Urteil des BGH vom 24.05.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 182/12
Verkündet am:
24. Mai 2013
Lesniak
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WEG § 21 Abs. 3
Den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung (§ 21 Abs. 3 WEG) genügt
jedenfalls bei Vorliegen gravierender Mängel der Bausubstanz nur eine den allge-
mein anerkannten Stand der Technik sowie die Regeln der Baukunst beachtende
Sanierung; da DIN-Normen die Vermutung in sich tragen, dass sie den Stand der
allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben, sind solche Sanierungen
grundsätzlich DIN-gerecht auszuführen.
BGH, Urteil vom 24. Mai 2013 - V ZR 182/12 - LG Berlin
AG Tiergarten
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 24. Mai 2013 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter
Dr. Lemke, Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth und die Richterin Weinland
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 85
des Landgerichts Berlin vom 3. Juli 2012 wird als unzulässig ver-
worfen, soweit sie den in der Versammlung der Wohnungseigen-
tümer vom 22. September 2009 gefassten Beschluss zu TOP 7
betrifft.
Im Übrigen wird das Urteil - auch im Kostenpunkt - aufgehoben.
Auf die weitere Revision der Beklagten wird das Urteil der Zivil-
kammer 85 des Landgerichts Berlin vom 28. Oktober 2011 insge-
samt aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung werden die Sachen zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisions-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Parteien bilden die im Rubrum näher bezeichnete Wohnungseigen-
tümergemeinschaft. Die Klägerin, Teileigentümerin der im 5. Geschoss gelege-
nen - früher als Trockenboden genutzten - Einheit Nr. 22, beabsichtigt deren
Ausbau zu Wohnungen. Nach § 21 der Teilungserklärung (TE) ist der jeweilige
Eigentümer dieser Einheit unter näher bezeichneten Voraussetzungen befugt,
die seiner Berechtigung unterliegenden Dachgeschossbereiche auf eigene Kos-
ten zu Wohnzwecken auszubauen und die neu geschaffenen Räume von Teil-
eigentum in Wohnungseigentum umzuwandeln. Zur Beteiligung an den In-
standsetzungskosten ist er erst nach Fertigstellung des Dachgeschosses bzw.
nach Einzug des Eigentümers verpflichtet.
Auf der Eigentümerversammlung vom 22. September 2009 wurde zu
dem Tagesordnungspunkt (TOP) 7 u.a. der folgende Beschluss gefasst:
„Sofern Teilflächen der Einheit Nr. 22 Erwerbern zum Selbstausbau
angeboten werden, hat der Eigentümer der Einheit Nr. 22 sicherzu-
stellen, dass der Ausbau unter einheitlicher Leitung und innerhalb
der mit Beschluss der Eigentümerversammlung vom 6.6.2008 be-
schlossenen einheitlichen maximalen Bauzeit für das gesamte
Dachgeschoss von 18 Monaten durch Fachunternehmen unter sei-
ner Koordination erfolgt. Die Einhaltung dieser Maßgaben hat der
Eigentümer der Einheit Nr. 22 der WEG gegebenenfalls vor Beginn
von Baumaßnahmen durch Vorlagen entsprechender vertraglicher
Vereinbarungen mit den Erwerbern nachzuweisen.
Nach einem von der Klägerin eingeholten Gutachten der Sachverständi-
gen S. ist die Dach- und Deckenkonstruktion über dem 4. Obergeschoss mit
echtem Hausschwamm
und sonstigen holzzerstörenden Pilzen befallen. Es
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wird eine Sanierung nach DIN 68800 Teil 4 i.V.m. dem WTA-Merkblatt
Nr. 1-2-05/D (im Folgenden nur noch DIN 68800) empfohlen. Demgegenüber
kommt der von der Wohnungseigentümergemeinschaft beauftragte Sachver-
ständige M. zu dem Ergebnis, es lägen allenfalls leichte Schäden der Decken-
konstruktion vor. Die von der Sachverständigen S. empfohlenen Sanierungs-
maßnahmen seien fachlich nicht auf das Notwendige beschränkt.
Vor diesem Hintergrund wurde auf der Eigentümerversammlung vom
22. September 2009 zu TOP 10 eine von der DIN 68800 abweichende Sanie-
rung
gemäß den Vorgaben des Sachverständigen M
beschlossen.
