Urteil des BGH vom 28.05.2013

BGH: stand der technik, wiedergabe, video, beschränkung, original, are, patentgericht, daten, patentanspruch, begriff

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 89/12
Verkündet am:
28. Mai 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Patentnichtigkeitsverfahren
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Mai 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin
Mühlens und die Richter Gröning, Hoffmann und Dr. Deichfuß
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 25. April 2012 verkündete
Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts
abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität einer japa-
nischen Patentanmeldung vom 22. Februar 1994 am 14. Februar 1995 angemelde-
ten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents
668 695 (Streitpatents), das ein Verfahren und eine Einrichtung zur Einschränkung
der Wiedergabe von Daten zum Gegenstand hat und 17 Ansprüche umfasst.
Die nebengeordneten Patentansprüche 1, 2 und 4 lauten nach der erteilten
Fassung des Streitpatents in der Verfahrenssprache wie folgt:
"1. A reproduction protection method comprising
attaching medium protection data, which are specific to a data me-
dium, to main data which represent an original signal, and convey-
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ing said medium protection data and main data by said data medi-
um;
supplying said main data and medium protection data via said data
medium to a reproduction apparatus; the method being
characterised by
generating apparatus protection data which are specific to said re-
production apparatus, within said reproduction apparatus;
determining a protection level by combining the medium protection
data and the apparatus protection data; and
controlling said reproduction apparatus to utilize said main data to
reproduce said original signal by restricting said reproduction in a
predetermined manner with a degree of said restriction being de-
termined in accordance with said protection level, such that said
original signal is reproduced in its entirety, partially, or not at all.
2. A reproduction apparatus providing reproduction protection, for op-
erating on main data which are conveyed by a data medium and
represent an original signal and on medium protection data which
are specific to said data medium and are conveyed by said data
medium, characterised in that the apparatus comprises:
means for generating apparatus protection data which are specific
to said reproduction apparatus;
means for defining a protection level based on said medium protec-
tion data and apparatus protection data in combination; and
means for executing reproduction of said original signal by utilizing
said main data, including means for restricting said reproduction in
accordance with said protection level, such that said original signal
is reproduced in its entirety, partially, or not at all.
4. A reproduction apparatus providing reproduction protection, for op-
erating on main data which are conveyed by a data medium and
represent an original signal and on medium protection data which
are specific to said data medium and are conveyed by said data
medium, the apparatus comprising:
means (10,11) for detecting said medium protection data to obtain a
medium protection signal expressing said medium protection level;
characterised in that the apparatus further comprises:
means (12) for generating an apparatus protection signal express-
ing an apparatus protection level which has been assigned to said
reproduction apparatus;
means (13) responsive to said medium protection signal and appa-
ratus protection signal for determining a final protection level in ac-
cordance with a combination of said medium protection level and
apparatus protection level, and generating a final protection level
signal expressing said final protection level;
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means (15) for utilizing said main data to execute reproduction of
said original signal, including means (14) responsive to said final
protection level signal for restricting said reproduction in accord-
ance with said final protection level, such that said original signal is
reproduced in its entirety, partially, or not at all."
Die Klägerin hat das Streitpatent insgesamt mit der Nichtigkeitsklage angegrif-
fen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der
europäischen Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus,
außerdem sei er gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Hilfsweise hat sie das Streitpa-
tent mit den in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht überreichten
Hilfsanträgen I und II verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren
Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit
den Hilfsanträgen I und II aus dem ersten Rechtszug. Die Klägerin tritt dem Rechts-
mittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Streitpatent betrifft ein Datenwiedergabeschutzverfahren und eine Da-
tenwiedergabeeinrichtung zum Implementieren eines solchen Schutzverfahrens, wo-
durch die Wiedergabe eines durch digitale Daten repräsentierten Signals selektiv
eingeschränkt werden kann.
1. Im Stand der Technik gab es nach der Darstellung in der Streitpatent-
schrift verschiedene Wiedergabeschutzverfahren. Im Bereich der Übertragung von
Fernsehen sei es bekannt, Video- oder Tondaten zu verwürfeln und einen Code ein-
zufügen, mittels dessen die Daten in Abschnitte, die frei wiedergegeben werden kön-
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nen, und solche einzuteilen, für deren kenntliche Wiedergabe eine Gebühr gezahlt
werden müsse. Im Bereich aufgezeichneter Medien sei ein serielles Kopierverwal-
tungssystem bekannt, das für das DAT-System (digital audio tape) verwendbar sei.
