Urteil des BGH vom 19.11.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 9/08
Verkündet
am:
19. November 2009
Hauck
Justizsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 134
Begleicht der Schuldner die gegen einen Dritten gerichtete Forderung des Anfech-
tungsgegners, liegt eine unentgeltliche Leistung nicht vor, wenn dem Drittschuldner
ein auf die Tilgung der Verbindlichkeit gerichteter werthaltiger Regressanspruch ge-
gen den Schuldner zustand, auf den der Anfechtungsgegner hätte zugreifen können.
BGH, Urteil vom 19. November 2009 - IX ZR 9/08 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. November 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter und die
Richter Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer und Grupp
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Oldenburg vom 12. Dezember 2007 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte gewährte dem Ehemann der Schuldnerin am 18. Oktober
2004 ein Darlehen in Höhe von 50.000 €. Diesen Betrag leitete der Ehemann
an das Finanzamt weiter, das die Zahlung mit Steuerforderungen gegen die
Schuldnerin verrechnete. Anschließend entrichtete die Schuldnerin im Zeitraum
von November 2004 bis Oktober 2005 ratenweise Zahlungen über 41.158,33 €
an die Beklagte. Der Ehemann der Schuldnerin war während des gesamten
Zahlungszeitraums zahlungsunfähig.
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Auf den Eigenantrag vom 30. November 2005 wurde über das Vermögen
der Schuldnerin am 23. Januar 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet und der
Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
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Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege der Insolvenzanfechtung auf
Erstattung des ihr zugeflossenen Betrages sowie vorgerichtliche Kosten in Hö-
he von 653,10 € in Anspruch. Die vor dem Landgericht erfolgreiche Klage hat
das Oberlandesgericht auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit seiner
- von dem erkennenden Senat zugelassenen - Revision erstrebt der Kläger die
Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurück-
verweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen des § 134
InsO seien entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht gegeben. Werde
der Schuldner als dritte Person in einen Zuwendungsvorgang eingeschaltet, so
sei für die Frage der Unentgeltlichkeit seiner Leistung maßgeblich, ob der Leis-
tungsempfänger durch die Zahlung eine werthaltige Forderung gegen seinen
Schuldner verliere. Die Forderung der Beklagten gegen den Ehemann der
Schuldnerin sei werthaltig gewesen, weil diesem gegen die von ihrer Steuer-
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schuld befreite Schuldnerin jedenfalls ein Rückgriffsanspruch aus ungerechtfer-
tigter Bereicherung zugestanden habe. Die Beklagte sei berechtigt gewesen,
mit Hilfe eines gegen den Ehemann erwirkten Titels dessen Erstattungsan-
spruch gegen die Schuldnerin pfänden und sich zur Einziehung überweisen zu
lassen. Auf den Einwand des Klägers, ein Rückgriff gegen die Schuldnerin wäre
wegen der bereits Ende November 2004 bestehenden Überschuldung und Zah-
lungsunfähigkeit ins Leere gegangen, komme es nicht an, weil der Ehemann in
der Lage gewesen sei, trotz der gegebenen finanziellen Lage die fraglichen Ra-
ten tatsächlich aus dem Vermögen der Schuldnerin aufzubringen und auf diese
Weise das Darlehen zurückzuführen. Im Übrigen sei dieser Einwand mangels
Vorlage des seitens des Klägers angekündigten Sachverständigengutachtens
unsubstantiiert.
II.
Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten rechtlicher Prüfung
Stand.
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1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der auf § 134
InsO gestützte Zahlungsanspruch unbegründet ist, falls dem Ehemann ein
werthaltiger Rückgriffsanspruch gegen die Schuldnerin zustand, ihn gegenüber
der Beklagten von seiner Darlehensverbindlichkeit zu befreien.
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a) Im Zwei-Personen-Verhältnis ist eine Verfügung als unentgeltlich an-
zusehen, wenn ihr nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts keine Leistung ge-
genübersteht, dem Leistenden also keine dem von ihm aufgegebenen Vermö-
genswert entsprechende Gegenleistung zufließen soll (BGHZ 141, 96, 99
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m.w.N.). Wird eine dritte Person in den Zuwendungsvorgang eingeschaltet,
kommt es - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - nicht entscheidend
darauf an, ob der Leistende selbst einen Ausgleich für seine Leistung erhalten
hat; maßgeblich ist vielmehr, ob der Zuwendungsempfänger seinerseits eine
Gegenleistung zu erbringen hat. Bezahlt der Leistende die gegen einen Dritten
gerichtete Forderung des Zuwendungsempfängers, liegt dessen Gegenleistung
in der Regel darin, dass er mit der Leistung, die er gemäß § 267 Abs. 2 BGB
nur bei Widerspruch des Schuldners ablehnen kann, eine werthaltige Forderung
gegen diesen verliert. Ist hingegen die Forderung des Zuwendungsempfängers
wertlos, verliert dieser wirtschaftlich nichts, was als Gegenleistung für die Zu-
wendung angesehen werden kann. In solchen Fällen ist die Tilgung einer frem-
den Schuld als unentgeltliche Leistung anfechtbar. Der Zuwendungsempfänger
ist gegenüber den Insolvenzgläubigern des Leistenden nicht schutzwürdig;
denn er hätte ohne dessen Leistung, auf die er keinen Anspruch hatte, seine
Forderung nicht durchsetzen können (BGHZ 174, 228, 231 Rn. 8; BGH, Urt. v.
