Urteil des BGH vom 15.11.2012

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 130/10
vom
15. November 2012
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
InsO § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 65
InsVV § 1 Abs. 2 Nr. 1, §§ 10, 11 Abs. 1
a) Bei der Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläufigen Verwalters findet
der Wert eines Gegenstandes, an dem Absonderungsrechte bestehen, auch dann
Berücksichtigung, wenn der vorläufige Verwalter den Gegenstand nicht verwertet.
b) Der Wert eines Gegenstandes, der mit Absonderungsrechten belastet ist, wird bei
der Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläufigen Verwalters in dem
Umfang berücksichtigt, in dem er den Wert des verwalteten Vermögens des
Schuldners erhöht, auch wenn sich der vorläufige Verwalter nicht mit dem Gegen-
stand befasst hat.
c) Der Wert eines Gegenstandes, der wertausschöpfend mit Rechten belastet ist, die
zur abgesonderten Befriedigung berechtigen, ist bei der Berechnungsgrundlage
für die Vergütung des vorläufigen Verwalters nicht zu berücksichtigen.
BGH, Beschluss vom 15. November 2012 - IX ZB 130/10 - LG Oldenburg
AG Cloppenburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 15. November 2012
beschlossen:
Dem Rechtsbeschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in die ver-
säumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbe-
schwerde gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der
6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 27. Oktober 2009
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
7.750,65
€ festgesetzt.
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Gründe:
I.
Auf Antrag einer Gläubigerin bestellte das Insolvenzgericht mit Beschluss
vom 23. Februar 2007 den weiteren Beteiligten zum vorläufigen Insolvenzver-
walter mit Zustimmungsvorbehalt über das Vermögen des Schuldners. Mit Be-
schluss vom 13. Dezember 2007 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Mit Schriftsatz vom 27. April 2009 beantragte der vorläufige Insolvenz-
verwalter, seine Vergütung auf 8.000
€ festzusetzen, die Auslagen auf 1.200 €,
jeweils zuzüglich Umsatzsteuer, zusammen 10.948
€. Als Berechnungsgrund-
lage legte er die "Aktivmasse" zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Tätigkeit in
Höhe von 626.688,47
€ zugrunde. Hierin enthalten ist ein Grundstück des
Schuldners mit einem Verkehrswert von 610.000
€. Diese Immobilie war mit
erst- und zweitrangigen Grundschulden in Höhe von 500.000
€ zugunsten einer
Bank bei einem geltend gemachten Schuldsaldo von 2.671.087,95
€ belastet
sowie
nachrangig
mit
weiteren
Grundpfandrechten
von
zusammen
762.480,05
€. Das Grundstück wurde zwangsversteigert. Für die Masse blieb
kein Erlösanteil übrig.
Aus der genannten Berechnungsgrundlage errechnete der vorläufige
Insolvenzverwalter die Regelvergütung nach § 2 InsVV mit 40.283,76
€, wovon
er gemäß § 11 Abs. 1 InsVV die Festsetzung von 25 v.H. beantragte, zuzüglich
eines Zuschlags von 10 v.H. für eine umfassende Prüfung der Aus- und Abson-
derungsrechte an Versicherungen und wegen unkooperativen Verhaltens des
Schuldners. Aus der daraus berechneten Vergütung (35 v.H. aus 40.283,76
€)
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begehrte er 8.000
€, weil die Immobilie gleichzeitig unter Zwangsverwaltung
gestanden habe, was einen Abschlag rechtfertige.
Das Insolvenzgericht hat die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Dabei
übernahm es ohne Begründung die beantragte Berechnungsgrundlage. Ob ein
Zuschlag von 10 v.H. gerechtfertigt sei, ließ es dahingestellt. Die hiergegen er-
hobene sofortige Beschwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben.
II.
