Urteil des BGH vom 13.03.2017

Windenergiekonverter Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Xa ZR 14/10 Verkündet
am:
9. September 2010
Anderer
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Windenergiekonverter
PatG § 22 Abs. 1; ErstrG §12
Der Schutzbereich eines Patents darf im Rahmen des in § 12 ErstrG vorgese-
henen Prüfungsverfahrens nicht erweitert werden.
BGH, Urteil vom 9. September 2010 - Xa ZR 14/10 - Bundespatentgericht
- 2 -
Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 9. September 2010 durch die Richter Keukenschrijver, Dr. Berger,
Dr. Grabinski, Dr. Bacher und Hoffmann
für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 9. September 2009 verkündete Urteil
des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird
auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
- 3 -
Tatbestand:
Der Beklagte ist Inhaber des Patents DD 261 395 (Streitpatents), das
einen getriebelosen Windenergiekonverter betrifft. Das Streitpatent ist am
18. Mai 1987 in der Deutschen Demokratischen Republik als Wirtschaftspatent
mit zwölf Patentansprüchen angemeldet und ohne Prüfung auf das Vorhanden-
sein sämtlicher Schutzvoraussetzungen erteilt worden. Mit dem 18. Mai 2007 ist
es nach Ablauf der Höchstschutzdauer erloschen. Patentanspruch 1 lautet in
der zunächst erteilten Fassung (A1-Schrift):
1
"Windenergiekonverter für Energieversorgungssystem, gekennzeichnet dadurch,
dass der Windenergieumsetzer (WEU) mit dem Windenergiespeicher (WES) in ei-
nem Windenergiekonverter (WEK) vereinigt sind und mehrere (WEK) im Hoch-
druckverbundsystem jeweils entweder Wasserstoff oder Sauerstoff speichern und
die Rotornabe (4) des Windenergieumsetzers (WEU) dem Kanzelrotor angepasst
ist und in ihr die Flügelarme (7) des Windenergiekonverters (WEK) eingelassen
sind und ihr Umfang als Zahnkranz (14) gestaltet ist und beide Energieübertra-
gungselemente im Windenergieumsetzer (WEU) vorzugsweise zwischen den La-
gern (11.1 und 11.2) angeordnet sind und um die Rotorachse (11) rotieren, die ih-
rerseits mit dem Kanzeldrehstuhl (10) fest verbunden ist, der seinerseits um die
vertikale Achse in den Drehstuhllagern (10.1-10.2) drehbar gelagert ist und als
Träger der Generatoren (12) oder Statoren (20) dient."
Auf einen vom Beklagten gestellten Prüfungsantrag hat das Deutsche Pa-
tent- und Markenamt das Streitpatent in geänderter Fassung mit vier Patentan-
sprüchen aufrechterhalten. Patentanspruch 1 lautet in dieser Fassung (C5-
Schrift):
2
"Getriebeloser Windenergiekonverter mit einem um eine Rotorachse drehbar an-
geordneten Rotor mit einer Rotornabe, einem Drehstuhl sowie einem Generator,
dadurch gekennzeichnet, dass der Drehstuhl (10) mit der Rotorachse (11) eine
Einheit bildet und die Rotornabe (4) drehbar auf der Rotorachse (11) gelagert ist,
- 4 -
wobei die Rotornabe (4) Läufereinrichtungen (19) aufweist, welche mit auf dem
Drehstuhl (10) montierten Statoreinrichtungen (20) den Generator bilden."
Die weiteren Patentansprüche sind in beiden Fassungen auf den jewei-
ligen Patentanspruch 1 zurückbezogen.
