Urteil des BGH vom 28.08.2014

BGH: in dubio pro reo, ankauf, gesamtstrafe, anteil, anhörung, kennzeichnung, verzicht, kokain

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 S t R 1 8 4 / 1 4
vom
28. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Bestimmens einer Person unter 18 Jahren zur Förderung des
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 28. August 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO analog und § 154 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-
gerichts Bielefeld vom 15. November 2013 wird
a) das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit
der Angeklagte im Fall 16 der Urteilsgründe wegen uner-
laubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht ge-
ringer Menge in Tateinheit mit Bestimmen einer Person
unter 18 Jahren zur Förderung des Handeltreibens mit Be-
täubungsmitteln verurteilt worden ist; im Umfang der Ein-
stellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwen-
digen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur
Last;
b) das vorgenannte Urteil
aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklag-
te des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungs-
mitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Be-
stimmen einer Person unter 18 Jahren zur Förderung
des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei
Fällen und des unerlaubten Handeltreibens mit Be-
täubungsmitteln in zwölf Fällen schuldig ist;
bb) im Strafausspruch dahin geändert, dass der Ange-
klagte in den Fällen 12 bis 15 der Urteilsgründe je-
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weils zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und
neun Monaten verurteilt wird.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines
Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestimmens einer Person
unter 18 Jahren zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
acht Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in vier Fällen in Tateinheit mit
unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie wegen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheits-
strafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des
Angeklagten führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Teileinstellung,
einer Abänderung des Schuldspruchs und zu einer Neufestsetzung von Einzel-
strafen; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen bezog der Angeklagte in der Zeit von Sep-
tember 2012 bis zum 9. April 2013 Kokainzubereitung von dem anderweitig ver-
folgten T. und verkaufte diese anschließend in Teilmengen mit Gewinn an
verschiedene Abnehmer weiter, um sich dadurch eine dauerhafte Erwerbsquel-
le zu erschließen. Dabei kam es in der Zeit von September 2012 bis zum
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7. Januar 2013 zu acht Ankäufen von jeweils 10 Gramm (Fälle 1 bis 8 der Ur-
teilsgründe) und in der Zeit vom 8. Januar 2013 bis zum 9. April 2013 zu drei
Ankäufen von jeweils 20 Gramm (8. Januar 2013, 23. Februar 2013 und
4. März 2013; Fälle 9 bis 11 der Urteilsgründe) sowie vier zeitlich nicht näher
eingrenzbaren Ankäufen von jeweils 10 Gramm (Fälle 12 bis 15 der Urteils-
gründe). Der Wirkstoffanteil lag in allen Fällen knapp unter 50 Prozent. Nach-
dem der Angeklagte am 9. April 2013 von T. weitere 10 Gramm Kokainzube-
reitung mit einem Anteil von 5,4 Gramm Kokainhydrochlorid übernommen hatte,
wurde er festgenommen (Fall 16 der Urteilsgründe). Am 8. Januar, 16. und
28. Februar, sowie am 1., 4., 7., 10. und 22. März 2013 veranlasste der Ange-
klagte seinen am 23. April 1997 geborenen Sohn H. dazu, ihm beim Ab-
verkauf von Kokain behilflich zu sein und Abnehmern vorbereitete Teilmengen
auszuhändigen oder vereinbartes Kaufgeld entgegenzunehmen.
2. Der Senat hat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts
nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall 16 der Ur-
teilsgründe (Ankauf von 10 Gramm Kokainzubereitung mit einem Wirkstoffanteil
von 5,4 Gramm Kokainhydrochlorid am 9. April 2013) verurteilt worden ist.
3. Der Schuldspruch war
– wie aus der Beschlussformel ersichtlich – ab-
zuändern, weil Fall 16 infolge der Teileinstellung weggefallen ist und dem
Landgericht bei der konkurrenzrechtlichen Beurteilung der Fälle 9 bis 15 (Tat-
zeitraum: 8. Januar 2013 bis zum 9. April 2013) ein Rechtsfehler unterlaufen ist.
a) Das Landgericht hat sowohl den drei zeitlich genau bestimmten Taten
des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
(jeweils 20 Gramm Kokainzubereitung), als auch den vier zeitlich nicht näher
einzugrenzenden Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
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(jeweils 10 Gramm Kokainzubereitung) jeweils einen der von ihm festgestellten
Fälle des Bestimmens einer Person unter 18 Jahren zur Förderung des uner-
laubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zugeordnet. Diese Bewertung
wird von den Feststellungen nicht getragen.