Dem Rechtsbeschwerdeführer ist Wiedereinsetzung in die versäumten
Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren,
weil er vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Senat ohne Ver-
schulden daran gehindert war, diese Fristen einzuhalten, § 233 Abs. 1 ZPO. Die
Wiedereinsetzungsfristen nach § 234 ZPO sind gewahrt.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zu-
rückverweisung.
1. Das Landgericht hat die vom vorläufigen Insolvenzverwalter ange-
nommene Berechnungsgrundlage, wie schon das Insolvenzgericht, kommentar-
los übernommen. Ob ein Zuschlag gerechtfertigt sei, sei nicht zu klären, weil
der vom vorläufigen Insolvenzverwalter vorgenommene Abschlag schon dazu
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führe, dass die Regelvergütung von 25 v.H. um etwa 2.000
€ unterschritten
werde.
Die Rechtsbeschwerde macht demgegenüber geltend, der Verkehrswert
des Grundstücks habe nicht in die Berechnungsgrundlage eingestellt werden
dürfen. Es sei eine Vergütung einschließlich Auslagenpauschale und Umsatz-
steuer von 3.197,35
€ festzusetzen.
2. Die vom Landgericht nicht näher begründete Annahme, der Verkehrs-
wert des Grundstücks sei zur Berechnungsgrundlage zu zählen, hält rechtlicher
Prüfung nicht stand. Der Verkehrswert des Grundstücks ist bei der Berech-
nungsgrundlage nicht zu berücksichtigen, weil das Grundstück wertausschöp-
fend belastet war.
Maßgebend als Berechnungsgrundlage ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2
InsVV das Vermögen, auf das sich die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters
während des Eröffnungsverfahrens erstreckt. Die durch die Zweite Verordnung
zur
Änderung
der
Insolvenzrechtlichen
Vergütungsverordnung
vom
21. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3389) unverändert gebliebene Bestimmung hat
der Senat dahin ausgelegt, dass Gegenstände, die mit Absonderungsrechten
belastet sind, bei der Vergütung des vorläufigen Verwalters nur berücksichtigt
werden, wenn sich dieser in erheblichem Umfang damit beschäftigt hat. Ist da-
nach ein Gegenstand zu berücksichtigen, der wertausschöpfend belastet ist,
schlage sich dies nicht bei der Berechnungsgrundlage nieder, sondern führe zu
einem Zuschlag zur Regelvergütung (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006
- IX ZB 104/05, BGHZ 168, 321).
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Durch die Neufassung des § 11 Abs. 1 InsVV durch die Zweite Verord-
nung zur Änderung der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vom
21. Dezember 2006 hat sich hieran nichts geändert.
a) Voraussetzung dafür, dass ein mit Absonderungsrechten belasteter
Gegenstand aus dem Vermögen des Schuldners bei der Berechnungsgrundla-
ge berücksichtigt werden kann, ist nunmehr gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV,
dass sich der vorläufige Insolvenzverwalter in erheblichem Umfang mit ihm be-
fasst hat. Entsprechendes galt vorher nach der Rechtsprechung des Senats für
die Gewährung eines Zuschlags (vgl. Beschluss vom 13. Juli 2006, aaO). Fest-
stellungen hierzu haben die Vorinstanzen hinsichtlich des Grundstücks bisher
nicht getroffen, obwohl der vorläufige Insolvenzverwalter hierzu vorgetragen
hat. Schon deshalb kann die Beschwerdeentscheidung keinen Bestand haben.
b) Berechnungsgrundlage ist nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV das Vermö-
gen, auf das sich die Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt.
Für den Begriff des Vermögens in diesem Sinne ist nach der Begründung
zur Zweiten Änderungsverordnung der "klassische" Vermögensbegriff maßge-
bend, wie er in der Rechtswissenschaft seit vielen Jahren verwendet werde.