Dabei weise das Abspiel-DAT-Signal eine Zahl auf, die einen Kopier-Sperrcode ent-
halte, was sicherstelle, dass der Benutzer nur eine Kopie eines vorher aufgezeichne-
ten digitalen Tonbands herstellen könne.
Nach der Beschreibung des Streitpatents besteht der Nachteil der im Stand
der Technik bekannten Lösungen darin, dass sie nur zwei Steuerungsmöglichkeiten
bieten: Die Wiedergabe der Daten sei entweder möglich oder nicht möglich. Dagegen
sei es bislang weder möglich, die Wiedergabe einem variierenden Grad der Ein-
schränkung zu unterwerfen, noch einen unterschiedlichen Grad der Beschränkung
der Wiedergabe entsprechend einer Einstellung der Wiedergabeeinrichtung vorzuse-
hen.
2. Das technische Problem besteht mithin darin, ein Verfahren und eine Vor-
richtung zur Verfügung zu stellen, die die genannten Beschränkungen des Standes
der Technik überwinden und eine erhöhte Flexibilität gewährleisten.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Anspruch 1 in der erteilten Fassung nach
der deutschen Übersetzung ein Wiedergabeschutzverfahren vor, das folgende Schrit-
te umfasst:
1. Es werden verbunden
1.1 ein ursprüngliches Signal repräsentierende Hauptdaten mit
1.2 für ein Datenmedium spezifischen Medienschutzdaten;
2. Hauptdaten und Medienschutzdaten werden durch das Datenmedi-
um übertragen;
3. Hauptdaten und Medienschutzdaten werden über das Datenmedi-
um an eine Wiedergabeeinrichtung übermittelt;
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4. innerhalb der Wiedergabeeinrichtung werden für die Wiedergabe-
einrichtung spezifische Einrichtungsschutzdaten erzeugt;
5. das Schutzniveau wird durch Kombinieren der Medienschutzdaten
und der Einrichtungsschutzdaten bestimmt;
6. die Wiedergabeeinrichtung wird so gesteuert, dass die Hauptdaten
zur Wiedergabe des ursprünglichen Signals genutzt werden;
7. dabei wird die Wiedergabe in einer vorbestimmten Art und Weise
eingeschränkt, wobei der Grad der Einschränkung dem Schutzni-
veau entsprechend bestimmt wird, so dass das ursprüngliche Sig-
nal entweder in seiner Gesamtheit, teilweise oder überhaupt nicht
wiedergegeben wird.
Nach Anspruch 4 soll eine Vorrichtung geschützt werden, die folgende Merk-
male aufweist:
1. Wiedergabeeinrichtung zum Arbeiten mit
1.1 durch ein Datenmedium übertragenen und ein ursprüngliches
Signal repräsentierenden Hauptdaten und
1.2 für das Datenmedium spezifischen Medienschutzdaten;
2. Hauptdaten und Medienschutzdaten werden durch das Datenmedi-
um übertragen;
3. die Wiedergabeeinrichtung weist Mittel (10,11) zum Detektieren der
Medienschutzdaten auf, um ein das Medienschutzniveau ausdrü-
ckendes Medienschutzsignal zu erhalten;
4. die Wiedergabeeinrichtung weist ein Mittel (12) zum Erzeugen ei-
nes Einrichtungsschutzsignals auf, das ein der Wiedergabeeinrich-
tung zugewiesenes Einrichtungsschutzniveau ausdrückt;
5. die Wiedergabeeinrichtung weist ein auf das Medienschutzsignal
und das Einrichtungsschutzsignal ansprechendes Mittel (13) auf,
das
5.1 der Bestimmung eines endgültigen Schutzniveaus gemäß ei-
ner Kombination des Medienschutzniveaus und des Einrich-
tungsschutzniveaus dient und
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5.2 ein das endgültige Schutzniveau ausdrückendes Signal er-
zeugt;
6. die Wiedergabeeinrichtung weist ein Mittel (15) zum Nutzen der
Hauptdaten zur Wiedergabe des ursprünglichen Signals auf;
7. die Wiedergabeeinrichtung weist ein auf das Signal für das endgül-
tige Schutzniveau ansprechendes Mittel (14) auf, wodurch die Wie-
dergabe gemäß dem endgültigen Schutzniveau eingeschränkt wird,
so dass das ursprüngliche Signal entweder in seiner Gesamtheit,
teilweise oder überhaupt nicht wiedergegeben wird.