Den Urteilsgründen kann
– von einzelnen zeitlichen Überschneidungen
am 8. Januar und 4. März 2013 abgesehen
– nicht entnommen werden, auf
welche Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (in nicht
geringer Menge) die einzelnen Fälle des Bestimmens einer Person unter
18 Jahren zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln bezogen
sind. Da bei der Feststellung des Schuldumfangs zu Gunsten des Angeklagten
von der für ihn günstigsten Fallgestaltung auszugehen ist (BGH, Beschluss vom
15. April 1987
– 3 StR 138/87, BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 1; Be-
schluss vom 3. Juli 2014
– 4 StR 191/14, Rn. 4; Beschluss vom 19. November
1996
– 1 StR 572/96, BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 7), ist unter die-
sen Umständen anzunehmen, dass sich die festgestellten Taten nach § 30a
Abs. 2 Nr. 1 BtMG jeweils nur auf den Absatz von Teilmengen aus dem nächs-
ten zeitlich davor liegenden Ankauf von 20 Gramm Kokainzubereitung bezogen
haben, sodass der Angeklagte lediglich in den drei Fällen des unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vom 8. Januar
2013, 23. Februar 2013 und 4. März 2013 (Fälle 9 bis 11 der Urteilsgründe)
auch tateinheitlich des Bestimmens einer Person unter 18 Jahren zur Förde-
rung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (in jeweils mehreren insoweit in
gleichartiger Tateinheit zueinander stehenden Fällen) schuldig ist (vgl. dazu
BGH, Beschluss vom 3. April 2013
– 3 StR 61/13, NStZ 2014, 161; Beschluss
vom 23. Mai 2007
– 2 StR 569/06, NStZ 2008, 42 f.; Beschluss vom 18. Juni
2003
– 1 StR 184/03). In den vier Fällen des Ankaufs von 10 Gramm Kokainzu-
bereitung mit einem Kokainhydrochlorid-Anteil von weniger als fünf Gramm
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(Fälle 12 bis 15 der Urteilsgründe) hat sich der Angeklagte danach nur des un-
erlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG
schuldig gemacht.
b) Der Senat ändert den Schuldspruch unter Verzicht auf eine ausdrück-
liche Kennzeichnung der gleichartigen Tateinheit in den Fällen 9 bis 11 der
Urteilsgründe entsprechend ab (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2014
– 4 StR 191/14, Rn. 6; Urteil vom 27. Juni 1996 – 4 StR 166/96, Rn. 17, NStZ
1996, 493 f.). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich
nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
4. Für die vier Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmit-
teln (Ankauf von jeweils 10 Gramm Kokainzubereitung) in der Zeit vom 8. Janu-
ar 2013 bis zum 9. April 2013 (Fälle 12 bis 15 der Urteilsgründe) setzt der Senat
in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die vom Landgericht festgesetz-
ten Einzelstrafen von jeweils zwei Jahren und neun Monaten auf ein Jahr und
neun Monate Freiheitsstrafe herab. Diese Strafen entsprechen den Einzelstra-
fen, die das Landgericht für die acht Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit
10 Gramm Kokainzubereitung in der Zeit von September 2012 bis zum 9. April
2013 (Fälle 1 bis 8 der Urteilsgründe) festgesetzt hat. Der Senat schließt aus,
dass das Landgericht mit Blick auf die in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen
und die dafür "bestimmenden" Umstände (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) in den
Fällen 12 bis 15 der Urteilsgründe auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte
(vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001
– 4 StR 113/01, NStZ-RR 2002, 103).
Die Gesamtstrafe bleibt davon unberührt. Die Ermäßigung der Einzel-
strafen beruht auf einer Korrektur der Konkurrenzverhältnisse und hat keine
Verringerung des Tatunrechts und des Schuldgehalts in seiner Gesamtheit zur
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Folge (BGH, Beschluss vom 3. Juli 2014
– 4 StR 191/14, Rn. 7 mwN). Durch
die Teileinstellung des Verfahrens kommt lediglich eine Einzelstrafe in Wegfall.
Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei den verbleibenden Einzelstra-
fen von drei Mal zwei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe und zwölf Mal
einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe auf eine noch niedrigere Ge-
samtstrafe erkannt hätte.
Sost-Scheible
Cierniak
Franke
RiBGH Dr. Mutzbauer ist urlaubs-
abwesend und deshalb an der Un-
terschriftsleistung gehindert.
Sost-Scheible
Quentin