3
Die Klägerin hat das Streitpatent insgesamt wegen unzureichender Offen-
barung, unzulässiger Erweiterung, fehlender Patentfähigkeit und Erweiterung
des Schutzbereichs angegriffen. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten
und hat das Streitpatent hilfsweise in geänderter Fassung verteidigt.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der weiterhin die Abweisung
der Klage anstrebt und das Streitpatent mit vier Hilfsanträgen in geänderter
Fassung verteidigt. Nach den Hilfsanträgen soll Patentanspruch 1 wie folgt lau-
ten:
5
"Windenergiekonverter für Energieversorgungssystem, gekennzeichnet dadurch,
dass der Windenergieumsetzer (WEU) mit dem Windenergiespeicher (WES) in ei-
nem Windenergiekonverter (WEK) vereinigt ist und mehrere Windenergiekonverter
(WEK) im Hochdruckverbundsystem jeweils entweder Wasserstoff oder Sauerstoff
speichern und die Rotornabe (4) des Windenergieumsetzers (WEU) dem Kanzel-
rotor (5) angepasst ist und in ihr die Flügelarme (7) des Windenergiekonverters
(WEK) eingelassen sind und ihr Umfang als Zahnkranz (14) gestaltet ist und beide
Energieübertragungselemente im Windenergieumsetzer (WEU) vorzugsweise zwi-
schen den Lagern (11.1 und 11.2) angeordnet sind und um die Rotorachse (11) ro-
tieren, die ihrerseits mit dem Kanzeldrehstuhl (10) fest verbunden ist, der seiner-
seits um die vertikale Achse in den Drehstuhllagern (10.1-10.2) drehbar gelagert ist
und als Träger der Generatoren (12) oder Statoren (20) dient, wobei der Wind-
energiekonverter derart getriebelos ausgeführt ist, dass zur Übertragung der Kraft
aus den Rotorflügeln kein gesondertes Getriebe angeordnet ist, und der eine Ro-
tornabe umfassende Rotor um eine Rotorachse drehbar angeordnet ist, und wobei
der Windenergiekonverter des weiteren einen Generator und einen Drehstuhl auf-
- 5 -
weist, wobei der Drehstuhl (10) mit der Rotorachse (11) eine Einheit bildet und die
Rotornabe (4) drehbar auf der Rotorachse (11) gelagert ist, wobei die Rotornabe
(4) Läufereinrichtungen (14) aufweist, welche mit auf dem Drehstuhl (10) montier-
ten Statoreinrichtungen (20) den Generator bilden, und [zusätzliche Einfügung ge-
mäß dem dritten Hilfsantrag: die Anpassung der Rotornabe an den Kanzelrotor (5)
dadurch realisiert ist, dass der konusförmige Teil des Rotors ebenfalls in der äuße-
ren Kontur der Nabe ausgeführt ist, wobei] als Energieübertragungselemente die
Rotorblätter gemeint sind, sowie der Zahnkranz gemeint ist, und diese beiden
Energieübertragungselemente zwischen zwei Ebenen an der Nabe angeordnet
sind, die senkrecht zur Rotationsachse der Nabe durch die Lager (11.1 und 11.2)
verlaufen."
Nach den weiteren Hilfsanträgen (2 und 4) soll nach den Worten "und ihr
Umfang als Zahnkranz (14) gestaltet ist" eine Fußnote mit folgendem Text ein-
gefügt werden:
6
"Disclaimer: Es wird hiermit erklärt, dass aus dem Merkmal, dass der Umfang der
Rotornabe als Zahnkranz (14) gestaltet ist, sowie aus der Erwähnung des Zahn-
kranzes als Energieübertragungselement keine Rechte hergeleitet werden, dieses
Merkmal jedoch zur Bestimmung des Schutzbereichs heranzuziehen ist."
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
7
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. S.
in
der mündlichen Verhandlung ein Gutachten erstattet.
8
- 6 -
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Streitpatent hat weder in der
Fassung der C5-Schrift noch in den mit den Hilfsanträgen verteidigten Fassun-
gen Bestand.
9
I.
Zu Recht hat das Patentgericht die Klage als zulässig angesehen.
