Urteil des BGH vom 18.06.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 230/08 Verkündet
am:
22. September 2009
Herrwerth,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 4
a) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Bekanntgabe "demnächst" im Sinne
des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB veranlasst worden ist, kann auf die zu § 167
ZPO entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.
b) Verzögerungen bei der Bekanntgabe des Güteantrags, die auf einer Arbeits-
überlastung der Gütestelle beruhen, sind dem Antragsteller grundsätzlich
nicht zuzurechnen.
BGH, Urteil vom 22. September 2009 - XI ZR 230/08 - OLG Frankfurt am Main
LG Marburg
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. September 2009 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers sowie die
Richter Dr. Müller und Dr. Joeres, die Richterin Mayen und den Richter
Dr. Grüneberg
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 15. Zivilsenats in
Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. Juni
2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger machen gegen die beklagte Bank Schadensersatzansprüche
wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an
einem Immobilienfonds geltend.
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Die Kläger wurden im Jahr 1994 von einem Mitarbeiter der Rechtsvor-
gängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) geworben, sich zwecks Steu-
erersparnis über einen Treuhänder an dem in Form einer Kommanditgesell-
schaft betriebenen geschlossenen Immobilienfonds " Anlage
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Nr. .." (im Folgenden: Fonds) zu beteiligen. Zur Finanzierung des Fondsbei-
tritts schlossen sie mit der Beklagten am 30. September 1994 einen Darlehens-
vertrag über 55.000 DM mit einer Laufzeit bis zum 30. Dezember 2002 und ei-
ner Zinsfestschreibung bis zum 30. Oktober 1999. Gemäß Nr. 5 des Darlehens-
vertrages sollte das Darlehen aus Fondsrückflüssen getilgt werden; darüber
hinaus sollten Sondertilgungen bis zu insgesamt 10.000 DM pro Jahr während
der Zinsbindung möglich sein. Jeweils im Februar 2000 und 2003 vereinbarten
die Parteien unter Änderung des Zinssatzes eine Prolongation des Darlehens.
Die Kläger leisteten an die Beklagte in den Jahren 1994 bis 2004 auf den
Darlehensvertrag Zinszahlungen in Höhe von insgesamt 17.852,52 €. In den
Jahren 1998 und 1999 erhielten sie Fondsausschüttungen über insgesamt
1.022,58 €. Mit einem am 31. Dezember 2004 bei der Öffentlichen Rechtsaus-
kunft- und Vergleichsstelle der Freien und Hansestadt Hamburg (ÖRA) einge-
gangenen Anwaltsschreiben vom 30. Dezember 2004 beantragten die Kläger
gegen die Beklagte wegen eines Schadensersatzanspruchs aus Beratungsver-
schulden die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens. Auf fernmündliche Nach-
fragen wurde dem von den Klägern beauftragten Rechtsanwalt erklärt, die
Schlichtungsstelle sei überlastet und ein weiteres Betreiben des Verfahrens sei
nicht absehbar. Am 5. September 2005 wurde von den Klägern ein Gebühren-
vorschuss angefordert. Der Antrag wurde der Beklagten zusammen mit einer
Ladungsverfügung vom 6. Februar 2006 bekannt gegeben. Das Schlichtungs-
verfahren wurde am 23. März 2006 eingestellt.
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Mit der am 25. September 2006 eingereichten und am 17. Oktober 2006
zugestellten Klage verlangen die Kläger unter Abzug der Fondsausschüttungen
die Erstattung ihrer Zinszahlungen nebst Zinsen. Ferner begehren sie die Fest-
stellung, dass der Beklagten gegen sie aus dem Darlehensvertrag keine weite-
ren Ansprüche mehr zustehen. Sie behaupten, von der Beklagten über die
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Chancen und Risiken der Kapitalanlage fehlerhaft belehrt worden zu sein; ins-
besondere sei ihnen zugesichert worden, das Darlehen werde durch Fondsaus-
schüttungen und Steuervorteile getilgt. Die Beklagte beruft sich unter anderem
auf die Einrede der Verjährung.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der - vom Beru-
fungsgericht zugelassenen - Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
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Nach dem Vorbringen der Kläger könne zwar von einer schuldhaften Be-
ratungspflichtverletzung der Beklagten ausgegangen werden; ein ihnen daraus
erwachsener Schadensersatzanspruch sei aber verjährt. Die hierfür zunächst
geltende regelmäßige Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 195 BGB aF sei
gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB von dem 1. Januar 2002 an durch die neue
dreijährige Regelverjährung des § 195 BGB nF abgelöst worden. Da die Kläger
bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von den den Schadensersatzanspruch
begründenden Umständen und der Person des Schuldners gehabt hätten, sei
die Verjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2004 eingetreten.
