Urteil des BGH vom 07.06.2001

BGH (zpo, abweisung der klage, werbung, faires verfahren, preis, abgabe, verbraucher, hauptsache, verhandlung, uwg)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 198/98
Verkündet am:
7. Juni 2001
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 7. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die
Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und Dr. Büscher
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts München vom 25. Juni 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwie-
sen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien betreiben den Einzelhandel mit Geräten der Unterhaltungse-
lektronik und der Telekommunikation.
In einer mehrseitigen, nachstehend auszugsweise und verkleinert wiederge-
gebenen Werbebeilage zur Süddeutschen Zeitung vom 4. Juli 1996 warb die Be-
klagte für ein Mobiltelefon der Marke Siemens zu einem sogenannten “Saturn-
preis” von 5 DM, der gemäß der Werbung nur bei gleichzeitiger Freischaltung ei-
nes 12-monatigen Debitel-D1-Netzkartenvertrages gelten sollte. Als Preis “ohne
Karte” gab die Beklagte 799 DM an:
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Die Klägerin hat diese Werbung als wettbewerbswidrig und als einen Ver-
stoß gegen die Zugabeverordnung beanstandet.
Sie hat beantragt,
1. die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu
verurteilen, es zu unterlassen,
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im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs gegenüber
dem letzten Verbraucher für Mobilfunktelefone zu werben, die nur in
Verbindung mit der Freischaltung eines mehrmonatigen Netzkarten-
vertrages abgegeben werden, wenn für diese Geräte ein Preis von
weniger als 10 DM verlangt wird und/oder derart beworbene Geräte
zu einem Preis unter 10 DM an letzte Verbraucher abzugeben,
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin denjeni-
gen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die in Ziffer 1 genannte
Wettbewerbshandlung entstanden ist oder noch entstehen wird.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat einen
Verstoß gegen die Zugabeverordnung verneint, in der beanstandeten Werbung
jedoch ein nach § 1 UWG wettbewerbswidriges übertriebenes Anlocken gesehen
und die Beklagte mit der Maßgabe antragsgemäß verurteilt, daß die festgestellte
Schadensersatzverpflichtung auf den Zeitraum ab Erscheinen der Werbung am
4. Juli 1996 beschränkt ist.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Nach Einlegung der Revision hat die Klägerin die Klage zurückgenommen,
soweit mit ihr der Ausspruch eines Veräußerungsverbotes gefordert worden ist.
Auf einen den Parteien unterbreiteten Vorschlag des Senats, den Rechtsstreit
durch Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen und Verständigung auf
eine Kostenaufhebung beizulegen, hat die Klägerin den Rechtsstreit im übrigen
für erledigt erklärt.
Die Beklagte hat der Teilrücknahme, nicht aber der Erledigungserklärung
zugestimmt. Die Klägerin hat daraufhin erklärt, sie verfolge ihre ursprünglichen
Klageanträge – soweit nicht zurückgenommen – weiter; die Erledigung der Haupt-
sache habe sie nur unter der Voraussetzung erklärt, daß der Rechtsstreit über-
einstimmend für erledigt erklärt werde.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt hinsichtlich des nach der
Teilrücknahme noch im Streit befindlichen Teils des Rechtsstreits zur Aufhebung
und Zurückverweisung.
1. Gegenstand des Rechtsstreits sind – mit Ausnahme des zurückgenom-
menen Teils der Klage – die ursprünglichen und vom Berufungsgericht zuer-
kannten Anträge auf Unterlassung und Feststellung der Schadensersatzpflicht.
Die Klägerin hat ihre ursprünglichen Klageanträge in zulässiger Weise wieder
aufgegriffen; an ihre – einseitig gebliebene – Erledigungserklärung ist sie nicht
gebunden.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob im Streitfall die Voraussetzungen vorlie-
gen, unter denen eine einseitige Erledigungserklärung in der Revisionsinstanz
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne weiteres zuzulassen ist
(vgl. hierzu BGHZ 106, 359, 368; 141, 307, 316; BGH, Urt. v. 28.6.1993
– II ZR 119/92, NJW-RR 1993, 1123, 1124; Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl.,
§ 91a Rdn. 51; Musielak/Wolst, ZPO, 2. Aufl., § 91a Rdn. 33 a.E.). Ebensowenig
bedarf es der Entscheidung, ob die Klägerin ihre Erledigungserklärung bedingt für
den Fall abgeben konnte, daß die Beklagte zustimmt. Denn auch im Falle einer
– im Revisionsverfahren beachtlichen – unbedingten Erledigungserklärung ist die
Klägerin nicht daran gehindert, zu ihren ursprünglichen Anträgen zurückzukehren.