Die Erfindung ermöglicht es, ein endgültiges Schutzniveau einzurichten, um
die Wiedergabe von aufgezeichneten oder übertragenen Signalen, etwa Video- oder
Audiosignalen, zu steuern. Das endgültige Schutzniveau wird durch die Kombination
von Informationen bestimmt, die durch Medienschutzdaten und durch Einrichtungs-
schutzdaten bereitgestellt werden. Auf diese Weise kann eine graduelle Einschrän-
kung der Wiedergabe erzielt werden, so dass die Möglichkeit besteht, das ursprüng-
liche Signal entweder uneingeschränkt, eingeschränkt oder überhaupt nicht wieder-
zugeben.
3. Aus der Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik, der als eine "Al-
les-oder-Nichts-Methode" verwendend bezeichnet wird, ergibt sich, dass das Verfah-
ren auch eine qualitativ beschränkte Wiedergabe ermöglicht, also nicht nur die Mög-
lichkeit bietet, für bestimmte Zeitausschnitte die Wiedergabe gänzlich zu unterbinden
(quantitative Beschränkung), sondern auch eine Wiedergabe, bei der der Nutzer bei-
spielsweise das Bild nur verschwommen sieht. Sofern eine quantitative Beschrän-
kung bewirkt wird, etwa in dem Sinne, dass einzelne Bilder ("frames") nicht gezeigt
werden, soll dies lückenlos überbrückt werden, in dem sich an das letzte nicht zen-
sierte Bild sogleich das nächste nicht zensierte Bild anschließt, also weder ein leerer
Bildschirm gezeigt noch auf eine andere Quelle umgeschaltet wird. Die jeweils ge-
wünschte Wirkung wird dabei in der Weise erzielt, dass das ursprüngliche Signal
entweder in seiner Gesamtheit oder nur teilweise oder aber überhaupt nicht wieder-
gegeben wird.
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II. Das Patentgericht, dessen Urteil in der Sammlung der Entscheidungen
des Bundespatentgerichts veröffentlicht ist (BPatGE 53, 40), hat seine Entscheidung
im Wesentlichen wie folgt begründet:
1. Das Streitpatent sei unzulässig erweitert.
a) Eine unzulässige Erweiterung sei allerdings - entgegen der Auffassung
der Klägerin - nicht darin zu sehen, dass Anspruch 1 in der erteilten Fassung die zu-
sätzlichen Angaben "by restricting said reproduction in a predetermined manner with
a degree of said restriction being determined" sowie "such that said original signal is
reproduced in its entirety, partially, or not at all" enthalte. Denn eine zeitliche oder
quantitative Beschränkung des Videosignals sei in den ursprünglichen Unterlagen
ausreichend offenbart.
b) Das Streitpatent sei aber dadurch unzulässig erweitert, dass der in Spal-
te 6, Zeile 32 der Anmeldung gebrauchte Begriff "essential" in der Streitpatentschrift
(Sp. 7, Z. 7) durch den Begriff "important" ersetzt worden sei. Der Begriff "essential"
sei nach seinem Kontext dahin auszulegen, dass er "zwingend" oder "unverzichtbar"
bedeute. Werde stattdessen der Begriff "important" verwendet, werde das als unver-
zichtbar offenbarte Merkmal auf eine zweckmäßige Ausgestaltung reduziert.
2. Die im Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Lehre gelte zudem als
nicht mehr neu gegenüber dem Wiedergabeschutzverfahren, das der amerikani-
schen Patentschrift 5 195 135 (K12 = D5) entnommen werden könne.
