Urteil des BGH vom 16.10.2013

BGH: persönliche anhörung, qualifikation, gesundheitsdienst, beschwerdeinstanz, verordnung, bayern, behandlung, erlass

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 320/13
vom
16. Oktober 2013
in der Betreuungssache
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Oktober 2013 durch die
Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der
4. Zivilkammer des Landgerichts Bayreuth vom 7. Mai 2013 auf-
gehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-
gericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000 €
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens
für die 1954 geborene Betroffene eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Ge-
sundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung eingerichtet und den Sohn der Be-
troffenen zum Betreuer bestellt. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete
Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die angefochtene Entschei-
dung des Beschwerdegerichts den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde
nicht standhält.
1. Ohne Erfolg beanstandet die Rechtsbeschwerde allerdings, dass das
Beschwerdegericht keine weitergehenden Feststellungen zur fachlichen Qualifi-
kation des Sachverständigen getroffen hat. Die in Bayern bestellten Landge-
richtsärzte (Art. 5 Abs. 3 des bayerischen Gesundheitsdienst- und Verbraucher-
schutzgesetzes vom 24. Juli 2003 [GVBl S. 452] iVm § 4 der Verordnung zur
Ausführung des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst vom
9. September 1986 [GVBl S. 316]) entsprechen aufgrund ihres Ausbildungs-
ganges und ihrer besonderen praktischen Erfahrungen üblicherweise den An-
forderungen, die § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG an die Sachkunde des Sachver-
ständigen stellt (Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 280 Rn. 10; vgl. auch
BayObLGZ 1986, 214, 217; BayObLG FamRZ 1993, 851, 852 und FamRZ
1995, 1519 [Ls.]). Ihre Sachkunde ist in der Regel mit der Qualifikation von Ärz-
ten vergleichbar, denen die Facharztbezeichnung zukommt, die sich aber nicht
in großem Umfang mit den besonderen forensischen Aufgaben ihres Fachge-
bietes beschäftigt haben (vgl. BGH Urteil vom 16. Juni 1970 - 1 StR 27/70 -
NJW 1970, 1981).
2. Demgegenüber rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass das Be-
schwerdegericht die Betroffene vor Erlass seiner Entscheidung nicht persönlich
angehört hat.
Wie das Beschwerdegericht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend er-
kannt hat, besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG eine Pflicht zur persönlichen
Anhörung der Betroffenen auch im Beschwerdeverfahren. Allerdings kann das
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Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen An-
hörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wor-
den ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten
sind. Diese Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise von einer erneuten
Anhörung der Betroffenen abgesehen werden kann, liegen entgegen der Auf-
fassung des Beschwerdegerichts nicht vor. Eine erneute Anhörung der Be-
troffenen war schon deshalb erforderlich, weil die Betroffene ausweislich des
Protokolls vom 2. April 2013 bei ihrer Anhörung durch den Betreuungsrichter
mit der Errichtung einer Betreuung für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge
und Aufenthaltsbestimmung einverstanden war. Das Amtsgericht brauchte da-
her nicht mehr zu prüfen, ob der Betroffene noch zur Bildung eines freien Wil-
lens in der Lage war (vgl. § 1896 Abs. 1 a BGB). Diese Sachlage hat sich im
Beschwerdeverfahren verändert, nachdem die Betroffene mit ihrer Beschwerde
geltend gemacht hat, sie könne selbst für ihre Gesundheit sorgen und zudem
die "Untersuchung durch einen anderen Arzt" verlangte. Auch das Beschwer-
degericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich nunmehr die Frage nach
der Einrichtung der Betreuung gegen den Willen der Betroffenen stellt. Es wäre
aus diesem Grunde zu prüfen gewesen, ob gemäß § 1896 Abs. 1 a BGB der
freie Wille der Betroffenen gegen eine Einrichtung der Betreuung hätte spre-
chen können. Sobald indessen die Möglichkeit der freien Willensbildung in der
Beschwerdeinstanz erstmals entscheidungserheblich wird, sind durch eine per-
sönliche Anhörung des Betroffenen stets zusätzliche Erkenntnisse im Sinne des
§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. August
2012 - XII ZB 141/12 - FamRZ 2012, 1796 Rn. 14 und vom 16. Mai 2012
- XII ZB 454/11 - FamRZ 2012, 1207 Rn. 22).
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74
Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von
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Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Klinkhammer Schilling Günter
Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Bayreuth, Entscheidung vom 02.04.2013 - 2 XVII 1109/12 -
LG Bayreuth, Entscheidung vom 07.05.2013 - 42 T 59/13 -