Insoweit werde unter Vermögen die Gesamtheit der einer Person zustehenden
Güter und Rechte von wirtschaftlichem Wert verstanden. Hierzu zähle insbe-
sondere das Eigentum an Grundstücken und beweglichen Sachen, Forderun-
gen und sonstigen Rechten, die einen Geldwert besitzen. Verbindlichkeiten sei-
en dagegen nicht zum Vermögen zu rechnen (Amtliche Begründung zur Zwei-
ten Änderungsverordnung, ZInsO 2007, 27, 28). Danach fällt das im Eigentum
des Schuldners stehende Grundstück unter den hier maßgeblichen Vermö-
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gensbegriff des § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV. Zusätzliche Voraussetzung soll nach
§ 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV sein, dass sich der vorläufige Verwalter in erhebli-
chem Umfang mit dem Grundstück befasst hat.
c) Die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV, wonach das im Eigentum
des Schuldners stehende Grundstück in die Berechnungsgrundlage für die Ver-
gütung des vorläufigen Verwalters fällt, ist mit § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 63
Abs. 1 Satz 2 InsO vereinbar.
aa) Nach § 65 InsO ist das Bundesministerium der Justiz ermächtigt, die
Vergütung und die Erstattung der Auslagen des Insolvenzverwalters durch
Rechtsverordnung näher zu regeln. Das gilt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
InsO entsprechend für den vorläufigen Insolvenzverwalter.
Nach § 63 Abs. 1 InsO hat der (endgültige) Insolvenzverwalter Anspruch
auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener
Auslagen. Der Regelsatz seiner Vergütung wird nach dem Wert der Insolvenz-
masse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens berechnet. Dem Umfang und
der Schwierigkeit der Geschäftsführung des Verwalters wird durch Abweichun-
gen vom Regelsatz Rechnung getragen.
Diese Regelung ist zwar sehr knapp. Sie genügt aber noch dem Be-
stimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (BGH, Beschluss vom
29. September 2011 - IX ZB 112/09, ZIP 2011, 2117 Rn. 6; Bork/Muthorst, ZIP
2010, 1627, 1630 f; zweifelnd allerdings MünchKomm-InsO/Nowak, 2. Aufl.,
§ 65 Rn. 2). Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigungsgrundlage sind noch
hinreichend bestimmt (Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren,
3. Aufl., Rn. 41).
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Die Berechnungsgrundlage gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO bemisst sich
für die Vergütung des Verwalters nach dem Wert der Insolvenzmasse zum
Zeitpunkt der Beendigung des Verfahrens. Insolvenzmasse ist nach § 35 Abs. 1
InsO das Vermögen, welches dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insol-
venzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erwirbt.
Die Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO kann allerdings - schon bezo-
gen auf den endgültigen Verwalter - nicht streng wortgetreu ausgelegt werden,
weil zum Zeitpunkt der Beendigung des Insolvenzverfahrens, also nach Vollzug
der Schlussverteilung (§ 200 Abs. 1 InsO), eine Insolvenzmasse nicht mehr
vorhanden ist, auf welche sich der Regelsatz der Verwaltervergütung beziehen
könnte. Nach der Gesetzesbegründung sollte durch die Regelung an das Recht
zur Konkursverwaltervergütung angeknüpft werden, nach welcher die Vergü-
tung des Konkursverwalters nach der Teilungsmasse berechnet wurde, auf die
sich die Schlussrechnung bezog. Dagegen sollte, anders als zuvor beim Ver-
gleichsverwalter, nicht mehr auf das Aktivvermögen abgestellt werden (§ 1
Abs. 1, § 8 Abs. 1 VergVO, vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 130 zu § 74 RegE-
InsO). Insoweit wird in § 1 InsVV ein offenkundiges Redaktionsversehen des
Gesetzgebers dahin klargestellt, dass die Vergütung des Insolvenzverwalters
durch den Wert der Insolvenzmasse berechnet wird, auf welche sich die
Schlussrechnung nach § 66 InsO bezieht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 InsVV).