Figur 2 der D5 sei zu entnehmen, dass auf der Senderseite Audio-Video-
Signale 36 und Klassifizierungsdaten 18 in einer Codiereinrichtung zusammengeführt
würden. Damit sei ein Verfahren offenbart, bei dem Hauptdaten und Medienschutz-
daten zunächst als eigenständige Datensätze vorlägen und erst für die Übertragung
miteinander verknüpft würden. Die Klassifizierungsdaten seien so strukturiert, dass
sie Klassifizierungsniveaus A bis D aufwiesen, aber auch einen Videobild-Bereichs-
code für jeden Zensurgegenstand. Das so codierte Signal werde an die Wiedergabe-
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einrichtung übertragen. Dort würden die Signale decodiert und so die Medienschutz-
daten (Klassifizierungsdaten) zurückgewonnen. Die Wiedergabeeinrichtung ermögli-
che die Einstellung unterschiedlicher Schwellwerte eines Klassifizierungsmodus für
jeden zu beschränkenden Gegenstand durch den Nutzer. Damit würden nach dem
Sprachgebrauch des Streitpatents Einrichtungsschutzdaten durch die Wiedergabe-
einrichtung bereitgestellt. Die Medienschutzdaten und die Einrichtungsschutzdaten
würden einem Zensurentscheidungsmittel zugeleitet, dass sie miteinander verglei-
che. Ergebe dieser Vergleich, dass das Zensurniveau der Medienschutzdaten größer
oder gleich dem Schwellwertniveau der Einrichtungsschutzdaten sei, werde ein
Sperrsignal generiert, das die durch das Zensurniveau bestimmte Video-Bild-Region
umfasse. Entsprechend werde auch bei übertragenen Audiodaten verfahren. Das
Sperrsignal bewirke, dass die von der gewünschten Zensur betroffenen Bildbereiche
unkenntlich gemacht würden. Da nach der D5 die für die geschilderten Verfahrens-
schritte erforderlichen Mittel vorgehalten würden, seien auch die Vorrichtungen nach
den Patentansprüchen 2 und 4 neuheitsschädlich getroffen.
3. Die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge seien ge-
mäß § 83 Abs. 4 PatG als verspätet zurückzuweisen. Zu dem nach dieser Vorschrift
potentiell einem Ausschluss unterliegenden Vortrag gehöre auch eine Verteidigung
des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents.
III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht
stand. Der Gegenstand des Streitpatents ist weder gegenüber den der Anmeldung
zugrunde liegenden Unterlagen unzulässig erweitert noch durch den vom Patentge-
richt angeführten Stand der Technik neuheitsschädlich getroffen oder nahegelegt.
1. Die erteilte Fassung des Streitpatents enthält keine unzulässige Erweite-
rung.
Das Patentgericht hat eine unzulässige Erweiterung darin gesehen, dass die
Wendung "it is an essential feature of the present invention that the medium protec-
tion data can assign the medium protection level in units of frames of the video sig-
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nal" in der Anmeldung (Sp. 6, Z. 32) in der Patentschrift durch die Formulierung "it is
an important feature…" (Sp. 7, Z. 7) ersetzt wurde. Es hat jedoch nicht berücksich-
tigt, dass insoweit keine Änderung des Patentanspruchs, sondern lediglich eine Än-
derung der Beschreibung erfolgt ist. Eine unzulässige Erweiterung könnte das nur
begründen, wenn die Berücksichtigung dieser Passage bei der Auslegung des Pa-
tentanspruchs des erteilten Patents zu einem veränderten Verständnis der darin ver-
wendeten Begriffe und damit des geschützten Gegenstands führte, das über dasje-
nige hinausgeht, was der Anmeldung in ihrer Gesamtheit als zur Erfindung gehörend
zu entnehmen ist (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, GRUR 2010,
513 Rn. 50 - Hubgliedertor II). Dafür ist weder dem angefochtenen Urteil noch dem
Klagevorbringen etwas zu entnehmen, die sich mit dem Gesamtinhalt der Anmeldung
gar nicht befassen, und hierfür ist auch nichts ersichtlich.
In der entsprechenden Passage der Beschreibung, die der Erläuterung einer
bevorzugten Ausführungsform dient, geht es darum, dass nach der Erfindung eine
sehr präzise Einflussnahme auf die Wiedergabe des ursprünglichen Signals möglich
ist, insbesondere die Beschränkung der Wiedergabe individueller Rahmen (d.h. ein-
zelner Bilder des Videofilms) oder sogar die Beschränkung der Wiedergabe innerhalb
eines individuellen Rahmens (d.h. nur eines Bereichs des einzelnen Bildes des Vi-
deofilms). Patentanspruch 1 ist jedoch erheblich allgemeiner gefasst und sagt nur,
dass die Wiedergabeeinrichtung so gesteuert werden kann, dass die Wiedergabe
des ursprünglichen Signals in einer vorbestimmten Art und Weise eingeschränkt
wird. Auch wenn in der Beschreibung des Streitpatents weiterhin von einem "essen-
tial feature" die Rede wäre, könnte dies nicht zu einer Auslegung des Patentan-
spruchs 1 (oder der nebengeordneten Ansprüche 2 und 4) dahin führen, dass die
Möglichkeit der Beschränkung auf einzelne Videobilder oder Bereiche einzelner Vi-
deobilder bestehen muss. Dem stünde sowohl der Wortlaut des Patentanspruchs als
auch, wie die Beklagte zu Recht geltend macht, der Umstand entgegen, dass Pa-
tentanspruch 1 nicht nur die Verarbeitung von Video-, sondern auch von Audiosigna-
len umfasst.
