Urteil des BGH vom 02.12.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 19/10
Verkündet
am:
2. Dezember 2010
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1896 Abs. 2 Satz 2, § 1901 Abs. 1; HeimG § 5 Abs. 6, § 13 Abs. 1
Nr. 10; WBVG § 15 Abs. 2; SGB XII § 35 Abs. 2 Satz 1, §§ 53, 54, 61
a) Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Heimträger verpflichtet ist,
die seinem geistig behinderten Bewohner bewilligten Barbeträge zur persön-
lichen Verfügung (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) zu verwalten, wenn dieser
neben dem Lebensunterhalt in Einrichtungen Eingliederungshilfe für behin-
derte Menschen in Form der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Ge-
meinschaft oder Hilfe zur Pflege erhält.
b) Die für den Aufgabenbereich der Vermögenssorge eingerichtete Betreuung
verpflichtet den Betreuer nicht zu tatsächlichen Hilfeleistungen für den Be-
troffenen, sondern nur zu deren Organisation. Sie erübrigt daher in Anse-
hung der Verwaltung der Barbeträge entsprechende Leistungen der Sozial-
hilfe nicht.
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2010 - III ZR 19/10 - LG Magdeburg
AG
Quedlinburg
- 2 -
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Dezember 2010 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dörr, Dr. Herrmann, Seiters und Tombrink
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Magdeburg vom 22. Dezember 2009 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, einer Heimträ-
gerin, die den geistig behinderten Klägern durch den Träger der Sozialhilfe be-
willigten monatlichen Barbeträge zur persönlichen Verfügung (§ 35 Abs. 2
Satz 1 SGB XII) entgegenzunehmen, zu verwalten und die Rücküberweisung
an den Sozialhilfeträger zu unterlassen.
1
- 3 -
Die Beklagte unterhält in Q. ein Wohnheim für Menschen mit
geistigen und mehrfachen Behinderungen sowie ein Altenpflegeheim und in
N. ein Wohnheim an der Werkstatt für behinderte Menschen. Der für die
Kläger bestellte Berufsbetreuer schloss mit der Beklagten im Februar 2007 für
die Kläger zu 1 und 2 einen Heimvertrag für das Wohnheim in Q. und
für die Kläger zu 3 bis 5 im September 2006 einen solchen für das Wohnheim in
N. . Seit April 2009 lebt der Kläger zu 1 im Altenpflegeheim der Beklagten.
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Die Kläger erhalten Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen und Ein-
gliederungshilfe für behinderte Menschen in Form der Leistungen zur Teilhabe
am Leben in der Gemeinschaft nach den §§ 53, 54 SGB XII, mit der die Kosten
des Heimaufenthalts gedeckt werden; seit seinem Umzug in das Altenpflege-
heim erhält der Kläger zu 1 neben der Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtun-
gen statt der Eingliederungshilfe Hilfe zur Pflege nach § 61 SGB XII nach der
Pflegestufe 2. Zwischen der Beklagten und dem Land als überörtlichem Träger
der Sozialhilfe sind hinsichtlich der genannten Wohnheime am 29. Dezember
2007 Vereinbarungen gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII über das Leistungsangebot
und die Vergütung getroffen worden, in denen die Regelungen des Rahmenver-
trags gemäß § 79 SGB XII vom 27. August 2007 zwischen dem Land Sachsen-
Anhalt, den kommunalen Spitzenverbänden und den Vereinigungen der Träger
der Einrichtungen als verbindlicher Bestandteil dieser Vereinbarung bezeichnet
worden sind.
3
Das Amtsgericht hat der im Schwerpunkt auf die Verwaltung der Barbe-
träge durch die Beklagte gerichteten Klage stattgegeben. Im Berufungsverfah-
ren hat die Beklagte im Hinblick auf die Aufnahme des Klägers zu 1 in ihr Alten-
pflegeheim und die Gewährung von Hilfe zur Pflege die Auffassung vertreten,
der Fall habe dadurch seine Erledigung gefunden. Im Übrigen ist sie einer Ver-
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pflichtung, die zur persönlichen Verfügung der Kläger bestimmten Barbeträge
zu verwalten, entgegen getreten. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos
geblieben. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision begehrt die Be-
klagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
5
A.
