Urteil des BGH vom 03.02.2016

Unterbringung, Gesamtstrafe, Methamphetamin, Strafbefehl

ECLI:DE:BGH:2016:030216B1STR646.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 646/15
vom
3. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Februar 2016 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Hof vom 28. August 2015 aufgehoben
a) im Gesamtstrafenausspruch,
b) soweit die Unterbringung der Angeklagten in einer Entzie-
hungsanstalt abgelehnt worden ist.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbe-
gründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen elf Einzeltaten zu insgesamt
drei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Sie wurde wegen vorsätzlicher unerlaub-
ter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne
Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit fünf selbständigen Fällen der unerlaubten Ein-
fuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit
gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter Ein-
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beziehung der mit Entscheidung des Amtsgerichts Plauen vom 29. Oktober
2014 rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt.
Weiter erfolgte eine Verurteilung der Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr
von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei selbständigen Fällen
jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben unter
Einbeziehung der mit Entscheidung des Amtsgerichts Aue vom 16. Dezember
2014 rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 20 Euro
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Schließlich wurde die Ange-
klagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Men-
ge in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben mit Betäu-
bungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäu-
bungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz
von Betäubungsmitteln zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
und neun Monaten verurteilt.
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Ange-
klagten. Ihr Rechtsmittel hat im Gesamtstrafenausspruch und
– soweit eine Un-
terbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist
– Erfolg (§ 349 Abs. 4
StPO); im Übrigen ist es, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift
vom 4. Januar 2016 ausgeführt hat, unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2
StPO.
II.
1. Der Ausspruch über die Gesamtstrafen ist rechtsfehlerhaft und daher
aufzuheben.
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a) Das Landgericht hat zunächst zutreffend erkannt, dass bei der Bildung
der Gesamtstrafen für die vorliegend abzuurteilenden und zwischen April 2014
und März 2015 begangenen elf Einzeltaten auch die Einzelstrafen aus dem
Urteil des Amtsgerichts Plauen vom 29. Oktober 2014 (Tatzeit: 1. Mai 2014)
und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aue vom 16. Dezember 2014 (Tatzeit:
24. Mai 2014) einzubeziehen waren, nachdem die in diesen Verfahren jeweils
verhängten Geldstrafen nach den Feststellungen des Landgerichts noch nicht
bezahlt waren. Ohne Rechtsfehler geht das Landgericht hier auch weiter davon
aus, dass der Verurteilung durch das Amtsgericht Plauen vom 29. Oktober
2014 eine zäsurbildende Wirkung zukommt.
Zu Unrecht hat das Landgericht aber auch der zweiten Vorverurteilung,
dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aue vom 16. Dezember 2014, eine zweite
Zäsurwirkung beigemessen, obwohl die dieser Entscheidung zu Grunde liegen-
de Tat am 24. Mai 2014 bereits vor der ersten zäsurbildenden Verurteilung be-
gangen wurde. Eine zweite Zäsur
– wie vom Landgericht angenommen – und
die Möglichkeit zur Zusammenfassung zu einer weiteren Gesamtstrafe kommt
aber nur für Einzelstrafen wegen Taten in Betracht, die nach der ersten und vor
der zweiten Verurteilung begangen wurden (BGH, Beschluss vom 24. März
1988
– 1 StR 83/88, BGHSt 35, 243, 245). Zweck des § 55 StGB ist es gerade,
den Täter so zu stellen, als ob das Gericht bei der früheren Verurteilung von
allen gesamtstrafenfähigen Taten gewusst und diese nach §§ 53, 54 StGB ab-
geurteilt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 1994
– 1 StR 142/94, NStZ
1994, 482; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 55 Rn. 2 mwN).
b) Richtigerweise hätte daher vom Landgericht aus den bis 29. Oktober
2014 im vorliegenden Verfahren beendeten Taten und den hierbei verhängten
sechs Einzelstrafen sowie aus den beiden Geldstrafen aus dem Urteil des
Amtsgerichts Plauen vom 29. Oktober 2014 und dem Strafbefehl des Amtsge-
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richts Aue vom 16. Dezember 2014 eine Gesamtstrafe gebildet werden müs-
sen. Eine zweite Gesamtstrafe wäre dann vom Landgericht aus allen für die
weiteren fünf verfahrensgegenständlichen Taten verhängten Einzelstrafen, die
nach dem 29. Oktober 2014 begangen wurden, zu bilden gewesen. Der Senat
weist zudem darauf hin, dass die neu zu bildenden Gesamtstrafen wegen des
Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nur so hoch bemes-
sen werden dürfen, dass sie zusammen die Summe der im angefochtenen Ur-
teil verhängten drei Gesamtfreiheitsstrafen nicht übersteigen (BGH, Beschluss
vom 18. August 2015
– 1 StR 305/15, NStZ-RR 2015, 305).
