Urteil des BGH vom 14.10.2010

BGH (flug, berlin, flugzeug, eugh, tag, verordnung, fluggast, beurteilung, auslegung, zeitpunkt)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Xa ZR 15/10 Verkündet
am:
14. Oktober 2010
Wermes
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 14. Oktober 2010 durch den Richter Keukenschrijver, die Richterin
Mühlens, die Richter Dr. Bacher und Hoffmann und die Richterin Schuster
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 23. November 2009 verkündete Urteil
des 20. Zivilsenats des Kammergerichts wird auf Kosten der Klägerin
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Das klagende Luftverkehrsunternehmen macht einen nach Grund und
Höhe unstreitigen Anspruch auf Vergütung für einen Flug geltend. Der Beklagte
hat gegen die Klageforderung mit einem Anspruch auf Ausgleich im Zusam-
menhang mit einem anderen, zuvor absolvierten Flug aufgerechnet, bei dem er
wegen Stornierung der ersten Teilstrecke einen Tag später als geplant am End-
ziel angekommen war.
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Der Aufrechnungsforderung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der
Beklagte buchte bei der Klägerin für seine Ehefrau und sich einen Flug von Ber-
lin über Amsterdam nach Aruba und zurück. Der Hinflug von Berlin nach Ams-
terdam war für den 3. Mai 2005 um 11:40 Uhr vorgesehen, der Anschlussflug in
Amsterdam sollte um 14:25 Uhr starten. Ungefähr zwei Stunden vor dem Abflug
zog die Klägerin die Flugscheine ein und gab stattdessen Flugscheine für einen
Flug am darauffolgenden Tag mit Abflug in Berlin um 9:05 Uhr und Abflug in
Amsterdam um 14:25 Uhr aus. Der Beklagte kam deshalb einen Tag später als
geplant in Aruba an. Der Flug von Amsterdam nach Aruba wurde sowohl am 3.
als auch am 4. Mai planmäßig durchgeführt.
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Am 3. Oktober 2005 trat der Beklagte in einem Flugzeug der Klägerin ei-
nen Flug von Berlin über Amsterdam nach Curaçao und zurück nach Amster-
dam an. Die für diesen Flug geschuldete Vergütung von 1.157,62 Euro beglich
er nicht. Gegenüber der Klage, die auf Zahlung des genannten Betrages sowie
Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtet ist, hat er mit einem Aus-
gleichsanspruch wegen Annullierung des Flugs im Mai 2005 aufgerechnet, den
er mit mindestens 1.200 Euro beziffert.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist
erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-
folgt die Klägerin ihr Begehren in vollem Umfang weiter. Der Beklagte tritt dem
Rechtsmittel entgegen.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision bleibt ohne Erfolg. Der Beklagte hat gegen den
Vergütungsanspruch der Klägerin wirksam aufgerechnet.
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I.
Das Berufungsgericht hat seine die erstinstanzliche Klageabweisung
im Ergebnis bestätigende Entscheidung wie folgt begründet:
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Dem Beklagten stehe wegen Annullierung des Flugs von Berlin nach Ams-
terdam ein Ausgleichsanspruch gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 der
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und
Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei
Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Ver-
ordnung (EWG) Nr. 295/91 (nachfolgend: FluggastrechteVO) zu. Entgegen der
Auffassung der Klägerin handle es sich insoweit um eine Annullierung und nicht
lediglich um eine Verspätung. Unabhängig davon stehe dem Fluggast nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch bei erheblicher
Verspätung ein Ausgleichsanspruch zu. Die Klägerin sei nicht nach Art. 5
Abs. 3 von der Zahlung befreit. Sie habe nicht substantiiert vorgetragen, dass
die Annullierung auf nicht vermeidbaren außergewöhnlichen Umständen beruht
habe. Ihre Behauptung, das für den Flug vorgesehene Flugzeug habe wegen
Nebels nicht rechtzeitig von Amsterdam nach Berlin fliegen können, sei uner-
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heblich. Dieser Umstand könnte allenfalls dann zu einer Entlastung führen,
wenn eine Entscheidung der Flugsicherung dazu geführt hätte, dass die Ma-
schine nicht rechtzeitig verfügbar gewesen sei. Hierzu habe die Klägerin nichts
Konkretes vorgetragen. Die Annullierung des Flugs erfasse jedoch nicht den
Weiterflug des Beklagten von Amsterdam nach Aruba. Bei der Bemessung der
Ausgleichszahlung sei jede Teilstrecke gesondert zu betrachten. Deshalb kön-
ne nur die Entfernung zwischen Berlin und Amsterdam berücksichtigt werden.