Das Berufungsgericht hat die Erklärung der Beklagten, der Fall habe in
Bezug auf den Kläger zu 1 seine Erledigung gefunden, als Anerkenntnis ausge-
legt und deren Berufung aufgrund des Anerkenntnisses zurückgewiesen. Im
Übrigen hat es § 3 der Heimverträge entnommen, dass die nach § 35 SGB XII
bewilligten Barbeträge der Kläger zu 2 bis 5 durch die Beklagte unentgeltlich zu
verwalten seien. Die Leistungen der Eingliederungshilfe sollten den Klägern
nach § 3 der Heimverträge eine größtmögliche Selbstbestimmung und Teilhabe
ermöglichen. In Abhängigkeit von der jeweiligen individuellen Hilfebedarfsgrup-
pe gehörten zu den durch die Beklagte geschuldeten Leistungen solche der
Teilhabe, der Beratung, der Bildung, der Erziehung, der Förderung, der Grund-
pflege und der sonstigen Betreuung. Die Verwaltung der gewährten Barbeträge
sei eine Leistung der sonstigen Betreuung. Da die Kläger zu 2 bis 5 wegen ihrer
geistigen Behinderung die Barbeträge nicht selbst verwalten könnten, bestehe
- ähnlich wie bei Menschen, die in einem Pflegeheim lebten und Leistungen der
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Pflegeversicherung erhielten - ein vergleichbarer Unterstützungsbedarf, den die
Beklagte als Trägerin der Wohnheime, in welchem die Kläger ihren Lebensmit-
telpunkt unterhielten, im Rahmen geschuldeter sozialer Betreuungsarbeit zu
befriedigen habe. Als eine Leistung der sonstigen Betreuung im Sinne von § 3
der Heimverträge werde die Verwaltung der Barbeträge mit dem nach § 5 der
Heimverträge geschuldeten Entgelt abgegolten.
B.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht
stand. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen im Verhältnis zu
den Klägern zu 2 bis 5 genügen für die Annahme einer Pflicht der Beklagten,
die Barbeträge zu verwalten, nicht. Darüber hinaus ist die Annahme eines An-
erkenntnisses der Beklagten in Bezug auf den Kläger zu 1 rechtsfehlerhaft.
7
I. Ansprüche der Kläger zu 2 bis 5
1.
Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass als An-
spruchsgrundlage für die begehrte Verwaltung der Barbeträge nach der Syste-
matik der jeweils geschlossenen Heimverträge nur deren § 3 (individuelle Maß-
nahmen/Betreuungsleistungen) Nr. 1 (Leistungen im Rahmen der Eingliede-
rungshilfe) in Betracht kommt. Unangefochten geht es auch davon aus, dass
die Kläger wegen ihrer geistigen Behinderung nicht in der Lage sind, die ihnen
gewährten Barbeträge selbst zu verwalten. Indem das Berufungsgericht aus
dem Umstand eines solchen Betreuungsbedarfs jedoch schließt, die Verwal-
tung sei als Leistung der Eingliederungshilfe vertraglich geschuldet, nimmt es
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den einschränkenden Wortlaut des § 3 Nr. 1 Satz 3 der Heimverträge nicht hin-
reichend in den Blick und verletzt damit anerkannte Auslegungsgrundsätze.
Nach § 3 Nr. 1 Satz 3 der Heimverträge bietet die Einrichtung dem Be-
wohner die Maßnahmen an, die durch den überörtlichen Sozialhilfeträger indivi-
duell als erforderlich festgestellt worden sind. Es genügt daher nicht, wenn sich
das Berufungsgericht allein auf die allgemeine Zielbeschreibung der Eingliede-
rungshilfe, wie sie zu Beginn des Abschnitts II (Leistungen der Einrichtungen)
und in § 3 Nr. 1 Sätze 1 und 2 der Heimverträge gewissermaßen programma-
tisch wiedergegeben wird, stützt und hieraus einen tatsächlichen Betreuungs-
bedarf der Kläger ableitet. Entscheidend ist vielmehr, dass der Anspruch eines
Berechtigten auf Leistungen, die sich nach der Besonderheit des Einzelfalls
richten (vgl. § 9 SGB XII), seinem Umfang nach gegenüber dem Leistungsbe-
rechtigten festgestellt wird. Hierdurch wird die im Allgemeinen bleibende Zielbe-
schreibung, nach der dem Bewohner im Sinne der Normalisierung eine größt-
mögliche Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglicht werden und sich die Le-
bensgestaltung an seiner aktuellen Lebenssituation und an seinen Bedürfnissen
orientieren soll, auf die im Einzelfall geschuldeten Leistungen konkretisiert und
eine Grundlage für den Vergütungsanspruch des Heimträgers geschaffen, hin-
sichtlich dessen der Sozialleistungsträger ein Kostenanerkenntnis erklärt (vgl.
