Urteil des BGH vom 15.11.2000

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 223/99
Verkündet am:
15. November 2000
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
VVG § 156; ZPO § 256 Abs. 1
In der Haftpflichtversicherung kann auch der Geschädigte ein rechtli-
ches Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung ha-
ben, daß der Versicherer dem Schädiger Deckungsschutz zu gewähren
hat.
BGH, Urteil vom 15. November 2000 - IV ZR 223/99 - OLG München
LG München I
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Dr. Schlichting, Terno, Seiffert
und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom
15. November 2000
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 19.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom
24. Juni 1999 in der Fassung des Berichtigungsbe-
schlusses vom 5. August 1999 im Kostenpunkt und in-
soweit aufgehoben, als es den Hilfsantrag abgewiesen
hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur ander-
weiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Revisionsverfahrens, an den 25. Zivilsenat
des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, ein Hoch- und Tiefbauunternehmen aus Ö., erhielt
vom Land S. den Auftrag, die Richtungsfahrbahn S. auf der W estauto-
bahn A 1 grundlegend zu sanieren. Die Klägerin beauftragte ihrerseits
- 3 -
im Juli 1991 mit den Fugenschneid- und Fugenvergußarbeiten das Spe-
zialunternehmen E. C. GmbH in C.. Etwa ein Jahr nach Beendigung der
Arbeiten traten in der Betonfahrbahndecke Längsrisse auf, weil die Ar-
beiten der E. C. GmbH mangelhaft waren. Da über deren Vermögen im
April 1994 das Konkursverfahren eröffnet worden war, mußte die Kläge-
rin die Schäden durch ein anderes Unternehmen beheben lassen und
hierfür Kosten in Höhe von circa 785.000 DM aufwenden.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten, dem Betriebshaftpflicht-
versicherer der Gemeinschuldnerin, Erstattung dieser Kosten in Höhe
der Deckungssumme für Sachschäden von 500.000 DM. Hilfsweise be-
gehrt sie die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kon-
kursverwalter insoweit Deckungsschutz zu gewähren. Der Konkursver-
walter hat seine Ansprüche gegen die Beklagte aus dem Versiche-
rungsfall an die Klägerin abgetreten und selbst keine Klage auf Dek-
kungsschutz erhoben.
Die Beklagte beruft sich auf das Abtretungsverbot nach § 7 Nr. 3
der dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedin-
gungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) sowie darauf, daß ihre Lei-
stungspflicht aufgrund der Erfüllungsklausel in § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB
und der Tätigkeitsklausel in § 4 I Nr. 6 b AHB ausgeschlossen sei. Aller-
dings seien Tätigkeitsschäden aufgrund besonderer Vereinbarung bis
zum Betrag von 50.000 DM abzüglich einer Selbstbeteiligung versichert.
Der Hilfsantrag sei unzulässig, weil der Haftpflichtprozeß noch nicht ge-
führt sei.
- 4 -
Das Landgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Der Anregung
der Klägerin, wegen des erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung
angekündigten Hilfsantrags die mündliche Verhandlung wieder zu eröff-
nen, ist es nicht gefolgt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zu-
rückgewiesen und den im Berufungsverfahren wiederholten Hilfsantrag
abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin diese Anträge weiter.
Der Senat hat die Revision nur hinsichtlich des Hilfsantrags ange-
nommen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt im Umfang ihrer Annahme zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsge-
richt. Der Hilfsantrag ist zulässig.
1. Das Berufungsgericht meint, für den Feststellungsantrag fehle
das Rechtsschutzbedürfnis. Erst nach Feststellung des Sachverhalts,
von dem das Gericht im Haftpflichtprozeß ausgehe, könne geprüft wer-
den, ob und in welchem Umfang ein Deckungsanspruch aus der Be-
triebshaftpflichtversicherung bestehe.
2. Das ist nicht richtig.
a) Das Berufungsgericht hat nicht gesehen, daß nicht nur die
nachfolgende, sondern auch die vorweggenommene Deckungsklage zu-
- 5 -
lässig ist. Im vorweggenommenen Deckungsprozeß ist grundsätzlich auf
die Behauptungen des Geschädigten abzustellen und nicht über den
Haftpflichtanspruch zu entscheiden (vgl. Voit in Prölss/Martin, VVG
26. Aufl. § 149 VVG Rdn. 25; Späte, Haftpflichtversicherung § 3 AHB
Rdn. 47; BK-Baumann, VVG § 149 VVG Rdn. 199, 200). Zu einem vor-
weggenommenen Deckungsprozeß kommt es häufig dann, wenn der
Versicherer aus versicherungsrechtlichen Gründen die Leistung verwei-
gert und eine Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VVG setzt, aber auch dann,
wenn der Streit zwischen allen drei Beteiligten (Versicherungsnehmer,
Versicherer, Haftpflichtgläubiger) im wesentlichen um Fragen der Dek-
kungspflicht geht oder wenn - wie hier - der Versicherungsnehmer selbst
zur Erfüllung des Haftpflichtanspruchs nicht in der Lage ist. Ist dagegen
der Haftpflichtanspruch, etwa durch rechtskräftiges Urteil, festgestellt,
kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer Freistellung oder Zah-
lung verlangen (§ 154 Abs. 1 VVG).
b) In der Haftpflichtversicherung kann auch der Geschädigte ein
rechtliches Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung
haben, daß der Versicherer dem Schädiger Deckungsschutz zu gewäh-
ren habe. Dies hat der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen
angenommen (BGH, Urteile vom 12. Dezember 1963 - II ZR 38/61 -
VersR 1964, 156 unter I; vom 12. März 1975 - IV ZR 102/74 - VersR
1975, 655 unter I b und vom 9. Januar 1991 - IV ZR 264/89 - VersR
1991, 414 f.). Auch in der Literatur wird ein solches Feststellungsinter-
esse bejaht, etwa wenn - wie hier - wegen Untätigkeit des Versiche-
rungsnehmers die Gefahr besteht, daß dem Haftpflichtgläubiger der
Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt verloren geht (Langheid in
- 6 -
Römer/Langheid, VVG § 156 VVG Rdn. 1; Voit, aaO § 156 VVG Rdn. 1;
Johannsen, r+s 1997, 309, 313). Der Grund dafür, dem Haftpflichtgläu-
biger ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung des Dek-
kungsschutzes zuzubilligen, ergibt sich aus der Sozialbindung der Haft-
pflichtversicherung, wie sie in den §§ 156 Abs. 1, 157 VVG zum Aus-
druck gekommen ist. Diese Bestimmungen bezwecken den Schutz des
Geschädigten; durch sie soll gewährleistet werden, daß die Versiche-
rungsentschädigung ihm zugute kommt (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli
1993 - IV ZR 131/92 - VersR 1993, 1222 unter 2 b und vom 8. April 1987
- IVa ZR 12/86 - VersR 1987, 655 unter I 3).
3. Da Feststellungen dazu, ob und in welchem Umfang die Be-
klagte dem Konkursverwalter Deckungsschutz zu gewähren hat, bisher
nicht getroffen worden sind, ist die Sache an das Berufungsgericht zu-
rückzuverweisen.
Dr. Schmitz Dr. Schlichting Terno
Seiffert Ambrosius