Hieraus ergebe sich ein Ausgleichsanspruch von 250 Euro je Flug.
Dem Beklagten stehe ferner ein Anspruch auf Ausgleichszahlung wegen
der Umbuchung des Flugs von Amsterdam nach Aruba zu. Die gegen den Wil-
len des Beklagten erfolgte Umbuchung dieses Flugs komme einer Weigerung
gleich, den Beklagten zu befördern. Für diese Strecke ergebe sich ein Aus-
gleichsanspruch von 600 Euro je Flug.
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Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz erstmals vorgetragen habe,
ausführendes Luftfahrtunternehmen sei nicht sie, sondern das Luftfahrtunter-
nehmen KLM Cityhopper gewesen, sei ihr Vortrag unsubstantiiert und wider-
spreche ihrem vorherigen Vorbringen. Unabhängig davon sei ein Luftfahrtunter-
nehmen gemäß Art. 2 Buchst. b FluggastrechteVO auch dann ausführendes
Luftfahrtunternehmen im Sinne der Verordnung, wenn es einen bei ihm gebuch-
ten Flug durch ein anderes Unternehmen durchführen lasse.
II.
Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren im Er-
gebnis stand.
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1.
An ihrer Rüge, das Berufungsgericht habe die Aktivlegitimation des
Beklagten zu Unrecht bejaht, soweit dieser einen Ausgleichsanspruch für seine
Ehefrau geltend mache, hat die Revision in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat nicht mehr festgehalten.
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2.
Zu Recht hat das Berufungsgericht die Passivlegitimation der Kläge-
rin bejaht.
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Das Berufungsgericht hat den ursprünglichen Vortrag der Klägerin zutref-
fend als Geständnis dahin ausgelegt, dass sie bei allen in Rede stehenden Flü-
gen ausführendes Luftfahrtunternehmen war. Die Klägerin hat demgegenüber
nicht vorgetragen, dass dieses Vorbringen auf einem Irrtum beruhte. Unabhän-
gig davon trägt die Klägerin gemäß § 290 ZPO die Darlegungs- und Beweislast
dafür, dass sie nicht das ausführende Luftfahrtunternehmen war. Die vom Beru-
fungsgericht vorgenommene Würdigung, der in von der Klägerin vorgelegten
Unterlagen enthaltene Vermerk "ausgeführt von KLM Cityhopper" reiche hierfür
nicht aus, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Für den von der Revision
angeführten Vermerk "operated by KLM Cityhopper" in den vom Beklagten vor-
gelegten Unterlagen, der sich ohnehin nur auf den Flug am 4. Mai 2005 bezieht,
gilt nichts anderes.
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3.
Dem Beklagten steht wegen Annullierung des Flugs von Berlin nach
Amsterdam aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO ein
Ausgleichsanspruch in Höhe von 600 Euro pro Person zu.
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a) Zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass
der für den 3. Mai 2005 um 11:40 Uhr vorgesehene Flug annulliert wurde.
Als Annullierung ist gemäß Art. 2 Buchst. l FluggastrechteVO die Nicht-
durchführung eines geplanten Flugs anzusehen, für den zumindest ein Platz
reserviert war. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union ist grundsätzlich von einer Annullierung auszugehen, wenn der ursprüng-
lich geplante und verspätete Flug auf einen anderen Flug verlegt wird, d.h.
wenn die Planung des ursprünglichen Flugs aufgegeben wird und die Fluggäste
dieses Flugs zu den Fluggästen eines anderen, ebenfalls geplanten Flugs sto-
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ßen, und zwar unabhängig von dem Flug, für den die so umgebuchten Fluggäs-
te gebucht hatten (EuGH, Urteil vom 19. November 2009 - C-402/07 und
C-432/07, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rn. 36 - Sturgeon).
Im Streitfall hat der für den 3. Mai 2005 um 11:40 Uhr geplante Flug nach
den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts
nicht stattgefunden. Der Beklagte und seine Ehefrau sind auf einen anderen,
ebenfalls geplanten Flug umgebucht worden. Hieraus hat das Berufungsgericht
zutreffend gefolgert, dass der erste Flug annulliert worden ist. Besondere Um-
stände, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, zeigt die Revi-
sion nicht auf.
