Urteil des BGH vom 09.07.2013

BGH: gewerbesteuer, systematische auslegung, nummer, bemessungsgrundlage, gas, gesetzesmaterialien, energie, auflösung, anwendungsbereich, gemeinde

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
EnVR 37/11
Verkündet am:
9. Juli 2013
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
KNS
ARegV § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Die kalkulatorische Gewerbesteuer nach § 8 GasNEV ist keine Betriebssteuer
im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ARegV. Sie zählt daher nicht zu den
dauerhaft nicht beeinflussbaren Kostenanteilen, deren Änderung nach § 4
Abs. 3 Satz 1 ARegV zu einer Anpassung der Erlösobergrenze führt.
BGH, Beschluss vom 9. Juli 2013 - EnVR 37/11 - OLG Koblenz
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 9. Juli 2013 durch die Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c. Born-
kamm und Dr. Raum sowie die Richter Dr. Strohn, Dr. Grüneberg und
Dr. Bacher
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerden der Landesregulierungsbehörde und
der Bundesnetzagentur wird der Beschluss des Kartellsenats des
Oberlandesgerichts Koblenz vom 28. April 2011 im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als der Bescheid der Landesregulie-
rungsbehörde vom 18. Dezember 2008 aufgehoben worden ist.
Die Beschwerde der Betroffenen gegen diesen Bescheid wird ins-
gesamt zurückgewiesen.
Die Kosten und Auslagen des Beschwerde- und Rechtsbeschwer-
deverfahrens sowie die Auslagen der Bundesnetzagentur werden
der Betroffenen auferlegt.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 200.000
festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Betroffene betreibt ein Gasverteilernetz. Mit Bescheid vom 18. De-
zember 2008 legte die Landesregulierungsbehörde die einzelnen Erlösober-
grenzen für die Jahre 2009 bis 2012 niedriger als von der Betroffenen begehrt
fest. Dabei erkannte sie unter anderem im Rahmen der Ermittlung der dauerhaft
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nicht beeinflussbaren Kostenanteile nach § 11 Abs. 2 Satz 1 ARegV die von der
Betroffenen angesetzte kalkulatorische Gewerbesteuer nicht als Betriebssteuer
im Sinne der Nummer 3 dieser Bestimmung an.
Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Be-
schwerdegericht den Bescheid der Landesregulierungsbehörde aufgehoben
und diese verpflichtet, die Erlösobergrenzen unter Berücksichtigung seiner
Rechtsauffassung, zu den Betriebssteuern im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1
Nr. 3 ARegV sei auch die Gewerbesteuer zu rechnen, neu zu bestimmen. Die
weitergehende Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht zu-
rückgewiesen.
Hiergegen richten sich die - vom Beschwerdegericht zugelassenen -
Rechtsbeschwerden der Landesregulierungsbehörde und der Bundesnetzagen-
tur.
II.
Die Rechtsbeschwerden haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung der an-
gefochtenen Entscheidung und zur vollumfänglichen Zurückweisung der Be-
schwerde der Betroffenen gegen den Bescheid der Landesregulierungsbehör-
de.