2. Auch die auf das Fehlen eines Hangs, Drogen im Übermaß zu kon-
sumieren, gestützte Ablehnung der Unterbringung der Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte die Angeklag-
te erstmals mit 19 Jahren Crystal, anfänglich nur gelegentlich ca. 0,5 Gramm
Methamphetamin im Monat. Ihr Konsum steigerte sich im Laufe der Zeit auf
1 bis 1,5 Gramm pro Monat. Zuletzt konsumierte sie dann maximal 0,2 Gramm
Methamphetamin zum Stressabbau täglich. Andere Substanzen nahm die An-
geklagte nicht ein.
Das Landgericht stellt auf dieser Grundlage bei der Angeklagten im Hin-
blick au
f ihren Methamphetaminkonsum eine „behandlungsbedürftige Suchtmit-
telabhängigkeit“ fest und kommt auch zu dem Ergebnis, dass sie die Taten zur
Finanzierung ihres eigenen Konsums begangen habe. Die Nichtanordnung der
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begründet das sachverständig bera-
tene Landgericht damit, dass bei der Angeklagten zwar eine Abhängigkeitser-
krankung gegeben sei, was eine Langzeittherapie sinnvoll erscheinen lasse,
jedoch kein besonders schweres Suchtgeschehen vorliege. Insbesondere läge
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ein monovalenter Konsum vor, keine Polytoxikomanie, und ansonsten läge
auch kein intravenöser Konsum von Methamphetamin vor. Auch sei das Per-
sönlichkeitsbild der Angeklagten durch den Drogenkonsum nicht in erkennba-
rem Umfang verändert; die Voraussetzungen einer Depravation seien nicht ge-
geben.
b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechts-
fehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64
StGB ausgegangen ist.
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine
eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung
erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese
Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben
muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist
jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen
Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Urteile vom
14. Oktober 2015
– 1 StR 415/15 Rn. 7, vom 10. November 2004 – 2 StR
329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014
– 3 StR 386/13). Insoweit kann
dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit,
Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist,
zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008
– 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198
und vom 14. Dezember 2005
– 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenn-
gleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittel-
konsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendiger-
weise die Bejahung eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008
– 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15).
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c) Dies zu Grunde gelegt, drängt sich das Vorliegen eines Hanges hier
schon angesichts der bei der Angeklagten festgestellten behandlungsbedürfti-
gen Abhängigkeitserkrankung und ihres Konsumverhaltens auf. Der Senat
kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung des
zutreffenden Maßstabs einen Hang angenommen hätte. Den bisher getroffenen
Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Anordnung der Maßregel
an dem symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Taten, der Ge-
fahr erheblicher rechtswidriger Taten oder an der hinreichend konkreten Aus-
sicht auf einen Behandlungserfolg (§ 64 Satz 2 StGB) scheitern müsste.
d) Alle bisherigen Feststellungen konnten aufrechterhalten bleiben, da
sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind.
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Ent-
ziehungsanstalt bedarf aber unter Hinzuziehung eines Sachverständigen
(§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung sowie
ergänzender Feststellungen. Der neue Tatrichter wird deshalb das Vorliegen
eines Hanges der Angeklagten, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu neh-
men, neu zu beurteilen und auch Feststellungen zu treffen haben, inwieweit ein
symptomatischer Zusammenhang zwischen Drogensucht und den Betäu-
bungsmittelstraftaten der Angeklagten und eine hinreichend konkrete Thera-
pieaussicht besteht. Der neue Tatrichter wird dabei auch § 67 Abs. 2 StGB zu
beachten und mit sachverständiger Hilfe die erforderliche Therapiedauer zu
bestimmen haben.
Dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung
der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil
vom 10. November 2004
– 2 StR 329/04 und Beschluss vom 21. Oktober 2008
– 3 StR 382/08, NStZ-RR 2009, 59). Sie hat die Nichtanwendung des § 64
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StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen
(vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992
– 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362). Der
Senat kann ausschließen, dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbrin-
gung auf geringere Freiheitsstrafen erkannt hätte.
Raum Graf Cirener
Radtke Bär