Das nach dem Erlöschen des Streitpatents erforderliche Rechtsschutzbedürfnis
der Klägerin ergibt sich daraus, dass sie befürchten muss, vom Beklagten oder
Dritten, an die dieser seine Rechte abtritt, wegen Verletzung des Streitpatents
in Anspruch genommen zu werden. Dem steht nicht entgegen, dass der Be-
klagte eine Klage vor dem Landgericht Braunschweig nach Versagung von Pro-
zesskostenhilfe zurückgenommen hat. Der Beklagte ist durch diese Klagerück-
nahme rechtlich nicht gehindert, die Klägerin erneut wegen Verletzung des
Streitpatents in Anspruch zu nehmen. Einen Verzicht auf eventuelle Ansprüche
aus dem Streitpatent hat er abgelehnt. Entgegen dem Vorbringen der Berufung
hat er auch nicht verbindlich erklärt, dass er gegen die Klägerin keine Verlet-
zungsklage mehr erheben werde. Er hat vor dem Patentgericht lediglich geltend
gemacht, die Nichtigkeitsklage sei unzulässig, weil er keine Anstalten unter-
nommen habe, Ansprüche weiterhin geltend zu machen, und weil sich aus den
Umständen, unter denen die Klagerücknahme erfolgt sei, ergebe, dass er kein
weiteres Verletzungsverfahren gegen die Klägerin anstrengen werde. Aus kei-
nem dieser Umstände ergibt sich eine rechtliche Bindung, die es dem Beklag-
ten verwehren würde, seine Absichten zu ändern und die Klägerin erneut in An-
spruch zu nehmen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Be-
klagte einen ausdrücklichen Verzicht mit der Begründung abgelehnt, er wolle
mögliche Schadensersatzansprüche gegen Dritte, die ihn bei der Ausgestaltung
des Patents beraten haben, nicht gefährden. In dieser Situation kann es der
Klägerin nicht verwehrt werden, eine endgültige Klärung über den Rechts-
bestand des Streitpatents herbeizuführen. Dabei ist nach ständiger Rechtspre-
10
- 7 -
chung nicht zu prüfen, wieweit ein Vorgehen aus dem Streitpatent Aussicht auf
Erfolg hätte (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1973 - X ZR 23/71, GRUR 1974,
146, 147 - Schraubennahtrohr mwN).
II. Das Patentgericht hat seine der Klage stattgebende Entscheidung
wie folgt begründet:
11
Das Streitpatent sei wegen Erweiterung des Schutzbereichs für nichtig zu
erklären. Die Erteilung eines Wirtschaftspatents sei gemäß § 6 ErstrG der Ertei-
lung eines Patents nach § 58 PatG gleichgestellt. Der Inhaber eines solchen
Patents könne in Hinblick auf § 23 PatG grundsätzlich dieselben Rechte geltend
machen wie ein Inhaber eines nach dem Patentgesetz erteilten Patents. Daraus
ergebe sich, dass schon vor Durchführung eines Prüfungsverfahrens nach § 12
ErstrG ein bestimmter Schutzbereich feststellbar sein müsse, von dem Lizenz-
geber und Lizenznehmer ausgehen könnten. Die Rechtssicherheit gebiete,
dass dieser Schutzbereich im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nicht er-
weitert werden dürfe. Entgegen der Auffassung des 4. Nichtigkeitssenats (Urteil
vom 17. Januar 2007 - 4 Ni 72/05) könne aus den Vorschriften, nach denen die
erteilte Fassung des Patents in dem Prüfungsverfahren gemäß § 12 ErstrG
weitgehend mit einer Patentanmeldung gleichgesetzt werde, keine abweichen-
de Schlussfolgerung gezogen werden. Das Gebot der Rechtssicherheit schlie-
ße es aus, dem Inhaber eines ungeprüften Wirtschaftspatents die Möglichkeit
einzuräumen, in Kenntnis einer Benutzung und der Identität des Benutzers bis
zu zwanzig Jahre lang zuzuwarten und erst gegen Ende der Laufzeit im Rah-
men eines Prüfungsverfahrens den Schutzbereich zu erweitern. Dies führte zu-
dem dazu, dass der Inhaber eines Wirtschaftspatents mit dem Inhaber eines
nach dem Patentgesetz erteilten Patents nicht nur gleichgestellt, sondern ein-
deutig privilegiert würde. Ein derartiger Wille des Gesetzgebers könne weder
dem Gesetz noch der Begründung zum Gesetzentwurf entnommen werden.
