Urteil des BGH vom 27.03.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZR 367/12
vom
27. März 2013
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO §§ 240, 250, 301; InsO §§ 179, 180
Die Teilaufnahme eines gemäß § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreits ist in
der Regel nur möglich, wenn die Gefahr einander widersprechender Entschei-
dungen in Bezug auf den aufgenommenen Teil des Rechtsstreits und den nicht
aufgenommenen Teil ausgeschlossen ist.
BGH, Beschluss vom 27. März 2013 - III ZR 367/12 - OLG München
LG München I
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. März 2013 durch den
Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dr. Herrmann, Hucke, Tombrink und
Dr. Remmert
beschlossen:
Das Verfahren ist weiterhin unterbrochen.
Gründe:
I.
Die beklagte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wurde in zweiter Instanz
zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 80.477,34
€ nebst (Prozess-)
Zinsen an den Kläger wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten
im Zusammenhang mit einer Beteiligung des Klägers an der C.
mbH & Co
KG verurteilt. Das Oberlandesgericht ließ die Revision nicht zu. Dagegen legte
die Beklagte Beschwerde ein. Das beim Senat anhängige Beschwerdeverfah-
ren (III ZR 22/10) wurde gemäß § 240 Satz 2 ZPO dadurch unterbrochen, dass
das Amtsgericht - Insolvenzgericht - M. durch Beschluss vom 5. August
2010 der Beklagten ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegte. Am 10. De-
zember 2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten
eröffnet.
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Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2011 trat die H.
AG auf Seiten der Beklagten dem Rechtsstreit bei. Im Insolvenzverfah-
ren widersprach sie als Gläubigerin der Beklagten der von dem Kläger in Höhe
von 103.116,40
€ zur Tabelle angemeldeten Forderung. Ein weiterer Wider-
spruch wurde - allerdings nur betreffend die zur Tabelle angemeldeten Zinsen
von 13.928,36
€ und Kosten von 8.710,70 € - vom Insolvenzverwalter erhoben.
Mit Schriftsatz vom 15. November 2012 hat der Kläger das unterbrochene Ver-
fahren ausdrücklich nur gegen die Streithelferin der Beklagten als widerspre-
chende Gläubigerin gemäß § 180 Abs. 2 InsO in Höhe des vom Insolvenzver-
walter anerkannten Betrages von 80.477,34
€ aufgenommen. Dieser Betrag
entspricht der dem Kläger vom Berufungsgericht zuerkannten Hauptforderung.
Die Streithelferin der Beklagten hat mit Schriftsatz vom 17. Dezember
2012 beantragt festzustellen, dass das Verfahren weiterhin unterbrochen ist.
II.
Der Antrag der Streithelferin der Beklagten ist zulässig und begründet.
Das Verfahren ist durch die Erklärung des Klägers in seinem Schriftsatz vom
15. November 2012 nicht wirksam aufgenommen worden und daher weiterhin
unterbrochen.
1.
Der Antrag der Streithelferin der Beklagten ist zulässig. Sie und der Klä-
ger streiten über die Frage, ob das vor dem Senat anhängige, gemäß § 240
ZPO unterbrochene Verfahren über die Beschwerde der Beklagten gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem angefochtenen Urteil des Oberlandesge-
richts München mit dem Schriftsatz des Klägers vom 15. November 2012 gegen
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die Streithelferin aufgenommen werden konnte und damit fortzusetzen ist. Es
handelt sich somit um einen Zwischenstreit über die Wirksamkeit der von dem
Kläger erklärten Aufnahme, über den im Beschwerdeverfahren entsprechend
§ 303 ZPO durch Beschluss zu entscheiden ist (vgl. Senat, Beschluss vom
31. Oktober 2012 - III ZR 204/12, NJW 2012, 3725 Rn. 5, zur Veröffentlichung
in BGHZ vorgesehen).
2.
Der Antrag der Streithelferin ist auch begründet. Das Verfahren ist mit
der Erklärung des Klägers vom 15. November 2012 nicht wirksam aufgenom-
men worden und daher weiterhin unterbrochen.
a) Ist - wie vorliegend - in einem Insolvenzverfahren eine Forderung vom
Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden, so
bleibt es gemäß § 179 Abs. 1 InsO dem Gläubiger überlassen, die Feststellung
gegen den Bestreitenden zu betreiben. War zur Zeit der Eröffnung des Insol-
venzverfahrens ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig, so ist die Fest-
stellung gemäß § 180 Abs. 2 InsO durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betrei-
ben. Zwar obliegt es gemäß § 179 Abs. 2 InsO dem Bestreitenden, den Wider-
spruch zu verfolgen, wenn für eine Forderung - wie hier - ein vollstreckbarer
Schuldtitel oder ein Endurteil vorliegt. Es ist aber auch der Gläubiger der Forde-
rung zur Aufnahme befugt, wenn - wie bisher vorliegend - der Bestreitende sei-
nen Widerspruch nicht verfolgt (Senat aaO Rn. 7 mwN).
b) Die Aufnahme des Rechtsstreits ist auch möglich, wenn der Rechts-
streit zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Revisionsinstanz
anhängig war. Dies gilt auch für den Fall einer in der Revisionsinstanz anhängi-
gen Nichtzulassungsbeschwerde (Senat aaO Rn. 8 mwN).
