Urteil des BGH vom 05.12.2012

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
XII ZB 670/10
Verkündet am:
5. Dezember 2012
Kirchgeßner,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1573 Abs. 2, 1574, 1577, 1578 b; FamFG § 239
Genügt der Unterhaltsberechtigte seiner aktuellen Erwerbsobliegenheit, kann ihm für
die Vergangenheit nicht vorgehalten werden, er hätte konkrete Bewerbungsbemü-
hungen entfalten müssen, um den jetzt eingetretenen ehebedingten Nachteil zu
kompensieren.
BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012 - XII ZB 670/10 - OLG Koblenz
AG Linz am Rhein
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Dezember 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-
Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Be-
schluss des 13. Zivilsenates - 1. Senat für Familiensachen - des
Oberlandesgerichts Koblenz vom 17. November 2010 im Kosten-
punkt und insoweit aufgehoben, als das Beschwerdegericht den
Unterhalt der Antragsgegnerin bis Ende 2014 befristet hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbe-
schwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Befristung des durch Vergleich geregelten
Anspruchs auf nachehelichen Unterhalts der Antragsgegnerin.
Die Beteiligten schlossen 1989 die Ehe. Sie adoptierten ein im März
1996 geborenes Kind. Die Antragsgegnerin ist seit Juli 1991 Versicherungs-
fachwirtin und arbeitete bis 1995 als Sachbearbeiterin bei verschiedenen Versi-
cherungsunternehmen. Nach der Adoption des Kindes setzte sie ihre Erwerbs-
tätigkeit aus. Sie ist nunmehr als städtische Schulsekretärin mit 31 Wochen-
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stunden beschäftigt
.
Die Ehe ist seit September 2004 geschieden. Mit gerichtli-
chem Vergleich vom 28. September 2004 verpflichtete sich der Antragsteller, an
die Antragsgegnerin einen monatlichen nachehelichen Unterhalt von 1.800
zuzüglich weiteren 128
€ Altersvorsorgeunterhalt zu zahlen. Zu Beginn des Jah-
res 2008 schlossen die Beteiligten eine außergerichtliche Vereinbarung, mit der
sie den Vergleich dahingehend abänderten, dass ab März 2008 lediglich noch
Unterhalt von 1.500
€ zuzüglich 128 € Altersvorsorgeunterhalt zu zahlen sei
.
Der Unterhalt sollte bis zu dem Monat gezahlt werden, in dem der gemeinsame
Sohn das 14. Lebensjahr vollendete, also bis März 2010. Nach Ablauf des ge-
nannten Zeitraums sollten sich die Unterhaltsansprüche nach den gesetzlichen
Vorschriften richten.
Der Antragsteller hat beantragt, den gerichtlichen Vergleich dahin abzu-
ändern, dass er ab April 2010 keinen nachehelichen Unterhalt mehr zu zahlen
hat, da die Antragsgegnerin keine ehebedingten Nachteile erlitten habe. Dem
ist die Antragsgegnerin entgegengetreten.
Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde
des Antragstellers hat das Oberlandesgericht den Vergleich dahin abgeändert,
dass er an die Antragsgegnerin ab 1. April 2010 Ehegattenunterhalt in Höhe
von 1.310
€ einschließlich eines Altersvorsorgeunterhalts von 128 € monatlich
zu zahlen hat und der Unterhaltsanspruch mit Ablauf des Monats Dezember
2014 endet. Hiergegen richtet sich die für die Zeit ab 1. Januar 2015 zugelas-
sene Rechtsbeschwerde, mit der die Antragsgegnerin ihr Begehren auf unbe-
fristeten Unterhalt weiter verfolgt.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt im Umfang
der Anfechtung zur Aufhebung des Beschwerdebeschlusses und insoweit zur
Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
Die vom Beschwerdegericht auf den Unterhaltszeitraum ab 1. Januar
2015 beschränkte Zulassung der Rechtsbeschwerde und die damit einherge-
hende Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin sind zulässig (vgl. Senatsurteil
BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn. 10).
