Urteil des BGH vom 10.09.2014

BGH: schlüssiges verhalten, wohnung, nötigung, zwangslage, anschluss, gefahr, drohung, vergewaltigung, flucht, bundesanwaltschaft

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 S t R 2 6 1 / 1 4
vom
10. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer sexueller Nötigung u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Septem-
ber 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt R.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin G.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 9. Januar 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin durch seine Revision entstandenen not-
wendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer sexu-
eller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit Sachbe-
schädigung
– bei Freispruch im Übrigen – zu einer Freiheitsstrafe von drei Jah-
ren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatri-
schen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte
Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte der an einer emoti-
onal instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus in Verbindung mit
einer Impulskontrollstörung leidende, psychisch stark angespannte Angeklagte
seine ehemalige Lebensgefährtin, die Nebenklägerin, in ihrer Wohnung auf. Als
die Nebenklägerin seine Annäherungsversuche ablehnte, riss er ihr die Klei-
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dung vom Körper, stieß sie auf das Bett und äußerte, er werde sie jet
zt „ficken“.
Der Angeklagte setzte sich rittlings auf die Nebenklägerin, fixierte sie und
spannte eine Decke über ihr Gesicht, wodurch sie Atemnot erlitt und in Todes-
angst geriet. Dabei lüftete er mehrfach kurz die Decke und sagte ihr, er bringe
sie jetzt um. Als die Nebenklägerin seiner Aufforderung zum Oralverkehr nicht
nachkam, versuchte er mit seinem Penis in ihre Scheide einzudringen. Dabei
hielt er ihr den Mund zu und drückte abwechselnd ein Shirt auf ihren Hals und
ihr Gesicht. Mangels Erektion kam es jedoch nicht zum Geschlechtsverkehr.
Nunmehr ließ der Angeklagte von der Nebenklägerin ab und hielt sich selbst ein
Messer vor den Körper. Die Nebenklägerin, die die krankheitsbedingten Im-
pulsausbrüche des Angeklagten kannte, nahm ihm das Messer ab. Beide gin-
gen ins Badezimmer, wo die Nebenklägerin versuchte, den Angeklagten durch
Zureden und Zuhören zu beruhigen. Aus Angst vor „weiteren Übergriffen und
weil sie die Flucht aus der Wohnung wegen der von ihr bei dem Angeklagten
bemerkten Anspannung für zu r
iskant hielt“ (UA S. 20), folgte die Nebenklägerin
dem Angeklagten wieder ins Bett zurück. Als die innere Anspannung des Ange-
klagten wieder anstieg
– seit dem Ablassen des Angeklagten von der Neben-
klägerin waren etwa zwanzig Minuten vergangen
–, „wollte er jetzt sein Ziel
verwirklichen und mit der Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr ausüben“.
Aus Angst vor neuen Übergriffen ließ diese ihn gewähren. Dem Angeklagten
war klar, dass die Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr nur deshalb duldete,
„weil sie noch unter dem Eindruck der vorangegangenen massiven Gewalt und
der Todesdrohungen stand“, was er sich bewusst zunutze machte (UA S. 20,
57 f.).
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2. Die Revision des Angeklagten ist offensichtlich unbegründet.
Die Annahme des Landgerichts, wonach der Gesch
lechtsverkehr „nach
dem Intermezzo im Badezimmer“ (UA S. 59) im Rahmen eines in natürlicher
Handlungseinheit stehenden Gesamtgeschehens (vgl. LK-Hörnle, StGB,
12. Aufl., § 177 Rn. 183) als Vergewaltigung zu werten ist, hält sachlich-
rechtlicher Nachprüfung stand. Entgegen der Ansicht des Generalbundesan-
walts kommt es hier
– anders als etwa im Falle des Ausnutzens eines „Klimas
der Gewalt“ (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2004 – 3 StR 256/04,
NStZ 2005, 268, 269, vom 20. März 2012
– 4 StR 561/11, StV 2012, 534, 536,
und vom 27. Februar 2013
– 4 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 207) – nicht darauf
an, ob der Angeklagte bei Vornahme des Geschlechtsverkehrs durch schlüssi-
ges Verhalten nochmals auf den gewaltsamen Übergriff und die Todesdrohun-
gen Bezug genommen hat. Denn die durch die Todesdrohungen geschaffene
Zwangslage dauerte noch an, als der Angeklagte sein „Ziel“ (UA S. 20), den
Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin, seinem ursprünglichen Ansinnen
entsprechend verwirklichte (vgl. auch BGH, Urteil vom 21. August 1991
– 2 StR 274/91, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 7). Die gerade für die Aus-
übung des Geschlechtsverkehrs geschaffene Bedrohungssituation ist durch die
allein der Beruhigung und der Deeskalation dienenden Gespräche nicht been-
det worden. Der Angeklagte stand weiter unter Anspannung (vgl. UA S. 19 f.,
56) und hatte sein Vorhaben, mit der Nebenklägerin sexuell zu verkehren, noch
nicht aufgegeben. Die Todesdrohungen begründeten aufgrund des engen zeitli-
chen und situativen Zusammenhangs für die Nebenklägerin weiterhin eine Ge-
fahr und waren noch wirkungsvoll und gegenwärtig. Der Geschlechtsverkehr
wurde ohne wesentliche zeitliche Zäsur im Anschluss an die massive Gewalt
und die ausgesprochenen Drohungen in deren bewusster Ausnutzung erzwun-
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gen und stellt sich als Teil eines einheitlichen Geschehens dar (vgl. BGH, Urteil
vom 21. August 1991
– 2 StR 274/91 aaO).
Eine Tenorkorrektur aufgrund der allein vom Angeklagten geführten Re-
vision ist nicht angezeigt.
Basdorf Sander Schneider
Berger Bellay
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