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c) Die uneingeschränkte Aufnahme eines Rechtsstreits durch den Gläu-
biger einer zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung ist, wenn der Forde-
rung mehrere Personen im Sinne von § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO (teilweise) wi-
dersprochen haben, nur wirksam, wenn der Rechtsstreit gegenüber allen Wi-
dersprechenden aufgenommen wird (Senat aaO Rn. 23 ff). Dies folgt für den
Fall, dass - wie hier - schon ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig ist,
aus dem Zweck der Regelung des § 180 Abs. 2 InsO, Zeit und Kosten zu spa-
ren und den Rechtsstreit rasch zu Ende zu bringen. Die Aufnahme gegenüber
allen Widersprechenden im Sinne von § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO ist deshalb ge-
boten, weil - anders als im Fall des Bestreitens der Forderung durch den
Schuldner nach § 178 Abs. 1 Satz 2 InsO - der Widerspruch die Feststellung
der Forderung zur Insolvenztabelle hindert; die vom Gläubiger begehrte Fest-
stellung setzt damit voraus, dass vorher sämtliche Widersprüche, die ihr entge-
genstehen, beseitigt sind (Senat aaO mwN). Eine nicht gleichzeitige, sondern
sukzessive Aufnahme des Rechtsstreits gegenüber den einzelnen Widerspre-
chenden und eine erst nach Beseitigung des letzten Widerspruchs mögliche
Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle wäre mit dem vorgenannten
Zweck von § 180 Abs. 2 InsO, Zeit und Kosten zu sparen, nicht vereinbar.
aa) Vorliegend hat der Kläger das Verfahren zwar nicht gegen den eben-
falls der Feststellung der streitgegenständlichen Forderung zur Insolvenztabelle
(teilweise) widersprechenden Insolvenzverwalter aufgenommen. Die vorste-
henden Gründe stehen der Wirksamkeit einer solchen teilweisen Verfahrens-
aufnahme indes nicht zwingend entgegen. Denn soweit einer angemeldeten
Forderung in Höhe eines bestimmten Teils dieser Forderung nur ein Gläubiger
widersprochen hat, ist die Aufnahme des anhängigen Rechtsstreits gegen ihn
ausreichend, um hinsichtlich des allein von ihm bestrittenen Teils der ange-
meldeten Forderung die Feststellung zur Insolvenztabelle zu erreichen. Der
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Rechtsstreit wird in Bezug auf diesen Teil der Forderung rasch zu Ende ge-
bracht und bedarf insoweit keiner weiteren Aufnahme. Der Umstand, dass der
Rechtsstreit in Bezug auf weitere Teile der angemeldeten Forderung unterbro-
chen bleibt und gegebenenfalls gegen die diesbezüglich Widersprechenden
aufgenommen werden kann, hindert die Wirksamkeit einer Teilaufnahme daher
nicht, sofern ihr nicht allgemeine prozessrechtliche Gründe entgegenstehen
(siehe unter bb). Eine Teilaufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits ist
vielmehr grundsätzlich möglich (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1994 - V ZR
270/93, NJW-RR 1994, 1213; MünchKommZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 240
Rn. 24; Musielak/Stadler, ZPO, 9. Aufl., § 240 Rn. 9).
bb) Vorliegend steht einer wirksamen Verfahrensaufnahme jedoch ent-
gegen, dass über den vom Kläger aufgenommenen Teil des Rechtsstreits nicht
durch ein dem Gebot der Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil ent-
sprechendes Teilurteil entschieden werden könnte.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf auch
bei grundsätzlicher Teilbarkeit des Streitgegenstands ein Teilurteil (§ 301 ZPO)
nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen
ausgeschlossen ist. Eine Gefahr widersprechender Entscheidungen ist nament-
lich dann gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die
sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder An-
spruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Das gilt auch insoweit, als es
um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilsele-
menten geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318
ZPO für das weitere Verfahren binden (BGH, Urteile vom 4. Oktober 2000
- VIII ZR 109/99, NJW 2001, 155; vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 176/02,
NJW-RR 2003, 1002; vom 7. November 2006 - X ZR 149/04, NJW 2007, 156
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Rn. 12; vom 16. Juni 2010 - VIII ZR 62/09, NJW-RR 2011, 189 Rn. 21, 25; vom
11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10, BGHZ 189, 356 Rn. 13 mwN und vom 13. Juli
2011 - VIII ZR 342/09, NJW 2011, 2800 Rn. 25).