11. Dezember 2008 - IX ZR 194/07, ZInsO 2009, 143, 144 Rn. 14 jeweils
m.w.N.).
b) Da der Ehemann der Schuldnerin unstreitig aus wirtschaftlichen Grün-
den außerstande war, die Darlehensforderung der Beklagten zu begleichen,
unterliegt die Zahlung der Schuldnerin auf die gegen ihren Ehemann bestehen-
de wertlose Forderung grundsätzlich nach § 134 InsO der Anfechtung.
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aa) Allerdings ist hier die Besonderheit zu berücksichtigen, dass der
Ehemann die von der Beklagten erhaltenen Darlehensmittel zur Begleichung
gegen die Schuldnerin gerichteter Abgabenforderungen verwendet hat. Da-
durch kann er gegen die Schuldnerin einen auf Geschäftsführung ohne Auftrag
beruhenden Aufwendungsersatzanspruch (§§ 670, 677, 683 Satz 1 BGB) in
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Höhe der getilgten Forderung erworben haben (vgl. BGHZ 47, 370, 371; Bam-
berger/Roth/Gehrlein, BGB 2. Aufl. § 677 Rn. 13, § 683 Rn. 2). Hat das Finanz-
amt die Zahlungen des Ehemannes zunächst eigenmächtig, aber mit dessen
nachträglicher Billigung auf Abgabenforderungen gegen die Schuldnerin ver-
rechnet, stand dem Ehemann wegen der von ihm bewirkten Schuldbefreiung
(§ 267 BGB) gegen die Schuldnerin jedenfalls ein bereicherungsrechtlicher
(§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB) Regressanspruch zu (MünchKomm-
BGB/Schwab, 5. Aufl. § 812 Rn. 317; Bamberger/Roth/Wendehorst, aaO § 812
Rn. 150, 156; vgl. BGHZ 106, 142, 143; BGH, Urt. v. 28. November 2003
- V ZR 99/03, NJW 2004, 603, 604).
bb) Den Rückgriffsanspruch konnte die Schuldnerin entsprechend der
Weisung ihres Ehemannes durch Zahlung auf die gegen ihn gerichtete Verbind-
lichkeit der Beklagten erfüllen (§ 787 Abs. 1 BGB; BGH, Beschl. v. 16. Oktober
2008 - IX ZR 147/07, ZInsO 2008, 1200 Rn. 9). In Übereinstimmung mit der
rechtlichen Würdigung des Berufungsgerichts wäre der aus § 134 InsO folgen-
de Anfechtungsanspruch unbegründet, wenn der gegen die Schuldnerin beste-
hende Rückgriffsanspruch ihres Ehemannes werthaltig war und folgerichtig we-
gen der Möglichkeit seiner insolvenzbeständigen vollstreckungsweisen Reali-
sierbarkeit nicht von der Wertlosigkeit der gegen ihn bestehenden Darlehens-
forderung der Beklagten auszugehen ist (MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl.
§ 134 Rn. 31a a.E.). War die Zahlungsforderung des Ehemannes gegen die
Schuldnerin nach einer Pfändung seitens der Beklagten tatsächlich im Vollstre-
ckungswege durchsetzbar, so kann der seitens der Schuldnerin in Erfüllung
dieses Rückgriffsanspruchs getilgten Forderung der Beklagten die Werthaltig-
keit nicht abgesprochen werden.
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2. Der auf diesen zutreffenden Grundlagen aufbauenden weiteren recht-
lichen Würdigung des Berufungsgerichts kann jedoch nicht gefolgt werden.
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a) Dies gilt bereits für die allein die Entscheidung tragenden Ausführun-
gen, wonach es auf die Frage einer Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit
der Schuldnerin deswegen nicht ankomme, weil es ihrem Ehemann gelungen
sei, von November 2004 bis Oktober 2005 Zahlungen in Höhe der Klageforde-
rung aus dem Vermögen der Schuldnerin an die Beklagte zu bewirken.