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die Landesregulie-
rungsbehörde die von der Betroffenen angesetzte Gewerbesteuer zu Unrecht
nicht als Teil der dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten im Sinne von § 11
Abs. 2 Satz 1 ARegV behandelt habe. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ARegV sei da-
hin auszulegen, dass zu den
„Betriebssteuern“ auch die Gewerbesteuer zu
rechnen sei. Der in dieser Vorschrift verwendete Begriff
„Betriebssteuern“ sei
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aus § 21a Abs. 4 Satz 2 EnWG übernommen und habe in der Finanzbuchhal-
tung eine feststehende Bedeutung. Danach seien Betriebssteuern als Teil der
betrieblich veranlassten Aufwendungen (Betriebsausgaben) sämtliche betrieb-
lich veranlasste Steuern, wozu auch die Gewerbesteuer gehöre, weil sie allein
durch den Gewerbebetrieb veranlasst sei.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 4 Abs. 5b EStG in der Fas-
sung vom 14. August 2007, wonach Gewerbesteuern keine Betriebsausgaben
seien. Diese Formulierung sei verfehlt und könne nur als Abzugsverbot ver-
standen werden, ohne - was aus der Definition der Betriebsausgaben in § 4
Abs. 4 EStG hervorgehe - die Eigenschaft der Gewerbesteuer als Teil der be-
triebsbedingten Aufwendungen in Frage zu stellen. Von dieser weiten Definition
sei der Gesetzgeber auch in § 21a Abs. 4 Satz 2 EnWG ausgegangen. Gegen
eine Einbeziehung der Gewerbesteuer in die Gruppe der Betriebssteuern nach
§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ARegV ließen sich auch den Gesetzesmaterialien zur
Anreizregulierungsverordnung keine Anhaltspunkte entnehmen. Zum Zeitpunkt
der Einbringung des Verordnungsentwurfs in den Bundesrat habe § 4 Abs. 5b
EStG nF noch nicht gegolten, so dass die Gewerbesteuer damals noch eine im
Grundsatz abzugsfähige Betriebsausgabe gewesen sei. Die Änderung dieser
Vorschrift habe in den Gesetzesmaterialien keinen Niederschlag gefunden. Der
Verordnung könne nicht entnommen werden, dass betrieblich bedingte Steuern
den dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten nur so lange zugeordnet werden
sollten, wie sie nach dem Einkommensteuergesetz abzugsfähig seien.
Schließlich entspreche die Einbeziehung der Gewerbesteuer in die Be-
triebssteuern auch dem Sinn und Zweck des § 21a Abs. 1 EnWG, wonach die
Anreizregulierung
„Anreize für eine effiziente Leistungserbringung“ setzen solle.
Ein solcher Anreiz könne aber nur wirken, soweit der Netzbetreiber Einfluss auf
die Kostenhöhe habe. Dies sei jedoch bei Betriebssteuern zumindest in Bezug
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auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Besteuerung und die Höhe des
Steuersatzes nicht der Fall. Für die Gewerbesteuer gelte nichts anderes. Dass
sich deren Höhe nach dem Gewerbeertrag und im Rahmen des § 8 GasNEV
nach dem Umfang des Betriebsvermögens bestimme und damit mittelbar vom
Netzbetreiber zu beeinflussen sei, sei unschädlich. Dies sei auch bei anderen
Steuerarten wie etwa der Grundsteuer der Fall, ohne dass dadurch deren Ein-
ordnung als Betriebssteuer in Zweifel stünde.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Bei der Ermittlung von Erlösobergrenzen sind nach § 21a Abs. 4
Satz 1 EnWG die durch den jeweiligen Netzbetreiber beeinflussbaren Kosten-
anteile und die von ihm nicht beeinflussbaren Kostenanteile zu unterscheiden.
Nach dem Willen des Gesetzgebers umfasst der nicht beeinflussbare Kosten-
anteil nach § 21a Abs. 4 Satz 2 EnWG solche Kosten der Netzbetreiber, auf de-
ren Höhe sie nicht einwirken können und die deshalb keinen Effizienzvorgaben
unterliegen; dieser Kostenanteil an dem Gesamtentgelt muss daher auf Grund-
lage der tatsächlichen Kosten nach § 21 Abs. 2 EnWG ermittelt werden (BT-
Drucks. 15/5268, S. 120). § 21a Abs. 4 Satz 2 EnWG, § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
ARegV ordnen Betriebssteuern ausdrücklich als nicht beeinflussbare Kostenan-
teile ein. Darunter fallen nach dem Willen des Verordnungsgebers alle Steuern,
die in der Steuerbilanz abzugsfähige Betriebsausgaben sind (BR-Drucks.
417/07, S. 51).
b) Nach diesen Maßgaben ist die kalkulatorische Gewerbesteuer nach
§ 8 GasNEV keine Betriebssteuer im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
ARegV.