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Der Abänderungsantrag sei nach § 239 FamFG zulässig. Dies folge schon dar-
aus, dass der Vergleich aus dem Jahre 2004 datiere und inzwischen die Unter-
haltsreform in Kraft getreten sei. Dabei spiele es keine Rolle, dass die Parteien
noch Anfang des Jahres 2008 durch eine private Vereinbarung den Titel modifi-
ziert hätten. Abänderungsgegenstand sei allein der gerichtliche Vergleich. Der
Antragsteller sei auch nicht mit seinem Einwand, die Unterhaltspflicht zu befris-
ten, präkludiert. Zwar treffe es zu, dass der Vergleich nach Inkrafttreten der Un-
terhaltsreform geändert worden sei. Die entsprechende Vereinbarung habe sich
aber erkennbar mit einem anderen Tatbestand befasst, nämlich dem Betreu-
ungsunterhalt, der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht der
Befristungsmöglichkeit nach § 1578 b BGB unterliege. Aufgrund der Vereinba-
rung sei klargestellt gewesen, dass Betreuungsunterhalt bis zur Vollendung des
14. Lebensjahres des gemeinsamen Sohnes geschuldet sein sollte. Zudem sei
vereinbart gewesen, dass die Antragsgegnerin ohne Anrechnung hinzuverdie-
nen könne. Letztlich werde durch den Passus in der Vereinbarung, nach Ablauf
des genannten Zeitraums richteten sich eventuelle Unterhaltsansprüche nach
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den gesetzlichen Vorschriften, auch ausdrücklich die Abänderungsmöglichkeit
eröffnet.
Die Auffassung des Amtsgerichts, der Abänderungsantrag sei unschlüs-
sig, sei nicht haltbar, jedenfalls wenn der Antragsteller, wie hier, ausdrücklich
seine unbegrenzte Leistungsfähigkeit einräume. Soweit er sich nicht zu seinen
Einkommensverhältnissen erkläre, seien diese bei der gebotenen Billigkeitsab-
wägung in außergewöhnlicher Höhe zu unterstellen. Ohnehin sei hier aufgrund
des Vortrags und des Antrags der Antragsgegnerin naheliegend, dass eine
Herabsetzung auf den angemessenen Bedarf nicht streitig gewesen sei. Unab-
hängig davon habe die Antragsgegnerin in erster Instanz einer Reduzierung auf
1.400
€ zugestimmt. Es komme nur ein Aufstockungsunterhalt nach § 1573
BGB in Betracht. Da der Anspruch zunächst auf den "eheangemessenen" Le-
bensbedarf zu begrenzen und dann zu befristen sei, komme es auf die aktuel-
len Einkommensverhältnisse des Antragstellers nicht an und auch nicht auf sei-
ne Familienverhältnisse, weil einerseits kein Quotenunterhalt geschuldet sei
und andererseits seine Leistungsfähigkeit außer Frage stehe. Unzweifelhaft
liege ein ehebedingter Nachteil vor, wenn man vom Status quo ausgehe. Das
gegenwärtig erzielte Einkommen liege deutlich unter dem, das die Antragsgeg-
nerin bei Fortsetzung ihrer Sachbearbeitertätigkeit in der Versicherungsbranche
gehabt hätte. Allerdings treffe den Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit, sol-
che Nachteile nach Möglichkeit auszugleichen, im konkreten Fall spätestens
seit Mitte 2006 im Hinblick auf die Änderung der Rechtsprechung des Bundes-
gerichtshofs zur Befristung des Aufstockungsunterhalts. Das Problem des ehe-
bedingten Nachteils "kristallisiere" sich auf die Aussage der Antragsgegnerin,
sie habe infolge der Ehe und der Kinderbetreuung nach der Scheidung keine
ihrer vorherigen Tätigkeit entsprechende Stelle in der Versicherungswirtschaft
mehr finden können. Hierzu habe die Antragsgegnerin jedenfalls keine ausrei-
chenden Bemühungen entfaltet. Dabei sei auf der anderen Seite allerdings
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auch zu berücksichtigen, dass - ausdrücklich durch die Vereinbarung von An-
fang 2008 durch den Antragsteller eingeräumt - ein Teil ihrer Arbeitskraft durch
die Betreuung des Kindes gebunden gewesen sei.
