Urteil des BGH vom 07.06.2006

BGH (fahrzeug, widerklage, herstellung, minderung, sache, eigenschaft, aufrechnung, beweisaufnahme, verkauf, höhe)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 180/05 Verkündet
am:
7. Juni 2006
Kirchgeßner,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 434 Abs. 1 Satz 1
Ein von einem Kraftfahrzeughändler als "Jahreswagen" verkauftes Gebraucht-
fahrzeug entspricht regelmäßig nicht der vereinbarten Beschaffenheit, wenn
zwischen der Herstellung und der Erstzulassung mehr als zwölf Monate liegen.
BGH, Urteil vom 7. Juni 2006 - VIII ZR 180/05 - LG Wuppertal
AG
Mettmann
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Juni 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter
Dr. Leimert, Dr. Wolst und Dr. Frellesen sowie die Richterin Hermanns
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 9. Zivilkammer
des Landgerichts Wuppertal vom 21. Juli 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte kaufte am 28. Januar 2002 von der Klägerin, einer Kraft-
fahrzeughändlerin, einen als "Jahreswagen" bezeichneten Gebrauchtwagen
A. zum Preis von 25.300 €. Das Fahrzeug war im Mai 1999
hergestellt und am 8. August 2001 erstmals zugelassen worden. Da sich der
Wagen im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses noch im Bestand der ersten
Halterin, der E. GmbH befand, vereinbarten die Parteien
den 15. Mai 2002 als Liefertermin. Im Mai 2002 baute die Klägerin im Auftrag
des Beklagten in dem Fahrzeug einen CD-Wechsler ein und montierte vier Alu-
räder.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin von dem Beklagten die Zahlung der für
die vorgenannten Einbauten vereinbarten Vergütung von insgesamt 2.700 €
nebst Zinsen verlangt. Der Beklagte hat gegenüber der Klageforderung die Auf-
rechnung mit einem Anspruch auf teilweise Rückzahlung des Kaufpreises er-
klärt, den er mit einer Minderung unter anderem wegen der bereits im Mai 1999
erfolgten Herstellung des Fahrzeugs begründet hat. Im Wege der Widerklage
hat der Beklagte den die Klageforderung übersteigenden Minderungsbetrag von
zuletzt 1.350 € nebst Zinsen geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Klage
abgewiesen; der Widerklage hat es in Höhe von 960 € nebst Zinsen stattgege-
ben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das
Landgericht - unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils - der Klage statt-
gegeben und die Widerklage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsge-
richt zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des
erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten hat Erfolg.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
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Die Klage sei begründet, die Widerklage sei unbegründet. Die Forderung
der Klägerin in Höhe von 2.700 € sei nicht infolge der vom Beklagten erklärten
Aufrechnung erloschen. Dem Beklagten stehe kein Rückzahlungsanspruch we-
gen einer Minderung des Kaufpreises für das von der Klägerin erworbene Fahr-
zeug zu, weil es keinen Sachmangel aufweise. Hinsichtlich des Alters des
Fahrzeugs enthalte der schriftliche Kaufvertrag lediglich die - zutreffende - An-
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gabe, dass es am 8. August 2001 erstmals zugelassen worden sei. Der Wagen
habe auch insoweit den vertraglichen Vereinbarungen entsprochen, als es sich,
wie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe, um einen sogenannten
Jahreswagen handeln sollte. Diese Eigenschaft sei gegeben, wenn das Alter
des Fahrzeugs seit der Erstzulassung weniger als zwölf Monate betrage und es
nicht länger in Gebrauch gewesen sei. Das sei hier der Fall, weil von der Erst-
zulassung bis zum Verkauf und sogar bis zur Übergabe des Fahrzeugs an den
Beklagten weniger als ein Jahr vergangen sei. Auch aus dem Gesichtspunkt
des arglistigen Verschweigens stehe dem Beklagten kein Anspruch gegen die
Klägerin zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht auszuschlie-
ßen, dass die Klägerin den Beklagten durch den Zeugen K. über das
Baujahr des Fahrzeugs aufgeklärt habe. Zwar widersprächen dem zum Teil die
Aussagen der Zeugen D´ und De. ; zu Recht habe das Amtsgericht
aber ausgeführt, dass nicht festzustellen sei, welche der Zeugenaussagen dem
tatsächlichen Geschehen entspreche.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem
Umfang stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den vom Beklagten gemäß
§§ 437 Nr. 2, 2. Alt., 441 Abs. 4 Satz 1 BGB geltend gemachten Anspruch auf
teilweise Rückzahlung des geminderten Kaufpreises - der Gegenstand seiner
Aufrechnung gegen die (unstreitige) Klageforderung (§§ 387 ff. BGB) und sei-
ner Widerklage ist - mit der Begründung verneint, das am 28. Januar 2002 ge-
kaufte Gebrauchtfahrzeug entspreche der vertraglichen Beschreibung als "Jah-
reswagen". Der Umstand, dass das im Mai 1999 hergestellte Fahrzeug bereits
mehr als zwei Jahre alt war, als es am 8. August 2001 erstmals zugelassen
wurde, begründet einen Sachmangel, der den Beklagten zur Minderung des
Kaufpreises berechtigt (§§ 437 Nr. 2, 2. Alt., 434 Abs. 1 Satz 1 BGB).