Die vorhandene Teilungsmasse wird allerdings auch beim Insolvenzver-
walter dem Vergütungsanspruch nicht einschränkungslos zugrunde gelegt.
Masseverbindlichkeiten werden grundsätzlich nicht abgezogen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4
Satz 1 InsVV entsprechend § 2 Nr. 3 Satz 1 VergVO). Bei Unternehmensfort-
führung wird nur der Überschuss berücksichtigt (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2
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Buchst. b InsVV entsprechend § 2 Nr. 5 VergVO). Daneben bestehen weitere
Abweichungen.
bb) Für den vorläufigen Insolvenzverwalter und seinen Vergütungsan-
spruch gilt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO die Vorschrift des § 63 Abs. 1
Satz 2 InsO entsprechend. Hieraus ergibt sich, dass Gegenstände, an denen
Absonderungsrechte bestehen, auch beim vorläufigen Verwalter zur Berech-
nungsgrundlage für die Vergütung zählen.
d) Beim endgültigen Verwalter werden allerdings Massegegenstände, an
denen Absonderungsrechte bestehen, nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 InsVV nur
berücksichtigt, wenn sie vom Verwalter verwertet werden. Diese Vorschrift wäre
nach § 10 InsVV für die Vergütung des vorläufigen Verwalters entsprechend
anwendbar, wenn nicht § 11 Abs. 1 InsVV etwas anderes bestimmt. Hiervon ist
insbesondere nach dem Gesamtzusammenhang der Regelung auszugehen:
§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV spricht zwar nicht gegen die entsprechende
Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 InsVV. Aus § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV
ergibt sich jedoch, dass Gegenstände, an denen Absonderungsrechte beste-
hen, der Berechnungsgrundlage ohne Abzug hinzuzurechnen sind unter der
Voraussetzung, dass sich der vorläufige Verwalter in erheblichem Umfang mit
ihnen befasst hat. Damit wird § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 InsVV seinem Rechtsge-
danken nach verdrängt. Die Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters ist es
regelmäßig nicht, Gegenstände der Masse zu verwerten. Dies hätte nach § 1
Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 InsVV zur Folge, dass Gegenstände, an denen Absonde-
rungsrechte bestehen, schon deshalb nicht in die Berechnungsgrundlage fallen.
Davon weicht § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV ab. Der vorläufige Verwalter muss also
keine Verwertung vorgenommen haben. Das hält sich im Rahmen des § 63
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Abs. 1 Satz 2 InsO in der für vorläufige Insolvenzverwalter notwendigen Anpas-
sung.
e) Die Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV findet hingegen ge-
mäß § 10 InsVV auf die Vergütung des vorläufigen Verwalters Anwendung.
Soweit in § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV etwas anderes bestimmt werden sollte, wie
aus der Begründung zur Zweiten Änderungsverordnung entnommen werden
kann, verstößt dies je nach den Umständen zum Nachteil des vorläufigen Insol-
venzverwalters, des Schuldners oder der Gläubiger gegen die Ermächtigungs-
grundlage und ist deshalb unwirksam.
aa) § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV beruht auf dem aus § 63 Abs. 1 Satz 2
InsO abzuleitenden Überschussprinzip, das voraussetzt, dass bei der Werter-
mittlung der Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Verwalters dingliche
Belastungen eines Massegegenstandes, die Absonderungsrechte Dritter be-
gründen, anders als schuldrechtliche Verbindlichkeiten, von dem Wert des un-
belasteten Gegenstandes abzuziehen sind. Dies sah bereits § 2 Nr. 1 der Ver-
gütungsverordnung zur Konkursordnung vor, an den die Regelung des § 63
Abs. 1 Satz 2 InsO anknüpft. Hieran hat die insolvenzrechtliche Vergütungsver-
ordnung - entsprechend den gesetzlichen Vorgaben - festgehalten.
