vor einigen
Monaten - angerufen und erklärt, "dass nichts mehr da sei". Dies deutet nicht
nur darauf hin, der Zeuge gehe davon aus, dass kein Geld mehr auf seinem
Konto sei, was jedenfalls nach den übrigen Feststellungen des Landgerichts,
die das nicht aufgreifen, fern liegt. Es steht auch in deutlichem Widerspruch zu
der vorangegangenen Bezifferung des Kontostandes und hätte insoweit jeden-
falls einer Erläuterung seitens des Landgerichts bedurft. Im Übrigen hätte es
der Erörterung seitens des Landgerichts bedurft, soweit der Zeuge angegeben
hat, der Angeklagte habe ihn mit der Information, es sei nichts mehr da, vor ei-
nigen Monaten angerufen. Vor dem Hintergrund, dass der Zeuge Bu. durch
seinen Betreuer jedenfalls vor Anzeigenerstattung im Juni 2012 über die Ver-
mögensverhältnisse und die von dem Angeklagten veranlassten Vermögensab-
flüsse informiert gewesen ist, macht der Hinweis des Zeugen auf das besagte
Telefonat keinen Sinn. Mit diesen Widersprüchen der Zeugenangaben hätten
sich die Urteilsgründe auseinandersetzen müssen; soweit diese sich nicht auf-
lösen ließen, hätte dies für den Tatrichter Anlass sein müssen, sich mit der Fra-
ge der Glaubwürdigkeit des Zeugen auseinander zu setzen.
2. Auf der Verletzung des § 261 StPO beruht das Urteil auch. Der Senat
kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei umfänglicher Auseinander-
setzung mit den Angaben des Zeugen Bu. in dessen kommissarischer Ver-
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nehmung dessen Glaubwürdigkeit bzw. Aussagetüchtigkeit anders beurteilt und
den Angeklagten freigesprochen hätte.
3. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass sich
der neue Tatrichter eingehender als bisher geschehen auch mit der Frage aus-
einander zu setzen hat, ob im Hinblick auf die von dem Angeklagten vorgeleg-
ten vier Quittungen, aus denen sich Einzahlungen auf das Taschengeldkonto
des Zeugen Bu. bzw. seiner Mutter ergeben, die im unmittelbaren zeitlichen
Zusammenhang damit stehenden Untreuevorwürfe zu entfallen haben. Das Ar-
gument der Strafkammer, ein Zusammenhang mit den hiesigen Abhebungen
sei nicht ausgemacht, es erscheine nahe liegend, dass der Angeklagte diese
Einzahlungen aus eigenen Mitteln vorgenommen habe, um sich weiterhin des
Wohlwollens des künftigen Erblassers zu versichern, ist eine Behauptung, die
bisher einer tragfähigen Grundlage entbehrt. Als zirkelschlüssig erweist sich
zudem der Hinweis der Strafkammer, einem behaupteten Zusammenhang zwi-
schen Abhebung und Einzahlung auf dem Heimkonto stehe die Aussage des
Zeugen Bu. entgegen, wonach es für sämtliche Abhebungen weder einen
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Grund noch einen Auftrag gegeben habe; denn die Einlassung, dass Einzah-
lungen im Interesse des Zeugen und seiner Mutter seitens des Angeklagten
vorgenommen worden seien, sollte die Aussage des Zeugen Bu. gerade wi-
derlegen.
Fischer Krehl Eschelbach
Ott Bartel