Urteil des BGH vom 26.06.2012

Berechnung der Steuer, Vorsteuerabzug, Weiterverkauf, Steuerhinterziehung, Abgabenordnung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 289/12
vom
26. Juni 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Schmuggels
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2012 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bochum vom 26. Januar 2012 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-
gen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Schmug-
gels gemäß § 373 Abs. 1 AO in 63 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Die Einzelstrafen hat es jeweils dem Strafrahmen für minder schwere Fälle ent-
nommen, der - wie der Grundtatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1
AO) - Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorsieht (§ 373 Abs. 1
Satz 2 AO).
Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Ange-
klagten bleibt ohne Erfolg, denn die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Re-
visionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
1. Nach den Feststellungen wirkte der Angeklagte im Zeitraum von Ok-
tober 2006 bis einschließlich Oktober 2009 am Handel mit Keramikmonolith
aus Fahrzeugkatalysatoren mit, der auf dem Luftweg aus Nigeria angeliefert
wurde und im Inland an Recyclingfirmen, die der Angeklagte zunächst selbst
ausfindig zu machen hatte, gewinnbringend weiterverkauft wurde. Als Bezah-
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lung erhielt der jeweils im eigenen Namen handelnde Angeklagte eine ge-
wichtsabhängige Provision. Nach dem Weiterverkauf der Ware zahlte der An-
geklagte den von den Recyclingfirmen erhaltenen Kaufpreis abzüglich Umsatz-
steuer in bar an Mittelsmänner der nigerianischen Lieferfirmen aus. Um mög-
lichst große Gewinne aus den Geschäften nach Afrika zurücktransferieren zu
können und hohe Einfuhrabgaben zu vermeiden, gab der Angeklagte jeweils
bei den von ihm oder durch Bevollmächtigte bei der Einfuhr am Flughafen
Frankfurt abgegebenen Zollanmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich
freien Verkehr einen zu niedrigen Warenwert an. Hierdurch wurde bei der Ein-
fuhr des Keramikmonolith mindestens Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insge-
samt 814.265,42 Euro zu niedrig festgesetzt und dadurch verkürzt. Die nach
dem Weiterverkauf auf die Verkaufserlöse zu entrichtende Umsatzsteuer führte
der Angeklagte „zeitnah und in vollem Umfang“ an die Finanzbehörden ab.
2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen
gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1 AO).
a) Durch die inhaltlich unrichtigen Zollanmeldungen hat der Angeklagte
Einfuhrumsatzsteuer hinterzogen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 11 Abs. 1, § 21 Abs. 2
UStG, Art. 28, 29, 59 Abs. 1, Art. 79, 217 ZK).
b) Das Landgericht hat den Schuldumfang zutreffend bestimmt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte je-
weils die beim Weiterverkauf der Waren anfallende Umsatzsteuer anmeldete
und dass er dabei gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG hinsichtlich der entrichteten
Einfuhrumsatzsteuer zum Vorsteuerabzug berechtigt war. Denn dieser Vor-
steuerabzug lässt die im Rahmen der Zollanmeldung bei Einfuhr der Waren
begangene Hinterziehung der Einfuhrumsatzsteuer unberührt und führt bei Ab-
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führung der geschuldeten Umsatzsteuern an die Finanzbehörden nach der Wei-
terveräußerung allenfalls zu einer Schadenswiedergutmachung.
Zwar ist der Anspruch auf Vorsteuererstattung verfahrensrechtlich ein
unselbständiger Anspruch. Denn bei der Berechnung und Festsetzung der Um-
satzsteuer bilden die nach § 16 Abs. 1 UStG berechnete Umsatzsteuer und die
Summe der Vorsteuerabzugsansprüche im Sinne des § 16 Abs. 2 UStG un-
selbständige Besteuerungsgrundlagen, deren Saldo die für den Besteuerungs-
zeitraum zu berechnende Steuer gemäß § 18 Abs. 1 UStG darstellt (vgl. BGH,
Urteil vom 1. Februar 1989 - 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100). Dies gilt hier aber
erst für die Berechnung der Steuer nach Weiterveräußerung der Waren im
Rahmen der dann gemäß § 18 Abs. 1 UStG abzugebenden Umsatzsteuer-
voranmeldungen. Im Rahmen der Zollanmeldungen bei Einfuhr der Waren, die
allein Gegenstand der Verurteilung sind, findet kein Vorsteuerabzug gemäß
§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG statt.