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aa) Im Rahmen der für die Bestimmung des Ausgangsniveaus der Erlös-
obergrenzen der ersten Regulierungsperiode nach § 6 Abs. 2 ARegV maßge-
benden Ergebnisses der Kostenprüfung der letzten Genehmigung nach § 23a
EnWG wie auch im Rahmen der Kostenprüfung nach § 6 Abs. 1 ARegV ist die
Gewerbesteuer lediglich als kalkulatorische Kostenposition nach § 8 GasNEV in
Ansatz zu bringen, während eine Berücksichtigung der tatsächlich angefallenen
Gewerbesteuer nach § 5 Abs. 1 GasNEV ausgeschlossen ist. Durch den An-
satz kalkulatorischer Kosten sollen die unter simulierten Wettbewerbsbedingun-
gen sich bildenden Netzentgelte ermittelt werden. Für den Ansatz der Gewer-
besteuer hat nichts anderes zu gelten als für tatsächlich anfallende Kosten oder
Kostenbestandteile, die sich ihrem Umfang nach im Wettbewerb nicht einstellen
würden und aus diesem Grund gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 EnWG bei der Ent-
geltbildung nicht berücksichtigt werden dürfen (Senat, Beschluss vom 14. Au-
gust 2008 - KVR 36/07, RdE 2008, 337 Rn. 83 - Stadtwerke Trier).
Mit der Vorschrift des § 8 GasNEV soll erreicht werden, dass die kalkula-
torische Eigenkapitalverzinsung nach § 7 Abs. 6 GasNEV mit der Maßgabe un-
geschmälert in die Netzentgeltberechnung einfließen und dem Netzbetreiber als
Ertrag verbleiben soll, dass die kalkulatorische Gewerbesteuer nach § 8 Gas-
NEV zu berechnen ist (vgl. Senat aaO, Rn. 85 - Stadtwerke Trier, zu den gleich-
lautenden Regelungen in der Stromnetzentgeltverordnung). Dass aufgrund
dessen die Eigenkapitalverzinsung tatsächlich nicht in vollem Umfang erhalten
bleibt, ist zwangsläufige Folge des rein kalkulatorischen Berechnungsansatzes
(Senat aaO, Rn. 86 - Stadtwerke Trier).
Nach § 8 Satz 1 GasNEV stellt die Eigenkapitalverzinsung nach § 7
GasNEV die Bemessungsgrundlage, d.h. den Gewerbeertrag, für die kalkulato-
rische Gewerbesteuer dar. Hierdurch wird auf eine rein fiktive Bemessungs-
grundlage, die kalkulatorisch ermittelte Eigenkapitalverzinsung nach § 7 Gas-
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NEV, abgestellt. Ausgangspunkt sind somit nicht die der steuerlichen und han-
delsrechtlichen Gewinnermittlung zugrundeliegenden Größen. Die kalkulatori-
sche Gewerbesteuer ist vielmehr Teil der kalkulatorischen Kostenrechnung, die
die Entgeltbildung unter funktionierenden Wettbewerbsbedingungen simulieren
soll (Senat, Beschluss vom 14. August 2008 - KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395
Rn. 72 f. - Rheinhessische Energie).
bb) Danach begegnet es bereits Zweifeln, ob die kalkulatorische Gewer-
besteuer unter das Tatbestandsmerkmal der Betriebssteuer im Sinne des § 11
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ARegV zu fassen ist. Nach dem Wortsinn dürften darunter
nur
„echte“ betrieblich veranlasste Steuern fallen, nicht dagegen lediglich kalku-
latorische Kostenansätze.
Gegen eine Einbeziehung der kalkulatorischen Gewerbesteuer unter die
Betriebssteuern im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ARegV spricht aber vor
allem eine systematische Auslegung dieser Vorschrift. Die Rechtsbeschwerde
weist zwar zutreffend darauf hin, dass in dem Katalog des § 11 Abs. 2 Satz 1
ARegV kalkulatorisch ermittelte Kosten und Erlöse enthalten sind, wie etwa aus
genehmigten Investitionsmaßnahmen nach Nummer 6, aus Mehrkosten für die
Errichtung, den Betrieb und die Änderung von Erdkabeln nach Nummer 7, aus
pauschalierten Investitionszuschlägen nach Nummer 12 und aus der Auflösung
von Netzanschlusskostenbeiträgen und Baukostenzuschüssen nach Num-
mer 13. Daraus ist aber eher im Umkehrschluss zu folgern, dass andere kalku-
latorisch ermittelte Kosten nicht in den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 2
ARegV fallen sollen, weil dort im Übrigen nur aufwandsgleiche Kostenanteile im
Sinne des § 5 GasNEV genannt werden, zu denen die kalkulatorische Gewer-
besteuer nicht gehört.