(2) Eine solche Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ist
vorliegend gegeben. Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens
ist die vom Kläger geltend gemachte und von Land- und Oberlandesgericht zu-
gesprochene Hauptforderung in Höhe von 80.477,34
€. Der Senat beziehungs-
weise - nach gegebenenfalls erfolgender Zulassung der Revision und auf die
Revision erfolgender Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung
der Sache - das Berufungsgericht wird bei unterstellter Wirksamkeit der Teilauf-
nahme über den Bestand der Hauptforderung zu entscheiden haben.
Der Kläger hat den Rechtsstreit nicht hinsichtlich der - ihm von Land- und
Oberlandesgericht ebenfalls zugesprochenen - Prozesszinsen (§ 291 BGB)
aufgenommen. Ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen setzt den Bestand
einer Geldschuld, das heißt vorliegend der dem Kläger bisher zugesprochenen
Hauptforderung voraus. Der Senat beziehungsweise - nach gegebenenfalls
auch insoweit erfolgender Zulassung der Revision und auf die Revision erfol-
gender Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache - das
Berufungsgericht wird daher, sollte das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
später auch hinsichtlich des Zinsanspruchs aufgenommen werden, erneut über
den Bestand der Hauptforderung zu entscheiden haben.
Der Senat beziehungsweise das Berufungsgericht würde mithin auf die
Teilaufnahme hinsichtlich der Hauptforderung eine Frage zu entscheiden ha-
ben, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche (hier:
den Zinsanspruch) noch einmal stellt oder stellen kann. Dadurch würde nach
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den vorstehend dargestellten Grundsätzen zur Zulässigkeit eines Teilurteils ei-
ne Gefahr widersprechender Entscheidungen begründet, die einem auf die
Hauptforderung bezogenen Teilurteil und damit zugleich der Wirksamkeit der
entsprechenden Teilaufnahme des Verfahrens entgegensteht.
(3) Allerdings gilt das Teilurteilsverbot bei Gefahr einander widerspre-
chender Entscheidungen nicht ausnahmslos. Es hat zurückzutreten, wenn der
Anspruch einer Prozesspartei auf effektiven Rechtsschutz überwiegt. So ist ins-
besondere anerkannt, dass das dargestellte Teilurteilsverbot nicht gilt, wenn es
zu einer Unterbrechung oder Aussetzung des Prozesses gegen einen von meh-
reren einfachen Streitgenossen infolge dessen Todes oder Insolvenz kommt
und dadurch eine Prozesssituation eintritt, die zu einer faktischen Trennung der
Verfahren führt. Hier ist der Erlass eines Teilurteils bezüglich der weiteren
Streitgenossen gestattet, weil es dem Rechtsschutzanspruch der übrigen Pro-
zessbeteiligten entgegenstünde, wenn der sie betreffende Rechtsstreit für eine
längere und ungewisse Dauer verzögert würde, ohne dass sie hierauf Einfluss
nehmen können (BGH, Urteile vom 19. Dezember 2002 aaO S. 1002 f mwN;
vom 7. November 2006 aaO Rn. 14 ff; vom 16. Juni 2010 aaO Rn. 26 und vom
11. Mai 2011 aaO Rn. 17 f mwN; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 301
Rn. 7 a.E.; Musielak aaO § 301 Rn. 3; Hk-ZPO/Saenger, 5. Aufl., § 301 Rn. 6).
Es handelt sich bei der vorliegenden Konstellation indes nicht um einen
solchen Ausnahmefall, in dem trotz der bestehenden Gefahr einer abweichen-
den Entscheidung ein Teilurteil zulässig wäre. Die eintretende Verzögerung
entspricht vielmehr - anders als bei den vorgenannten Fallgestaltungen - dem
Willen des Klägers und kann von diesem auch jederzeit durch die Aufnahme
des Verfahrens im Übrigen beendet werden. Der Anspruch auf effektiven
Rechtsschutz gibt daher hier keine Rechtfertigung für den Erlass eines Teilur-
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teils bei gleichwohl bestehender Gefahr widersprechender Entscheidungen (vgl.
BGH, Urteil vom 11. Mai 2011 aaO Rn. 18 zu einem auf Wunsch der Parteien
angeordneten Ruhen eines Teils des Rechtsstreits).
3.
Angesichts der seitens des Klägers somit nicht wirksam erfolgten Auf-
nahme des Verfahrens war auf den Antrag der Streithelferin der Beklagten fest-
zustellen, dass das Verfahren weiterhin unterbrochen ist.
Schlick
Herrmann
Hucke
Tombrink
Remmert
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 18.09.2008 - 22 O 13697/08 -
OLG München, Entscheidung vom 14.01.2010 - 23 U 1568/09 -
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