Die gegen die Beschlüsse zu TOP 7 und 10 gerichtete Anfechtungsklage
ist in den Tatsacheninstanzen erfolgreich gewesen. In den Rechtsstreit einge-
führt worden sind weitere Parteigutachten sowie ein in einem selbständigen
Beweisverfahren eingeholtes gerichtliches Sachverständigengutachten. Die mit
der Begründung zugelassene Revision,
Fragen des Umfangs der Verpflichtung
zur ordnungsgemäßen Herstellung des Gemeinschaftseigentums unter Bezug-
nahme auf eine DIN-Vorschrift
seien klärungsbedürftig, ist Gegenstand des
hiesigen Revisionsverfahrens V ZR 182/12, in dem die Beklagten eine Abwei-
sung der Klage erreichen möchten.
Auf einer weiteren Eigentümerversammlung vom 7. Juli 2010 wurde der
unter TOP 5 gestellte Antrag der Klägerin abgelehnt, eine Instandsetzung und
Sanierung der Geschossdecke über dem 4. Obergeschoss und des Dachstuhls
nach den Vorgaben der DIN 68800 durchzuführen. Die dagegen erhobene An-
fechtungsklage hat die Klägerin mit dem Antrag verknüpft, die Beklagten zu ei-
ner Sanierung gemäß DIN 68800 und - hilfsweise - nach gerichtlichem Ermes-
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sen dazu zu verpflichten, die notwendigen Sanierungsmaßnahmen gemäß den
Anforderungen der genannten DIN-Norm auszuführen.
Mit Urteil vom 3. März 2011 hat das Amtsgericht den Beschluss vom
7. Juli 2010 nur insoweit für ungültig erklärt, als der Antrag der Klägerin auf
Ausführung der notwendigen Sanierungsmaßnahmen der Geschossdecke über
dem 4. Obergeschoss nach der DIN 68800 abgelehnt wurde; nur insoweit hat
es auch dem Hilfsantrag stattgegeben. Im Übrigen - also mit Blick auf die Sa-
nierung des Dachstuhls - hat es die Klage abgewiesen. Die gegen die teilweise
Stattgabe der Klage eingelegte Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
Mit der zugelassenen Revision erstreben die Beklagten eine vollständige Kla-
geabweisung in dem Revisionsverfahren mit dem Aktenzeichen V ZR 74/12.
Auf einer im September 2011 durchgeführten Versammlung befassten
sich die Wohnungseigentümer abermals mit der Frage der Sanierung und fass-
ten zu TOP 3 mehrheitlich folgenden - in einem weiteren Rechtsstreit angefoch-
tenen - Beschluss:
„Der Beschluss vom 22.9.2009 wird dahingehend präzisiert, dass
nicht eine generelle Abweichung von der DIN 68800, Teil 4 gemeint
war, sondern eine regelkonforme Sanierung der Decke über dem
4. OG unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden
Einzelfalles.
Der Senat hat die beiden in der Revisionsinstanz anhängigen Prozesse
V ZR 74/12 und V ZR 182/12 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung
verbunden. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revisionen.
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Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind beide Klagen zulässig. Ins-
besondere sei der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit unbegründet. Die
Streitgegenstände seien nicht identisch. Es handele sich um eigenständige Be-
schlüsse, über deren Rechtmäßigkeit isoliert befunden werden müsse. Da der
spätere - auf einer im September 2011 durchgeführten Eigentümerversamm-
lung zu TOP 3 gefasste - Beschluss von der Klägerin angefochten worden und
das der Anfechtungsklage stattgebende erstinstanzliche Urteil nicht rechtskräf-
tig sei, fehle es auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis.
Auch in der Sache seien die Urteile des Amtsgerichts nicht zu beanstan-
den. Mit Blick auf den Beschluss vom 22. September 2009 zu TOP 7 fehle es
an der Beschlusskompetenz. Die Beschlüsse vom 22. September 2009 zu TOP
10 und vom 7. Juli 2010 zu TOP 5 könnten keinen Bestand haben, weil insbe-
sondere bei komplizierten Sanierungsfällen wie etwa der Beseitigung echten
Hausschwamms nur eine dem Stand der Technik und den Regeln der Baukunst
entsprechende Sanierung den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwal-
tung entspreche.
