Urteil des BGH vom 06.04.2016

Steuerhinterziehung, Steuerfestsetzung, Vorsteuerabzug, Form

ECLI:DE:BGH:2016:060416B1STR431.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 431/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Steuerhinterziehung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerde-
führer und des Generalbundesanwalts
– außer zum Schuldspruch im Fall I.5
der Urteilsgründe auf dessen Antrag
– am 6. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten Ga. wird das Urteil des
Landgerichts Dresden vom 6. März 2015, soweit es ihn betrifft,
im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte
wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen in Tatmehrheit mit
versuchter Steuerhinterziehung verurteilt wird.
Die weitergehende Revision des Angeklagten Ga. und die
Revision des Angeklagten S. gegen das vorbezeichnete
Urteil werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten Ga. wegen Steuerhinter-
ziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und
zehn Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten S. hat es wegen Steuer-
hinterziehung in neun Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und
vier Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Daneben hat das Landgericht gemäß § 111i Abs. 2 StPO festgestellt, dass ge-
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gen den Angeklagten Ga. wegen entgegenstehender Ansprüche des
Steuerfiskus nicht auf den Verfall von Wertersatz in Höhe eines Betrages von
1.917.251,63 Euro erkannt worden ist.
Mit ihren Revisionen, die auf die Verletzung formellen und materiellen
Rechts gestützt sind, beanstanden die Angeklagten ihre Verurteilung. Die
Rechtsmittel haben im Ergebnis keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Im Fall I.5
der Urteilsgründe belegen die Urteilsfeststellungen allerdings nur eine versuch-
te Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO). Der Senat ändert den Schuldspruch
entsprechend ab.
Der Erörterung bedarf im Hinblick auf die vom Landgericht vorgenomme-
ne „Schadensbestimmung“ lediglich die Verurteilung der Angeklagten im Tat-
komplex I der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung durch Einreichung un-
zutreffender Umsatzsteuervoranmeldungen zugunsten der G. I. S.
GmbH (im Folgenden: G. GmbH).
1. Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen
getroffen:
a) Der Angeklagte Ga. war faktischer Geschäftsführer der im Mai
2009 gegründeten G. GmbH. Die Funktion des formellen Geschäftsführers
übernahm Ende August 2009 der Angeklagte S. ; er wurde am 2. Dezember
2009 wieder abberufen. Gemäß dem vom Angeklagten Ga. entwickelten
Tatplan erwarb die G. GmbH in großem Umfang Flachbildschirmfernseher ohne
Belastung mit Umsatzsteuer und veräußerte sie unter offenem Ausweis von
Umsatzsteuer an Firmen im Inland weiter. Die hierbei eingenommene Umsatz-
steuer sollte ihr dabei als „Gewinn“ verbleiben und nicht an das Finanzamt ab-
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geführt werden. Der nicht mit Umsatzsteuer belastete Erwerb der Waren gelang
dadurch, dass der Angeklagte Ga. für deren Einkauf als Vertreter eines
Unternehmens mit Sitz in Lettland und später einer Gesellschaft mit Sitz in Est-
land tätig wurde, die als vermeintliche Erwerber auftraten. Hierdurch erreichte
er, dass die tatsächlich vorliegenden Inlandslieferungen von den Verkäufern als
umsatzsteuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 6a UStG) behan-
delt wurden. Die Bruttoerlöse aus dem anschließenden Weiterverkauf an Ab-
nehmer im Inland nahm der Angeklagte S. in bar entgegen.
Zwar wurden in den Umsatzsteuervoranmeldungen der G. GmbH für die
Monate August bis Dezember 2009 die Verkaufserlöse zutreffend oder annä-
hernd zutreffend erklärt; um die eingenommenen Umsatzsteuerbeträge nicht an
das Finanzamt abführen zu müssen, wurden ihnen aber ungerechtfertigte Vor-
steuerbeträge gegenübergestellt. Damit wurde die an das Finanzamt abzufüh-
rende Umsatzsteuer durch die Geltendmachung von nicht vorhandenen Vor-
steuern im Wesentlichen wieder „ausgeschöpft“ (UA S. 10).
b) Hinsichtlich der eingereichten unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldun-
gen hat das Landgericht die Angeklagten im Tatkomplex I der Urteilsgründe
jeweils wegen Steuerhinterziehung durch aktives Tun gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1
AO verurteilt. Soweit der Angeklagte S. vor seiner Abberufung als Ge-
schäftsführer pflichtwidrig keine Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht hat-
te, hat ihn das Landgericht wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen
(§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) verurteilt.