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Die Einleitung des Schlichtungsverfahrens habe nicht zu einer Hemmung
der Verjährung geführt. Die Veranlassung der Bekanntgabe des Antrags an die
Beklagte als Schuldnerin sei nicht mehr in unverjährter Zeit erfolgt. Die Be-
kanntgabe sei auch nicht "demnächst" nach der Einreichung des Antrags veran-
lasst worden. Die Kläger hätten nach der ihnen erteilten Auskunft, die Schlich-
tungsstelle sei überlastet und ein Betreiben des Verfahrens sei nicht absehbar,
nicht auf ungewisse Zeit an ihrem Antrag festhalten dürfen. Vielmehr hätten sie
stattdessen Klage erheben oder das Mahnverfahren einleiten müssen. Darüber
hinaus sei Verjährung auch dann eingetreten, wenn die Bekanntgabe des An-
trags an die Beklagte am 9. Februar 2006 noch als "demnächst" angesehen
werde; da die Verjährungsfrist bei Einreichung des Antrags bis auf einen Tag
verstrichen gewesen sei, hätten die Kläger unmittelbar nach Einstellung des
Schlichtungsverfahrens am 23. März 2006 Klage erheben müssen.
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Der von den Klägern verfolgte Feststellungsantrag sei ebenfalls unbe-
gründet. Die Kläger hätten mit dem von ihnen geltend gemachten Schadenser-
satzanspruch nicht wirksam gegen den Darlehensrückzahlungsanspruch auf-
rechnen können, weil dieser bis zum Eintritt der Verjährung des Schadenser-
satzanspruchs nicht erfüllbar gewesen sei.
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II.
Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheiden-
den Punkt nicht stand. Das Berufungsgericht hat den von den Klägern verfolg-
ten Schadensersatzanspruch zu Unrecht als verjährt angesehen.
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1. Das Berufungsgericht geht im Ansatz allerdings zutreffend davon aus,
dass der von den Klägern verfolgte Schadensersatzanspruch aus Beratungs-
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verschulden seit dem 1. Januar 2002 der dreijährigen Regelverjährung des
§ 195 BGB unterliegt. Da diese Verjährungsfrist kürzer ist als die bis zum
31. Dezember 2001 geltende Regelverjährung von 30 Jahren, ist sie nach der
Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EGBGB
von dem 1. Januar 2002 an zu berechnen. Dies gilt nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (BGHZ 171, 1, Tz. 23 ff.; Urteile vom 25. Oktober 2007
- VII ZR 205/06, WM 2008, 40, Tz. 22 f., vom 9. November 2007 - V ZR 25/07,
WM 2008, 89, Tz. 8 und vom 3. Juni 2008 - XI ZR 319/06, WM 2008, 1346,
Tz. 23) aber nur dann, wenn zu diesem Zeitpunkt auch die subjektiven Voraus-
setzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorgelegen haben. Die Kläger müssten
also von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des
Schuldners Kenntnis erlangt oder diese nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht
erlangt haben. Nach den nicht angegriffenen, fehlerfreien Feststellungen des
Berufungsgerichts war dies im Laufe des Jahres 2001 der Fall. Ohne eine ver-
jährungshemmende Maßnahme wäre Verjährung danach mit Ablauf des
31. Dezember 2004 eingetreten.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Verjährung
durch die Veranlassung der Bekanntgabe des Güteantrages gemäß § 204
Abs. 1 Nr. 4 BGB gehemmt worden. Der - den geltend gemachten Anspruch
hinreichend genau bezeichnende - Güteantrag ist durch den Prozessbevoll-
mächtigten der Kläger noch innerhalb der mit Ablauf des 31. Dezember 2004
endenden Verjährungsfrist bei der ÖRA eingereicht worden. Die Bekanntgabe
des Antrags ist gegenüber der Beklagten am 6. Februar 2006 "demnächst" im
Sinne von § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 BGB veranlasst worden.