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Dieses Ergebnis wird durch die Materialien gestützt. Nach dem Willen
des Verordnungsgebers fallen unter § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ARegV alle Steu-
ern, die in der Steuerbilanz abzugsfähige Betriebsausgaben sind (BR-Drucks.
417/07, S. 51). Dazu gehört die kalkulatorische Gewerbesteuer nicht. Nichts
anderes ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zu § 21a EnWG. Danach soll
der nicht beeinflussbare Kostenanteil nach § 21a Abs. 4 Satz 2 EnWG auf
Grundlage der tatsächlichen Kosten nach § 21 Abs. 2 EnWG ermittelt werden
(BT-Drucks. 15/5268, S. 120). Um solche Kosten handelt es sich bei der kalku-
latorischen Gewerbesteuer gerade nicht. Vielmehr wird diese gemäß § 8 Gas-
NEV auf Grundlage der nach § 7 GasNEV kalkulatorisch ermittelten Eigenkapi-
talverzinsung bemessen.
Schließlich spricht entscheidend gegen die Einordnung der kalkulatori-
schen Gewerbesteuer als Betriebssteuer im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
ARegV der Sinn und Zweck dieser Norm wie auch des § 21a Abs. 4 EnWG.
Danach dient die Unterscheidung zwischen den nicht beeinflussbaren und den
beeinflussbaren Kostenanteilen dazu, diejenigen Kostenanteile zu identifizieren,
auf deren Höhe der Netzbetreiber nicht einwirken kann, um diese - was aus
§ 21a Abs. 4 Satz 6 EnWG hervorgeht - nicht den Effizienzvorgaben zu unter-
werfen; denn dies widerspräche dem Wesen der Anreizregulierung, weil den
Netzbetreibern insoweit weitere Effizienzsteigerungen nicht möglich sind (BT-
Drucks. 15/5268, S. 120). Die kalkulatorische Gewerbesteuer erfüllt diese Vo-
raussetzung gerade nicht. Deren - rein fiktive - Bemessungsgrundlage ist die
kalkulatorisch ermittelte Eigenkapitalverzinsung nach § 7 GasNEV, bei der es
sich - was zwischen den Beteiligten auch nicht in Streit steht - um einen beein-
flussbaren Kostenanteil handelt. Dann ist zwangsläufig auch die kalkulatorische
Gewerbesteuer als - untrennbarer - Teil der kalkulatorischen Kostenrechnung
nach § 4 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit §§ 6 bis 8 GasNEV ein durch den
Netzbetreiber beinflussbarer Kostenanteil. Dem steht, anders als die Rechtsbe-
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schwerdeerwiderung meint, nicht entgegen, dass für die Berechnung der kalku-
latorischen Gewerbesteuer mit der Steuermesszahl und dem Hebesatz der je-
weiligen Gemeinde auch Parameter maßgeblich sind, auf deren Höhe der
Netzbetreiber nicht einwirken kann. Entsprechendes ist auch bei den beiden
anderen kalkulatorischen Kostenarten der Fall, nämlich bei den kalkulatorischen
Abschreibungen nach § 6 GasNEV in Bezug auf die Abschreibungsmethode
und die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer und bei der kalkulatorischen Ei-
genkapitalverzinsung nach § 7 GasNEV in Bezug auf die Eigenkapitalzinssätze.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.
Bornkamm
Raum
Strohn
Grüneberg
Bacher
Vorinstanz:
OLG Koblenz, Entscheidung vom 28.04.2011 - W 41/09 Kart -
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