c)
Den als „Schaden“ bezeichneten Hinterziehungsumfang der Taten hat
das Landgericht im Tatkomplex I der Urteilsgründe danach bestimmt, in welcher
Höhe die eingenommene Umsatzsteuer „zu Unrecht einbehalten“ und nicht an
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das Finanzamt „abgeführt“ worden sei. Ergänzend hat das Landgericht diesem
„Schaden“ – in Klammern gesetzt – einen „rechnerischen Schaden“ gegen-
übergestellt, „der aufgrund der unzutreffenden Erklärung entstanden wäre,
wenn die hiernach nachzufordernde Umsatzsteuer gezahlt worden wäre“ (UA
S. 11). Da die Angeklagten aber, wie von vornherein beabsichtigt, keine Um-
satzsteuer ab
führten, ist nach Auffassung des Landgerichts ein „Schaden“ in
voller Höhe der „einbehaltenen“ Umsatzsteuer entstanden.
2. Die auf diese Weise für die durch unrichtige Umsatzsteuervoranmel-
dungen begangenen Taten der Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370
Abs. 1 Nr. 1 AO) vorgenommene Bestimmung des Verkürzungsumfangs hält
rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn sie knüpft statt an die Steuerverkür-
zung an die unterlassene Abführung „einbehaltener“ Umsatzsteuer an. Mit Aus-
nahme des Falles I.5 der Urteilsgründe hat jedoch auch im Tatkomplex I der
Urteilsgründe der Schuldspruch Bestand.
a) Im Fall I.5 der Urteilsgründe hält der Schuldspruch wegen vollendeter
Steuerhinterziehung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Taterfolg der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO ist
– im
Gegensatz zum Vergehen der gewerbs- oder bandenmäßigen Schädigung des
Umsatzsteueraufkommens gemäß § 26c UStG
– nicht die Nichtentrichtung ge-
schuldeter Umsatzsteuer. Vielmehr besteht er im Verkürzen von Steuern
oder im Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile für sich oder einen ande-
ren. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe
oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Bei Steuer-
anmeldungen (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO)
– wie hier den Umsatzsteuervoranmel-
dungen (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG)
– tritt der Taterfolg der Steuerverkürzung
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dann ein, wenn sie unter den Voraussetzungen des § 168 AO einer Steuerfest-
setzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen. Bei einer auf Steuer-
vergütung gerichteten Umsatzsteuervoranmeldung ist dies erst dann der Fall,
wenn das Finanzamt der Anmeldung zustimmt, was allerdings keiner Form be-
darf (§ 168 Satz 2 und 3 AO).
bb) Für die vom Angeklagten Ga. für Dezember 2009 für die G.
GmbH eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung (Fall I.5 der Urteilsgründe) be-
legen die Urteilsfeststellungen nicht, dass sie einer Steuerfestsetzung gleich-
steht. Denn in dieser Anmeldung übersteigt die geltend gemachte Vorsteuer die
sich aus den erklärten Ausgangsumsätzen ergebende Umsatzsteuer; es ergibt
sich mithin ein Vergütungsbetrag. Eine Zustimmung des Finanzamts zu dieser
Umsatzsteuervoranmeldung oder eine Auszahlung geltend gemachten Vergü-
tungsbetrages hat das Landgericht nicht festgestellt. Damit fehlt es insoweit an
einem Taterfolg (vgl. § 370 Abs. 4 AO), weil die eingereichte Steueranmeldung
nicht die Wirkung einer Steuerfestsetzung hat (vgl. § 168 AO), sodass keine
Steuerverkürzung eingetreten ist, und die beantragte Steuervergütung ebenfalls
nicht erfolgt ist.
Insoweit hat sich der Angeklagte Ga. somit lediglich wegen versuch-
ter Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO) strafbar gemacht. Der Senat ändert
daher den Schuldspruch im Fall I.5 der Urteilsgründe auf versuchte Steuerhin-
terziehung ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige
Angeklagte gegen diesen Tatvorwurf nicht anders als geschehen hätte verteidi-
gen können.
b) In den übrigen Fällen des Tatkomplexes I der Urteilsgründe wird der
Schuldspruch von den Feststellungen getragen. Insoweit blieben die unberech-
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tigt geltend gemachten Vorsteuerbeträge hinter den angemeldeten Umsatz-
steuerbeträgen für Ausgangsumsätze zurück; damit hatten die Umsatzsteuer-
voranmeldungen jeweils die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbe-
halt der Nachprüfung (§ 168 Satz 1 AO). Da der Vorsteuerabzug unberechtigt
war, weil die geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht angefallen waren, wur-
de Umsatzsteuer in Höhe dieser Vorsteuerbeträge verkürzt.