Allerdings gehe es hier nicht um die Bedürftigkeit und die Bedarfsermitt-
lung der Antragsgegnerin. Sie genüge - bei unterstellter Vollzeittätigkeit - ihrer
aktuellen Erwerbsobliegenheit. Es gehe um die Frage, ob ein ehebedingter
Nachteil nicht durch entsprechende Bemühungen hätte vermieden werden kön-
nen. Auch insoweit treffe die Darlegungs- und Beweislast den Unterhaltspflich-
tigen, der sich auf einen Ausnahmetatbestand berufe. Die Antragsgegnerin dür-
fe sich allerdings nicht darauf beschränken, die allgemeine Lage auf dem hier
einschlägigen Arbeitsmarkt in der Versicherungsbranche darzustellen. Sie müs-
se im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast zu ihren konkreten Bemühun-
gen, eine entsprechende Stelle zu erlangen, vortragen. Auch wenn eine sichere
rückblickende Einschätzung nicht mehr möglich sei, könne mit Gewissheit aus-
geschlossen werden, dass es im Zeitraum 2006 bis 2008 keine entsprechenden
Arbeitsmöglichkeiten gegeben habe.
Die im Ergebnis hiernach gebotene Befristung des Unterhalts komme un-
ter Berücksichtigung der Abwägungskriterien des § 1578 b BGB erst nach einer
Übergangszeit in Betracht, in der der Unterhalt auf den angemessenen Le-
bensbedarf herabzusetzen sei. Dabei sei die berufliche Entwicklung der An-
tragsgegnerin wie auch die Dauer der Ehe und der Kindererziehung zu berück-
sichtigen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers seien weit über-
durchschnittlich, während die Antragsgegnerin unterdurchschnittliche Einkünfte
erziele. Von daher sei der Unterhalt zunächst für eine Übergangszeit auf den
angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, und zwar bis zu dem Ende des
Jahres, in dem das Kind volljährig werde, also bis Ende 2014. Erst für die Zeit
danach sei der Unterhalt völlig auszuschließen.
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Der angemessene Lebensbedarf entspreche dem Einkommen, das der
unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen
Einkünften zur Verfügung hätte. Diesbezüglich sei unter Berücksichtigung der
Angaben der LVM-Versicherung von einem Nettoeinkommen von rund 2.640
auszugehen. In ihrer jetzigen Stellung könnte die Antragsgegnerin - hoch ge-
rechnet auf eine Vollzeittätigkeit - rund 1.460
€ verdienen. Die Differenz zum
angemessenen Lebensbedarf betrage also rund 1.180
€. Der Altersvorsorgeun-
terhalt sei bei den sehr guten Einkommensverhältnissen daneben geschuldet.
Er sei von beiden Beteiligten der Höhe nach nicht näher dargelegt, aber bisher
mit 128
€ außer Streit und entspreche der Festsetzung im Vergleich von 2004
sowie der Modifizierung im Jahr 2008.
2. Diese Ausführungen halten nicht in jeder Hinsicht einer rechtlichen
Überprüfung stand.
a) Allerdings ist das Beschwerdegericht zu Recht davon ausgegangen,
dass der Abänderungsantrag nach § 239 FamFG zulässig ist. Bei dem gerichtli-
chen Vergleich handelt es sich um einen solchen i.S.d. § 239 Abs. 1 Satz 1
FamFG i.V.m. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Nach § 239 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist
der Antrag zulässig, sofern der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine Abän-
derung rechtfertigten.
Nach der Rechtsprechung des Senats richtet sich die Abänderung eines
Prozessvergleichs allein nach materiell-rechtlichen Kriterien. Dabei ist - vorran-
gig gegenüber einer Störung der Geschäftsgrundlage - durch Auslegung zu er-
mitteln, ob und mit welchem Inhalt die Parteien eine insoweit bindende Rege-
lung getroffen haben (Senatsurteil BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rn. 13).