Parallel hierzu stellt § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO klar, dass dem Umfang und
der Schwierigkeit der Geschäftsführung des Verwalters durch Abweichungen
vom Regelsatz Rechnung zu tragen ist. Deshalb ist es gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1
Satz 2 und 3 InsVV für die Frage, in welchem Umfang der Wert eines mit späte-
ren Absonderungsrechten belasteten Gegenstandes zur Berechnungsgrundla-
ge zu rechnen ist, völlig unerheblich, in welchem Umfang sich der Verwalter mit
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dem Gegenstand befasst hat. Der Umfang der Tätigkeit kann allerdings einen
Zuschlag nach § 3 Abs. 1 Buchst. a InsVV rechtfertigen.
bb) Für den vorläufigen Insolvenzverwalter und seinen Vergütungsan-
spruch gilt dies gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO
entsprechend. Deshalb muss auch hier das Überschussprinzip des § 1 Abs. 2
Nr. 1 Satz 3 InsVV gemäß § 10 InsVV Anwendung finden. Der Umfang der Be-
fassung des vorläufigen Verwalters mit Gegenständen, an denen dingliche
Rechte bestehen, die zur abgesonderten Befriedigung berechtigen, kann dem-
gemäß keine Bedeutung haben für die Frage, in welchem Umfang der Wert des
Gegenstandes zur Berechnungsgrundlage zählt.
Gegenstände oder Forderungen, die zur Berechnungsgrundlage zählen,
sind deshalb nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch dann zu berück-
sichtigen, wenn sich der vorläufige Verwalter nicht mit ihnen befasst hat (BGH,
Beschluss vom 9. Juni 2005 - IX ZB 230/03, ZIP 2005, 1324, 1325; vom
26. April 2007 - IX ZB 160/06, ZIP 2007, 1330 Rn. 5; vom 17. März 2011
- IX ZB 145/10, ZInsO 2011, 839 Rn. 12). Umgekehrt kann nicht allein der Um-
stand, dass sich der vorläufige Verwalter mit einem Gegenstand in erheblichem
Umfang befasst hat, diesen seinem vollen Verkehrswert nach zum Schuldner-
vermögen und damit zum Gegenstand der Berechnungsgrundlage für die Ver-
gütung machen.
Die Annahme in der Begründung der Zweiten Änderungsverordnung, die
entsprechende Anwendung des § 65 InsO führe dazu, dass trotz der ebenfalls
für entsprechend anwendbar erklärten Vorschriften des § 63 Abs. 1 Satz 2 und
3 InsO die besondere Berechnungsgrundlage des § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV für
die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters gesetzlich gedeckt sei (so
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inhaltlich aaO S. 28 vor 2), ist unzutreffend. Die in § 63 Abs. 1 InsO angeordne-
te (entsprechende) Anwendung der Wertbezogenheit des Vergütungsanspruchs
ist zu berücksichtigen; andernfalls würde es schon an der nach Art. 80 Abs. 1
Satz 2 GG erforderlichen Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Er-
mächtigung hinsichtlich der Vergütung des vorläufigen Verwalters fehlen. Aller-
dings setzt die entsprechende Anwendung voraus, dass die Vorschrift an die
besonderen Gegebenheiten beim vorläufigen Insolvenzverwalter angepasst
wird. Dem Verordnungsgeber kommt hierbei ein Ermessensspielraum zu. Er
kann jedoch nicht das durch die Vorschrift vorgegebene System verlassen und
ohne sachliche Rechtfertigung völlig andere Bemessungskriterien zugrunde
legen. Maßgebend ist auch hier, dass in die Berechnungsgrundlage nach § 63
Abs. 1 Satz 2 InsO Eingang finden kann und muss, was Gegenstand der Masse
wird oder werden kann und zur Begleichung der Masseverbindlichkeiten zur
Verfügung steht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2012 - IX ZB 88/09,
zVb in BGHZ).
