Urteil des BGH vom 19.08.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 288/08 Verkündet
am:
31. März 2009
Herrwerth,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: Ja
BGHZ: Nein
BGHR: Ja
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BGB § 428
Schließen Ehepartner gemeinsam einen Bausparvertrag,
ist, sofern nichts anderes vereinbart wird, davon auszuge-
hen, dass ein Kontokorrentkonto, das die Bausparkasse für
sie führt, ein "Oder-Konto" ist und die Ehepartner eine Ge-
samtgläubigerstellung mit Einzelverfügungsbefugnis haben.
BGH, Urteil vom 31. März 2009 - XI ZR 288/08 - OLG Hamm
LG Münster
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 31. März 2009 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers,
die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, die Richterin Mayen und den Richter
Dr. Matthias
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 34. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Hamm vom 19. August 2008 wird
auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die beklagte Bausparkasse auf Auszahlung ei-
nes Kontoguthabens in Anspruch.
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Die Klägerin und ihr am 15. August 2006 verstorbener Ehemann
schlossen am 28./29. Juni 1999 mit der Beklagten einen Bauspardarle-
hensvertrag über 100.000 DM. Die dabei vereinbarten Allgemeinen Be-
dingungen für Bausparverträge (ABB) sehen in § 17 den Abschluss einer
Risiko-Lebensversicherung zur Rückführung des Bauspardarlehens bei
Tod des Versicherten vor. Nach § 29 führt die Beklagte ein Kontokor-
rentkonto, dem sämtliche für den Bausparer bestimmten Geldeingänge
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einschließlich der von der Beklagten dem Bausparer zu vergütenden Be-
träge gutzuschreiben sind.
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Die Beklagte schloss für die Eheleute eine Risiko-Lebensversi-
cherung auf das Leben des Ehemannes der Klägerin ab, die mit dessen
Tod oder im Erlebensfall mit dem Ablauf des Jahres endete, in dem das
Darlehen getilgt wurde. Nach Nr. 11.3 der Bestimmungen zur Risiko-
Lebensversicherung war die Beklagte Bezugsberechtigte; sie hatte den
von der Versicherung erhaltenen Betrag dem Konto des Bausparers gut-
zuschreiben und den nach Tilgung ihrer Ansprüche gegen den Bausparer
verbleibenden Rest an die nach gesetzlichen Vorschriften oder vertragli-
cher Vereinbarung Berechtigten auszuzahlen.
Die Rückführung des Bauspardarlehens erfolgte am 15. März
2006. Nach dem Tod des Ehemannes der Klägerin am 15. August 2006
zahlte die Versicherung 24.414 € an die Beklagte. Die Klägerin, die
ebenso wie ihre Kinder und Enkel die Erbschaft nach ihrem Ehemann
ausgeschlagen hat, ist der Auffassung, hinsichtlich des Anspruchs gegen
die Beklagte auf Auszahlung der Versicherungsleistung bestehe eine
Gesamtgläubigerschaft, so dass sie die Auszahlung des gesamten Gut-
habens an sich allein verlangen könne. Die Beklagte ist hingegen der
Auffassung, zwischen der Klägerin und den unbekannten Rechtsnachfol-
gern ihres Ehemannes bestehe eine Bruchteilsgemeinschaft.
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Die Klage auf Zahlung von 24.414 € nebst Zinsen hatte in den Vor-
instanzen Erfolg. Mit ihrer - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revi-
sion verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
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Die Klage sei begründet, weil die Klägerin neben den Erben ihres
Ehemannes Gesamtgläubigerin i.S. des § 428 BGB sei. Das Bausparkon-
to sei ein sogenanntes "Oder-Konto". Dies ergebe sich aus den Vertrags-
und Lebensumständen sowie dem wohnungswirtschaftlichen Bedürfnis
für die Begründung einer Gesamtgläubigerschaft bei gemeinschaftlichen
Bausparverträgen von Ehegatten.