Vorliegend haben die Beteiligten im Jahr 2008 den titulierten Vergleich
inhaltlich dahin abgeändert, dass der Betreuungsunterhalt bis zur Vollendung
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des 14. Lebensjahres des gemeinsamen Kindes geschuldet sein soll, also bis
einschließlich März 2010. Für die Zeit danach haben die Beteiligten vereinbart,
dass sich die Unterhaltsansprüche nach den gesetzlichen Vorschriften richten
sollen. Danach fehlt dem Vergleich unter Beachtung der modifizierenden Rege-
lung für die Zeit ab April 2010 eine bindende Regelung, weshalb er insoweit frei
abänderbar ist.
b) Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht ei-
ne Präklusion des Befristungseinwandes ausgeschlossen hat.
Zwar haben die Beteiligten den ursprünglichen Vergleich aus dem Jahre
2004 im Jahr 2008 abgeändert, also zu einem Zeitpunkt, als der Senat bereits
seine Rechtsprechung zur Befristung des Aufstockungsunterhalts geändert
(Senatsurteil vom 12. April 2006 - XII ZR 240/03 - FamRZ 2006, 1006) und der
Gesetzgeber in der Folge mit dem zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Un-
terhaltsrechtsänderungsgesetz § 1578 b BGB in das Bürgerliche Gesetzbuch
eingefügt hatte. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdege-
richt maßgeblich darauf abgestellt hat, dass Gegenstand der modifizierenden
Vereinbarung aus dem Jahr 2008 ausschließlich der Betreuungsunterhaltsan-
spruch gewesen ist. Im Übrigen haben die Beteiligten mit Auslauf dieses An-
spruchs ausdrücklich auf die gesetzlichen Bestimmungen - und damit auch auf
§ 1578 b BGB - Bezug genommen.
c) Schließlich kann dem Beschwerdegericht auch dahin gefolgt werden,
dass der Abänderungsantrag des Antragstellers nicht deshalb unschlüssig ist,
weil er (zunächst) keine Angaben über seine konkreten Einkommensverhältnis-
se gemacht, vielmehr auf seine unbeschränkte Leistungsfähigkeit verwiesen
hat.
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Die Beteiligten haben sich darauf verständigt, dass sich der Unterhalts-
anspruch nach Ablauf des Betreuungsunterhalts nach den gesetzlichen Be-
stimmungen richten solle. Damit war der Vergleich frei abänderbar. Einer Dar-
legung der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - wie etwa der Einkom-
mensverhältnisse - bedurfte es daher nicht mehr.
Im Übrigen oblag es dem Grunde nach ohnehin der Antragsgegnerin, zu
ihrem Bedarf nach § 1578 BGB und damit auch zum Einkommen des Antrag-
stellers vorzutragen, da sie mit Auslaufen des vereinbarten Betreuungsunter-
haltsanspruchs für die Voraussetzungen des nunmehr von ihr geltend zu ma-
chenden Aufstockungsunterhaltsanspruchs nach § 1573 Abs. 2 BGB auch in
dem vom Antragsteller betriebenen Abänderungsverfahren darlegungsbelastet
ist (vgl. Senatsurteil 31. Januar 1990 - XII ZR 36/89 - FamRZ 1990, 496, 497).
Da die Antragsgegnerin ausweislich der nicht zu beanstandenden und von der
Rechtsbeschwerde auch nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerde-
gerichts jedoch keinen über ihren angemessenen Lebensbedarf im Sinne von
§ 1578 b Abs. 1 BGB liegenden Unterhalt begehrt, bedurfte es zum Bedarf nach
§ 1578 BGB keiner weiteren Feststellungen des Beschwerdegerichts.
d) Nicht gefolgt werden kann im vorliegenden Fall aber der Auffassung
des Beschwerdegerichts, der - bestehende - ehebedingte Nachteil i.S.d.
§ 1578 b BGB stehe einer Befristung nicht entgegen, weil die Antragsgegnerin
ihn durch entsprechende Bemühungen hätte vermeiden können.