12
- 8 -
Unabhängig davon sei der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fas-
sung der C5-Schrift durch die internationale Patentanmeldung 84/04466 (K8)
vollständig vorweggenommen und durch die französische Patentschrift 806 292
(K6) nahegelegt.
13
In der mit dem (seinerzeit gestellten) Hilfsantrag verteidigten Fassung sei
der Schutzbereich des Streitpatents im Vergleich zu der Fassung nach der C5-
Schrift erweitert. Die Beschränkung eines Patents sei nur zulässig, wenn die zur
Beschränkung herangezogenen Merkmale in allen Fassungen des Patents als
zur Erfindung gehörend offenbart seien. Patentanspruch 1 in der Fassung des
Hilfsantrags enthalte einzelne Merkmale, bei denen diese Voraussetzung nicht
erfüllt sei. Diese Merkmale seien zwar in der A1-Schrift offenbart, nicht aber in
der C5-Schrift.
14
15
Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Ergeb-
nis stand.
16
III. Das Streitpatent betrifft einen getriebelosen Windenergiekonverter.
17
1. Nach
den
Ausführungen in der Streitpatentschrift war im Stand der
Technik eine Vielzahl von Windenergiekonvertern bekannt, darunter auch Aus-
führungsformen ohne Getriebe. Das Streitpatent betrifft das technische Prob-
lem, einen verbesserten getriebelosen Windenergiekonverter zur Verfügung zu
stellen.
2. Zur Lösung dieses Problems wird in Patentanspruch 1 des Streit-
patents in der Fassung der C5-Schrift ein getriebeloser Windenergiekonverter
vorgeschlagen, der folgende Merkmale aufweist (die abweichende Gliederung
durch das Patentgericht ist in eckigen Klammern wiedergegeben):
18
- 9 -
1.
Der getriebelose Windenergiekonverter [C1] weist auf:
a) einen
Rotor
ist [C2],
b) einen
Drehstuhl
c) einen
Generator
2. Der
Rotor
a)
drehbar auf der Rotorachse (11) gelagert ist [C7] und
b)
Läufereinrichtungen (19) aufweist [C8].
3. Der
Drehstuhl
[C6].
4.
Statoreinrichtungen
[C9].
5. Die
Läufereinrichtung (19) und die Statoreinrichtungen (20) bil-
Generator
19
IV. Das Streitpatent ist wegen Erweiterung des Schutzbereichs (§ 22
Abs. 1 PatG) für nichtig zu erklären.
20
1. Ein zunächst ohne vollständige Prüfung erteiltes erstrecktes Patent
ist auf entsprechende Klage auch dann für nichtig zu erklären, wenn sein
Schutzbereich im Rahmen eines Prüfungsverfahrens gemäß § 12 ErstrG erwei-
tert worden ist.
a) Die Regeln über das Nichtigkeitsverfahren und damit auch § 22
Abs. 1 PatG sind auf das Streitpatent anwendbar. Dies ergibt sich aus § 5
ErstrG. Danach sind die die vor dem 1. Mai 1992 geltenden Regeln auf die ge-
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mäß § 4 ErstrG erstreckten gewerblichen Schutzrechte, zu denen auch in der
Deutschen Demokratischen Republik angemeldete, ohne vollständige vorherige
Prüfung erteilte Wirtschaftspatente gehören, nur noch anzuwenden, soweit es
um die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit und die Schutzdauer geht. Die
Regeln über das Nichtigkeitsverfahren und die Gründe, die zum Widerruf oder
zur Nichtigerklärung eines erteilten Patents führen, betreffen nicht die Schutzfä-
higkeit (Busse/Schwendy, Patentgesetz, 6. Aufl., § 21 Rn. 5).