Nr. 3 Abs. 2 der Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII). Da das Berufungs-
gericht in dieser Hinsicht keine Feststellungen getroffen hat, kann das ange-
fochtene Urteil hinsichtlich der Kläger zu 2 bis 5 nicht bestehen bleiben.
9
- 7 -
2.
Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand kann die Klage aber
auch nicht - dem Anliegen der Revision entsprechend - abgewiesen werden.
Denn mit Rücksicht auf die Regelungen des Rahmenvertrags, der in den Vorin-
stanzen nur am Rande Gegenstand der rechtlichen Überlegungen gewesen ist,
spricht einiges dafür, dass die Beklagte die den Klägern zustehenden Barbeträ-
ge zu verwalten hat.
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a) Der Rahmenvertrag gemäß § 79 SGB XII ist für die hier vorliegenden
Vertragsverhältnisse deshalb von Bedeutung, da er zur Grundlage der Verein-
barungen gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII zwischen der Beklagten und dem Land
als überörtlichem Sozialhilfeträger gemacht worden ist und diese wiederum die
Vertragsgrundlage der Heimverträge bilden und deren Bestandteil sind. Dies
entspricht auch der Regelung des § 5 Abs. 6 HeimG in der bis zum 30. Sep-
tember 2009 geltenden Fassung, nach der in Verträgen mit Personen, denen
- wie hier - Hilfe in Einrichtungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
gewährt wird, Art, Inhalt und Umfang der Leistungen des Trägers sowie die
jeweiligen Entgelte den aufgrund des Zehnten Kapitels des Zwölften Buches
Sozialgesetzbuch getroffenen Vereinbarungen entsprechen müssen (vgl. zur
Rechtslage ab dem 1. Mai 2010 § 15 Abs. 2, § 17 Abs. 1 des Wohn- und Be-
treuungsvertragsgesetzes, Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtli-
chen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform vom 29. Juli
2009, BGBl. I S. 2319).
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b) Der Rahmenvertrag sieht in § 4 Abs. 1 vor, dass jeder Leistungsbe-
rechtigte einem Leistungstyp zugeordnet wird. Diese Zuordnung wird nach § 4
Abs. 2 durch den überörtlichen Träger der Sozialhilfe auf der Grundlage fachli-
cher Stellungnahmen und des "Fragebogens zur Bildung von Gruppen für Hilfe-
empfänger" (Anlage A), der in den Leistungstypen (Anlage B) genannten Krite-
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- 8 -
rien zu "Zielgruppe und Hilfebedarf", der "Zuordnung von Leistungstypen zu
Gruppen für Hilfeempfänger" (Anlage C) und des "Fragebogens zur Zuordnung
zum Leistungstyp" (Anlage D) vorgenommen. Die Leistungstypen erfassen
nach § 5 Abs. 1 die wesentlichen Leistungsmerkmale der Einrichtungen und
Dienste, wobei in einem Leistungstyp die Bedarfe einer Gruppe von Leistungs-
berechtigten mit vergleichbaren Bedarfen zusammengefasst werden. Dabei
werden diese Bedarfe durch den Leistungstyp abgedeckt. Nach § 5 Abs. 3 ha-
ben die Leistungstypen eine zentrale Bedeutung für die Beschreibung des kon-
kreten Leistungsangebots einer Einrichtung und für die Kalkulation der Maß-
nahmepauschalen nach Gruppen für Leistungsberechtigte mit vergleichbarem
Bedarf. Der Rahmenvertrag sieht in § 10 Abs. 1 weiter vor, dass die vereinbar-
ten Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und
das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Nach § 10 Abs. 2 sind
Leistungen dann ausreichend, wenn der sozialhilferechtlich zuerkannte Bedarf
in der Maßnahme vollständig gedeckt werden kann. Nach § 17 Abs. 1 ist die
Maßnahmepauschale die Vergütung für die vereinbarte Leistung der Maßnah-
men. Die direkten maßnahmebedingten Leistungen werden nach § 17 Abs. 3 je
Leistungstyp kalkuliert. Dazu gehören die aktive Erbringung und passive Bereit-
stellung von Beratung, Begleitung, Betreuung, Förderung und pflegerische Hil-
fen sowie die Sicherung der Qualität.
c) Gemessen an diesen Bestimmungen ist eine Pflicht der Beklagten, die
Barbeträge der Kläger zu verwalten, in Betracht zu ziehen.