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2. Ebenso wenig kann die Annahme des Patentgerichts Bestand haben, der
Gegenstand des Patentanspruchs 1 werde durch die Entgegenhaltung D5 vorweg-
genommen. Diese Druckschrift offenbart zwar die Merkmale 1 bis 6, doch kann ihr
kein Verfahren entnommen werden, das auch Merkmal 7 aufweist.
Die Entgegenhaltung offenbart ein Verfahren und eine Vorrichtung zur auto-
matischen Beschränkung der Wiedergabe von Video- und/oder Audiosignalen. In
den Erläuterungen zur Figur 2 wird dargestellt, dass es ein Audio-Video-Programm-
signal ("audio-video programming signal", Bezugszeichen 36) gibt, dem unter Einsatz
von Codierungsmitteln ("encoder means" 38) Klassifizierungsdaten für die Steuerung
der Beschränkung der Wiedergabe ("censorship classification data" 18) im Hinblick
auf vier Bereiche A bis D hinzugefügt werden. Das Programmsignal (36) entspricht
den Hauptdaten, die ein ursprüngliches Signal im Sinne von Merkmal 1.2 repräsen-
tieren, während die Klassifizierungsdaten (18) den Medienschutzdaten im Sinne von
Merkmal 1.1 entsprechen. Durch das Codierungsmittel (38) werden Hauptdaten und
Medienschutzdaten miteinander verbunden. Das so codierte Signal ("encoded sig-
nal" 20) wird, wie aus Figur 1 der D5 ersichtlich, an eine Wiedergabevorrichtung
übermittelt, die in der Lage ist, die Medienschutzdaten zu decodieren, so dass die
Klassifizierungsdaten verarbeitet werden können. Damit sind Merkmale 2 und 3 of-
fenbart.
Die Wiedergabeeinrichtung umfasst Auswahlmittel ("selector means" 12), mit
denen der Nutzer jeweils einen Schwellwert zwischen 0 und 3 für die vier Bereiche A
bis D bestimmen kann. Nach dem Sprachgebrauch des Streitpatents handelt es sich
dabei um Einrichtungsschutzdaten, die innerhalb der Wiedergabeeinrichtung erzeugt
werden und für diese spezifisch sind. Damit ist Merkmal 4 beschrieben.
Die Wiedergabeeinrichtung umfasst ferner ein Zensurentscheidungsmittel
("censor decision means" 16), das die Medienschutzdaten und die Einrichtungs-
schutzdaten abgleicht. Ergibt der Vergleich, dass das Klassifizierungsniveau der Me-
dienschutzdaten größer oder gleich dem Schwellwertniveau der Einrichtungsschutz-
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daten ist, generiert das Zensurentscheidungsmittel ein Sperrsignal, das den entspre-
chenden Bereich des Video- und/oder Audio-Signals beeinflusst. Danach wird das
Schutzniveau durch eine Kombination von Medienschutzdaten und Einrichtungs-
schutzdaten bestimmt, so dass auch Merkmal 5 offenbart ist. Die Wiedergabe des
ursprünglichen Signals wird entsprechend dem Schutzniveau durch Sperrsignale
("gate signals" 24 und 26) gesteuert, wobei diese Sperrsignale ein Verschleiern des
Audio- und/oder Video-Signals bewirken, das durch entsprechende Vorrichtungen
der Wiedergabeeinrichtung ("audio obscuring means", "video obscuring means", Be-
zugszeichen 32 und 34) erzeugt wird (Merkmal 6). Auf diese Weise wird die Wieder-
gabe des ursprünglichen Signals in einer durch das Schutzniveau bestimmten Art
und Weise beeinflusst.