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1. Gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln,
wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Nach den
unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sollte das Fahrzeug die
Eigenschaft eines sogenannten Jahreswagens aufweisen. Diese vertragliche
Beschaffenheitsvereinbarung hat das Berufungsgericht dahin ausgelegt
(§§ 133, 157 BGB), dass es genüge, wenn - was hier der Fall war - seit der
Erstzulassung des Fahrzeugs weniger als zwölf Monate verstrichen seien und
es nicht länger in Gebrauch gewesen sei. Das beanstandet die Revision zu
Recht.
a) Der Senat kann die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung
des Begriffs "Jahreswagen" im Interesse einer einheitlichen Handhabung und
damit der Rechtssicherheit uneingeschränkt überprüfen, weil es sich um eine
typische, im Gebrauchtwagenhandel auch über den Bezirk des Berufungsge-
richts hinaus verwendete Beschaffenheitsangabe handelt (vgl. Senatsurteile
BGHZ 122, 256, 260 f. m.w.Nachw.; BGHZ 128, 307, 309). Nach einer in der
obergerichtlichen Rechtsprechung und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum
verbreiteten Ansicht handelt es sich nach der Verkehrsauffassung bei einem
Jahreswagen um ein Gebrauchtfahrzeug aus erster Hand, das von einem
Werksangehörigen ein Jahr lang ab der Erstzulassung gefahren worden ist
(OLG Köln, NJW-RR 1989, 699; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl.,
Rdnr. 1345 m.w.Nachw.; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB (2004), § 434
Rdnr. 164). Legt man diese Definition zugrunde, kommt eine Minderung des
Kaufpreises im vorliegenden Fall zwar nicht bereits deshalb in Betracht, weil
das Fahrzeug seit seiner Erstzulassung nicht durch einen Werksangehörigen,
sondern als Mietwagen genutzt worden ist; denn dem Beklagten war bereits bei
Vertragsabschluss die Verwendung des Fahrzeugs im Mietwagengeschäft
durch die E. GmbH bekannt, so dass ein etwaiges Min-
derungsrecht unter diesem Gesichtspunkt von vornherein ausgeschlossen war
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(§ 442 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch die Revision macht insoweit kein Minderungs-
recht des Beklagten geltend.
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b) Das Berufungsgericht hätte jedoch berücksichtigen müssen, dass es
für die Auslegung des Begriffs "Jahreswagen" als Beschaffenheitsvereinbarung
(§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB) auch auf das Gesamtalter des Fahrzeugs ein-
schließlich der vor der Erstzulassung liegenden Standzeit ankommt.
Es kann dahinstehen, ob der Käufer eines Jahreswagens, soweit die
Parteien hierüber keine Vereinbarungen getroffen haben, berechtigterweise
erwarten kann, ein Fahrzeug zu erwerben, das im Zeitpunkt der Erstzulassung
noch sämtliche Eigenschaften eines "fabrikneuen" Wagens aufweist. Nach der
Rechtsprechung des Senats zur Sachmängelgewährleistung bei Neufahrzeu-
gen gemäß §§ 459 ff. BGB a.F. liegt im Verkauf eines Neuwagens durch einen
Kraftfahrzeughändler grundsätzlich die stillschweigende Zusicherung, dass das
verkaufte Fahrzeug die Eigenschaft hat, "fabrikneu" zu sein; das ist bei einem
unbenutzten Kraftfahrzeug regelmäßig nur dann der Fall, wenn und solange
das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine
durch längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und wenn zwischen Her-
stellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf
Monate liegen (Senatsurteile vom 22. März 2000 - VIII ZR 325/98, NJW 2000,
2018, unter II; vom 15. Oktober 2003 - VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160, unter
II 2 und 3, jew. m.w.Nachw.; vom 12. Januar 2005 - VIII ZR 109/04, NJW 2005,
1422, unter II 2). Auch die Vereinbarung der Beschaffenheit eines Gebraucht-
fahrzeugs als Jahreswagen gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB (n.F.) hat jeden-
falls - ohne dass es einer ausdrücklichen Vereinbarung hierüber bedarf - regel-
mäßig zum Inhalt, dass das verkaufte Fahrzeug bis zum Zeitpunkt seiner Erst-
zulassung keine Standzeit von mehr als zwölf Monaten aufweist. Darüber, ob
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Gleiches etwa für den Fall eines Modellwechsels vor der Erstzulassung gilt,
braucht nicht entschieden zu werden.
