Urteil des BGH vom 27.10.2010

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5 StR 359/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 27. Oktober 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2010
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Bremen vom 13. April 2010 gemäß § 349 Abs. 4
StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tat-
einheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten greift hinsichtlich
des Strafausspruchs mit einer Verfahrensrüge durch. Im Übrigen ist sie un-
begründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Der in der Hauptverhandlung geständige Angeklagte konsumierte
mit zwei Freunden vor der Tat 1,16 l Wodka, woraus das Landgericht – ohne
auf genaue Trinkangaben des Angeklagten abstellen zu können – eine Blut-
alkoholkonzentration von 1,3 ‰ abgeleitet und eine Anwendung des § 21
StGB verneint hat.
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Bei dieser Beweislage hätte das Landgericht einen im Schlussvortrag
des Verteidigers für den Fall, dass das Gericht nicht von einer erheblichen
Beeinflussung durch Alkohol ausgehen sollte, gestellten Antrag nicht über-
gehen dürfen. Darin hatte er beantragt, die in der Akte vorhandenen Videos
in Augenschein zu nehmen, weil sich aus diesen deutlich erhebliche motori-
sche Ausfallerscheinungen des Angeklagten ergäben. Dies begründet als
Verstoß gegen § 244 Abs. 6 StPO die Revision im dargelegten Umfang.
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2. Die Rüge ist zulässig. Das Beweismittel ist im Antrag genügend ge-
nau bezeichnet. Es ist bereits in der Anklageschrift angeführt. Dies machte
weitere Präzisierungen zum Zeitpunkt der Antragstellung entbehrlich.
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Gleiches gilt hinsichtlich der Beweisbehauptung. Die in der Revisions-
begründung als mehrfaches Stürzen und Abstützen an der Wand präzisierten
„Ausfallerscheinungen“ erfüllten – zumal angesichts der sofortigen Verfüg-
barkeit des Beweismittels – zum Zeitpunkt der Antragstellung als schlagwort-
artig verkürzte Bezeichnung weit verbreiteter und bekannter körperlicher Zu-
stände unter Alkoholeinwirkung noch das beweisantragsrechtliche Bestimmt-
heitsgebot (vgl. BGH NStZ 2008, 52, 53 m.w.N.; vgl. auch BGH NStZ 2004,
99, 100; 2006, 585, 586).
3. Die Rüge ist auch begründet. Zwar ist die Anwendung der §§ 21, 49
Abs. 1 StGB in dem Antrag nicht ausdrücklich als Bedingung formuliert wor-
den. Die Bewertung der Verknüpfung einer erheblichen Beeinflussung durch
Alkohol, zu beweisen durch deutlich erhebliche motorische Ausfallerschei-
nungen, ergibt indes bei kontext- und interessengerechter Betrachtung die
Anwendung des gemilderten Strafrahmens als Kern des Begehrens.
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Der Senat kann nicht ausschließen, dass eine Würdigung alkoholbe-
dingter Ausfallerscheinungen des Angeklagten während der Tat zur Annah-
me einer dem Angeklagten günstigeren Blutalkoholkonzentration und einer
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– noch – milderen Strafe hätte führen können (vgl. BGH NStZ-RR 2006,
271).
4. Das neu berufene Tatgericht wird gegebenenfalls nunmehr mit Hilfe
eines Sachverständigen die zu den aufrechterhaltenen Feststellungen des
Tatgeschehens zählenden Umstände zu würdigen haben, dass auch das
Tatopfer den Angeklagten als betrunken und schwankend wahrgenommen
hat und dass es bei dem noch sehr jungen Angeklagten beim erzwungenen
Oralverkehr zu keiner Erektion gekommen ist.
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Basdorf Brause Schaal
Schneider König