D5 offenbart allerdings nur, dass die Wiedergabe des ursprünglichen Signals
uneingeschränkt erfolgt. Ihr lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass die Wiederga-
be in einer Weise gesteuert wird, dass das ursprüngliche Signal nur teilweise oder
überhaupt nicht wiedergegeben wird. In der Entgegenhaltung wird wiederholt betont,
dass die Wiedergabe auf zurückhaltende, unaufdringliche Weise beeinflusst werden
soll, indem etwa das ursprüngliche Audio- und/oder Video-Signal nur verwischt oder
verschleiert, nicht aber entfernt oder ersetzt wird (siehe etwa Sp. 4, Z. 2 bis 8). Diese
Form der Beschränkung wird einer aus dem Stand der Technik bekannten weiterge-
henden Einschränkung gegenübergestellt, bei der dem Nutzer unter Umständen ein
leerer Bildschirm oder völlige Stille präsentiert werde, was als unangenehm empfun-
den werden könne. Demgegenüber wird die vorgeschlagene Verfahrensweise als
vorzugswürdig, weil unaufdringlich ("unobtrusive to the viewer", Sp. 2, Z. 24) empfoh-
len. Auch die Ausführungsbeispiele beziehen sich durchweg auf eine Beeinflussung
der Wiedergabe durch Veränderung des Signals, etwa durch ein Verschachteln oder
Vertauschen von Videoraster-Abtastzeilen ("In my preferred embodiment, the obscu-
ration is performed by interleaving or cutting and pasting of the video raster scan
line", Sp. 4, Z. 13ff.), nicht aber dadurch, dass das Signal nur teilweise wiedergege-
ben wird. Danach ist Merkmal 7 von Patentanspruch 1, wonach das ursprüngliche
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Signal in seiner Gesamtheit, teilweise oder überhaupt nicht wiedergegeben wird,
nicht offenbart. Da sich dieses Merkmal entsprechend in den Patentansprüchen 2
und 4 findet, sind auch deren Gegenstände durch die D5 nicht vorweggenommen.
3. Auch der übrige in das Verfahren eingeführte Stand der Technik nimmt
dem Gegenstand des Streitpatents nicht die Neuheit. Keine der Entgegenhaltungen
offenbart die Möglichkeit einer Beschränkung der Wiedergabe dadurch, dass das
ursprüngliche Signal nur teilweise wiedergegeben wird. Die dort geschilderten Me-
thoden und Vorrichtungen sehen jeweils vor, dass bei einem Eingreifen der Zensur
die Wiedergabe des ursprünglichen Signals gänzlich unterbleibt, so dass der Nutzer
entweder nichts sieht oder hört oder aber Signale aus einer anderen Quelle wieder-
gegeben werden.
4. Die Entscheidung des Patentgerichts erweist sich auch nicht aus anderen
Gründen als zutreffend. Der Gegenstand des Streitpatents ist durch den Stand der
Technik nicht nahegelegt.
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts ist als Fach-
mann ein Diplom-Ingenieur der elektrischen Nachrichtentechnik mit fachlicher Aus-
richtung auf die Rundfunk- und Fernsehtechnik anzusehen, der über besondere
Kenntnisse auf dem Gebiet der Verschlüsselung von Video- und Fernsehsignalen
verfügt.
Einem solchen Fachmann waren Wiedergabeschutzverfahren und -vorrich-
tungen bekannt, bei denen das ursprüngliche Signal entweder uneingeschränkt oder
aber - bei Eingreifen des Schutzes - überhaupt nicht wiedergegeben wird. So zeigt
etwa die in der Beschreibung des Streitpatents erwähnte amerikanische Patentschrift
4 930 158 (D2) ein Wiedergabegerät für Videobänder, bei welchem durch einen mit
dem Videosignal übermittelten Klassifizierungscode unter bestimmten Voraussetzun-
gen die Wiedergabe des Videosignals gestoppt werden kann. Ferner war dem
Fachmann aus der in der D5 erwähnten amerikanischen Patentschrift 4 930 160 eine
Vorrichtung zur Wiedergabe von Fernseh- oder Videosignalen bekannt, bei der ein
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Klassifizierungscode unter bestimmten Voraussetzungen bewirkt, dass das Gerät die
Wiedergabe des bisherigen Programms beendet und statt dessen ein Signal aus ei-
ner alternativen Quelle wiedergibt.