b) In der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts ist umstritten, ob
eine Erweiterung des Schutzbereichs im Sinne von § 22 Abs. 1 PatG auch dann
vorliegt, wenn dies im Rahmen eines Prüfungsverfahrens gemäß § 12 ErstrG
erfolgt ist. Der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) hat die Frage in der angefochtenen
Entscheidung bejaht und vor allem darauf abgestellt, dass die Erteilung eines
Wirtschaftspatents gemäß § 6 ErstrG der Veröffentlichung der Erteilung eines
Patents nach § 58 Abs. 1 PatG gleichstehe und eine spätere Erweiterung des
Schutzbereichs aus Gründen der Rechtssicherheit ausgeschlossen sein müsse
(BPatG, Urteil vom 9. September 2009 - 5 Ni 13/09, juris Rn. 75 f.). Der
4. Senat (Nichtigkeitssenat) hat die Frage verneint und für ausschlaggebend
gehalten, dass die erteilte Fassung im Prüfungsverfahren weitgehend dieselbe
Funktion hat wie eine Anmeldung gemäß § 34 PatG (BPatG, Urteil vom 17. Ja-
nuar 2007 - 4 Ni 72/05, juris Rn. 23; dieses Verfahren ist in der Berufungsin-
stanz - Xa ZR 68/07 - durch beiderseitige Erledigungserklärung beendet wor-
den). Die gleiche Auffassung hatte der 5. Senat in einer älteren Entscheidung
(Beschluss vom 23. März 2009 - 5 Ni 6/09) vertreten. In der Literatur ist die Fra-
ge, soweit ersichtlich, bisher nicht behandelt worden.
22
c) Eine Erweiterung des Schutzbereichs im Rahmen des Prüfungs-
verfahrens gemäß § 12 ErstrG ist bei ohne vollständige Prüfung erteilten Wirt-
schaftspatenten nicht zulässig.
23
- 11 -
(1) Der in seiner heutigen Fassung durch das Gesetz über das Gemein-
schaftspatent und zur Änderung patentrechtlicher Vorschriften (Gemeinschafts-
patentgesetz, GPatG) vom 26. Juli 1979 (BGBl. I S. 1269) eingeführte Nichtig-
keitsgrund der Erweiterung des Schutzbereichs beruht auf dem im deutschen
Recht schon zuvor anerkannten und auch dem europäischen Patentrecht
(Art. 123 Abs. 3 EPÜ, dazu EPA, Beschluss vom 7. Mai 1999 - T 1149/97
- 3.4.2, ABl. EPA 2000, 659 Abs. 6.1.10 - Fluidwandler; Schulte, GRUR Int.
1989, 460) zu Grunde liegenden Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die All-
gemeinheit muss sich darauf verlassen können, dass ein erteiltes Patent nicht
nachträglich einen erweiterten Schutzbereich erhält (BT-Drucks. 8/2087, S. 27
zu Nr. 12; Benkard/Rogge, Patentgesetz, 10. Aufl., § 22 Rn. 18; Busse/
Schwendy, aaO, § 22 Rn. 25; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., § 26 B III 1 S. 610).
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(2) Dieser Gesetzeszweck verbietet auch die Erweiterung des Schutz-
bereichs im Rahmen eines Prüfungsverfahrens gemäß § 12 ErstrG.