13
aa) Der für die Bildung von Gruppen für Hilfeempfänger vorgesehene
Fragebogen (Anlage A zu § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrags) fragt für den Bereich
der lebenspraktischen Anleitung einen möglichen Bedarf für "Geld/privates Ei-
gentum verwalten" ab. Den Heimverträgen und den Vereinbarungen gemäß
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- 9 -
§ 75 Abs. 3 SGB XII ist zu entnehmen, dass die Beklagte mit ihren Leistungs-
angeboten, die sie in ihren - nicht zu den Gerichtsakten gereichten - Leistungs-
beschreibungen vom 27. April 1999 und 1. Juli 1999 dargestellt hat, Leistungs-
berechtigte entsprechend den Leistungstypen "Wohnheim an der Werkstatt für
behinderte Menschen" und "Wohnheim für geistig behinderte Menschen" be-
treut. In der Anlage B zu § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrags wird für den Leis-
tungstyp 2a (Wohnheim für Erwachsene mit wesentlichen geistigen und geisti-
gen und mehrfachen Behinderungen), dem der Kläger zu 2 angehören dürfte,
im Zusammenhang mit der lebenspraktischen Anleitung ausgeführt, die Selb-
ständigkeit in der individuellen Lebensführung sei bei diesen Leistungsberech-
tigten nicht vorhanden. Anleitung, Assistenz und Beratung würden im Sinne ei-
ner Vollversorgung benötigt. Insoweit wird für diesen Bereich der Bedarf mit der
Stufe 4 angenommen, die ausweislich des Fragebogens gemäß Anlage A den
höchsten denkbaren Bedarf im Sinne von "Anleitung und umfassender Hilfestel-
lung" bezeichnet. Für den Leistungstyp 5a (Wohnheim an der Werkstatt für be-
hinderte Menschen mit wesentlichen geistigen und geistigen und mehrfachen
Behinderungen), denen die Kläger zu 3 bis 5 angehören dürften, wird die Selb-
ständigkeit in der individuellen Lebensführung bei den Leistungsberechtigten als
nur gering entwickelt bezeichnet und die Anleitung, Assistenz und Beratung
nach der Stufe 3 in erheblichem Umfang für erforderlich erachtet.
bb) Nach den vorstehend wiedergegebenen Bestimmungen des Rah-
menvertrags ist die Verwaltung der Barbeträge eine mögliche Leistung der Ein-
gliederungshilfe, auch wenn sie nicht in dem exemplarischen Leistungskatalog
des § 54 SGB XII aufgenommen ist. Der nach § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII zu
gewährende Barbetrag dient der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse und
dabei insbesondere der Erhaltung der Beziehungen zur Umwelt, der Teilnahme
am kulturellen und gesellschaftlichen Leben und der Befriedigung allgemeiner
15
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Informationsbedürfnisse (vgl. Falterbaum in: Hauck/Noftz, SGB XII Sozialhilfe,
§ 35 Rn. 9 ). Seine Verwaltung ist für Personen, die wegen
ihrer geistigen Behinderung hiervon nicht selbstverantwortlich Gebrauch ma-
chen können, eine Maßnahme, die im Sinn des § 53 Abs. 3 SGB XII die Folgen
der Behinderung mildern sowie die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft
ermöglichen oder erleichtern kann.
cc) Ob die Annahme und Verwaltung von Barbeträgen - wie die Revision
meint - nicht zum bislang nicht vorgelegten Leistungsangebot der Beklagten
vom 27. April 1999 gehört, das zum Bestandteil der Vereinbarung gemäß § 75
Abs. 3 SGB XII gemacht worden ist, bleibt im weiteren Verfahren zu klären. Da-
bei wird allerdings zu erwägen sein, dass nicht jede einzelne Betreuungsmaß-
nahme, die mit der Zuordnung zu einem bestimmten Leistungstyp verbunden
ist, eigens in dem Leistungsangebot aufgeführt sein muss, um für die Beklagte
verbindlich zu sein. Vielmehr genügt es, dass der Hilfebedarf individuell als er-
forderlich festgestellt worden ist.