Dem Fachmann war ferner aus der D5 das oben geschilderte Verfahren be-
kannt, bei dem über eine Kombination von Klassifizierungsdaten, die einerseits mit
dem Programmsignal übermittelt und andererseits von der Wiedergabevorrichtung
erzeugt werden, die Wiedergabe des ursprünglichen Video- oder Audiosignals in ei-
ner Weise beeinflusst werden kann, die von einer unveränderten Wiedergabe bis zu
einer weitgehenden Verschleierung sowohl des Bildes und/oder des Tons reicht.
Aus der Sicht des Fachmanns, der sich am Prioritätstag des Streitpatents vor
die Aufgabe gestellt sah, ein Wiedergabeschutzverfahren zu verbessern, mag es na-
hegelegen haben, das in D5 vorgeschlagene Verfahren dahin zu modifizieren, dass
nicht nur eine weitgehende Verschleierung des ursprünglichen Signals erfolgen
kann, sondern auch die Möglichkeit besteht, dieses Signal überhaupt nicht wiederzu-
geben und damit die Variabilität des Verfahrens zu erhöhen.
Der Stand der Technik gab dem Fachmann aber keine Anregung, ein Verfah-
ren oder eine Vorrichtung vorzusehen, wonach die Wiedergabe von Bild und/oder
Ton auch in der Weise gesteuert werden kann, dass das ursprüngliche Signal teil-
weise wiedergegeben wird.
Die internationale Patentanmeldung WO 90/13118 (D1), das amerikanische
Patent 4 930 158 (D2) und das europäische Patent 112 575 (D3) sehen jeweils nur
die Möglichkeit vor, das ursprüngliche Signal in seiner Gesamtheit oder - bei Eingrei-
fen des Wiedergabeschutzes - überhaupt nicht wiederzugeben. Nach der in der in-
ternationalen Patentanmeldung WO 95/12275 (D6) vorgeschlagenen Lösung gibt es
mindestens zwei Versionen des gleichen Programmmaterials, von denen jeweils eine
in ihrer Gesamtheit wiedergegeben wird.
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Die in D5 vorgeschlagene Vorrichtung ermöglicht es, die Wiedergabe des ur-
sprünglichen Signals durch Sperrsignale, die entsprechend dem jeweiligen Schutzni-
veau generiert werden, so zu beeinflussen, dass der Zuschauer das Bild ganz oder
teilweise nur verschwommen sieht oder den Ton nur gedämpft hört. Dies wird jedoch,
wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dargelegt hat, nicht
dadurch bewirkt, dass das ursprüngliche Signal nur teilweise wiedergegeben wird.
Das ursprüngliche Signal wird statt dessen in seiner Gesamtheit wiedergegeben und
der Effekt einer Verschleierung ("obscuration") dadurch erzielt, dass etwa Videoras-
ter-Abtastzeilen verschachtelt oder ausgeschnitten und an anderer Stelle eingefügt
werden (Sp. 4, Z. 13-15) oder andere reversible Algorithmusmittel eingesetzt werden
(Sp. 5, Z. 56ff.).
D5 gab daher keine Anregung, die angestrebte Wirkung dadurch zu erzielen,
dass das ursprüngliche Signal nur teilweise wiedergegeben wird, vielmehr wird die
dort beschriebene Vorgehensweise der Verschleierung als vorzugswürdige Alternati-
ve zu einer "deletion or substitution" dargestellt.
Aus fachlicher Sicht gab mithin der Stand der Technik am Prioritätstag keine
Veranlassung, die Wiedergabe von Bild oder Ton dadurch zu beeinflussen, dass das
Signal für das endgültige Schutzniveau steuert, ob das ursprüngliche Signal entwe-
der in seiner Gesamtheit, teilweise oder überhaupt nicht wiedergegeben wird.
Für die Patentansprüche 2 und 4, die Vorrichtungen zur Umsetzung des in Pa-
tentanspruch 1 vorgeschlagenen Verfahrens betreffen, gilt nichts anderes.
5. Ist der Gegenstand des Streitpatents mithin patentfähig, hat das Rechts-
mittel der Beklagten Erfolg, ohne dass es noch darauf ankäme, ob das Patentgericht
die Hilfsanträge der Beklagten zu Recht nach § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG zurückgewie-
sen hat.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 ZPO.
Meier-Beck
Mühlens
Gröning
Hoffmann
Deichfuß
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.04.2012 - 5 Ni 28/10 (EP) -
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