Urteil des BGH vom 03.07.2014

BGH: rechtliches gehör, hinweispflicht, protokollierung, unterlassen, mangel, dokumentation, übereinstimmung, koch, abweisung, überprüfung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I X Z R 2 8 5 / 1 3
vom
3. Juli 2014
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die
Richterin Möhring
am 3. Juli 2014
beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Kammerge-
richts vom 19. November 2013 wird zugelassen.
Auf die Revision des Klägers wird das vorgenannte Urteil aufge-
hoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückgewiesen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 237.904,11
festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. Mai 2008 über das Vermögen der
G. GmbH & Co. KG (nachfolgend: Schuld-
nerin) eröffneten Insolvenzverfahren. Der Beklagte ist als Kommanditist mit ei-
ner Einlage von 4.400.000 DM an der Schuldnerin beteiligt.
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Die Schuldnerin bebaute aufgrund eines von der Evangelischen Kirchen-
gemeinde in F. als Eigentümerin am 24. September 1991 für
3.360.000 DM erworbenen Erbbaurechts das in M. gelegene
Grundstück A. 140 bis 150a mit Wohnungen, einer Tiefga-
rage und einem Einzelhandelszentrum. Diese Liegenschaft übereignete die
Evangelische Kirchengemeinde am 26. Juni 1996 für 140.000 DM an die
A. 140 bis 150a GmbH (nachfolgend: GmbH), an welcher
der Beklagte mit einem Geschäftsanteil von 11.000 DM beteiligt war. Durch no-
tariellen Vertrag vom 29. Dezember 1998 verkaufte der Beklagte seinen Ge-
schäftsanteil an der GmbH zum Preis von 440.000 DM sowie eine Darlehens-
forderung gegen die GmbH zum Preis von 25.300 DM an die Schuldnerin.
Der Kläger verlangt Rückerstattung der insoweit von der Schuldnerin er-
brachten Zahlungen in Höhe von insgesamt 237.904,11
€ unter den rechtlichen
Gesichtspunkten der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) und der verbotenen Ein-
lagenrückgewähr (§ 93 InsO, §§ 171, 172 Abs. 4 Satz 1 HGB). Das Landgericht
hat der Klage auf der Grundlage von § 133 InsO stattgegeben. Auf die Berufung
des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen.
Mit der Beschwerde erstrebt der Kläger die Zulassung der Revision und die
Wiederherstellung des Ersturteils.
II.
Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil
den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ver-
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letzt. Das Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver-
weisen.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage sei unzulässig. Der
Kläger stütze die Klageforderung sowohl auf Insolvenzanfechtung (§ 133 Abs. 1
InsO) als auch auf Einlagenrückgewähr (§ 93 InsO, §§ 171, 172 Abs. 4 Satz 1
HGB). Eine auf eine alternative Klagehäufung gegründete Klage sei indessen
mangels Bestimmtheit insgesamt unzulässig. Die Entscheidung, ob der Kläger
einen Klagegrund fallen lassen oder ob er mehrere Klagegründe hilfsweise oder
kumulativ verfolgen wolle, dürfe er nicht dem Gericht überlassen. Vielmehr
müsse der Kläger klarstellen, in welchem Verhältnis er die verschiedenen An-
sprüche zur Prüfung stelle.
2. Das Berufungsgericht hat, wie die Beschwerde zu Recht beanstandet,
den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103
Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es die Klage als
unzulässig abgewiesen hat, ohne dem Kläger zuvor den nach § 139 Abs. 2 und
3 ZPO gebotenen rechtlichen Hinweis in inhaltlich unmissverständlicher Form
zu erteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
a) Nach Art. 103 Abs. 1 GG darf ein Gericht ohne vorherigen Hinweis
nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewis-
senhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf
nicht zu rechnen brauchte. Es hat in einem solchen Fall auf seine (geänderte)
Rechtsauffassung hinzuweisen und den Prozessbeteiligten eine Möglichkeit zur
Stellungnahme zu eröffnen (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - V ZR
200/06, NJW-RR 2007, 1221 Rn. 5; vom 16. Mai 2013 - VII ZR 63/11, NJW-RR
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2013, 969 Rn. 8). Die Hinweispflicht besteht grundsätzlich auch in Prozessen,
in denen die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, jeden-
falls dann, wenn er die Rechtslage erkennbar falsch beurteilt. Erweist sich, dass
die Partei einen Hinweis falsch aufgenommen hat, so muss das Gericht diesen
präzisieren und der Partei erneut Gelegenheit geben, dazu Stellung zu nehmen.