16
dd) Dass der "sachgerechte Umgang mit Geld" bei den Leistungstypen
des betreuten Wohnens (LT 8a bis 8e und LT 9a bis 9e der Anlage B) eigens
angesprochen wird, ist für sich genommen kein Hinweis, dass ein Hilfebedarf
für die Verwaltung der Barbeträge bei den beiden hier vorliegenden Leistungs-
typen, wie die Revision meint, zu verneinen wäre. Denn für die Leistungstypen
des betreuten Wohnens wird eine höhere Grundselbständigkeit vorausgesetzt.
Sie betrifft Menschen, die eine intensivere Betreuung nach den Leistungstypen
2 bis 7 beziehungsweise 2 bis 8 nicht benötigen. Dem entspricht es, dass für
Menschen der Leistungstypen 2a und 5a in den einzelnen Leistungssegmenten
fast durchgängig eine höhere Stufe des Unterstützungsbedarfs zugrunde gelegt
ist.
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- 11 -
d) Der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe steht der Gewährung
von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Verwaltung des Barbetrags
nicht entgegen. Sozialhilfe wird nach § 2 Abs. 1 SGB XII zwar nur nachrangig
gegenüber den Leistungen Dritter gewährt. Dies wirkt sich hier jedoch nicht aus,
weil die für die Kläger auch für den Aufgabenbereich der Vermögenssorge ein-
gerichtete Betreuung den Betreuer nicht zur tatsächlichen Verwaltung der Bar-
beträge verpflichtet und daher entsprechende Leistungen der Sozialhilfe nicht
erübrigt.
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Ein Betreuer darf nach § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht für Angelegen-
heiten bestellt werden, die durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher
Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden
können. Die Betreuung umfasst nach § 1901 Abs. 1 BGB nur Tätigkeiten, die
erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen.
Insbesondere unter Berücksichtigung der Wertungen des Betreuungsrechtsän-
derungsgesetzes vom 25. Juni 1998 (BGBl. I S. 1580), die in der Änderung der
§§ 1897, 1901 ihren Niederschlag gefunden haben, sind solche Tätigkeiten
hiervon nicht umfasst, die sich in der tatsächlichen Hilfeleistung für den Betrof-
fenen erschöpfen, ohne zu dessen Rechtsfürsorge erforderlich zu sein. Der Be-
treuer hat solche tatsächlichen Hilfen in erster Linie zu organisieren, nicht je-
doch selbst zu leisten (vgl. BT-Drucks. 13/7158, S. 15 f, 33; MünchKomm-
BGB/Schwab, 5. Aufl., § 1896 Rn. 47, § 1901 Rn. 6; Bieg/Jaschinski in: juris
PK-BGB, 4. Aufl., § 1901 Rn. 5; Wagenitz/Engers, FamRZ 1998, 1273 f). Tätig-
keiten außerhalb der Besorgung rechtlicher Angelegenheiten gehören insbe-
sondere dann nicht zum Aufgabenbereich eines Betreuers, wenn deren Vergü-
tung durch andere Kostenträger - etwa die Sozialhilfe - geregelt ist (vgl. Pa-
landt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl., § 1901 Rn. 1). Die faktische Führung des
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Betroffenen durch Heimpersonal stellt eine "andere Hilfe" im Sinne des § 1896
Abs. 2 Satz 2 BGB dar, für die ein gesetzlicher Vertreter nicht notwendig ist
(vgl. BayObLG NJW-RR 1997, 967). Für die hier in Rede stehende Verwaltung
der Barbeträge durch das Heim gilt nichts anderes (vgl. Erman/A. Roth, BGB,
12. Aufl., § 1896 Rn. 39).
e) Schließlich ist die Verwaltung des Barbetrags durch Dritte, insbeson-
dere durch Mitarbeiter des Heims, grundsätzlich zulässig.