3. Der Strafausspruch hat insgesamt Bestand.
a) Allerdings hat das Landgericht den Verkürzungsumfang der durch Ein-
reichung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen begangenen Steuerhinter-
ziehungen nicht rechtsfehlerfrei bestimmt. Zwar hat es den zutreffenden Hinter-
ziehungsumfang
– in Klammern gesetzt – als „rechnerischen Schaden“ ange-
geben. Jedoch hat es für die Strafzumessung nicht hieran angeknüpft, sondern
den Umfang der „nicht abgeführten“ Umsatzsteuer zugrunde gelegt. Maßgeb-
licher Anknüpfungspunkt waren hingegen allein die Angaben in den Umsatz-
steuervoranmeldungen. In diesen wurden aber die Umsätze zutreffend bzw.
annähernd zutreffend angemeldet. Damit ergab sich durch die Einreichung der
unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen eine Steuerverkürzung jeweils nur in
dem Umfang, in dem ein ungerechtfertigter Vorsteuerabzug vorgenommen
worden ist, in den Fällen I.2 und 4 der Urteilsgründe zuzüglich der Umsatzsteu-
er auf die verschwiegenen Teile der Ausgangsumsätze. Im Hinblick darauf,
dass der vom Landgericht angenommene „Schaden“ die durch den nicht ge-
rechtfertigten Vorsteuerabzug bewirkte Steuerverkürzung bei den jeweiligen
Taten lediglich um zwei bis drei Prozent übersteigt, kann der Senat jedoch aus-
schließen, dass der Strafausspruch hierauf beruht.
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b) Obwohl das Landgericht im Fall I.5 der Urteilsgründe rechtsfehlerhaft
von einer vollendeten Steuerhinterziehung ausgegangen ist, beruht die für die-
se Tat verhängte Einzelstrafe hierauf nicht.
Der Senat schließt bei dieser Sachverhaltskonstellation aus, dass das
Landgericht von der bei Versuchstaten nach § 23 Abs. 2 StGB i.V.m. § 49
Abs. 1 StGB möglichen Strafrahmenverschiebung Gebrauch gemacht und eine
niedrigere Strafe verhängt hätte, wenn es erkannt hätte, dass in diesem Fall die
Steueranmeldung nicht gemäß § 168 Satz 1 AO die Wirkung einer Steuerfest-
setzung hatte. Denn indem der Angeklagte Ga. einen
– im Verhältnis zur
geschuldeten Umsatzsteuer geringen
– Vergütungsbetrag anmeldete, erstrebte
er nicht nur in dieser Höhe einen ungerechtfertigten Steuervorteil, sondern ver-
hinderte er zugleich die bei zutreffenden Angaben gemäß § 168 Satz 1 AO so-
fort eintretende Festsetzung der Zahllast für die geschuldete Umsatzsteuer (vgl.
Jäger in Klein, AO, 12. Aufl., § 370 Rn. 196). Die durch diese Tat bewirkte Ge-
fährdung des Steueraufkommens übersteigt sogar noch diejenige, die bestehen
würde, wenn der Angeklagte Ga.
„lediglich“ eine Zahllast von Null ange-
meldet und hierdurch eine vollendete Steuerhinterziehung begangen hätte. Eine
Steuerverkürzung und damit eine Tatvollendung in Form der nicht rechtzeitigen
Festsetzung der Steuer (vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO) wird in solchen Fällen
– anders als bei Unterlassungstaten – (bislang) nur deswegen nicht angenom-
men, weil bei Veranlagungssteuern die Fälligkeit der Steuer erst nach einem
Verwaltungsakt des Finanzamts oder einer diesem gleichstehenden Steueran-
meldung (§ 168 Satz 1 AO) eintritt (vgl. Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuer-
strafrecht, 8. Aufl., § 370 AO Rn. 56).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO. Ange-
sichts des nur geringfügigen Teilerfolgs zum Schuldspruch ist es nicht unbillig,
dem Angeklagten Ga. die Kosten ungeschmälert aufzuerlegen.
Raum
Jäger
Cirener
Mosbacher
Bär
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