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a) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Bekanntgabe "demnächst" im
Sinne der gesetzlichen Bestimmung veranlasst worden ist, kann auf die vom
Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur gleichgelagerten Fragestellung
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im Rahmen der Zustellung nach § 167 ZPO zurückgegriffen werden. Die An-
knüpfung in § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB an die formlose Bekanntgabe des Gütean-
trags anstelle der förmlichen Zustellung beruht allein darauf, dass § 15a Abs. 5
EGZPO die nähere Ausgestaltung des Güteverfahrens dem Landesrecht über-
lässt und dieses nicht notwendigerweise die Zustellung des Güteantrags ver-
langen muss (vgl. BT-Drucksache 14/6040 S. 114). Dies rechtfertigt es, bei der
Auslegung des in § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 BGB verwendeten Begriffs "dem-
nächst" dieselben Maßstäbe anzulegen wie bei § 167 ZPO.
aa) Wie dort darf auch im Rahmen des § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 BGB
nicht auf eine rein zeitliche Betrachtungsweise abgestellt werden. Vielmehr sol-
len, da die Bekanntgabe von Amts wegen geschieht, die Parteien vor Nachtei-
len durch Verzögerungen innerhalb des Geschäftsbetriebes der Gütestelle be-
wahrt werden, weil diese Verzögerungen von ihnen nicht beeinflusst werden
können (vgl. BGHZ 103, 20, 28 f.; 145, 358, 362; 168, 306, Tz. 17). Es gibt des-
halb keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Bekannt-
gabe nicht mehr als "demnächst" anzusehen ist. Dies gilt auch dann, wenn es
- wie hier - zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt (vgl. nur BGHZ 103, 20,
28; BGH, Urteile vom 7. April 1983 - III ZR 193/81, WM 1983, 985, 986 und vom
11. Juli 2003 - V ZR 414/02, NJW 2003, 2830, 2831 m.w.N.). Denn Verzöge-
rungen bei der Bekanntgabe, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung der
Gütestelle verursacht sind, muss sich der Antragsteller grundsätzlich nicht zu-
rechnen lassen (vgl. BGHZ 103, 20, 28; 145, 358, 363; BGH, Urteil vom 1. April
2004 - IX ZR 117/03, NJW-RR 2004, 1575; jeweils m.w.N.).
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bb) Allerdings geht der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung
zu § 167 ZPO auch davon aus, dass einer Partei solche nicht nur geringfügigen
Verzögerungen zuzurechnen sind, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter bei
sachgerechter Prozessführung hätten vermeiden können (BGHZ 145, 358, 362;
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168, 306, Tz. 18). Das ist nicht nur in Fällen angenommen worden, in denen
Mängel der Klageschrift, etwa die Angabe einer falschen Anschrift der beklag-
ten Partei, das Zustellungsverfahren verzögert haben (vgl. dazu die Nachweise
in BGHZ 145, 358, 362 f.), sondern auch dann, wenn nach Einreichung der Kla-
ge trotz vollständiger und ordnungsgemäßer Angabe aller maßgeblichen Ver-
fahrensdaten die Anforderung des Gerichtskostenvorschusses ausbleibt. In die-
sen Fällen hat der Bundesgerichtshof angenommen, der Kläger oder sein Pro-
zessbevollmächtigter müssten nach angemessener Frist wegen der ausstehen-
den Vorschussanforderung nachfragen. Zwar sind beide nicht gehalten, von
sich aus den Vorschuss zu berechnen und mit der Klage einzuzahlen (BGHZ
69, 361, 363 f. m.w.N.; BGH, Urteil vom 29. Juni 1993 - X ZR 6/93, NJW 1993,
2811, 2812), doch dürfen sie nicht unbegrenzt lange untätig bleiben, sondern
müssen bei ausbleibender Vorschussanforderung beim Gericht nachfragen und
so auf eine größtmögliche Beschleunigung der Zustellung hinwirken
(BGHZ 168, 306, Tz. 18; BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - III ZR 132/08,
WM 2009, 566, Tz. 18; jeweils m.w.N.). Dagegen besteht für den Kläger und