Da die vorliegend einschlägige DIN 68800 den Stand der Technik
beschreibe, wären Eigentumswohnungen in ihrem Wert erheblich gemindert
und kaum mehr verkäuflich, wenn bei der Veräußerung darauf hingewiesen
werden müsste, dass eine Dekonstruktionsfäule nicht unter Beachtung der
genannten DIN-Norm saniert worden sei. Zwingende Gründe für eine
zurück-
haltende Sanierung
im Rahmen eines sog. Sonderverfahrens lägen nicht vor.
Das Gebäude sei weder denkmalgeschützt noch seien besonders erhaltungs-
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würdige Holzteile vorhanden. Hinzu komme, dass im Falle einer solchen Sanie-
rung eine Kontrolle der betroffenen Bauteile durchgeführt werden müsste, was
jedoch nur noch schwer möglich sei, wenn die Klägerin den Dachraum vollstän-
dig ausbaue. Zu Recht habe das Amtsgericht daher im Wege der Beschlusser-
setzung nach § 21 Abs. 8 WEG eine DIN-gerechte - und im Übrigen auch hin-
reichend bestimmte - Sanierung angeordnet. Dem Anspruch der Klägerin stehe
auch unter Berücksichtigung der erheblichen Kosten und des Umstandes, dass
die Klägerin nach der Teilungserklärung nicht an den Sanierungskosten zu be-
teiligen sei, der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen.
II.
Das Rechtsmittel ist nur teilweise zulässig. Mit Blick auf den am 22. Sep-
tember 2009 zu TOP 7 gefassten Beschluss ist es mangels Revisionszulassung
nicht statthaft (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich eine
Beschränkung der Revisionszulassung auch aus den Entscheidungsgründen
des Berufungsurteils ergeben, sofern daraus klar und eindeutig der Wille des
Berufungsgerichts hervorgeht, die Revision in bestimmter Hinsicht zu
beschränken (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. Januar 2004 - V ZR 244/03,
NJW-RR 2004, 1365, 1366; Urteil vom 20. Mai 2011 - V ZR 175/10, ZWE 2011,
331; Urteil vom 11. Mai 2012 - V ZR 193/11, Grundeigentum 2012, 962 f., Rn. 5
mwN). So liegt es hier. Das Berufungsgericht hält eine Entscheidung des Revi-
sionsgerichts lediglich zur Klärung der
Fragen des Umfangs der Verpflichtung
zur ordnungsgemäßen Herstellung des Gemeinschaftseigentums unter Bezug-
nahme auf eine DIN-Vorschrift
für erforderlich. Diese Fragen spielen jedoch bei
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der Anfechtung des Beschlusses vom 22. September 2009 zu TOP 7 ersichtlich
keine Rolle. Regelungsgegenstände dieses Beschlusses sind lediglich die
Sicherstellung einer einheitlichen (Bau-)Leitung, einer maximalen Bauzeit, eines
Ausbaus durch Fachunternehmen sowie die Vorlage vertraglicher Abreden, die
die Einhaltung dieser Vorgaben auch durch Erwerber gewährleisten sollen.
III.
Im zulässigen Umfang ist die Revision begründet. Sie führt insoweit zur
Aufhebung der Berufungsurteile und zur Zurückverweisung der Sachen an das
Berufungsgericht.
1. Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtli-
chen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Zutreffend geht es allerdings von der Zulässigkeit der Klagen aus.
aa) Der in beiden Berufungsurteilen erörterte Einwand anderweitiger
Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), der im rechtlichen Ansatzpunkt oh-
nehin allenfalls die Zulässigkeit der zweiten Klage in Frage stellen kann, greift
nicht durch, weil die Streitgegenstände der Klagen nicht einmal teilweise iden-
tisch sind. Gegenstand der beiden Klagen sind unterschiedliche Beschlüsse;
darüber hinaus geht es - soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse -
um den von der Klägerin nur in einem Rechtsstreit gestellten Antrag, das Ge-
richt möge anstelle der Wohnungseigentümer über die Sanierung der über dem
4. Obergeschoss liegenden Decke entscheiden. Dass die zu klärenden Vorfra-
gen in beiden Verfahren (weitgehend) dieselben sind, vermag eine Identität der
Streitgegenstände nicht zu begründen. Bei der Beschlussmängelklage ist
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Streitgegenstand nur die Gültigkeit des jeweils in Rede stehenden Beschlusses
(Senat, Beschluss vom 25. September 2003 - V ZB 21/03, BGHZ 156, 192, 206
mwN; vgl. auch Senat, Urteil vom 2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182,
307, 315 f.; Merle in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 23 Rn. 74). In der Entschei-
dung hierüber erschöpft sich die Rechtskraftwirkung eines Urteils; die zur Gül-
tigkeit des Beschlusses angestellten Erwägungen werden hiervon nicht erfasst.
bb) Die Zulässigkeit der Klagen begegnet auch im Übrigen keinen durch-
greifenden Bedenken.
