Urteil des BGH vom 16.11.2012

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 9/12
Verkündet am:
16. November 2012
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WEG § 5 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. WEG § 10 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3
Eine in der Teilungserklärung getroffene Regelung, wonach Balkone, die
zum ausschließlichen Gebrauch durch einen Wohnungseigentümer bestimmt
sind, auf dessen Kosten instandzusetzen und instandzuhalten sind, ist nicht
einschränkend dahin auszulegen, dass hiervon Kosten ausgenommen sind,
die die im Gemeinschaftseigentum stehenden Balkonteile betreffen.
BGH, Urteil vom 16. November 2012 - V ZR 9/12 - LG Koblenz
AG Idar-Oberstein
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. November 2012 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth sowie die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Land-
gerichts Koblenz vom 13. Dezember 2011 wird auf Kosten des
Beklagten zu 1 zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien bilden die im Rubrum näher bezeichnete Wohnungseigen-
tümergemeinschaft. Einige der Eigentumswohnungen verfügen über Balkone.
In der Teilungserklärung heißt es in § 5.2.:
„Einrichtungen, Anlagen und Gebäudeteile, die nach der
Beschaffenheit oder dem Zweck des Bauwerks oder
gemäß dieser Teilungserklärung zum ausschließlichen
Gebrauch durch einen Wohnungseigentümer bestimmt
sind (z.B. Balkone, Terrassen, Veranden, Einstellplätze),
sind von ihm auf seine Kosten instandzusetzen und in-
standzuhal
ten.“
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Auf der Eigentümerversammlung vom 10. März 2010 beschlossen die
Wohnungseigentümer zu dem Tagesordnungspunkt (TOP) 4, dass
„die Kosten
der Rechnung der Fa. M. vom 23. November 2009
“ anteilsmäßig auf sämtli-
che Eigentümer umgelegt, und zu TOP 8, dass die (anstehenden) Kosten für
die Sanierung der Balkone der Beklagten zu 1 und 2 von der Gemeinschaft
übernommen werden. Die Rechnung der Fa. M. betrifft eine sog. Ursa-
chenanalyse, in der von einer schadhaften Balkon- und Fugenabdichtung sowie
von einem größtenteils losen und starke Rissbildungen aufweisenden Fliesen-
belag die Rede ist.
Die gegen die Beschlüsse zu TOP 4 und 8 erhobene Anfechtungsklage
ist in beiden Vorinstanzen erfolgreich gewesen. Mit der zugelassenen Revision
möchte der Beklagte zu 1 die Abweisung der Klage erreichen. Die Klägerin be-
antragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die gefassten Beschlüsse
entsprächen nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, weil sie gegen § 5.2. der Tei-
lungserklärung verstießen. Die Regelung sei nächstliegend dahin auszulegen,
dass Eigentümer von Wohnungen, die mit einem Balkon ausgestattet seien, für
sämtliche diesbezüglich entstehenden Instandsetzungs- und Instandhaltungs-
kosten aufkommen müssten. Der Wortlaut enthalte keine Einschränkung und
biete keine Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete - im Übrigen auch nur zu
Abgrenzungsschwierigkeiten führende - Unterscheidung. Damit seien die Kos-
ten für die Isolierung und die Abdichtungsanschlüsse von den betroffenen
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Wohnungseigentümern zu tragen. Sie dürften nicht auf sämtliche Mitglieder der
Wohnungseigentümergemeinschaft umgelegt werden.
II.
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht beanstandet die angefochtenen Beschlüsse zu
Recht. Diese verstoßen gegen § 5.2. der Teilungserklärung.