f) Soweit der Gegenstand mit Absonderungsrechten nicht wertausschöp-
fend belastet ist, der vorläufige Verwalter sich aber nicht in erheblicher Weise
mit dem Gegenstand befasst hat, wäre dessen Wert nach § 11 Abs. 1 Satz 4
InsVV bei der Berechnungsgrundlage nicht zu berücksichtigen, auch nicht in
der Höhe, in welcher der Masse der Überschuss zusteht. In § 1 Abs. 2 Nr. 1
Satz 3 InsVV, der nach § 10 InsVV entsprechend anzuwenden ist, ist jedoch
geregelt, dass - wie nach bisherigem Recht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli
2006 - IX ZB 104/05, BGHZ 168, 321 Rn. 20) - der Überschuss stets zur Be-
rechnungsgrundlage zählt.
Wollte man annehmen, die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV
schließe die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV abweichend von
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§ 10 InsVV aus, würde dies zum Nachteil des vorläufigen Verwalters gegen die
Ermächtigungsgrundlage des § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO verstoßen, weil ihm ein
späterer Massebestandteil als Berechnungsgrundlage für seine Vergütung vor-
enthalten würde. Der Senat hat deshalb § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV auch für
§ 11 Abs. 1 InsVV nF bereits für anwendbar erklärt (BGH, Beschluss vom
16. September 2010 - IX ZB 68/09, nv).
Die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV verstößt insoweit gegen § 63
Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO, weil es keinen Grund gibt, den vorläufigen Insolvenz-
verwalter schlechter zu stellen als den endgültigen Verwalter.
g) § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV ist aber umgekehrt auch dann anwend-
bar, wenn der Gegenstand wertausschöpfend belastet ist.
aa) Nach der Begründung zur Zweiten Änderungsverordnung sollte die
Neuregelung des § 11 Abs. 1 InsVV klarstellen, dass die Vergütung des vorläu-
figen Insolvenzverwalters auf der Basis einer eigenständigen Berechnungs-
grundlage gilt, für die § 1 Satz 1 InsVV (gemeint ist offenbar § 1 Abs. 1 Satz 1
InsVV) keine Anwendung finde. Daneben solle der "klassische" Vermögensbe-
griff gelten, wie er in der Rechtswissenschaft seit vielen Jahren verwendet wer-
de. Hierzu gehöre insbesondere das Eigentum an Grundstücken. Bei diesem
Vermögensbegriff sei weitgehend unstreitig, dass Verbindlichkeiten nicht zum
Vermögen zu rechnen seien, so dass sie auch nicht den Rechten gegenüber-
gestellt und wertmäßig von ihnen abgezogen werden könnten. Insoweit ließe
sich auch von der Maßgeblichkeit des Aktivvermögens sprechen (Amtliche Be-
gründung, abgedruckt in ZInsO 2007, 27, 28).
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Dies steht mit § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO in Ein-
klang. Hiernach wird die Berechnungsgrundlage nach der Masse berechnet.
Insolvenzforderungen werden, wie die Verordnungsbegründung zutreffend an-
nimmt, nicht abgezogen. Darüber hinaus werden in entsprechender Anwendung
nach § 10 InsVV, § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV auch Masseverbindlichkeiten
grundsätzlich nicht abgezogen.
bb) Allerdings meint die Verordnungsbegründung, aus dem genannten
"klassischen" Vermögensbegriff lasse sich unschwer erschließen, dass bei mit
Absonderungsrechten belasteten Gegenständen keine Saldierung zu erfolgen
habe, dass also Vermögensgegenstände ohne die auf ihnen ruhenden Belas-
tungen anzusetzen seien (Begründung, aaO S. 29).