(1) Das gilt zunächst für die gegen den Beschluss vom 22. September
2009 zu TOP 10 gerichtete Anfechtungsklage, für die im Hinblick auf nachfol-
gende Beschlussfassungen nicht das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist.
(a) Die von dem Amtsgericht nach § 21 Abs. 8 WEG anstelle der Woh-
nungseigentümer getroffene Regelung, der Dachboden sei nach den Vorgaben
der DIN 68800 zu sanieren, vermag das Rechtsschutzinteresse schon deshalb
nicht in Frage zu stellen, weil Beschlussersetzungen - anders als (nicht nichti-
ge) Beschlüsse der Wohnungseigentümer nach § 23 Abs. 4 WEG - nicht schon
mit der Beschlussfassung gültig sind. Regelungen nach § 21 Abs. 8 WEG wer-
den durch Gestaltungsurteil ausgesprochen und entfalten damit Wirkungen erst
mit Eintritt der Rechtskraft (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juni 2011 - V ZR 146/10,
WM 2011, 2385 mwN).
(b) Der im September 2011 gefasste - und auf der Grundlage der Fest-
stellungen des Berufungsgerichts wirksame - Mehrheitsbeschluss der Woh-
nungseigentümer ist zwar nach § 23 Abs. 4 WEG gültig, solange er nicht durch
rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt ist. Wie die bei der Anfechtung von Be-
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schlüssen der Wohnungseigentümer entsprechend anwendbare Regelung des
§ 244 AktG (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 1. Dezember 1988 - V ZB 6/88,
BGHZ 106, 113, 115 f.; Merle, aaO, § 23 Rn. 74 mwN) zeigt, führt dies selbst
bei Annahme eines die Erstregelung bestätigenden Zweitbeschlusses grund-
sätzlich erst mit Eintritt der Bestandskraft oder mit rechtskräftiger Bestätigung
des Zweitbeschlusses zu einer Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses hin-
sichtlich der Anfechtung des zuerst gefassten Beschlusses. Hierfür hat das Be-
rufungsgericht nichts festgestellt. Dass über die Anfechtung des im September
2011 gefassten Beschlusses auch in der Zwischenzeit nicht rechtskräftig be-
funden worden ist, ergibt sich im Übrigen - was der Senat in der mündlichen
Verhandlung erörtert hat - aus den Akten dieses Anfechtungsprozesses (zur
Berücksichtigungsfähigkeit von Amts wegen zu berücksichtigender Umstände
im Revisionsverfahren BGH, Urteil vom 6. Oktober 1983 - III ZR 61/82, VersR
1984, 77).
(2) Mit Blick auf den mit der zweiten Klage verfolgten (Hilfs-)Antrag auf
Beschlussersetzung ist das Rechtschutzbedürfnis gegeben, nachdem der
Beschlussantrag der Klägerin mehrheitlich abgelehnt wurde (vgl. Senat, Urteil
vom 15. Januar 2010 - V ZR 114/09, BGHZ 184, 88, 92 f.). Der Klageantrag ist
schon deshalb hinreichend bestimmt, weil bei der Beschlussersetzung nach
§ 21 Abs. 8 WEG das grundsätzlich den Wohnungseigentümern zustehende
Ermessen von dem Richter ausgeübt wird und deshalb - anders als nach der
allgemeinen Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO - die Angabe des Rechts-
schutzziels genügt (vgl. nur Suilmann in Jennißen, WEG, 3. Aufl., § 21 Rn. 122,
126; Merle in Bärmann, aaO, § 21 Rn. 199, 208).