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Das Revisionsvorbringen, aus Hinweisen auf der Anzeigetafel des Flug-
hafens oder Angaben des Personals dürfe nicht auf das Vorliegen einer Annul-
lierung geschlossen werden, geht ins Leere. Das Berufungsgericht hat seine
rechtliche Bewertung nicht auf solche Umstände gestützt.
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b)
Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Klä-
gerin nicht nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO von der Ausgleichszahlung
befreit ist.
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(1) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts standen die vorher-
gesagten und die tatsächlichen Witterungsbedingungen am 3. Mai 2005 weder
einem Start in Berlin noch einer Landung in Amsterdam zu den dafür geplanten
Zeitpunkten entgegen.
Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe hierbei Vortrag der Klägerin
übergangen, wonach die Wetterlage eine sichere Landung in Amsterdam nicht
zugelassen habe. Diese Rüge ist unbegründet.
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Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag nicht übergangen. Es hat sich
der Würdigung des Amtsgerichts angeschlossen, wonach die Klägerin den in-
soweit erforderlichen Beweis nicht erbracht hat, und festgestellt, dass die erst-
instanzliche Entscheidung insoweit von der Berufung nicht angegriffen worden
ist. Diese Beurteilung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Das Berufungsgericht hatte seiner Entscheidung gemäß § 529 Abs. 1
Nr. 1 ZPO die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zu Grunde zu legen.
Die Revision zeigt nicht auf, dass die Klägerin in zweiter Instanz konkrete An-
haltspunkte vorgetragen hat, die Zweifel an der Vollständigkeit oder Richtigkeit
dieser Feststellung begründeten.
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Die von der Revision angeführte Bezugnahme auf den erstinstanzlichen
Vortrag in der Berufungsbegründung reicht insoweit nicht aus. Dem weiteren
Inhalt der Berufungsbegründung lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen,
die die Feststellungen des Amtsgerichts in Frage stellten. Die Klägerin hat gel-
tend gemacht, das vorgesehene Flugzeug habe bereits den vorangehenden
Flug von Amsterdam nach Berlin nicht absolvieren können. Darüber hinaus hat
sie beanstandet, das Amtsgericht habe zu Unrecht auf die Wetterlage in Berlin
zum vorgesehenen Startzeitpunkt (11:40 Uhr MESZ) und auf die Möglichkeit
einer Landung in Amsterdam zum vorgesehenen Zeitpunkt (13:05 Uhr MESZ)
abgestellt. Hierzu hat sie ausgeführt, diese Umstände seien für die Beurteilung
unerheblich. Ergänzend hat sie vorgetragen, in Amsterdam habe noch bis 9:55
Uhr dichter Nebel geherrscht; erst gegen 11:55 Uhr habe sich das Wetter ge-
bessert. Anhaltspunkte dafür, dass die Feststellungen des Amtsgerichts zur
Wetterlage um 13:05 Uhr unrichtig oder unvollständig sind, ergaben sich aus
diesem Vorbringen nicht.
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(2) Den Umstand, dass das vorgesehene Flugzeug wegen schlechten
Wetters bereits den vorherigen Flug von Amsterdam nach Berlin nicht antreten
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konnte und deshalb in Berlin nicht zur Verfügung stand, hat das Berufungsge-
richt rechtsfehlerfrei als für eine Entlastung nach Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-
VO nicht ausreichend angesehen.
Zwar ergibt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, aus
Erwägungsgrund 15 der Fluggastrechteverordnung, dass Wetterverhältnisse,
die der Durchführung eines einzelnen Flugs entgegenstehen, auch hinsichtlich
weiterer Flüge außergewöhnliche Umstände im Sinne der Verordnung darstel-
len können, wenn sie zu einer Entscheidung des Flugverkehrsmanagements
führen, die zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betref-
fenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum
nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden
Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die
Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern. Es bedarf jedoch konkreten
Vortrags dazu, aufgrund welcher Umstände es zu der Annullierung gekommen
ist, welche Auswirkungen dies auf die nachfolgend geplanten Flüge gehabt hat
und welche Möglichkeiten zur Verfügung standen, um diese Folgen zu verhin-
dern.