Dieser Schluss ist unzutreffend. Aus dem herkömmlichen Vermögensbe-
griff lässt sich nicht ableiten, dass auch fremde Sachen (Sicherungseigentum)
oder Rechte (sicherungsabgetretene Forderungen, Pfandrechte an Gegenstän-
den des Schuldnervermögens), die das Vermögen des Schuldners selbst unmit-
telbar mindern, dem verwalteten Vermögen hinzugerechnet werden können. Ein
solches Ergebnis wäre jedenfalls mit § 63 Abs. 1 Satz 2, § 21 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 InsO unvereinbar. Abgesehen von der Frage des hier nicht entschei-
dungserheblichen maßgeblichen Zeitpunkts ist in dieser Vorschrift bestimmt,
dass als Grundlage für die Berechnung der Vergütung des Verwalters die Mas-
se und beim vorläufigen Insolvenzverwalter der Wert des Vermögens maßge-
bend ist, welches er verwaltet hat.
cc) Bei der Bewertung des Vermögens ist der im § 63 Abs. 1 Satz 2, § 21
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO angeordneten Strukturgleichheit der Vergütung von
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vorläufigem und endgültigem Verwalter Rechnung zu tragen, die insbesondere
auch in dem angeordneten Regelbruchteil von 25 v.H. seine Ausprägung findet
(vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 - IX ZB 104/05, BGHZ
168, 321 Rn. 18 ff).
Den Regelbruchteil von 25 v.H. hat der Verordnungsgeber aus der
Rechtsprechung schon durch die Erste Verordnung zur Änderung der Insol-
venzrechtlichen Vergütungsverordnung vom 4. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2569)
in § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV übernommen. Grundgedanke dieser Rechtspre-
chung (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2000 - IX ZB 105/00, BGHZ 146,
165, 178 f; vom 24. Juni 2003 - IX ZB 453/02, ZIP 2003, 1759) war die Annah-
me, der vorläufige Verwalter habe im Normalfall nur einen Teil der Arbeitslast
zu tragen, die dem später bestellten endgültigen Verwalter obliegt. Dieser Anteil
wurde pauschalierend für den Normalfall mit 25 v.H. bemessen. Einen nach-
vollziehbaren Sinn ergibt diese in die Verordnung übernommene Regelung aber
nur bei annähernd gleich großen Berechnungsgrundlagen. Dieser Sinn ist ver-
fehlt, wenn die Berechnungsgrundlage der Vergütung beim vorläufigen Verwal-
ter durch die Einbeziehung von Gegenständen zum vollen Sachwert trotz be-
stehender Absonderungsrechte Dritter weitaus größer ist. Nach den Erfahrun-
gen des Senats aus einer Vielzahl von Fällen beträgt die Berechnungsgrundla-
ge für die Vergütung der vorläufigen Verwalter bei Einbeziehung der genannten
Gegenstände ohne Berücksichtigung späterer Aus- und Absonderungsrechte in
der Regel ein Vielfaches des späteren Massewertes (vgl. dazu etwa Vill in
Festschrift Gero Fischer, 2008, S. 547, 549 f).
dd) Für die Bemessung der Vergütung hat der Gesetzgeber mit § 63
Abs. 1 Satz 2 InsO an die zuvor geltenden Regelungen für die Konkursverwal-
ter angeknüpft (BT-Drucks. 12/2443 S. 130 zu § 74 RegE-InsO). Danach war
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grundsätzlich das Überschussprinzip maßgeblich, das in die insolvenzrechtliche
Vergütungsverordnung übernommen wurde (BGH, Beschluss vom 13. Juli
2006, aaO Rn. 19 ff).
Werden für den vorläufigen Verwalter Berechnungsgrundlagen zugrunde
gelegt, die unabhängig sind vom Wert der Masse und diese sehr häufig bei wei-
tem übersteigen, könnte die Masse schon durch die Vergütung des vorläufigen
Verwalters weitgehend ausgezehrt werden. Dem wird mit § 10 InsVV durch die
Verweisung auf das Überschussprinzip des § 1 Abs. 2 InsVV auch bei dem vor-
läufigen Verwalter vorgebeugt (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006, aaO
Rn. 20).
