Urteil des BGH vom 02.07.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z R 6 5 / 1 4
vom 2. Juli 2014
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO §§ 719 Abs. 2, 712
Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Einstellung der aus einem vorläufig voll-
streckbaren Herausgabe- und Räumungsurteil betriebenen Zwangsvollstreckung in
der Revisionsinstanz.
BGH, Beschluss vom 2. Juli 2014 - XII ZR 65/14 - OLG Hamburg
LG Hamburg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Juli 2014 durch den Vor-
sitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter Schilling,
Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil
des 8. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Ham-
burg vom 28. Mai 2014 einstweilen einzustellen, wird zurückge-
wiesen.
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt nach Kündigung die Räumung und Herausgabe
von Gewerberäumen, die sie an die Beklagten zu 1 und zu 2 zum Betrieb eines
Restaurants vermietet hatten und die diese an die Beklagte zu 3 (deren ge-
schäftsführender Alleingesellschafter der Beklagte zu 1 ist) untervermietet ha-
ben. Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt; das Oberlan-
desgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat die Revision
zugelassen und den Beklagten nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicher-
heitsleistung in Höhe von 240.000
€ vorläufig abzuwenden, falls nicht die Kläge-
rin zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leiste. Die Klägerin hat die Sicherheit ge-
leistet und betreibt die Zwangsvollstreckung. Der Gerichtsvollzieher hat die
Räumung für den 3. Juli 2014 angekündigt.
Die Beklagten haben gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Revision
eingelegt. Sie beantragen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil einstweilen
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einzustellen. Zur Begründung führen sie unter Bezugnahme auf ein Schreiben
ihres Steuerberaters aus, ihnen würde durch die Vollstreckung ein nicht zu er-
setzender Nachteil entstehen. Könnten sie das Restaurant nicht weiter betrei-
ben, dann könnten sie zwei weitere von der Beklagten zu 3 betriebene defizitä-
re Lokale nicht weiter aus den Gewinnen des Restaurants finanziell unterstüt-
zen und müssten auch diese beiden Lokale schließen.
II.
Der Einstellungsantrag der Beklagten ist nicht begründet.
1. Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil ein-
gelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstre-
ckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen
nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Inte-
resse des Gläubigers entgegensteht (§ 719 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine solche Einstellung nicht
in Betracht, wenn der Schuldner es versäumt hat, im Berufungsrechtszug einen
Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 712 ZPO zu stellen, obwohl ihm ein sol-
cher Antrag möglich und zumutbar gewesen wäre. Ein im Berufungsrechtszug
gemäß §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 ZPO gestellter Antrag auf einstweilige Ein-
stellung der Zwangsvollstreckung gilt nur für diese Instanz und wirkt nicht über
den Erlass des Berufungsurteils hinaus, so dass er nicht den erforderlichen An-
trag nach § 712 ZPO ersetzen kann, der dahin geht, dass das Berufungsgericht
auch gegenüber seiner Entscheidung Vollstreckungsschutz gewähren soll (Se-
natsbeschluss vom 31. Juli 2013 - XII ZR 114/13 - GuT 2013, 217 Rn. 5 mwN).
2. An dieser Voraussetzung für die Einstellung der Zwangsvollstreckung
durch das Revisionsgericht fehlt es hier. Die Beklagten haben im Berufungsver-
fahren lediglich einen Antrag nach §§ 719, 707 ZPO, nicht aber einen solchen
gemäß § 712 ZPO gestellt.
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Dies war ihnen auch nicht aus besonderen Gründen unmöglich. Sie ma-
chen zwar insoweit geltend, ein Vollstreckungsschutzantrag sei ihnen im Beru-
fungsverfahren nicht zumutbar gewesen, weil sie zur Begründung Geschäftsin-
terna hätten offenbaren und befürchten müssen, dass diese einer breiten Öf-
fentlichkeit bekannt würden. Zudem seien sie - mit Blick auf Äußerungen des
Berufungsgerichts berechtigt - davon ausgegangen, dass ihr Rechtsmittel in der
Sache erfolgreich sein würde.