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Zwar gehört der Barbetrag zur persönlichen Verfügung zu den Leistun-
gen, die in besonderem Maße der Persönlichkeitsentfaltung und damit dem Ziel
des § 1 SGB XII dienen (vgl. H. Schellhorn in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm,
SGB XII - Sozialhilfe, 18. Aufl., § 35 Rn. 26; Schoch, ZfF 2000, 145 und br
2008, 71, 72). Vereinzelt wird daher die Auffassung vertreten, die Auszahlung
des Barbetrags an den Einrichtungsträger sei unzulässig (vgl. Schoch, br 2008,
71, 72). Diese Auffassung greift jedoch über das Ziel hinaus. Unzulässig dürfte
es zwar sein, den Barbetrag gegen oder ohne den Willen des Hilfeempfängers
oder dessen Betreuers an den Heimträger zu zahlen (vgl. OVG Schleswig, Be-
schluss vom 7. Dezember 1992 - 5 O 52/92, juris Rn. 3; Falterbaum in: Hauck/
Noftz, § 35 Rn. 11 ). Der Verwaltung im Auftrag des Leis-
tungsempfängers oder dessen Betreuers, von dem nach dem Klagebegehren
hier auszugehen ist, stehen jedoch keine rechtlichen Bedenken entgegen (vgl.
Falterbaum aaO). Ihre generelle Zulässigkeit liegt auch der Regelung in § 13
Abs. 1 Nr. 10 HeimG zugrunde. Der Gesetzgeber hat dort die Problematik ge-
sehen, dass Bewohner nicht in allen Fällen in der Lage sind, ihr Bargeld selbst
zu verwalten, und deshalb die Verwaltung durch das Heim erforderlich sein
kann (vgl. BT-Drucks. 14/5399, S. 29). Auch sonst wird die Barbetragsverwal-
tung durch das Heim im Auftrag des Betroffenen weitgehend als zulässig ange-
21
- 13 -
sehen (vgl. Kunz in: Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz, 10. Aufl., § 13 Rn. 16,
§
15 Rn.
14; Plantholz in: LPK-HeimG, 2. Aufl., § 13 Rn. 17; Erman/
A. Roth aaO § 1896 Rn. 39; Thüsing in: Graf v. Westphalen/Thüsing, Vertrags-
recht und AGB Klauselwerke, Heimvertrag Rn. 39; wohl
auch Schoch, Handbuch Barbetrag im Sozialhilferecht, 2. Aufl., Rn. 116 f).
3.
Das Berufungsgericht wird daher im weiteren Verfahren zu klären haben,
ob die Annahme und Verwaltung der Barbeträge durch die Beklagte vom über-
örtlichen Sozialhilfeträger individuell als erforderlich festgestellt worden ist (§ 3
Nr. 1 Satz 3 der Heimverträge). Soweit im bisherigen Verfahren Sozialhilfebe-
scheide vorgelegt worden sind, fällt auf, dass anfänglich die Auszahlung der
bewilligten Leistungen an die Einrichtung mit dem Bemerken verfügt worden ist,
der Barbetrag werde von der Einrichtung ausgezahlt, während später - mög-
licherweise unter dem Eindruck dieses Verfahrens - die Auszahlung des Barbe-
trags an den Leistungsempfänger verfügt worden ist. Da wenig dafür spricht,
dass dem veränderten Auszahlungsweg eine entsprechende veränderte mate-
rielle Entscheidung über die Hilfegewährung in Ansehung der Verwaltung dieser
Barbeträge zugrunde liegt, und weil die fragliche Annahme und Verwaltung der
Barbeträge vor dem Hintergrund der Regelungen des Rahmenvertrags auch
dann von den als erforderlich festgestellten Maßnahmen umfasst sein kann,
wenn sie in den Bescheiden nicht ausdrücklich erwähnt ist, wird es zweckmäßig
sein, eine amtliche Auskunft des Sozialhilfeträgers einzuholen.
22
- 14 -
II. Ansprüche des Klägers zu 1
1.
Die Beklagte hat den Klageanspruch des Klägers zu 1 nicht dadurch an-
erkannt, dass sie angeregt hat, das Verfahren insoweit in der Hauptsache für
erledigt zu erklären.