Dies gilt entsprechend auch dann, wenn das Gericht von seiner in einer gericht-
lichen Verfügung geäußerten Auffassung später abweichen will (BGH, Urteil
vom 25. Juni 2002 - X ZR 83/00, NJW 2002, 3317, 3320). Das Gericht erfüllt
seine Hinweispflicht nicht dadurch, dass es allgemeine und pauschale Hinweise
erteilt; es muss vielmehr die Parteien auf den fehlenden Sachvortrag, den es
als entscheidungserheblich ansieht, unmissverständlich hinweisen und ihnen
damit die Möglichkeit eröffnen, dieses Vorbringen zu ergänzen (BGH, Be-
schluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624). Ein richterlicher
Hinweis erfüllt nur dann seinen Zweck, Unklarheiten, Unvollständigkeiten und
Irrtümer auszuräumen, wenn er gezielt und konkret den einzelnen Mangel an-
spricht (BGH, Urteil vom 18. April 2013 - I ZR 66/12, MDR 2013, 1424 Rn. 33).
b) Diesen Anforderungen ist, soweit die Klage als unzulässig abgewiesen
wurde, nicht genügt.
aa) Durch Berichterstatterschreiben vom 7. Oktober 2013 wurde der Klä-
ger darauf hingewiesen, dass Ansprüche aus § 133 InsO unbegründet sein
dürften. Wolle er sie "dennoch verfolgen", müsse er "die Klage ausdrücklich
ändern oder diese Ansprüche im Wege der objektiven Klagehäufung zusätzlich
verfolgen". In der mündlichen Verhandlung hat das Berufungsgericht ausge-
führt, es sei unklar, ob das Landgericht auch über den Anspruch aus § 172
Abs. 4 HGB geurteilt habe und dieser Anspruch dem Berufungsgericht zur Ent-
scheidung angefallen sei. Wäre der Anspruch aus § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB
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"nicht hilfsweise oder alternativ erhoben worden (was auch der Kläger erklären
müsse), sei über § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB nicht entschieden".
bb) Ausweislich dieser gerichtlichen Erläuterungen fehlt es an dem gebo-
tenen unmissverständlichen Hinweis, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit
der Klage bestehen.
(1) Nach dem Inhalt des Berichterstatterschreibens durfte der Kläger da-
rauf vertrauen, Ansprüche aus § 133 Abs. 1 InsO und aus §§ 93, 171, 172
Abs. 4 Satz 1 HGB nebeneinander im Wege der objektiven Klagehäufung ver-
folgen zu können. In dieser Weise war der Kläger bereits erstinstanzlich verfah-
ren, so dass aus seiner Sicht prozessual nichts weiter zu veranlassen war. Vor
diesem Hintergrund hat der Kläger zutreffend geltend gemacht, dass der Be-
richterstatterhinweis für ihn nicht nachvollziehbar sei. Dessen ungeachtet hat er
entsprechend dem Hinweis ausdrücklich erklärt, die Anfechtungsansprüche aus
§ 133 InsO im Wege der objektiven Klagehäufung neben den Ansprüchen nach
§§ 93 InsO, 171, 172 Abs. 4 Satz 1 HGB zusätzlich zu verfolgen. Aufgrund die-
ser Verfahrensweise konnte der Kläger darauf vertrauen, eine zulässige Klage
erhoben zu haben. Das Gericht wäre - entgegen der Auffassung der Beschwer-
deerwiderung - gehalten gewesen, den Kläger auf die Notwendigkeit der Staffe-
lung der Anträge hinzuweisen (vgl. MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard,
4. Aufl., § 260 Rn. 22), weil sein rechtskundiger Prozessbevollmächtigter die
Rechtslage falsch beurteilte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1994 - VII ZR
217/93, BGHZ 127, 254, 260).
(2) Auch die - ohnehin nicht leicht verständlichen - Ausführungen des
Berufungsgerichts in der mündlichen Verhandlung, die sich ausschließlich mit
der Frage befassten, ob der Anspruch aus § 93 InsO, §§ 171, 172 Abs. 4 Satz 1
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HGB mangels einer Erstentscheidung des Landgerichts überhaupt zur Ent-
scheidung durch das Berufungsgericht angefallen sei, mussten bei dem Kläger
keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage wecken. Wollte der Senat
von dem zuvor durch den Berichterstatter erteilten Hinweis abweichen, hätte er
dies unmissverständlich zum Ausdruck bringen müssen. Der Senat jedoch hatte
gerade nicht vor dem Hintergrund einer geänderten Rechtsauffassung die zuvor
von dem Berichterstatter erteilten Hinweise präzisiert. Vielmehr durfte der Klä-
ger darauf vertrauen, dass entsprechend dem mitgeteilten Ergebnis der Vorbe-
ratung selbst im Falle einer alternativen Geltendmachung der in Rede stehen-
den Ansprüche eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts ergehen werde.
Dies gilt um so mehr, als das Berufungsgericht - wie zuvor der Berichterstatter -
daneben eingehende Hinweise zur Begründetheit der Klage erteilt hatte. Ohne
dahin lautenden vorherigen Hinweis wurde erst im Berufungsurteil die alternati-
ve Verfolgung der Ansprüche als unzulässig beanstandet. Mithin bildet das an-
gefochtene Urteil eine unzulässige Überraschungsentscheidung (§ 139 Abs. 2
ZPO).
(3) Unbehelflich sind die Darlegungen in der angefochtenen Entschei-
dung, wonach der gebotene Hinweis von dem Senat erteilt und die Frage der
Zulässigkeit der Klage mit den Parteien erörtert worden sei.
