Urteil des BGH vom 26.02.2014

BGH: internetseite, koch, urheberrecht, öffentlich, werken, zustellung, gestaltungsspielraum, daten, erstellung, wissenschaft

BUNDESGERICHTSHOF
HINWEISBESCHLUSS
I ZR 121/13
vom
26. Februar 2014
in dem Rechtsstreit
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Februar 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm und die Richter Pokrant,
Prof. Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler
einstimmig beschlossen:
Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beab-
sichtigt, die Revision des Beklagten gegen das Urteil der Zivilkam-
mer 16 des Landgerichts Berlin vom 30. April 2013 durch Be-
schluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Streitwert: 2.020
Gründe:
I. Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen einer be-
haupteten Verletzung urheberrechtlicher Verwertungsrechte an einer Landkarte.
Die Klägerin bietet das Recht zur Nutzung von Landkarten im Internet
gegen die Zahlung von Lizenzgebühren an. Die Karten werden auf der Grund-
lage eines Werkvertrages von der in Bulgarien ansässigen D. Ltd. hergestellt,
die der Klägerin das ausschließliche Recht zur unbeschränkten Nutzung der
Karten in gedruckter und elektronischer Form eingeräumt hat. Die Mitarbeiter
der D. Ltd. stellen die Karten nach genauen Vorgaben der Klägerin her, die in
einem Zeichenschlüssel der Klägerin festgelegt sind. Dabei haben die Mitarbei-
ter der D. Ltd. keinen Spielraum bei der Umsetzung der Vorgaben.
Der Beklagte betreibt eine Internetseite, auf der im August 2009 ein Kar-
tenausschnitt abrufbar war, der nach dem Vortrag der Klägerin einer Karte ent-
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sprach, die in ihrem Auftrag von der D. Ltd. hergestellt worden ist. Nachdem die
Klägerin den Beklagten erfolglos abgemahnt und zur Zahlung von Schadenser-
satz aufgefordert hatte, erwirkte sie eine einstweilige Unterlassungsverfügung.
Der Beklagte gab insoweit eine Abschlusserklärung ab, verweigerte aber die
Zahlung von Schadensersatz und die Erstattung von Abmahnkosten.
Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr
in Höhe von 2.020
€, Abmahnkosten in Höhe von 287,80 €, 95 € Kosten für die
Dokumentation des behaupteten Verstoßes sowie 408,80
€ Rechtsanwaltskos-
ten für das Abschlussschreiben in Anspruch genommen.
Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 2.716,60
€ nebst
Zinsen verurteilt und die Klage im Hinblick auf die Dokumentationskosten ab-
gewiesen. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Das Beru-
fungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe gegen den Beklagten gemäß
§§ 97, 16, 19a UrhG ein Schadensersatzanspruch in der vom Amtsgericht zu-
gesprochenen Höhe zu. Der Beklagte habe den streitgegenständlichen Karten-
ausschnitt, an dem der Klägerin die ausschließlichen Nutzungsrechte zustün-
den, unberechtigt vervielfältigt und auf seiner Internetseite öffentlich zugänglich
gemacht. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der
Beklagte weiter die Klageabweisung.
II. Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor; die Revision
hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
1. Der vom Berufungsgericht formulierte Zulassungsfrage der
Urheberschaft der Kartenwerke desjenigen, der Urheber des den Kartenwerken
zugrunde liegenden Zeichenschlüssels ist
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat eine
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, wenn
sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige
Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen
kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitli-
chen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, das heißt allgemein
von Bedeutung ist. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch
das Berufungsurteil aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang
und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklar-
heiten bestehen unter anderem dann, wenn die Rechtsfrage vom Bundesge-
richtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten un-
terschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Mei-
nungen vertreten werden. Unklarheiten bestehen dagegen nicht, wenn abwei-
chende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht
nachvollziehbar begründet sind (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010
- II ZR 54/09, ZIP 2010, 985; vgl. auch Saenger-Kayser/Koch, ZPO, 5. Aufl.,
§ 543 Rn. 9). Im Streitfall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit der vom Beru-
fungsgericht aufgeworfenen Frage.
Gemäß § 7 UrhG ist Urheber der Schöpfer des Werkes. Sind mehrere
Personen an der Entstehung des Werkes beteiligt, hängt die Schöpfereigen-
schaft davon ab, welche Person einen schöpferischen Beitrag gemäß § 2
Abs. 2 UrhG geleistet und welche Person lediglich einen nichtschöpferischen
Gehilfenbeitrag geleistet hat (vgl. Thum in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht,
3. Aufl., § 7 Rn. 12 ff.; Loewenheim in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht,
4. Aufl., § 7 Rn. 6 ff.). Solange Gehilfen sich lediglich auf die nichtschöpferische
mechanische Durchführung oder Ausgestaltung der Vorgabe des Urhebers hal-
ten und kein Spielraum für eine eigene individuelle schöpferische Gestaltung
bleibt, sind sie keine Urheber (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2007 - I ZR 130/04,
BGHZ 172, 268 Rn. 23 - Gedichttitelliste I; Loewenheim in Schricker/Loewen-
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heim aaO § 7 Rn. 8; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl., § 7 Rn. 9; Thum
in Wandtke/Bullinger aaO § 7 Rn. 15). Der an vorgegebene Zeichenschlüssel
und Musterblätter gebundene Hersteller von Karten kann deshalb nur dann Ur-
heber sein, wenn ihm ein für die Erreichung des Urheberrechtsschutzes genü-
gend großer Spielraum für individuelle kartografische Leistungen bleibt (BGH,
Urteil vom 23. Juni 2005 - I ZR 227/02, GRUR 2005, 854, 856 = WRP 2005,
854 - Karten-Grundsubstanz). Die Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind,
unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung.