23
a) Zwar sind auch prozessuale Erklärungen der Auslegung zugänglich.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Revisions-
gericht dabei die Würdigung prozessualer Erklärungen einer Partei uneinge-
schränkt nachprüfen und Erklärungen selbst auslegen. Die Auslegung darf auch
im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern
hat den wirklichen Willen der Parteien zu erforschen. Maßgeblich ist, welcher
Sinn der Erklärung aus objektiver Sicht beizumessen ist (vgl. BGH, Urteil vom
26. Juni 1991 - VIII ZR 231/90, NJW 1991, 2630, 2631 f; Beschluss vom
11. November 1993 - VII ZB 24/93, NJW-RR 1994, 568; Beschluss vom
15. März 2006 - IV ZB 38/05, NJW-RR 2006, 862 Rn. 13).
24
b) Hier hat das Berufungsgericht aber bei der Auslegung der Erklärung
der Beklagten deren offensichtlichen Sinngehalt auch in ihrem systematischen
Zusammenhang mit den weiteren Ausführungen in der Berufungsbegründung
missachtet. Denn der Erklärung der Beklagten lässt sich nicht ihr Wille entneh-
men, sich dem Klageanspruch zu unterwerfen und das Gericht von einer weite-
ren Sachprüfung zu entbinden. Zwar mag die Anregung eines Beklagten, einen
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, in Einzelfällen als Aner-
kenntnis auszulegen sein (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 91a Rn. 52;
Hk-ZPO/Gierl, 3. Aufl., § 91a Rn. 100). Dies kann insbesondere dann in Be-
tracht kommen, wenn er zuvor die streitgegenständliche Forderung beglichen
und damit konkludent ihre Berechtigung zum Ausdruck gebracht hat. Vorliegend
25
- 15 -
hat die Beklagte im Anschluss an die Erklärung, sie gehe davon aus, dass der
Fall betreffend den Kläger zu 1 seine Erledigung gefunden habe, jedoch dezi-
diert ausgeführt, dass die streitgegenständlichen Ansprüche auch ansonsten in
der Sache nicht bestehen. Die Annahme eines Anerkenntnisses war hiernach
fern liegend. Auch das Schweigen der Beklagten auf die nachfolgende Vermu-
tung der Kläger in ihrer Berufungserwiderung, die Anregung sei mutmaßlich als
Anerkenntnis gemeint, hat nicht den objektiven Erklärungswert eines Aner-
kenntnisses. Vielmehr hat die Beklagte mit ihrem umfassenden Antrag, die Kla-
gen abzuweisen, verhandelt.
2.
Hat die Beklagte danach den Klageantrag des Klägers zu 1 nicht aner-
kannt, muss in der Sache geprüft werden, ob er berechtigt ist.
26
Dabei geht der Senat davon aus, dass die unveränderte Antragstellung
des Klägers zu 1, der trotz seines Aufenthaltswechsels keine Erledigungserklä-
rung abgegeben hat, darauf abzielt, auch unter den veränderten rechtlichen
Rahmenbedingungen (neuer Heimvertrag, Gewährung von Hilfe zur Pflege ge-
mäß § 61 SGB XII und Maßgeblichkeit eines anderen Rahmenvertrags) die
Verwaltung des ihm bewilligten Barbetrags zu erreichen. Soweit die Revision
die Auffassung vertritt, in Wirklichkeit habe sich die Klage dadurch erledigt,
dass dem Kläger nach seiner Aufnahme in die Altenpflegeeinrichtung keine
Barbeträge nach § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII mehr zustünden, verkennt sie die
Rechtslage. Denn der Kläger erhält weiterhin Hilfe zum Lebensunterhalt in Ein-
richtungen (§ 35 SGB XII), jetzt allerdings flankierend zur Hilfe zur Pflege (§ 61
SGB XII).
27
Hiernach wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der gestellte
Antrag nach dem neuen Heimvertrag und den Bestimmungen des § 61 Abs. 2
28
- 16 -
Satz 2 SGB XII i.V.m. § 28 Abs. 1 Nr. 8, § 43 SGB XI unter dem Gesichtspunkt
der sozialen Betreuung (§ 43 Abs. 2 SGB XI) begründet ist (vgl. zu einer ähnli-
chen Fallgestaltung unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes OVG
Bautzen, PflR 2006, 337, 341 f).
Schlick
Dörr
Herrmann
Seiters
Tombrink
Vorinstanzen:
AG Quedlinburg, Entscheidung vom 01.04.2009 - 3 C 395/08 (V) -
LG Magdeburg, Entscheidung vom 22.12.2009 - 2 S 136/09 (019) -