Eine Erledigungserklärung ist grundsätzlich frei widerruflich, solange sich
der Beklagte ihr nicht angeschlossen und das Gericht noch keine Entscheidung
über die Erledigung der Hauptsache getroffen hat (vgl. OLG München OLG-Rep
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1995, 107, 108; OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 170; OLG Nürnberg NJW-RR
1989, 444, 445; Bork in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 91a Rdn. 38; Mu-
sielak/Wolst aaO § 91a Rdn. 30; MünchKomm.ZPO/Lindacher, 2. Aufl., § 91a
Rdn. 37; Zimmermann, ZPO, 5. Aufl., § 91a Rdn. 21; Steiner in Wieczo-
rek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 91a Rdn. 6; Zöller/Vollkommer aaO § 91a Rdn. 35;
Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 91a Rdn. 32; a.A. wohl Hartmann in Baum-
bach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 91a Rdn. 93; offengelassen
in BGH, Urt. v. 1.6.1990 – V ZR 48/89, NJW 1990, 2682). Nach zutreffender An-
sicht handelt es sich bei der Erledigungserklärung um eine Prozeßhandlung, die –
wenn sie einseitig bleibt – eine nach § 264 Nr. 2 ZPO privilegierte Klageänderung
darstellt. Sie umfaßt für diesen Fall den Antrag festzustellen, daß sich der
Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat (vgl. BGHZ 106, 359, 366; BGH,
Beschl. v. 26.5.1994
– I ZB 4/94, NJW 1994, 2363, 2364 – Greifbare Gesetzwidrigkeit II, m.w.N.;
Musielak/Wolst aaO § 91a Rdn. 29). Solange über diesen Antrag noch nicht ent-
schieden ist, kann die Rückkehr zu den ursprünglichen Klageanträgen ebenfalls
als eine nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klageänderung behandelt werden. Eine
unmittelbar prozeßgestaltende Wirkung geht von der Erledigungserklärung, so-
lange sie einseitig bleibt, nicht aus (vgl. Musielak/Wolst aaO § 91a Rdn. 30; Zöl-
ler/
Greger aaO vor § 128 Rdn. 18 und 23; Zöller/Vollkommer aaO § 91a Rdn. 35).
Wie schon im Falle der einseitigen Erledigungserklärung, bestehen auch in der
Revisionsinstanz gegen eine derartige Klageänderung ausnahmsweise keine Be-
denken, weil der Sachverhalt, auf den sich die früheren Anträge stützen, vom
Tatrichter bereits gewürdigt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 18.6.1998 –
IX ZR 311/95, NJW 1998, 2969, 2970; Lüke in Stein/Jonas aaO § 263 Rdn. 45).
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2. Die Revision rügt mit Erfolg, daß sich die geltend gemachten Ansprüche
auf Unterlassung und Feststellung der Schadensersatzpflicht nicht aus § 1 UWG
unter dem Gesichtspunkt eines übertriebenen Anlockens herleiten lassen.
Wie der Senat in mehreren nach Erlaß des Berufungsurteils ergangenen
Entscheidungen vom 8. Oktober 1998 ausgeführt hat, stellt sich die Werbung mit
der an den Abschluß eines Netzkartenvertrages gekoppelten unentgeltlichen oder
besonders günstigen Abgabe eines Mobiltelefons als ein legitimer Hinweis auf
den günstigen, durch verschiedene Bestandteile geprägten Preis der angebote-
nen Gesamtleistung dar, durch den die eigene Leistungsfähigkeit hervorgehoben
wird (BGHZ 139, 368, 374 f. – Handy für 0,00 DM; BGH, Urt. v. 8.10.1998 –
I ZR 7/97, GRUR 1999, 261, 263 = WRP 1999, 94 – Handy-Endpreis; Urt. v.
8.10.1998
– I ZR 147/97, WRP 1999, 517, 518 m.w.N.). Die damit verbundene Anlockwir-
kung ist nicht wettbewerbswidrig, sondern liegt als gewollte Folge in der Natur des
Leistungswettbewerbs (vgl. BGH, Urt. v. 28.4.1994 – I ZR 68/92, GRUR 1994,
743, 744 = WRP 1994, 610 – Zinsgünstige Kfz-Finanzierung durch Herstel-
lerbank; Urt. v. 25.9.1997 – I ZR 84/95, GRUR 1998, 500, 501 = WRP 1998, 388
– Skibindungsmontage). Im Hinblick auf die Senatsentscheidungen vom
8. Oktober 1998 tritt dem auch die Revisionserwiderung nicht mehr entgegen.
3. Das Berufungsgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – ungeprüft ge-
lassen, ob die beanstandete Werbung hinsichtlich der Darstellung der Preise für
die Leistungen aus dem Netzkartenvertrag gegen das Irreführungsverbot oder
gegen die Gebote der Preisangabenverordnung verstößt. Zu dieser Prüfung be-
steht nunmehr Veranlassung.
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a) Gegenstand des Unterlassungs- und Feststellungsbegehrens ist auch
die konkrete Verletzungsform in Gestalt der angegriffenen Werbung vom 4. Juli
1996, die der Klägerin Anlaß zur Klageerhebung gegeben hat.
Dies gilt ungeachtet der abstrakten und weiten Fassung der Klageanträge.