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Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob der Vortrag der Klägerin, das
für die Beförderung vorgesehene Flugzeug habe in Amsterdam nicht starten
können und sei deshalb in Berlin nicht verfügbar gewesen, zur Darlegung eines
außergewöhnlichen Umstands ausreicht. Dieses Vorbringen und der ergänzen-
de Vortrag, ein Ersatzflug sei in der Kürze der Verspätungszeit nicht zu organi-
sieren gewesen, lassen jedenfalls nicht erkennen, dass die Klägerin alle zumut-
baren Maßnahmen ergriffen hat, um die Annullierung des vom Beklagten ge-
buchten Flugs zu verhindern.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist
Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO als Ausnahmebestimmung eng auszulegen
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(EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 - C-549/07, Slg. 2008 I 11061 = NJW
2009, 347 = RRa 2009, 35 Rn. 20 - Wallentin-Hermann). Zwar können Wetter-
verhältnisse, die zu Annullierungen oder Verspätungen führen, außergewöhnli-
che Umstände im Sinne der genannten Vorschrift darstellen. Dem Luftver-
kehrsunternehmen obliegt es aber, darzulegen und erforderlichenfalls zu be-
weisen, dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden per-
sonellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewe-
sen wäre, ohne angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgebli-
chen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer die außergewöhnlichen Umstände zu ver-
meiden, mit denen es konfrontiert war und die zur Annullierung des Flugs ge-
führt haben (EuGH, aaO Rn. 40 f.).
Vor diesem Hintergrund führte der Vortrag der Klägerin zu den Gründen,
aus denen das für die Beförderung vorgesehene Flugzeug nicht verfügbar war,
nicht zu einer Entlastung gemäß Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO. Die Klägerin
hätte darlegen müssen, welche anderen personellen, materiellen und finanziel-
len Mittel ihr zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt
durchzuführen und aus welchen Gründen es ihr gegebenenfalls nicht zumutbar
war, auf diese Ressourcen zurückzugreifen. Ihr Vortrag, an dem in Rede ste-
henden Tag hätten allein 23 ihrer Maschinen in Amsterdam wegen des schlech-
ten Wetters weder starten noch landen können, führt zu keiner anderen Beurtei-
lung. Zwar bedarf es entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung grund-
sätzlich keiner näheren Darlegungen dazu, warum angesichts bestehender Ein-
schränkungen im Luftraum über Amsterdam gerade die hier in Rede stehenden
Flüge und nicht stattdessen andere Flüge annulliert worden sind. Der Vortrag
der Klägerin lässt aber nicht erkennen, ob und welche Möglichkeiten bestan-
den, von Amsterdam aus schon zu einem früheren Zeitpunkt ein Flugzeug auf
den Weg nach Berlin zu bringen. Darüber hinaus geht, wie das Berufungsge-
richt zutreffend ausgeführt hat, aus den Darlegungen der Klägerin nicht hervor,
welche Möglichkeiten in Betracht kamen, ein Flugzeug von einem anderen
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Flughafen nach Berlin umzuleiten. Aus diesem Grund ist auch das Vorbringen
der Klägerin, sie könne aus wirtschaftlichen Gründen in Berlin keine Ersatzflug-
zeuge vorhalten, unzureichend. Sollte die Klägerin im Vorfeld keine Vorkehrun-
gen dagegen getroffen haben, dass aufgrund von Startverzögerungen eines
Flugzeugs auf einem einzelnen Flughafen alle für diesen Tag mit dieser Ma-
schine geplanten Flüge annulliert werden müssen, wäre dies im Hinblick auf
den Ausnahmecharakter, der der Regelung in Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO
zukommt, nicht ausreichend, um den Ausgleichsanspruch des Beklagten entfal-
len zu lassen.
Dem von der Revision ergänzend angeführten Umstand, dass es sich bei
Aruba um ein "exotisches" Reiseziel handle, kommt im Streitfall keine Bedeu-
tung bei. Der annullierte Flug sollte von Berlin nach Amsterdam führen. Seine
Durchführung war unabhängig von der Durchführung des Anschlussflugs von
Amsterdam nach Aruba, der nach den von der Revision nicht angegriffenen
Feststellungen des Berufungsgerichts am 3. Mai 2005 planmäßig stattgefunden
hat.