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Die Klägerin und ihr Ehemann hätten den Bauspardarlehensvertrag
gemeinschaftlich als Bausparer abgeschlossen. Die Versicherungs-
leistung sei nach den Versicherungsbedingungen dem Konto des Bau-
sparers gutzuschreiben gewesen. Dieses Konto sei nach den Bauspar-
bedingungen als Kontokorrentkonto zu führen gewesen. Gemeinsame
Girokonten von Ehegatten würden typischerweise als "Oder-Konto" ge-
führt, bei dem beide Eheleute als Gesamtgläubiger jeweils allein über ein
Guthaben verfügen könnten. Dies entspreche auch dem Interesse der
Kreditinstitute, in den nicht seltenen Fällen einseitiger "Konto-Abräu-
mung" nicht in den internen Streit zwischen Eheleuten einbezogen zu
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werden. Auch die dem Konzept des Bausparens zugrunde liegende woh-
nungswirtschaftliche Motivation spreche dagegen, dass Bausparkassen
die zur Aus- oder Fortführung eines Bauvorhabens erforderlichen Mittel
bis zur Ermittlung der gesetzlichen Erben eines verstorbenen Bauspa-
rers, gegebenenfalls auf Jahre hinaus, sistierten. Die komplikationslose
Abwicklung im Interesse der Bausparkasse und der Bausparer würde
unzumutbar erschwert und verzögert, wenn die Bausparkasse vor der
Auszahlung erst die Berechtigung des betreffenden Bausparers im In-
nenverhältnis zu seinem Mitsparer klären müsste.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand, so dass
die Revision zurückzuweisen ist.
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1. Das Berufungsgericht hat den ABB des Bauspardarlehensver-
trages zu Recht entnommen, dass das Kontokorrentkonto, das die Be-
klagte für Bausparer führt, in Fällen, in denen ein Ehepaar den Bauspar-
darlehensvertrag geschlossen hat, ein so genanntes "Oder-Konto" ist
und jeder Ehepartner allein die Auszahlung eines Kontoguthabens an
sich verlangen kann.
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a) Da der Anwendungsbereich der ABB über den Bezirk des Beru-
fungsgerichts hinausgeht, kann der Senat sie selbständig und ohne
Bindung an die Auslegung des Berufungsgerichts auslegen (Senat
BGHZ 144, 245, 248; BGHZ 163, 321, 323 f.). Ausgangspunkt der bei
Allgemeinen Geschäftsbedingungen gebotenen objektiven, nicht am Wil-
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len der konkreten Vertragsparteien zu orientierenden Auslegung
(st. Rspr.; BGHZ 102, 384, 389 f.; Senat, Urteil vom 10. Juni 2008
- XI ZR 331/07, WM 2008, 1350, Tz. 15) ist der Vertragswortlaut. Ist die-
ser nicht eindeutig, kommt es entscheidend darauf an, wie der Vertrags-
text aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten
Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger
und redlicher Vertragsparteien beachtet werden muss (BGH, Urteil vom
18. Juli 2007 - VIII ZR 227/06, WM 2007, 2078, Tz. 23 m.w.N.).
b) Nach dem Wortlaut des § 29 ABB ist davon auszugehen, dass
der Anspruch auf Auszahlung eines Kontoguthabens dem Bausparer zu-
steht. Dem Wortlaut ist allerdings nicht zu entnehmen, in welcher Weise
Ehepartner, die den Bauspardarlehensvertrag gemeinsam abgeschlos-
sen haben, berechtigt sind. Aufgrund des Vertragszwecks und der Inter-
essen der typischerweise an Bausparverträgen der vorliegenden Art be-
teiligten Vertragsparteien ist davon auszugehen, dass das Kontokorrent-
konto für Ehepartner als "Oder-Konto" geführt wird und die Ehepartner
eine Gesamtgläubigerstellung (§ 428 BGB) mit Einzelverfügungsbefugnis
haben (vgl. allg. zu Oder-Konten: BGHZ 93, 315, 320 f.; 95, 185, 187;
Senat, Urteil vom 25. Juni 2002 - XI ZR 218/01, WM 2002, 1683, 1685;
Hadding/Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch,
3. Aufl., § 35 Rn. 6 ff. m.w.N.). Diese in Rechtsprechung und Literatur
ganz überwiegend vertretene Auffassung (OLG München, WM 1992,
1368, 1369; LG Bielefeld, FamRZ 1990, 1240; Staudinger/Noack, BGB
(2005), § 428 Rn. 77; MünchKomm/Bydlinski, BGB, 5. Aufl., § 428 Rn. 8;
Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 428 Rn. 3; Erman/Ehmann, BGB,
12. Aufl., § 428 Rn. 8; PWW/Müller, BGB, 3.
Aufl., §
428 Rn.
2;
Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, 2.