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Nach der Verkehrsanschauung ist die Lagerdauer für die Wertschätzung
eines Kraftfahrzeugs von wesentlicher Bedeutung (vgl. Senatsurteil vom
15. Oktober 2003, aaO, unter II 3 m.w.Nachw.); so ist eine lange Standdauer für
einen Neuwagenkäufer ein wertmindernder Faktor, weil jedes Kraftfahrzeug
einem Alterungsprozess unterliegt, der bereits mit dem Verlassen des Herstel-
lungsbetriebes einsetzt; im Regelfall ist deshalb davon auszugehen, dass eine
Lagerzeit von mehr als zwölf Monaten die Fabrikneuheit eines Neuwagens be-
seitigt (vgl. Senat, aaO). Eine andere Beurteilung ist auch beim - hier vorliegen-
den - Kauf eines Jahreswagens vom Kraftfahrzeughändler nicht gerechtfertigt.
Auch für den Käufer eines Jahreswagens ist die vor der Erstzulassung liegende
Standdauer des Fahrzeugs als wertbildender Faktor von erkennbar wesentli-
cher Bedeutung. Aus der Sicht eines verständigen Käufers dient die an das Al-
ter des Fahrzeugs anknüpfende Kennzeichnung eines Gebrauchtfahrzeugs als
Jahreswagen dem Zweck, das Fahrzeug einerseits von ("fabrikneuen") Neu-
fahrzeugen und andererseits von älteren Gebrauchtwagen, denen nach der
Verkehrsanschauung regelmäßig eine geringere Wertschätzung zukommt, ab-
zugrenzen. Der Käufer eines Jahreswagens handelt in der jedenfalls für den
gewerblich tätigen Verkäufer erkennbaren Erwartung, einen "jungen" Ge-
brauchtwagen aus erster Hand zu erwerben, der sich hinsichtlich seines Alters
von einem Neufahrzeug im Wesentlichen lediglich durch die einjährige Nutzung
im Straßenverkehr seit der - aus den Fahrzeugpapieren ersichtlichen - Erstzu-
lassung unterscheidet. Es würde daher den schutzwürdigen Interessen des
Käufers nicht gerecht, die vertraglich geschuldete Beschaffenheit eines Jah-
reswagens im Hinblick auf die höchstzulässige Standzeit vor der Erstzulassung
anders zu beurteilen als die Lagerdauer eines Neufahrzeugs bis zu dessen
Verkauf. Daraus folgt, dass ein von einem Kraftfahrzeughändler als Jahreswa-
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gen verkauftes Gebrauchtfahrzeug regelmäßig nicht der vereinbarten Beschaf-
fenheit entspricht, wenn zwischen der Herstellung und der Erstzulassung mehr
als zwölf Monate liegen. Umstände, die im vorliegenden Fall eine andere Aus-
legung der Beschaffenheitsvereinbarung gebieten würden, sind weder vorge-
tragen noch im Übrigen ersichtlich.
2. Die noch vertragsgemäße Standzeit von zwölf Monaten war hier bei
weitem überschritten, weil seit der Herstellung des vom Beklagten gekauften
Fahrzeugs im Mai 1999 bis zur Erstzulassung im August 2001 mehr als
26 Monate verstrichen waren. Das Minderungsrecht des Beklagten ist auch
nicht nach § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Dass die Klägerin, wie sie
vorgetragen hat, dem Beklagten bei den Vertragsverhandlungen das Baujahr
des Fahrzeugs mitgeteilt hat, hat das Berufungsgericht nach der in erster In-
stanz durchgeführten Beweisaufnahme nicht als erwiesen angesehen. Diese
tatrichterliche Würdigung, die keinen Rechtsfehler erkennen lässt, wird im Revi-
sionsverfahren nicht angegriffen.
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III.
Auf die Revision des Beklagten ist das Berufungsurteil daher aufzuhe-
ben, und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-
fungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die
Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil sich das Berufungsgericht - von
seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit den im Berufungsrechtszug er-
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hobenen Angriffen der Klägerin hinsichtlich der Höhe des vom erstinstanzlichen
Gericht angenommenen Minderungsbetrags auseinandergesetzt hat.
Dr. Deppert
Dr. Leimert
Dr. Wolst
Dr. Frellesen
Hermanns
Vorinstanzen:
AG Mettmann, Entscheidung vom 28.09.2004 - 25 C 150/03 -
LG Wuppertal, Entscheidung vom 21.07.2005 - 9 S 377/04 -