Die Umsatzbesteuerung bei der Einfuhr der Waren und der Vorsteuerab-
zug nach deren Weiterveräußerung beruhen mithin auf unterschiedlichen wirt-
schaftlichen Sachverhalten, die nicht nur zeitlich auseinanderfallen, sondern
auch in unterschiedliche Steueranmeldungen Eingang finden. Es liegt daher
auch kein Fall vor, bei dem die Berücksichtigung nicht geltend gemachter Vor-
steuerbeträge gemäß § 15 Abs. 2 UStG lediglich wegen des Kompensations-
verbots gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 AO bei Bestimmung des tatbestandlichen
Schuldumfangs außer Betracht zu bleiben hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom
24. Oktober 1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107 sowie Jäger in Klein, Abga-
benordnung, 11. Aufl. § 370 AO Rn. 130 ff. mwN).
Nichts anderes ergibt sich auch aus Absatz 14 der Dienstvorschrift Ein-
fuhrumsatzsteuer der Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung
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(VSF) Z 8101, auf die sich der Beschwerdeführer beruft. Danach wirkt sich ein
zu viel oder zu wenig erhobener Betrag an Einfuhrumsatzsteuer infolge der
„systembedingten Nachholwirkung“ im Ergebnis steuerlich nicht aus, so dass
der als Einfuhrumsatzsteuer erhobene Steuerbetrag für das Unternehmen wirt-
schaftlich lediglich einen durchlaufenden Posten darstellt. Bereits der dort ver-
wendete Begriff der Nachholwirkung macht deutlich, dass es sich dabei um ei-
ne nachträgliche Schadenswiedergutmachung bei Anmeldung und Abführung
der Umsatzsteuer für die Weiterveräußerung der Waren handelt. Soweit der
Beschwerdeführer darauf hinweist, dass nach Auffassung der Finanzverwal-
tung wegen dieser „Nachholwirkung“ Bescheide über Einfuhrumsatzsteuer für
zum Vorsteuerabzug Berechtigte nicht von Amts wegen zu ändern seien, über-
sieht er, dass dies dann nicht gelten soll, wenn die Einfuhrumsatzsteuer - wie
hier - hinterzogen worden ist (vgl. Dienstvorschrift Einfuhrumsatzsteuer VSF Z
8101 Abs. 51 Satz 3 Buchst. c).
c) Die Urteilsfeststellungen belegen auch den Tatvorsatz des Angeklag-
ten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum
Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem
Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch
verkürzen will (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11,
wistra 11, 465 mwN). Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf
es dabei keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes; es ge-
nügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbe-
stands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz; vgl. BGH
aaO). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn der Angeklagte nahm die
grobe Unrichtigkeit seiner Angaben zum Warenwert bei der Zollanmeldung in
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Kauf, um bei der Einfuhr nicht hohe Abgabenbeträge zahlen zu müssen (UA
S. 8). Er wusste, dass er bei Anmeldung der tatsächlichen Warenwerte um ein
Vielfaches höhere Einfuhrumsatzsteuerbeträge hätte zahlen müssen und dass
er auf diese Weise Einfuhrumsatzsteuer verkürzte (UA S. 21 f.).