Sie beziehen sich – ebenso wie die ihnen weitgehend entsprechende Verurteilung
– schlechthin auf die Werbung für Mobiltelefone zu einem Preis von weniger als
10 DM, wenn die Abgabe an den Abschluß eines mehrmonatigen Netzkartenver-
trages gekoppelt ist, und gehen damit weit über die konkrete Verletzungsform
hinaus. Diese ist aber als Minus in den Klageanträgen enthalten. Denn dem zur
Auslegung der Anträge heranzuziehenden Klagevorbringen, das zur Begründung
des erstrebten Verbots auch auf Einzelheiten der konkreten Werbeanzeige ein-
geht, läßt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß jedenfalls die kon-
krete Verletzungsform Gegenstand des begehrten Unterlassungsausspruchs und
der daran anknüpfenden Schadensersatzpflicht sein soll (vgl. BGH, Urt. v.
15.9.1999 – I ZR 131/97, GRUR 2000, 436, 438 = WRP 2000, 383 – Ehemalige
Herstellerpreisempfehlung; Urt. v. 10.12.1998 – I ZR 141/96, GRUR 1999, 509,
511 = WRP 1999, 421 – Vorratslücken; Urt. v. 3.12.1998 – I ZR 74/96, GRUR
1999, 760 f. = WRP 1999, 842 – Auslaufmodelle II).
b) Allerdings hat sich die Klägerin in den Vorinstanzen im Zusammenhang
mit den Bedingungen des Kartenvertrages nicht ausdrücklich auf einen Verstoß
gegen das Irreführungsverbot oder gegen die Preisangabenverordnung berufen.
Dies ist nicht allein eine Frage der dem Gericht obliegenden rechtlichen Einord-
nung eines vorgetragenen Sachverhalts, weil sich die zugrundeliegenden Le-
benssachverhalte unterscheiden können und es sich daher auch um verschiede-
ne Streitgegenstände handeln kann (BGH, Urt. v. 8.6.2000 – I ZR 269/97, GRUR
2001, 181, 182 = WRP 2001, 28 – dentalästhetika). So setzt eine irreführende
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Werbung die Gefahr einer Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise vor-
aus. Auch was den Verstoß gegen die Preisangabenverordnung angeht, muß sich
aus dem Klagebegehren ergeben, daß sich der Kläger – ungeachtet der anzu-
wendenden Norm – gerade gegen die Art und Weise der Darstellung der Preise in
der fraglichen Werbung richtet.
c) Im Streitfall lassen sich dem Klagevorbringen aber genügend Anhalts-
punkte dafür entnehmen, daß die Klägerin als Angriffsziel der Klage jedenfalls
auch eine Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise und unvollständige
Preisangaben im Blick hatte. Sie hat sich – wie die Revisionserwiderung mit
Recht geltend macht – unter anderem darauf berufen, daß die Bedingungen des
Netzkartenvertrages unübersichtlich dargestellt seien, so daß die angesproche-
nen Verbraucher über die tatsächliche Preisgestaltung im Unklaren gelassen
würden. Dieses Vorbringen in Verbindung mit dem weiteren Tatsachenvortrag,
wonach die angegriffene Werbeanzeige auf dem knappen zur Verfügung stehen-
den Raum nur schwer erkennen lasse, daß unabhängig von einer konkreten Nut-
zung des Netzzugangs mit Vertragsabschluß insgesamt rund 600 DM (Grundge-
bühr: mtl. 44 DM x 12 zuzüglich Anschlußgebühr: 49 DM) zu leisten seien, steht
einer Abweisung der Klage auf der Grundlage des bisherigen Parteivorbringens
entgegen.
d) Die Klägerin hatte in der Tatsacheninstanz bislang keine Veranlassung,
den Gesichtspunkt der unvollständigen und damit irreführenden Preisangaben
besonders zu betonen, weil sie mit dem weiterreichenden Klageziel, die Werbung
unter dem Gesichtspunkt des übertriebenen Anlockens zu verbieten, durchzu-
dringen schien. Hätte das Berufungsgericht Bedenken gehabt, das beantragte
Verbot unter dem Gesichtspunkt eines gegen § 1 UWG verstoßenden übertriebe-
nen Anlockens auszusprechen, hätte es im Hinblick auf entsprechend deutliche
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Anhaltspunkte im Vorbringen der Klägerin nach § 139 ZPO auf eine Klarstellung
dringen müssen, ob sich die Klage auch gegen irreführende oder unvollständige
Preisangaben richten sollte. Unter diesen Umständen gebietet es der Anspruch
der Parteien auf ein faires Verfahren, daß Gelegenheit für eine entsprechende
Klärung besteht (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.1997 – I ZR 69/95, GRUR 1998, 489, 492 =
WRP 1998, 42 – Unbestimmter Unterlassungsantrag III).
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4. Das angefochtene Urteil ist danach – soweit es nicht durch Teilklage-
rücknahme bereits wirkungslos geworden ist (§ 269 Abs. 3 Satz 1 2. Hs. ZPO) –
aufzuheben. Die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Erdmann
v. Ungern-Sternberg
Bornkamm
Pokrant
Büscher