seinen Prozessbevollmächtigten keine Obliegenheit oder Verpflichtung, durch
eine Kontrolle des gerichtlichen Vorgehens auf eine größtmögliche Beschleuni-
gung des Verfahrens hinzuwirken, nachdem sie alle für eine ordnungsgemäße
Klagezustellung von ihnen geforderten Mitwirkungshandlungen erbracht haben;
denn dann liegt die weitere Verantwortung für den ordnungsgemäßen Gang des
Zustellungsverfahrens ausschließlich in den Händen des Gerichts, dessen Ge-
schäftsgang der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter nicht unmittelbar be-
einflussen können (BGHZ 168, 306, Tz. 20 f.).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann den Klägern, anders
als das Berufungsgericht meint, die Verzögerung der Bekanntgabe des Gütean-
trags nicht angelastet werden. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger erkundig-
te sich nach Einreichung des Güteantrags am 31. Dezember 2004 durch
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fernmündliche Nachfragen bei der ÖRA nach dem Stand des Verfahrens und
erhielt die Auskunft, die Schlichtungsstelle sei überlastet und ein Betreiben
des Verfahrens sei nicht absehbar. Der Gebührenvorschuss wurde am
5. September 2005 eingefordert und von den Klägern eingezahlt. Daraufhin
wurde der Güteantrag mit Ladungsverfügung vom 6. Februar 2006 der Beklag-
ten bekannt gegeben. Die Kläger haben somit alle von ihnen geforderten Mit-
wirkungshandlungen erbracht, um die Bekanntgabe zu erreichen. Aufgrund der
Arbeitsüberlastung der ÖRA kann nicht davon ausgegangen werden, dass die
Kläger durch weitere Nachfragen bei der ÖRA oder durch eine Einzahlung des
Kostenvorschusses auch ohne vorherige Anforderung die Bearbeitung ihres
Güteantrags hätten beschleunigen können. Dass die Kläger den Gebührenvor-
schuss nach der Anforderung durch die ÖRA nicht innerhalb angemessener
Zeit eingezahlt haben und dies nachweislich zu einer Verzögerung der Be-
kanntgabe des Güteantrags geführt hat, ist weder festgestellt noch von der Be-
klagten behauptet worden (zur Darlegungs- und Beweislast siehe BGH, Urteil
vom 27. April 2006 - I ZR 237/03, NJW-RR 2006, 1436, Tz. 19, 21).
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat für die Kläger
auch keine Verpflichtung oder Obliegenheit bestanden, nach der Auskunft
durch die ÖRA zu ihrer Arbeitsüberlastung den Klageweg zu beschreiten oder
das Mahnverfahren einzuleiten. Hierfür fehlt die rechtliche Grundlage. Sie ergibt
sich weder aus dem zwischen den Parteien bestehenden Schuldverhältnis noch
aus einer etwaigen zwischen ihnen aufgrund der Einleitung des Güteverfahrens
entstandenen Sonderverbindung.
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Im Rahmen des beantragten Güteverfahrens haben die Kläger alles ge-
tan, was die gesetzlichen Vorschriften für die Bekanntgabe des Güteantrags
von ihnen fordern. Darüber hinausgehende Sorgfaltspflichten im Interesse der
Beklagten wegen deren möglicherweise wachsenden Vertrauens in den
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materiellrechtlichen Ablauf der Verjährungsfrist trafen die Kläger nicht. Dies liefe
ihrem eigenen Rechtsverfolgungsinteresse zuwider. Sie wollten mit der Einrei-
chung ihres Güteantrags die Rechtsfolge des Fristablaufs gerade vermeiden
und hatten ihrerseits bereits alles für eine ordnungsgemäße Bekanntgabe Ge-
botene erfüllt. Sie durften sich daher darauf verlassen, dass die ÖRA im Weite-
ren das Schlichtungsverfahren in eigener Zuständigkeit ordnungsgemäß be-
treibt. Dass bei der ÖRA im Jahr 2005 aufgrund der durch die Änderung des
Verjährungsrechts hervorgerufenen Sondersituation einer drohenden Verjäh-
rung von sog. Altansprüchen zum 31. Dezember 2004 eine erhebliche Arbeits-
überlastung auftrat (vgl. dazu auch OLG Hamburg, NJW-RR 2008, 1090), kann
den Klägern nicht zum Nachteil gereichen.