Nach der Vorschrift des § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO kann die Erteilung
rechtlicher Hinweise nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Sofern
diese die Erteilung des gebotenen Hinweises - wie im Streitfall - nicht hinrei-
chend dokumentieren, gilt dieser als nicht erteilt (BGH, Beschluss vom 30. Juni
2011 - IX ZR 35/10, NJW-RR 2011, 1556 Rn. 5). Die Hinweiserteilung im Proto-
koll soll gemäß § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO die Regel sein und der Hinweis im
Urteil nur dokumentiert werden, wenn die anderweitige Dokumentation verse-
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hentlich unterlassen worden ist. Da das Berufungsurteil sich nicht dazu verhält,
ob die Protokollierung nur versehentlich versäumt wurde, ist zu Gunsten des
Klägers zu unterstellen, dass dies in Übereinstimmung mit dem Inhalt des Be-
richterstatterschreibens und des Verhandlungsprotokolls nicht der Fall war
(BGH, Urteil vom 22. September 2005 - VII ZR 34/04, BGHZ 164, 166, 173).
Überdies ist der Hinweis nach seinem auf den konkreten Fall bezogenen Inhalt
auch in dem angefochtenen Urteil allein durch die beiläufige Bemerkung, die
Zulässigkeit der Klage erörtert und eine Erläuterung erteilt zu haben, nicht hin-
reichend dokumentiert (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2005 - II ZR 366/03, NJW-
RR 2005, 1518). Vor diesem Hintergrund bedarf es vorliegend keiner Prüfung,
ob ein nicht aktenkundiger Hinweis selbst dann als nicht erteilt gilt, wenn er tat-
sächlich mündlich gegeben wurde (in diesem Sinne BGH, Urteil vom 12. Mai
2011 - I ZR 20/10, GRUR 2011, 1140 Rn. 23).
3. Das angefochtene Urteil beruht auf der Gehörsverletzung. Dies ist be-
reits dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht
bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen anders entschieden hätte (BGH, Be-
schluss vom 24. Oktober 2013 - IX ZR 164/11, NJW-RR 2014, 172 Rn. 8). So
verhält es sich im Streitfall.
a) Die Staffelung der Klageanträge konnte entgegen der Auffassung der
Beschwerdeerwiderung im Berufungsrechtszug nachgeholt werden.
Der Kläger muss die gebotene Bestimmung des Streitgegenstandes vor-
nehmen und kann sie nicht zur Disposition des Gerichts stellen. Dazu gehört
bei mehreren Streitgegenständen auch die Benennung der Reihenfolge, in der
diese zur Überprüfung durch das Gericht gestellt werden (BGH, Beschluss vom
24. März 2011 - I ZR 108/09, BGHZ 189, 56 Rn. 9). Handelt es sich um eine
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alternative Klagehäufung, kann die gebotene Klarstellung ohne die Notwendig-
keit eines Anschlussrechtsmittels noch im Laufe des Verfahrens, und zwar auch
noch in der Revisionsinstanz nachgeholt werden (BGH, Urteil vom 3. Dezember
1953 - III ZR 66/52, BGHZ 11, 192, 195; Beschluss vom 24. März 2011 - I ZR
108/09, BGHZ 189, 56 Rn. 13). Bei dieser Sachlage konnte der Kläger im zwei-
ten Rechtszug die von dem Berufungsgericht vermisste Abstufung bei der An-
tragstellung vornehmen. Zu Unrecht meint die Beschwerdeerwiderung es sei
nicht der gesamte erstinstanzliche Streitstoff im Berufungsrechtszug angefallen.
In der Rechtsprechung ist vielmehr schon seit langem anerkannt, dass ein we-
gen der Zuerkennung des Hauptantrages nicht beschiedener weiterer Antrag
des Klägers der höheren Instanz allein durch die Rechtsmitteleinlegung seitens
des Beklagten anfällt
(BGH, Urteil vom 24. Januar 1990 - VIII ZR 296/88, NJW-
RR 1990, 518, 519).
b) Bei Erteilung ordnungsgemäßer Hinweise hätte der Kläger seine An-
träge nach Maßgabe seines Revisionsvorbringens entsprechend staffeln und
eine möglicherweise stattgebende Sachentscheidung erwirken können. Infolge
der Abweisung als unzulässig und der damit fehlenden Sachentscheidung gel-
ten die hilfsweisen Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach ein Anspruch
aus § 133 Abs. 1 InsO unbegründet ist, als nicht geschrieben (BGH, Urteil vom
7. Juni 1990 - III ZR 216/89, NJW 1990, 2125, 2126; vom 29. September
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1993 - VIII ZR 107/93, NJW-RR 1994, 175, 176 mwN; vom 23. Oktober 1998
- LwZR 3/98, NJW 1999, 794, 795 mwN; Musielak/Ball, ZPO, 11. Aufl., § 563
Rn. 23; Hk-ZPO/Kayser/Koch, 5. Aufl., § 563 Rn. 3).
Kayser
Gehrlein
Fischer
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 25.05.2012 - 38 O 447/10 -
KG Berlin, Entscheidung vom 19.11.2013 - 14 U 48/12 -