b) Rechtsfehlerhaft hält das Berufungsgericht jedoch die Klage für
begründet. Zwar ist die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens nach § 21
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Abs. 8 WEG revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. auch OLG
Düsseldorf, MDR 2000, 1126; Timme/Elzer, WEG, § 21 Rn. 420), in diesem
Rahmen aber zu beanstanden.
aa) Soweit das Berufungsgericht allerdings zugrunde legt, dass mit Blick
auf die Werterhaltung und die Verkäuflichkeit von Eigentumswohnungen nur
eine den allgemein anerkannten Stand der Technik sowie die Regeln der Bau-
kunst beachtende Sanierung den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Ver-
waltung entspricht, trifft dies jedenfalls bei Vorliegen gravierender Mängel der
Bausubstanz - wie bei der hier festgestellten Dekonstruktionsfäule - zu. Da DIN-
Normen die Vermutung in sich tragen, dass sie den Stand der allgemein aner-
kannten Regeln der Technik wiedergeben (vgl. nur Pastor in Werner/Pastor,
Der Bauprozess, 14. Aufl., Rn. 1969 mwN), führt dies im rechtlichen Ausgangs-
punkt dazu, dass solche Sanierungen nur dann ordnungsgemäßer Verwaltung
entsprechen, wenn sie DIN-gerecht durchgeführt werden.
bb) Diese Vermutung kann jedoch entkräftet werden. Nur wenn dies ge-
lingt, bleibt bei der Ausübung des den Wohnungseigentümern (§ 21 Abs. 3
WEG) bzw. dem Richter (§ 21 Abs. 8 WEG) eingeräumten Gestaltungsermes-
sens Raum für eine von DIN-Normen abweichende Sanierung. DIN-Normen
sind keine Rechtsnormen, sondern private technische Regelungen mit Empfeh-
lungscharakter, die hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben
können (BGH, Urteil vom 14. Mai 1998 - VII ZR 184/97, BGHZ 139, 16, 19 f.;
Urteil vom 14. Juni 2007 - VII ZR 45/06, BGHZ 172, 346, 355 f. mwN), weil
technische Entwicklung und wissenschaftliche Erkenntnis in einem ständigen
Wandel begriffen sind (Pastor in Werner/Pastor, aaO, Rn. 1970 f.; vgl. auch
BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - VII ZR 45/06, aaO). Von daher liegt es in der
Natur der Sache, dass in DIN-Normen empfohlene Maßnahmen zur Schäd-
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lingsbekämpfung nicht mehr die anerkannten Regeln der Technik beschreiben,
wenn aufgrund neuer Erkenntnisse andere - geeigneter erscheinende - Metho-
den an deren Stelle treten, was zur Verteuerung, aber auch zur Verbilligung von
Sanierungen führen kann. Ob es sich so verhält, kann zuverlässig nur durch
Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden (vgl. BGH, Be-
schluss vom 13. März 2008 - VII ZR 219/06, BauR 2008, 1031, 1032; Pastor in
Werner/Pastor, aaO, Rn. 1977 mwN). Tritt eine Partei der Vermutungswirkung
im Zivilprozess unter Beweisantritt entgegen, hat das Gericht dem grundsätzlich
nachzugehen.
So liegt es hier. Die Revision verweist darauf, dass die Beklagten in den
Berufungsschriften u.a. im Hinblick auf neuere - für den Sanierungsaufwand
entscheidende - biologische Erkenntnisse über Holzschädlinge bestreiten, dass
die DIN 68800 (noch) die
allgemein anerkannten Konstruktionsgrundsätze
wiedergibt, und dies unter Sachverständigenbeweis gestellt wird. Zwar kann ein
Gericht von der an sich erforderlichen Einholung eines Sachverständigengut-
achtens bei Vorliegen eigener Sachkunde absehen. Das setzt jedoch
voraus, dass die Sachkunde des Gerichts den Parteien vor der Entscheidung
bekannt gemacht und zudem im Urteil im Einzelnen dargelegt wird (vgl. BGH,
Urteil vom 21. März 2000 - VI ZR 158/99, NJW 2000, 1946, 1947; Zöller/
Greger, ZPO, 29. Aufl., § 402 Rn. 7 mwN). Daran fehlt es hier, wie die Revision
zu Recht rügt. Ebenso verhält es sich, soweit das Berufungsgericht seine Er-
wägungen auf gerichtsbekannte Tatsachen stützt (vgl. Zöller/Greger, aaO,
§ 291 Rn. 1a ff. mwN).