Der Umstand, dass die ÖRA aufgrund der Arbeitsüberlastung das von
den Klägern beantragte Güteverfahren im Jahr 2005 nicht weiter betrieben hat,
könnte rechtliche Relevanz allenfalls im Rahmen des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB
erlangen, wenn dieser einer Beendigung des eingeleiteten Verfahrens gleichzu-
setzen wäre. Das ist indes nicht der Fall. Hiergegen spricht schon, dass verjäh-
rungsrechtliche Vorschriften im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich in
enger Anlehnung an den Wortlaut auszulegen sind (vgl. BGHZ 123, 337, 343
m.w.N.; BGH, Urteil vom 22. Februar 2008 - V ZR 86/07, Tz. 9). Die Beendi-
gung eines Schlichtungsverfahrens erfolgt durch den Abschluss eines Ver-
gleichs, die Rücknahme des Güteantrags oder durch die Einstellung des Ver-
fahrens wegen Scheiterns des Einigungsversuchs (vgl. BGHZ 123, 337, 346).
Das Nichtbetreiben des Verfahrens durch die Gütestelle infolge Arbeitsüberlas-
tung fällt nicht darunter. Dies ergibt sich im Umkehrschluss auch daraus, dass
das Nichtbetreiben des Verfahrens in § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB eine eigene Re-
gelung erfahren hat, nach der die Verjährungshemmung nur dann endet, wenn
das Verfahren dadurch in Stillstand gerät, dass die Parteien es nicht betreiben.
Der zeitweilige Stillstand des Verfahrens infolge Arbeitsüberlastung des Ge-
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richts oder - wie hier - der Gütestelle wird von dieser Vorschrift nicht erfasst
(vgl. Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 12. Aufl., § 204 Rn. 54). Die Parteien sind
in einem solchen Fall auch nicht gehalten, das Verfahren bei der Gütestelle in
Erinnerung zu bringen oder auf die Vornahme von Maßnahmen zu dringen
(vgl. BGH, Urteile vom 10. Juli 1979 - VI ZR 81/78, NJW 1979, 2307, 2308, vom
13. April 1994 - VIII ZR 50/93, NJW-RR 1994, 889 und vom 9. Februar 2005
- XII ZB 118/04, NJW 2005, 1194, 1195). Ob dies auch dann gilt, wenn dem
Anspruchsgläubiger greifbare Anhaltspunkte bekannt sind, dass das Verfahren
bei der Gütestelle in Vergessenheit geraten ist, bedarf keiner Entscheidung;
dies war hier nicht der Fall.
3. Die Hemmung der Verjährung durch die Einreichung des Güteantrags
hat gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB frühestens sechs Monate nach der Ein-
stellung des Verfahrens am 23. März 2006 geendet, wobei dahingestellt bleiben
kann, ob maßgeblicher Anknüpfungspunkt für den Beginn der Nachlauffrist der
Tag der Verfahrenseinstellung oder der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einstel-
lungsverfügung an den Gläubiger ist (vgl. dazu OLG Celle, ZGS 2007, 195,
196; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 12. Aufl., § 204 Rn. 43). Da der
23. September 2006 ein Samstag war, endete die Hemmung erst am folgenden
Montag (§ 193 BGB). Mit der Einreichung der Klage am 25. September 2006,
die - nach Anforderung und Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses - der
Beklagten am 17. Oktober 2006 "demnächst" i.S. des § 167 ZPO zugestellt
worden ist, haben die Kläger die Verjährung des von ihnen geltend gemachten
Schadensersatzanspruchs gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB erneut in unverjähr-
ter Zeit gehemmt.
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Soweit die Revisionserwiderung meint, dass in Fällen der Verjährungs-
hemmung durch ein Güteverfahren die Nachlauffrist des § 204 Abs. 2 Satz 1
BGB nicht anwendbar sei, weil der Anspruchsgläubiger während der Verfah-
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rensdauer ausreichend Zeit zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Rechtsver-
folgung habe, kann dem aufgrund des klaren Wortlauts der Vorschrift und der
vom Gesetzgeber bezweckten Gleichbehandlung der verjährungshemmenden
Maßnahmen (vgl. BT-Drucksache 14/6040 S. 117) nicht gefolgt werden.
III.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da
die Sache in Bezug auf den Grund und die Höhe des geltend gemachten An-
spruchs nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur weiteren Sachaufklärung
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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Wiechers Müller Joeres
Mayen Grüneberg
Vorinstanzen:
LG Marburg, Entscheidung vom 06.06.2007 - 2 O 317/06 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 18.06.2008 - 15 U 146/07 -