Damit haben die Beklagten jedoch keine Umstände dargelegt, die das
Erfordernis eines Antrags gemäß § 712 ZPO für eine einstweilige Einstellung
gemäß § 719 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise entfallen lassen würden. In der zur
Glaubhaftmachung ihres Vortrags vorgelegten eidesstattlichen Versicherung
des Beklagten zu 2 wird aus Presse-Veröffentlichungen über Streitigkeiten mit
den Vermietern der beiden anderen von der Beklagten zu 3 betriebenen Loka-
len auf die Gefahr geschlossen, dass auch die Informationen aus dem vorlie-
genden Verfahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnten. Wo-
raus sich diese Gefahr ergeben soll, erschließt sich jedoch nicht, zumal eine
personelle Verflechtung der Klägerin des vorliegenden Verfahrens mit den dor-
tigen Vermietern oder auch der Verfahrensbevollmächtigten der jeweiligen
Vermieter miteinander nicht behauptet ist. Ebenso wenig ist ersichtlich, inwie-
fern die Angaben zum im vorliegenden Verfahren gegenständlichen Restaurant
Einfluss auf die - möglicherweise auch in der Presse ausgetragenen - Streitig-
keiten betreffend die beiden anderen Lokale haben sollen. Nicht nachvollzieh-
bar ist auch die in der eidesstattlichen Versicherung angeführte Besorgnis, es
könnte zum Fernbleiben von Gästen in einem der drei Lokale führen, wenn be-
kannt würde, dass mit dem ertragreichen Betrieb des Restaurants die beiden
anderen Lokale "bezuschusst" werden.
Die Gründe, auf die der Einstellungsantrag gestützt wird, lagen bereits im
Berufungsrechtszug vor. Wie der jetzt erfolgte Vortrag belegt, beruhte das dor-
tige Unterbleiben der Antragstellung letztlich darauf, dass die Beklagten ihre
dortigen Erfolgsaussichten unzutreffend eingeschätzt haben. Dies kann jedoch
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das Absehen von einem Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO nicht
rechtfertigen, weil es grundsätzlich in den Risikobereich der Partei fällt (Senats-
beschluss vom 10. April 2003 - XII ZR 280/01 - juris Rn. 6; BGH Beschlüsse
vom 23. Oktober 2007 - XI ZR 449/06 - WuM 2008, 50; vom 29. Juli 2004
- III ZR 263/04 - NJW-RR 2005, 147, 148 und vom 26. September 1991
- I ZR 189/91 - NJW-RR 1992, 189, 190). Das gilt selbst dann, wenn die Auffas-
sung zu den Erfolgsaussichten auf eine vorläufige Einschätzung des Beru-
fungsgerichts gestützt ist (BGH Beschluss vom 29. Juli 2004 - III ZR 263/04 -
NJW-RR 2005, 147, 148), was die Beklagten vorliegend nicht einmal behaup-
ten. Denn sie führen lediglich aus, das Berufungsgericht habe in der mündli-
chen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, "man könne sich vorstellen", einer
den Beklagten ggf. günstigen Rechtsauffassung zu folgen.
3. Im Übrigen ist ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinn des § 719
Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht dargetan. Soweit die Beklagten darauf abstellen, dass
die Beklagte zu 3, ein Wirtschaftsunternehmen, weitere, ohnedies defizitäre
Lokale schließen müsste, ergibt sich bereits kein Nachteil.
Die - sich allein aus dem Schreiben des Steuerberaters ergebenden -
Gewinneinbußen infolge der Räumung des streitgegenständlichen Restaurants
bedeuten einen Nachteil, der finanziell ausgeglichen werden kann. Dass die
Klägerin hierzu nicht in der Lage wäre (vgl. dazu BGH Beschluss vom
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30. Januar 2007 - X ZR 147/06 - NJW-RR 2007, 1138 Rn. 6), wird von den Be-
klagten nicht einmal behauptet.
Dose
Weber-Monecke
Schilling
Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 09.01.2014 - 316 O 193/13 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 28.05.2014 - 8 U 8/14 -