aa) Um den ehebedingten Nachteil der Höhe nach bemessen zu können,
muss der Tatrichter Feststellungen zum angemessenen Lebensbedarf des Un-
terhaltsberechtigten im Sinne des § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB und zum Ein-
kommen treffen, dass der Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt oder gemäß
§§ 1574, 1577 BGB erzielen könnte. Die Differenz ergibt den ehebedingten
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Nachteil (Senatsurteil vom 20. Oktober 2010 - XII ZR 53/09 - FamRZ 2010,
2059 Rn. 23).
Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs besteht in dem Ein-
kommen, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Kinderer-
ziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte (Senatsurteil vom
4. August 2010 - XII ZR 7/09 - FamRZ 2010, 1633 Rn. 32). Dabei ist die Darle-
gungs- und Beweislast für die dem Unterhaltsberechtigten gegenwärtig fehlen-
de Möglichkeit, eine seiner Ausbildung und früheren beruflichen Stellung ent-
sprechende Tätigkeit zu erlangen, vorgreiflich nach § 1577 BGB zu beurteilen
und obliegt dem Unterhaltsberechtigten. Hierfür gelten dieselben Kriterien wie
für die Obliegenheit zur Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit nach
§ 1574 BGB. Wer die Aufnahme einer angemessenen Erwerbstätigkeit unter-
lässt, muss sich das daraus erzielbare Einkommen im Rahmen der Prüfung der
Bedürftigkeit nach § 1577 Abs. 1 BGB fiktiv zurechnen lassen (Senatsbeschluss
vom 7. November 2012 - XII ZB 229/11 - zur Veröffentlichung bestimmt). Ge-
langt das Familiengericht dagegen zu der Überzeugung, dass der Unterhalts-
gläubiger seiner Erwerbsobliegenheit genügt, kann der Unterhaltspflichtige im
Rahmen des § 1578 b BGB nicht mehr einwenden, jener könne ein höheres
Einkommen erzielen und habe daher keinen ehebedingten Nachteil erlitten (vgl.
Senatsurteil vom 27. Januar 2010 - XII ZR 100/08 - FamRZ 2010, 538 Rn. 42).
bb) Diesen Anforderungen wird der Beschluss des Beschwerdegerichts
nicht gerecht.
Zwar hat das Beschwerdegericht sowohl den angemessenen Lebensbe-
darf dem Grunde nach zutreffend bestimmt als auch einen Nachteil als solchen
in nicht zu beanstandender Weise hergeleitet. Soweit es in diesem Zusammen-
hang aber die Auffassung vertritt, dass die Antragsgegnerin den so entstande-
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nen Nachteil durch entsprechende - ihr obliegende - Bemühungen hätte ver-
meiden können, hält die Entscheidung einer rechtlichen Überprüfung nicht
stand.
(1) Die Ausführungen des Beschwerdegerichts sind insoweit wider-
sprüchlich. Einerseits stellt es fest, dass die Antragsgegnerin (bei unterstellter
Vollzeittätigkeit) mit ihrer Tätigkeit als Schulsekretärin ihrer "aktuellen Er-
werbsobliegenheit genügt". Folgerichtig hat es davon abgesehen, der Antrags-
gegnerin ein weitergehendes Einkommen fiktiv zuzurechnen. Andererseits aber
wirft das Oberlandesgericht der Antragsgegnerin vor, sie hätte in dem Zeitraum
von 2006 bis 2008 konkrete Bewerbungsbemühungen entfalten müssen, um
eine Anstellung in ihrem erlernten Beruf als Versicherungsfachwirtin zu erlan-
gen, womit sie ihre Einkommensnachteile hätte kompensieren können.
(2) Hinzu kommt, dass die Beteiligten im Jahre 2008, also zu einem Zeit-
punkt, als die Antragsgegnerin bereits ihre Beschäftigung bei der Stadt aufge-
nommen hatte
,
den ursprünglichen Vergleich abgeändert haben, ohne dass der
Antragsteller von der Antragsgegnerin verlangt hätte, sich um eine Beschäfti-
gung in ihrem erlernten Beruf als Versicherungsfachwirtin zu bemühen. Im Ge-
genteil hat er ihr die Möglichkeit eingeräumt, über das ihm bekannte "aktuelle
Einkommen" anrechnungsfrei hinzuverdienen zu können
.
Für den Fall, dass das Gericht dem unterhaltsberechtigten Ehegatten im
Vorprozess keine zusätzlichen Erwerbseinkünfte fiktiv zugerechnet hat, ist da-
mit zugleich nach § 1577 Abs. 1 BGB entschieden, dass der Unterhaltsberech-
tigte seiner Erwerbsobliegenheit genügt hat, und diese Feststellung auch im Ab-
änderungsverfahren maßgebend ist (Senatsurteil vom 27. Januar 2010
- XII ZR 100/08 - FamRZ 2010, 538).