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass bei der Ausle-
gung einer Teilungserklärung maßgebend auf den Wortlaut und den Sinn abzu-
stellen ist, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegend
ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden,
wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann
ohne weiteres erkennbar sind (vgl. nur Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2004
- V ZB 22/04, NJW 2004, 3413 mwN; ebenso für Beschlüsse Senat, Beschluss
vom 10. September 1998 - V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 291 f.; vgl. auch Urteil
vom 18. Juni 2010 - V ZR 193/09, NJW 2010, 2801 Rn. 1).
b) Die auf dieser Grundlage vorgenommene, ausführlich und überzeu-
gend begründete Auslegung macht sich der Senat zu Eigen. Insbesondere hebt
das Berufungsgericht zu Recht hervor, dass die Überbürdung der gesamten
Kostenlast schon nach der sprachlichen Fassung von § 5.2. der Teilungserklä-
rung daran anknüpft, dass
der Balkon zum „ausschließlichen Gebrauch“
durch den jeweiligen Wohnungseigentümer bestimmt ist, die übrigen Woh-
nungseigentümer mithin von der Nutzung ausgeschlossen sind.
Entgegen der Auffassung der Revision, die sich auf zu „vergleichbaren
Fällen“ ergangene Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 515 f.,
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OLG Schleswig, ZMR 2006, 963 f.) beruft, ist der Teilungserklärung auch unter
Berücksichtigung von Sinn und Zweck, wie er sich bei nächstliegendem Ver-
ständnis einem unbefangenen Betrachter erschließt, keine Einschränkung zu
entnehmen. Danach ist nicht ersichtlich, dass die das Gemeinschaftseigentum
betreffenden Sanierungskosten nicht von dem jeweiligen Wohnungseigentümer
getragen werden sollen (gegen eine solche Einschränkung auch BayObLG,
ZMR 1999, 56, 58 f.; OLG Braunschweig, ZMR 2006, 395, 396). Es ist zwar
richtig, dass den Eintritt von Feuchtigkeit verhindernde Maßnahmen auch der
Erhaltung des gesamten Gebäudes zugutekommen (können). Nur knüpft die
Regelung hieran nicht an. In Übereinstimmung mit dem klaren und eindeutigen
Wortlaut, dem insbesondere keine Differenzierung zwischen Sonder- und Ge-
meinschaftseigentum zu entnehmen ist, besteht der Sinn der Regelung viel-
mehr darin, dass die übrigen - von der Nutzung der Balkone ausgeschlosse-
nen - Wohnungseigentümer deshalb von der Verpflichtung zur Instandhaltung
und Instandsetzung aller Balkonteile befreit sein sollten, weil diese Lasten bei
einer Bauweise ohne Balkone nicht angefallen wären. Eine solche Regelung zu
treffen, liegt im privatautonomen Gestaltungsspielraum der Wohnungseigentü-
mer bzw. des teilenden Eigentümers. Das Wohnungseigentumsrecht lässt den
Wohnungseigentümern weitgehend freie Hand, wie sie ihr Verhältnis unterei-
nander ordnen wollen (Senat, Urteil vom 13. Oktober 2006 - V ZR 289/05, WM
2006, 2374, 2376 mwN).
2. Ob der in dem Verstoß gegen § 5.2 der Teilungserklärung liegende
Rechtsfehler nur zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse führt oder zu deren Nichtig-
keit wegen fehlender Beschlusskompetenz zur erstmaligen Begründung einer
Kostenlast der Gemeinschaft (vgl. Senat, Urteil vom 1. Juni 2012 - V ZR
225/11, NJW 2012, 2578, 2579), bedarf hier keiner Klärung, weil der Rechtsfeh-
ler innerhalb der Ausschlussfristen nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG geltend ge-
macht worden ist (dazu und zur Frage der Tenorierung Senat, Urteil vom
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2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307, 314 ff.; vgl. auch Urteil vom
20. Mai 2011 - V ZR 175/10, NJW-RR 2011, 1232).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Idar-Oberstein, Entscheidung vom 09.05.2011 - 300 C 10/10 WEG -
LG Koblenz, Entscheidung vom 13.12.2011 - 2 S 31/11 -
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