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Diese Erwägungen sind mit den oben angeführten Rechtsgrundsätzen
unvereinbar. Hängt die Anfechtbarkeit einer Drittzahlung davon ab, ob die ge-
gen den Forderungsschuldner gerichtete Forderung werthaltig ist und kann sich
die Werthaltigkeit allein aus einer dem Forderungsschuldner gegen den Leis-
tenden zustehenden Rückgriffsforderung ergeben, kann die Werthaltigkeit die-
ser Rückgriffsforderung nicht nach anderen Maßstäben als denjenigen beurteilt
werden, die für die Werthaltigkeit der gegen den Forderungsschuldner gerichte-
ten Forderung gelten. Entsprechend den insoweit maßgeblichen Grundsätzen
(BGH, Urt. v. 30. März 2006 - IX ZR 84/05, WM 2006, 1156, 1158 Rn. 15; Urt.
v. 22. Oktober 2009 - IX ZR 182/08, z.V.b.) bestimmt sich die Werthaltigkeit der
gegen die Schuldnerin gerichteten Rückgriffsforderung ebenfalls danach, ob sie
zum Zeitpunkt der Leistungserbringung insolvenzreif, also insbesondere zah-
lungsfähig oder zahlungsunfähig (§ 17 InsO) war. Die Werthaltigkeit der Forde-
rung folgt nicht aus ihrer tatsächlichen Begleichung, weil Schuldner in der Krise
erfahrungsgemäß aus verschiedensten Gründen noch einzelne Gläubiger be-
vorzugt befriedigen (BGHZ 155, 75, 84). Vielmehr hat eine sich an der tatsäch-
lichen Vermögenslage der Schuldnerin orientierende objektive Bewertung statt-
zufinden (vgl. BGHZ 113, 393, 396 f). Zwar knüpft der Anfechtungstatbestand
des § 134 InsO nicht unmittelbar an die Vermögenslage des Schuldners (Jae-
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ger/Henckel, InsO § 134 Rn. 19), sondern die unentgeltliche Entäußerung eines
Vermögenswerts an. Kommt der Vermögenslage des Schuldners im Rahmen
dieses Anfechtungstatbestandes jedoch - wie im Streitfall - ausnahmsweise Be-
deutung zu, kann angesichts der entscheidend auf die wirtschaftliche Lage des
Schuldners abstellenden Wertungsgesichtspunkte jeder Insolvenzanfechtung
für die Frage der Werthaltigkeit einer gegen ihn gerichteten Forderung nur der
allgemeine Maßstab der Insolvenzreife angelegt werden.
b) Außerdem meint das Oberlandesgericht im Rahmen einer Hilfsbe-
gründung zu Unrecht, keine Feststellungen über eine im November 2004 einge-
tretene Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin treffen zu
müssen, weil der Vortrag des Klägers mangels Vorlage eines zum Nachweis
dieser Tatsachen angekündigten Sachverständigengutachtens unsubstantiiert
sei.
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Diese Auffassung geht schon deshalb fehl, weil eine Partei zwecks Sub-
stantiierung ihrer Klage regelmäßig nicht zur Vorlage eines Gutachtens ver-
pflichtet ist. Die Partei genügt ihrer Substantiierungslast vielmehr durch Vortrag
solcher Tatsachen, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das
mit der Klage geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstan-
den erscheinen zu lassen (BGH, Urt. v. 20. September 2002 - V ZR 170/01,
BGHReport 2003, 38, 39; Beschl. v. 21. Mai 2007 - II ZR 266/04, ZIP 2007,
1524, 1526 Rn. 8 f; v. 2. Juni 2008 - II ZR 121/07, WM 2008, 2133 Rn. 5 f). Hier
war von dem Kläger zum 29. November 2004 ein exakter Überschuldungsbe-
trag von 204.924,96 € behauptet und durch Benennung eines Zeugen unter
Beweis gestellt worden. Dem hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen
(Art. 103 Abs. 1 GG).
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3. Mangels Entscheidungsreife ist die Sache an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). In der wiederer-
öffneten mündlichen Verhandlung hat das Berufungsgericht Gelegenheit, gege-
benenfalls nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien Feststellungen zur fi-
nanziellen Lage der Schuldnerin ab November 2004 zu treffen. Die Beweislast
für die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin trägt nach allgemeinen Rechts-
grundsätzen der Kläger (BGH, Urt. v. 30. März 2006, aaO).
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Ganter Kayser
Gehrlein
Fischer
Grupp
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 29.03.2007 - 16 O 2706/06 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 12.12.2007 - 4 U 46/07 -