Von diesen Grundsätzen ist zutreffend auch das Berufungsgericht aus-
gegangen und hat festgestellt, dass die Mitarbeiter der D. Ltd. die Karten für die
Klägerin ohne einen eigenen Gestaltungsspielraum nach den genauen Vorga-
ben erstellen, die in einem Zeichenschlüssel der Klägerin festgelegt sind. Das
Berufungsgericht hat - von der Revision nicht beanstandet - zudem festgestellt,
dass der Vorstand der Klägerin, Dr. B., allein die das Kartenbild prägenden
Merkmale und Gestaltungselemente erdacht und im Zeichenschlüssel festge-
legt hat.
2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
a) Die Revision macht geltend, das Berufungsgericht habe es rechtsfeh-
lerhaft versäumt, Feststellungen zum geistig-schöpferischen Gehalt des Zei-
chenschlüssels zu treffen. Dem kann nicht zugestimmt werden.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe der geltend
gemachte Zahlungsanspruch gemäß §§ 97, 16, 19a UrhG zu, weil der Beklagte
den streitgegenständlichen Kartenausschnitt, an dem der Klägerin die aus-
schließlichen Nutzungsrechte zustehen, unberechtigt vervielfältigt und auf sei-
ner Internetseite öffentlich zugänglich gemacht hat. Es hat dabei festgestellt,
dass dem streitgegenständlichen Stadtplanausschnitt Werkcharakter im Sinne
von § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG zukommt. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
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Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG gehören zu den geschützten Werken der
Wissenschaft Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeich-
nungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen. Zu den
nach dieser Bestimmung geschützten Werken können auch Stadtpläne und
Landkarten gehören, wenn es sich um persönliche geistige Schöpfungen han-
delt (BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - I ZR 81/96, BGHZ 139, 68, 71 - Stadt-
planwerk). Das Berufungsgericht ist mithin zutreffend davon ausgegangen,
dass es im Streitfall auf den Werkcharakter des vom Beklagten vervielfältigten
Stadtplanausschnitts der Klägerin und nicht auf den Werkcharakter des der Er-
stellung des Stadtplanausschnitts zugrundeliegenden Zeichenschlüssels an-
kommt.
b) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht auch den
Werkcharakter des Stadtplanausschnitts der Klägerin rechtsfehlerfrei festge-
stellt.
aa) Stadtpläne und Landkarten können als Darstellungen wissenschaft-
lich-technischer Art gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG Urheberrechtsschutz genie-
ßen, wenn es sich um persönliche geistige Schöpfungen im Sinne von § 2
Abs. 2 UrhG handelt. Die schöpferische Eigentümlichkeit einer Karte kann sich
bereits daraus ergeben, dass die Karte nach ihrer Konzeption von einer indivi-
duellen kartographischen Darstellungsweise geprägt ist, die sie zu einer in sich
geschlossenen eigentümlichen Darstellung des betreffenden Gebiets macht.
Die urheberrechtlich bedeutsamen schöpferischen Züge können insoweit in der
Gesamtkonzeption liegen, mit der durch die individuelle Auswahl des Darge-
stellten und die Kombination von - meist bekannten - Methoden (z.B. bei der
Generalisierung) und von Darstellungsmitteln (z.B. bei der Farbgebung, Be-
schriftung oder Symbolgebung) ein eigentümliches Kartenbild gestaltet worden
ist (BGHZ 139, 68, 72 - Stadtplanwerk; BGH, GRUR 2005, 854, 856 - Karten-
Grundsubstanz).
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bb) Von diesen Maßstäben ist auch das Berufungsgericht ausgegangen
und hat angenommen, die streitgegenständliche Karte weise eine hinreichende
Schöpfungshöhe auf. Die Straßenzüge würden deutlich gegenüber sonstigen
Flächen hervorgehoben, da sie im Verhältnis zu den dazwischen liegenden be-
bauten und unbebauten Flächen relativ breit dargestellt seien. Zudem hebe sich
auch ihre farbliche Gestaltung ab. Die Auswahl der Pastellfarben für die Hinter-
grundgestaltung bewirke, dass sich die farblich nicht unterlegten Straßenzüge
deutlich vom grauen Untergrund abheben würden, ohne dass der Plan insge-
samt zu bunt erscheine und deshalb nicht mehr lesbar wäre. Die Karte weise
zudem eine spezielle und prägende Auswahl von gekennzeichneten Gebäuden,
Sehenswürdigkeiten und Buslinien nebst Haltestellen auf. Die Kombination die-
ser Elemente verleihe der Karte ihr individuelles Erscheinungsbild. Diese Beur-
teilung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
Soweit die Revision geltend macht, die Klägerin greife schlicht auf vorbe-
kanntes Formengut und vorbekannte Farbgebung sowie urheberrechtlich freie
Daten zurück, ersetzt sie lediglich die tatrichterliche Würdigung durch ihre eige-
ne, ohne einen Rechtsfehler darzutun.
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Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei
Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Bornkamm
Pokrant
Büscher
Koch
Löffler
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt
worden.
Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 28.02.2011 - 204 C 14/10 -
LG Berlin, Entscheidung vom 30.04.2013 - 16 S 15/11 -
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