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Entsprechendes muss grundsätzlich auch dann gelten, wenn die Beteilig-
ten - wie hier - eine vorbehaltlose Vereinbarung mit dem oben dargestellten In-
halt geschlossen haben. Denn ohne einen solchen Vorbehalt darf der Unter-
haltsberechtigte regelmäßig darauf vertrauen, gegenwärtig seiner Erwerbsob-
liegenheit zu genügen.
3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuhe-
ben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Deshalb ist sie gemäß § 74
Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 FamFG zur erneuten Behandlung und Entscheidung
an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Das Beschwerdegericht wird zu prüfen haben, inwieweit die der Antrags-
gegnerin entstandenen Nachteile ehebedingt i.S.d. § 1578 b BGB sind. Dabei
wird es sich auch die Frage vorzulegen haben, ob es der Antragsgegnerin zu-
mutbar war, auf das Abänderungsverlangen des Antragstellers eine Tätigkeit in
ihrem erlernten Beruf wieder aufzunehmen. Soweit ein ehebedingter Nachteil
verbleibt, ist eine Befristung zwar grundsätzlich (Senatsurteil vom 14. Oktober
2009 - XII ZR 146/08 - FamRZ 2009, 1990 Rn. 13), nicht aber generell ausge-
schlossen (Senatsurteil vom 4. August 2010 - XII ZR 7/09 - FamRZ 2010, 1633
Rn. 35), so dass Ausnahmen denkbar sind. Bei der zu treffenden Abwägung
wird das Beschwerdegericht auf der einen Seite neben der Dauer der Ehe und
Kinderbetreuung die guten wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zu
berücksichtigen haben. Andererseits wird zu beachten sein, dass der Antrag-
steller bereits über einen langen Zeitraum (seit 2004) Unterhalt geleistet hat.
Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin die ihr entstandenen Nachteile durch
ihre Entscheidung, als Schulsekretärin zu arbeiten, mitverursacht hat. Ferner
wird das Beschwerdegericht zu bedenken haben, dass das hypothetische (Net-
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to-)Einkommen, das die Antragsgegnerin ohne Ehe und Kindererziehung aus
eigenen Einkünften zur Verfügung hätte, fiktiv anhand der Steuerklasse I ohne
Kinderfreibetrag zu ermitteln ist. Andererseits dürfte der Altersvorsorgeunterhalt
deutlich zu gering bemessen sein; eine Vergleichsgrundlage für den vom Be-
schwerdegericht zugrunde gelegten Festbetrag von 128
€ ist für den hier noch
maßgeblichen Zeitraum (ab 2015) nicht ersichtlich. Schließlich kann im Rahmen
der Abwägung auch die Gründung einer neuen Familie durch den Antragsteller
Beachtung finden. Denn nach der Absicht des Gesetzgebers des Unterhaltsän-
derungsgesetzes vom 21. Dezember 2007 sollte "die Ausweitung der Möglich-
keit, nacheheliche Unterhaltsansprüche zeitlich oder der Höhe nach zu begren-
zen, (…) die Chancen für einen Neuanfang nach einer gescheiterten Ehe erhö-
hen und die Zweitfamilien entlasten" (BT-Drucks. 16/1830 S. 13). Die Billig-
keitsabwägung unter Einbeziehung dieses allgemeinen Gesetzesmotivs, dass
die Chancen für einen "Neuanfang" erhöht werden sollten, ist jedenfalls nicht
sachwidrig (Senatsurteil vom 30. März 2011 - XII ZR 63/09 - FamRZ 2011, 875
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Rn. 23). Inwieweit sich dieser Aspekt trotz der guten wirtschaftlichen Verhältnis-
se des Antragstellers auswirken kann, wird der Tatrichter in eigener Verantwor-
tung zu beurteilen haben.
Dose
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
AG Linz am Rhein, Entscheidung vom 28.07.2010 - 4 F 87/10 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 17.11.2010 - 13 UF 596/10 -