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers steht dem Tatvorsatz
nicht entgegen, dass der Angeklagte - wie von vornherein beabsichtigt - jeweils
nach der Weiterveräußerung der Waren die dabei anfallende Umsatzsteuer
anmeldete (und auch an die Finanzbehörden abführte) und dass er hierbei ge-
mäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG hinsichtlich der entrichteten Einfuhrumsatzsteuer
zum Vorsteuerabzug berechtigt war. Denn die Anmeldung und Abführung die-
ser Umsatzsteuer erfolgte jeweils erst nach Vollendung der Hinterziehung der
Einfuhrumsatzsteuer und führte allenfalls zu einer Schadenswiedergutma-
chung. Eine beabsichtigte Schadenswiedergutmachung ist aber ein außerhalb
der Tatbestandsverwirklichung liegender Gesichtspunkt und lässt deshalb den
Vorsatz unberührt. Lediglich im Rahmen der Strafzumessung ist dem Täter zu-
gute zu halten, wenn er bereits bei der Tatbegehung eine spätere Schadens-
wiedergutmachung vorhatte. Dies hat das Landgericht nicht verkannt (UA
S. 24).
d) Der Angeklagte handelte auch gewerbsmäßig im Sinne von § 373
Abs. 1 AO.
Gewerbsmäßigkeit liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Bege-
hung von Straftaten der fraglichen Art eine fortlaufende Einnahmequelle von
einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen; dabei genügen auch mittel-
bare Vorteile (vgl. die Nachweise bei Jäger in Klein, Abgabenordnung, 11. Aufl.
§ 373 Rn. 16 f.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, denn der Ange-
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klagte handelte in allen 63 Fällen, um hohe Einfuhrabgaben zu vermeiden. Er
handelte dabei nicht nur fremdnützig, „um möglichst hohe Gewinne aus den
Geschäften nach Afrika zurücktransferieren zu können“ (UA S. 7), sondern
auch eigennützi
g, um die Aufwendungen für die „hohen Einfuhrabgaben zu
v
ermeiden“ (UA S. 7) und - wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Ur-
teilsgründe ergibt - auch um sich die Provisionen der nigerianischen Lieferan-
ten, die er erst nach Auskehrung der Erlöse aus dem Weiterverkauf der einge-
führten Waren erhielt, zu sichern. Damit sollten nach der Vorstellung des Ange-
klagten erhebliche Teile der „ersparten“ Einfuhrumsatzsteuer in Form der an ihn
ausgezahlten „Provisionen“ in seinem Vermögen bleiben.
Maßgeblich ist insoweit allein die Sicht des Angeklagten. Der Umstand,
dass sich objektiv der wirtschaftliche Vorteil des Angeklagten in Form „erspar-
ter“ Einfuhrumsatzsteuer von mehr als 814.000 Euro wegen der Anrechenbar-
keit entrichteter Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer auf die beim Weiterverkauf
anfallende Umsatzsteuer (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG) letztlich auf einen Liquidi-
tätsvorteil beschränkte, steht deshalb gewerbsmäßigem Handeln nicht entge-
gen. Selbst wenn es dem Angeklagten von Anfang an bei der Tatbegehung vor-
rangig lediglich auf die Erzielung eines Liquiditätsvorteils im Zeitraum zwischen
der Einfuhr und der Weiterveräußerung der eingeführten Waren angekommen
sein sollte, läge gewerbsmäßiges Handeln vor; denn die von dem Angeklagten
bei Zollanmeldung „deklarierten Warenwerte betrugen durchgängig nur einen
Bruchteil des tatsächlichen Warenwerts“ (UA S. 10).
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Der Annahme gewerbsmäßigen Handelns steht auch nicht entgegen,
dass die Taten nicht nur strafbar, sondern - anders als es der Angeklagte ange-
nommen hatte (UA S. 8) - im Hinblick auf die Stundungsmöglichkeit des § 21
Abs. 3 UStG wirtschaftlich sogar unnötig waren. Maßgeblich ist allein die Vor-
stellung des Angeklagten, nach der die Taten erforderlich waren, um „hohe Ein-
fuhrabgaben zu vermeiden
“ (UA S. 7).
Nack Wahl Hebenstreit
Graf Jäger
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