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c)
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist bei der Bemes-
sung der Anspruchshöhe nicht nur die Entfernung zwischen Berlin und Amster-
dam, sondern auch die Entfernung zwischen Amsterdam und Aruba zu berück-
sichtigen.
(1) Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO wird bei der Ermittlung
der Entfernung der letzte Zielort zu Grunde gelegt, an dem der Fluggast infolge
der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt. Damit ist
nicht allein auf den Zielort des einzelnen Beförderungsvorgangs abzustellen,
der annulliert worden ist. Vielmehr sind auch die Zielorte von direkten An-
schlussflügen im Sinne von Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO zu berücksichti-
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gen, sofern die Annullierung dazu führt, dass der Fluggast auch an diesen ver-
spätet ankommt.
Dem steht nicht entgegen, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO
nicht an den Begriff des Endziels im Sinne von Art. 2 Buchst. h Fluggastrechte-
VO, sondern abweichend davon an einen "Zielort" anknüpft. Eine ähnliche Dif-
ferenzierung ("final destination" - "last destination"; "destino final" - "último desti-
no"; "slutlig bestämmelseort" - "sista bestämmelseort") findet sich auch in der
englischsprachigen, der spanischsprachigen und der schwedischsprachigen
Fassung der Verordnung, während die französischsprachige, die italienisch-
sprachige und die niederländischsprachige Fassung für beide Fälle jeweils den-
selben Begriff ("destination finale", "destinazione finale" und "eindbestemming")
verwenden. Auch nach den Fassungen, die insoweit unterschiedliche Begriffe
verwenden, ergibt sich aus der Anknüpfung an den "letzten" Zielort, dass für die
Bemessung der Ausgleichszahlung mehrere Zielorte in Betracht kommen kön-
nen (ebenso Rennig, RRa 2008, 58, 59). Entgegen der Auffassung der Klägerin
ist deshalb nicht nur der Zielort des annullierten Beförderungsvorgangs maß-
geblich. Im Falle von direkten Anschlussflügen sind vielmehr auch die weiteren
Zielorte zu berücksichtigen, an denen der Fluggast infolge der Annullierung ver-
spätet ankommt. Diese Orte sind nicht zwingend mit dem Endziel im Sinne von
Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO identisch.
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Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach
ein aus Hin- und Rückflug bestehender Beförderungsvorgang nicht als einheit-
licher Flug im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO anzusehen
ist (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - C-173/07, Slg 2008 I 5237 = NJW 2008,
2697 = RRa 2008, 237 Rn. 53 - Schenkel), spricht nicht gegen, sondern für die-
se Auslegung. Der Gerichtshof hat seine Auffassung unter anderem darauf ge-
stützt, dass der Begriff "Endziel" in Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO als der
Zielort auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein bzw. bei direk-
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ten Anschlussflügen als der Zielort des letzten Flugs definiert wird. Hieraus hat
der Gerichtshof die Schlussfolgerung gezogen, dass das Endziel mit dem ers-
ten Abflugort nicht identisch sein kann (aaO Rn. 33 f.). Daraus ergibt sich nicht
nur, dass Hin- und Rückflug als gesonderte Flüge im Sinne von Art. 3 Flug-
gastrechteVO anzusehen sind, sondern auch, dass bei direkten Anschlussflü-
gen nicht ausschließlich der Zielort einer einzelnen Teilstrecke maßgeblich ist.
Zusätzlich bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Rechtsprechung des
Gerichtshofs zum Ausgleichsanspruch im Falle einer Verspätung. Ein solcher
Anspruch setzt unter anderem voraus, dass der Fluggast das Endziel nicht frü-
her als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich ge-
planten Ankunftszeit erreicht (EuGH, Urteil vom 19. November 2009, aaO
Rn. 69 - Sturgeon). Bei direkten Anschlussflügen im Sinne von Art. 2 Buchst. h
FluggastrechteVO ist mithin nicht eine Verspätung am Zielort einer einzelnen
Teilstrecke maßgeblich, sondern eine Verspätung am Endziel, d.h. am letzten
Zielort. Im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO, wonach
der letzte Zielort maßgeblich ist, an dem der Fluggast infolge der Annullierung
verspätet ankommt, kann nichts anderes gelten.
