Urteil des BGH vom 09.07.2015

Gefahr, Verwarnung, Strafverfahren, Drogenkonsum

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 S t R 1 7 0 / 1 5
vom
9. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Gera vom 12. Februar 2015 im Strafausspruch mit
den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Straf-
kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Jugendstrafe von sechs Mo-
naten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Re-
vision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat
den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das
Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge
hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des An-
geklagten ergeben.
2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
Das Landgericht hat gegen den im Tatzeitraum 17 Jahre alten Angeklag-
ten eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2
JGG verhängt. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass der Ange-
klagte „beginnend mit dem Jahr 2010“ mehrfach vorgeahndet sei. „Zwar konnte
bei den ersten beiden Taten noch von der Verfolgung abgesehen werden, im
dritten Fall kam es zu einer Verwarnung. Dennoch ist der An
geklagte […] damit,
wenn auch mit verschiedenen Deliktstypen, aufgefallen“ (UA S. 10). Zudem
konsumiere der Angeklagte immer noch Drogen, „was, wenn auch keine kon-
kreten Erkenntnisse vorliegen, regelmäßig mit der Begehung von Verstößen
gegen das Betäubungs
mittelgesetz verbunden ist“ (UA S. 10 f.).
Diese Erwägungen leiden an durchgreifenden Erörterungsmängeln und
halten rechtlicher Überprüfung daher nicht stand.
a) Schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche
Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Tä-
ters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur be-
jaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel, aus denen sich eine Nei-
gung zur Begehung von Straftaten ergibt, schon vor der Tat angelegt waren.
Die schädlichen Neigungen müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen
und weitere Straftaten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss
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vom 13. November 2013 - 2 StR 455/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schädliche
Neigungen 11).
b) Aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich schon
nicht hinreichend, dass in dem Angeklagten bereits vor der Tat auf schädliche
Neigungen hinweisende Persönlichkeitsmängel angelegt waren. Von der Ver-
folgung von zwei aus März und April 2010 stammenden - nicht näher mitgeteil-
ten - Taten ist gemäß § 45 Abs. 2 JGG abgesehen worden; das kann bereits
dafür sprechen, dass die Straftaten als so geringfügig zu bewerten sind, dass
sie für die Annahme des Vorhandenseins schädlicher Neigungen beim Ange-
klagten nicht herangezogen werden können (vgl. auch Radtke in Münchener
Kommentar, StGB, 2. Aufl., § 17 JGG Rn. 37 f. mwN). Entsprechendes gilt auch
für das Strafverfahren wegen eines im November 2010 begangenen Diebstahls,
das mit einer gerichtlichen Verwarnung abgeschlossen worden ist.
Das Landgericht hat zudem nicht den Umstand in den Blick genommen,
dass der im Urteilszeitpunkt fast 19jährige Angeklagte nach Begehung der ab-
geurteilten Taten mehr als eineinhalb Jahre lang nicht mehr durch Straftaten
aufgefallen war. Diese Tatsache kann darauf hindeuten, dass eine Gefahr künf-
tiger Straftaten nicht mehr besteht (vgl. Senat, Beschluss vom 13. November
2013 - 2 StR 455/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 11; BGH,
Beschluss vom 24. Februar 2015 - 4 StR 37/15, NStZ-RR 2015, 155).
Das Landgericht hat schließlich weder den „Drogenkonsum“ des Ange-
klagten mit Tatsachen belegt noch sich damit auseinandergesetzt, ob und in
welchem Umfang der Angeklagte unter dem Einfluss des sieben Jahre älteren
Mitangeklagten gestanden hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 5. Juli 1988
- 1 StR 219/88, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 3).
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Die Sache bedarf daher zum Rechtsfolgenausspruch insgesamt neuer
Verhandlung und Entscheidung.
Fischer
Eschelbach
Ott
Zeng
Bartel
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