Aufl., §
428 Rn.
2; Völzmann-
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Stickelbrock in Dauner-Lieb/Heidel/Ring, Anwaltskommentar BGB, § 428
Rn. 11; Hk-BGB/Schulze, BGB, 5. Aufl., § 428 Rn. 2; juris PK-BGB/
Rüßmann, 3. Aufl., § 428 Rn. 14; aA AG Münster, Urteile vom 10. Mai
1995 - 29 C 666/94 und vom 17. Januar 1996 - 29 C 467/95; AG Hamm,
Urteil vom 9. August 1999 - 28 C 111/99) hält der Senat für richtig.
Dafür sprechen der mit Bausparverträgen verfolgte Zweck, den
Bausparern Finanzmittel für Bauvorhaben zur Verfügung zu stellen, und
das Interesse der Vertragsparteien, diese Mittel zügig und unkompliziert
auszuzahlen. Dieser Interessenlage widerspräche es, eine Einzelverfü-
gungsbefugnis eines Ehepartners über das Konto zu verneinen und die
Auszahlung des Kontoguthabens von der unter Umständen zeitaufwändi-
gen Ermittlung der Erben des anderen Ehepartners abhängig zu machen.
Dem steht nicht entgegen, dass im Streitfall das Bauspardarlehen selbst
bereits vor Entstehung des Kontoguthabens durch Auszahlung der Versi-
cherungsleistung vollständig getilgt war. § 29 Abs. 3 ABB bestimmt, dass
alle für den Bausparer bestimmten Geldeingänge dem Konto gutzu-
schreiben sind, und ist insoweit einheitlich auszulegen.
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Eine andere Auslegung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil die
rechtsgeschäftliche Begründung einer Gesamtgläubigerschaft angesichts
der damit für die Gläubiger verbundenen, nicht unerheblichen Gefahren
nur selten vorkommt (BGH, Urteil vom 20. Juni 1996 - IX ZR 248/95,
WM 1996, 1632). Da der Schuldner mit befreiender Wirkung an einen der
Gläubiger leisten kann, sind die anderen auf ihren Ausgleichsanspruch
(vgl. hierzu Meier, AcP 205 (2005), 858, 872 ff.) gegen den Empfänger
angewiesen und tragen insoweit das Insolvenzrisiko (MünchKomm/
Bydlinski, BGB, 5. Aufl., § 428 Rn. 3). Diesem Umstand kommt hier keine
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entscheidende Bedeutung zu, weil bei Ehepartnern, die gemeinsam ei-
nen Bauspardarlehensvertrag schließen und dadurch die Einrichtung ei-
nes Kontokorrentkontos veranlassen, typischerweise von einer inneren
Verbundenheit ausgegangen werden kann, die die Hinnahme des Aus-
gleichsrisiko rechtfertigt (vgl. Erman/Ehmann, BGB, 12. Aufl., § 428
Rn. 12). Dies gilt, anders als die Revision meint, nicht nur für Girokonten
mit kleinen Guthaben, die für den laufenden Lebensunterhalt genutzt
werden, sondern auch für Konten, die von Bausparkassen geführt wer-
den. Die Möglichkeit, dass ein Ehepartner seine Einzelverfügungsbefug-
nis missbraucht und über das Kontoguthaben verfügt, ohne gegenüber
dem anderen Ehepartner hierzu berechtigt zu sein, rechtfertigt keine an-
dere Auslegung. Es ist nicht davon auszugehen, dass verständige und
redliche Vertragsparteien in dem für die Auslegung maßgeblichen Zeit-
punkt des Vertragsschlusses, in dem typischerweise eine innere Verbun-
denheit der Ehepartner besteht, einem denkbaren Missbrauch der Ein-
zelverfügungsbefugnis wesentliches Gewicht beimessen. Im Übrigen ist
es der Beklagten unbenommen, eine Einzelverfügungsbefugnis durch
eine entsprechende Gestaltung ihrer ABB auszuschließen.
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2. Die Klägerin ist somit berechtigt, allein über das im Übrigen
nach Grund und Höhe unstreitige Kontoguthaben zu verfügen und Aus-
zahlung an sich zu verlangen.
Wiechers Müller Joeres
Mayen Matthias
Vorinstanzen:
LG Münster, Entscheidung vom 22.11.2007 - 14 O 336/07 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 19.08.2008 - 34 U 1/08 -