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Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zu anderen Fällen, in de-
nen Fluggäste wegen eines verspäteten Zubringerflugs einen planmäßigen An-
schlussflug verpasst hatten, führt zu keiner anderen Beurteilung. In diesen Ent-
scheidungen - die vor dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom
19. November 2009 zu Ausgleichsansprüchen bei Verspätung ergangen sind -
ging es darum, ob hinsichtlich des Anschlussflugs ein Fall der Nichtbeförderung
im Sinne von Art. 4 Abs. 3 FluggastrechteVO vorlag (Senatsurteil vom 30. April
2009 - Xa ZR 78/08, NJW 2009, 2740 = RRa 2009, 239 Rn. 10) und ob der An-
schlussflug in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt (Senatsurteil vom
28. Mai 2009 - Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743 = RRa 2009, 242 Rn. 8). An-
ders als im Streitfall war dort nicht zu beurteilen, ob schon wegen des Zubrin-
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gerfluges ein Ausgleichsanspruch bestand. In den zu Grunde liegenden Sach-
verhalten war der Zubringerflug nicht annulliert, sondern verspätet durchgeführt
worden, so dass Art. 7 FluggastrechteVO nicht unmittelbar anwendbar war.
(2) Das Berufungsgericht hat die Berücksichtigung der zweiten Teil-
strecke mit der Begründung abgelehnt, die verspätete Ankunft in Aruba habe
ihre Ursache nicht in der Annullierung, sondern in der Umbuchung. Hierbei hat
das Berufungsgericht außer Acht gelassen, dass es für die Umbuchung der
zweiten Teilstrecke keinen Anlass gegeben hätte, wenn der Beklagte und seine
Ehefrau zum vorgesehenen Zeitpunkt in Amsterdam angekommen wären. Der
Flug von Amsterdam nach Aruba hat nach den Feststellungen des Berufungs-
gerichts planmäßig stattgefunden. Dass der Beklagte und seine Ehefrau an die-
sem Flug nicht teilnehmen konnten, ist mithin eine Folge der von der Klägerin
vorgenommenen Annullierung des Flugs von Berlin nach Amsterdam.
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d) Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß
Art. 267 AEUV ist nicht veranlasst. Die für die Entscheidung des Streitfalls er-
heblichen Fragen zur Auslegung der Fluggastrechteverordnung sind in der
Rechtsprechung des Gerichtshofs hinreichend geklärt.
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(1) Der Gerichtshof hat die entscheidenden Gesichtspunkte für die Aus-
legung von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO bereits in dem oben erwähnten Ur-
teil vom 22. Dezember 2008 (aaO - Wallentin-Hermann) aufgezeigt. Die Frage,
ob außergewöhnliche Umstände vorgelegen haben und ob das betroffene Luft-
fahrtunternehmen die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat,
ist von den Gerichten der Mitgliedstaaten unter Anwendung dieser Grundsätze
im Einzelfall zu prüfen (EuGH, aaO Rn. 42).
(2) Die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO und des
danach maßgeblichen Begriffs des letzten Zielorts sind durch das Urteil des
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Gerichtshofs vom 10. Juli 2008 (aaO - Schenkel) hinreichend geklärt. Zwar be-
trifft diese Entscheidung die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 FluggastrechteVO. Die
in den Gründen dieser Entscheidung enthaltenen Ausführungen zum Begriff
des Zielorts haben aber auch für Art. 7 Abs. 1 Satz 2 eine hinreichende Klärung
der Rechtslage bewirkt, die durch das Urteil des Gerichtshofs vom 19. Novem-
ber 2009 (aaO - Sturgeon) bestätigt worden ist.
4.
Ob dem Beklagten ein weitergehender Anspruch wegen Nichtbeför-
derung auf der Teilstrecke von Amsterdam nach Aruba zusteht, bedarf keiner
Entscheidung. Der Vergütungsanspruch der Klägerin in Höhe von 1.157,62 Eu-
ro ist bereits durch die Aufrechnung mit dem aus der Annullierung der ersten
Teilstrecke entstandenen Anspruch auf Zahlung von 1.200 Euro erloschen.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Keukenschrijver Mühlens
Bacher
Hoffmann
Schuster
Vorinstanzen:
AG Berlin-Spandau, Entscheidung vom 29.02.2008 - 3 C 9/07 -
KG Berlin, Entscheidung vom 23.11.2009 - 20 U 62/08 -