Die von § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO vorgegebene Struktur muss im Wesent-
lichen beibehalten werden, solange der Gesetzgeber keine anderen verfas-
sungsmäßigen Vorgaben schafft. Danach ist der tatsächliche Wert der Masse,
beim vorläufigen Verwalter der tatsächliche Wert des verwalteten Schuldner-
vermögens, zugrunde zu legen. § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO in Verbindung mit § 21
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO gestatten es nicht, im Verordnungsweg einen von der
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage abweichenden Systemwechsel in der
Vergütungsstruktur zu vollziehen, der zu einer Bemessung nach fiktiven Werten
führte, welche mit dem Wert des Vermögens des Schuldners, auf das sich die
Tätigkeit des vorläufigen Verwalters erstreckte, nichts zu tun hat.
Der Senat hat zu keiner Zeit verkannt, dass die Tätigkeit des vorläufigen
Insolvenzverwalters heute vielfach wesentlich höhere Anforderungen stellt, als
sie unter der Geltung der Konkursordnung die Sequestertätigkeit bestimmten.
Das Gesetz lässt aber in § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO keinen Zweifel daran, dass
dem Umfang und der Schwierigkeit der Geschäftsführung des Verwalters, auch
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des vorläufigen Verwalters, ausschließlich bei der Höhe des Vergütungssatzes
Rechnung zu tragen ist. Wenn es das Motiv des Verordnungsgebers war, den
geänderten Anforderungen an den vorläufigen Insolvenzverwalter Rechnung zu
tragen, ist dieser Zweck seines Handelns gesetzeskonform. Der Inhalt der Neu-
regelung ist es hingegen nicht, weil die vorgenommene Ausdehnung der Be-
rechnungsgrundlage in der Insolvenzordnung keine Grundlage findet.
h) Der Senat hat mit Beschluss vom heutigen Tage (IX ZB 88/09, zVb in
BGHZ) entschieden, dass auch § 1 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 Satz 2 Buchst. b
InsVV für die Berechnungsgrundlage bei der Festsetzung der Vergütung des
vorläufigen Verwalters Anwendung finden. Auch damit wird der Strukturgleich-
heit zwischen den Berechnungsgrundlagen der Vergütung bei vorläufigem und
endgültigem Verwalter Rechnung getragen.
IV.
Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache ge-
mäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Der Wert des Grundstücks ist bei der Berechnungsgrundlage wegen der vor-
handenen dinglichen Belastungen nicht zu berücksichtigen. Das Beschwerde-
gericht wird jedoch zu prüfen haben, ob dem vorläufigen Insolvenzverwalter ein
Zuschlag nach §§ 10, 3 Abs. 1 Buchst. a InsVV wegen der Bearbeitung von
Absonderungsrechten an dem Grundstück zuzubilligen ist. Im Hinblick auf die
niedrige Berechnungsgrundlage kann dieser Zuschlag je nach Arbeitsaufwand
des vorläufigen Insolvenzverwalters weitaus höher liegen als der für die Bear-
beitung von Aus- und Absonderungsrechten an Versicherungen beantragte Zu-
schlag von 10 v.H. Auch dieser Zuschlag ist in der Höhe zu überprüfen. Die An-
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gemessenheit der Höhe eines Zuschlags ist abhängig nicht nur von dem Um-
fang der Tätigkeit, sondern auch von der Höhe der Berechnungsgrundlage, wie
sich schon aus § 3 Abs. 1 Buchst. a und b InsVV ergibt. Es ist deshalb nicht
ausgeschlossen, dass die bisher festgesetzte Vergütung des Verwalters im
Endergebnis nicht oder kaum herabzusetzen ist.
Kayser
Gehrlein
Vill
Lohmann
Fischer
Vorinstanzen:
AG Cloppenburg, Entscheidung vom 02.07.2009 - 9 IN 160/07 -
LG Oldenburg, Entscheidung vom 27.10.2009 - 6 T 931/09 -