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2. Danach können die Berufungsurteile keinen Bestand haben (§ 562
ZPO). Die Sachen sind an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die
für eine abschließende Entscheidung erforderlichen Feststellungen getroffen
werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3. Für die erneute Befassung mit der Sache weist der Senat auf Folgen-
des hin.
a) Die Frage, ob nur eine Sanierung nach der DIN 68800 den Grundsät-
zen einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht, wird unter Heranziehung
der jeweils aktuellen Fassung der DIN-Norm zu klären sein. Jedenfalls bei noch
vorzunehmenden Sanierungsarbeiten trägt nur die aktuelle Fassung die Vermu-
tung in sich, dass der Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik
wiedergeben wird, zumal den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwal-
tung in aller Regel nur genügt sein wird, wenn Sanierungsmaßnahmen den im
Zeitpunkt ihrer Durchführung maßgebenden Standards entsprechen (zu der
ähnlich gelagerten Problematik im Werkvertragsrecht vgl. auch BGH, Urteil vom
4. Juni 2009 - VII ZR 54/07, BGHZ 181, 225, 230). Dies gibt dem Berufungsge-
richt Gelegenheit, sich mit den Ausführungen der Parteien im Revisionsverfah-
ren zu der Frage auseinanderzusetzen, ob die überarbeitete Fassung der DIN
68800 in den hier entscheidenden Punkten der früheren Fassung tatsächlich
noch entspricht.
b) Da die Beschlussersetzung nach § 21 Abs. 8 WEG in die Privatauto-
nomie der Wohnungseigentümer eingreift, dürfen Maßnahmen nur insoweit an-
geordnet werden, als dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes
unbedingt notwendig ist (Merle in Bärmann, aaO, § 21 Rn. 214). Es ist daher
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stets zu prüfen, ob und ggf. auf welche Weise es den Wohnungseigentümern
ermöglicht werden kann, noch selbst in eigener Regie eine Entscheidung zu
treffen (Suilmann in Jennißen, aaO, § 21 Rn. 1 mwN). Vorliegend ist Dreh- und
Angelpunkt des Streits die Frage, ob nur eine DIN-gerechte Sanierung den
Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht. Die Klägerin ver-
weist jedenfalls im Revisionsverfahren auf kein tatsächliches Vorbringen, wo-
nach die ernstliche Gefahr besteht, dass die Wohnungseigentümer nach
rechtskräftiger Klärung dieser Frage nicht die auf dieser Grundlage erforderli-
chen Maßnahmen beschließen werden. Bei einer solchen Sachlage genügt es
in der Regel, wenn das Gericht nach § 21 Abs. 8 WEG die entscheidende Rich-
tung - hier die Art der Sanierung - vorgibt. Ist dagegen zudem die Konkretisie-
rung im Streit, ist der Ersetzungsbeschluss - gegebenenfalls nach Einholung
eines Sachverständigengutachtens (Suilmann in Jennißen, aaO, § 21
Rn. 151) - so detailliert zu fassen, dass insoweit insbesondere für den zur Um-
setzung berufenen Verwalter klar ist, welche konkreten Maßnahmen zu veran-
lassen sind. Dabei sind allerdings Verallgemeinerungen nicht von vornherein
ausgeschlossen, weil sich im Zuge der Bauausführung noch gewisse Änderun-
gen und weiterer Konkretisierungsbedarf ergeben können. Es müssen jedoch
auch dann die durchzuführenden Arbeiten in ihren wesentlichen Umrissen und
Schritten in dem Beschluss umschrieben werden (ähnlich zur Bestimmtheit von
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Duldungsanträgen BGH, Urteil vom 28. September 2011 - VIII ZR 242/10, NJW
2012, 63 f.; vgl. auch Merle in Bärmann, aaO, § 23 Rn. 56; strenger wohl Elzer
in Jennißen, aaO, vor §§ 23 ff. Rn. 146 u. 148 aE).
Stresemann
Lemke
Schmidt-Räntsch
Roth
Weinland
Vorinstanzen:
AG Tiergarten, Entscheidung vom 16.09.2010 - 10 C 181/09 WEG -
LG Berlin, Entscheidung vom 03.07.2012 - 85 S 402/10 WEG -