26
Die Regelung in § 12 ErstrG trägt dem Umstand Rechnung, dass nach
dem Patentgesetz der Deutschen Demokratischen Republik sowohl Wirt-
schaftspatente als auch Ausschließlichkeitspatente ohne vorherige Prüfung auf
das Vorliegen aller Schutzvoraussetzungen erteilt werden konnten. Sie eröffnet
dem Patentinhaber und jedem Dritten die Möglichkeit, für Schutzrechte, die
nach den Regeln des Einigungsvertrages (Anlage I Kapitel III Sachgebiet E Ab-
schnitt II § 3 Abs. 1 Satz 1) in Kraft geblieben und gemäß § 4 ErstrG zum 1. Mai
1992 auf das übrige Bundesgebiet erstreckt worden sind, eine solche Prüfung
nachträglich zu veranlassen. Das Prüfungsverfahren ist weitgehend wie das
Verfahren zur Prüfung einer Anmeldung nach den Regeln des Patentgesetzes
ausgestaltet. Folgerichtig kommt der zunächst erteilten Fassung des Patents im
Prüfungsverfahren im Wesentlichen dieselbe Funktion zu wie einer Patent-
anmeldung im Sinne von § 34 PatG. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden,
dass der Schutzbereich des Patents im Prüfungsverfahren innerhalb der durch
- 12 -
den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung vorgegebenen Grenzen erweitert
werden kann.
Ein nach § 4 ErstrG erstrecktes Patent entfaltet auch dann unmittelbare
Rechtswirkungen gegenüber Dritten, wenn es ohne vollständige Prüfung erteilt
worden ist. Gemäß § 6 ErstrG steht die Erteilung eines Patents nach den
Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik der Erteilung des
Patents nach § 58 Abs. 1 PatG gleich. Der Eintritt dieser Wirkungen hängt nicht
davon ab, wieweit der Erteilung ein Prüfungsverfahren vorausgegangen ist.
Dem Inhaber eines nicht auf das Vorliegen aller Schutzvoraussetzungen ge-
prüften Wirtschaftspatents stehen zwar nur in eingeschränktem Umfang Unter-
lassungsansprüche zu, weil ein Wirtschaftspatent nach § 7 Abs. 1 ErstrG als
Patent gilt, für das eine Lizenzbereitschaftserklärung abgegeben worden ist,
und diese Wirkung gemäß § 7 Abs. 2 ErstrG nur dann beseitigt werden kann,
wenn das Patent auf das Vorliegen aller Schutzvoraussetzungen geprüft wor-
den ist. Trotz dieser Einschränkung sind Dritte, die die in § 23 Abs. 3 PatG vor-
geschriebene Anzeige abgeben und die patentierte Erfindung benutzen, zumin-
dest Vergütungsansprüchen des Berechtigten ausgesetzt. Gegenüber Benut-
zern, die die Anzeige nicht abgeben, kann der Berechtigte Ansprüche wegen
Patentverletzung geltend machen, insbesondere also Unterlassung und Scha-
densersatz verlangen. Anders als nach § 17 Abs. 2 des Patentgesetzes der
Deutschen Demokratischen Republik vom 27. Oktober 1983 (GBl. I S. 284) darf
nach den seit 1. Mai 1992 geltenden Bestimmungen auch eine gerichtliche Ent-
scheidung über diese Ansprüche ergehen, ohne dass ein Prüfungsverfahren
durchgeführt worden ist. Ein Dritter, der wegen Verletzung eines nicht vollstän-
dig geprüften Wirtschaftspatents auf Zahlung von Lizenzgebühren in Anspruch
genommen wird, hat lediglich die Möglichkeit, abweichend von § 81 Abs. 2
PatG, dessen Anwendbarkeit in § 12 Abs. 4 ErstrG ausgeschlossen ist, schon
vor Einleitung und Abschluss eines Prüfungs- oder Einspruchsverfahrens Nich-
tigkeitsklage zu erheben.
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- 13 -
Angesichts dieser Rechtswirkungen hat die Allgemeinheit ein berechtigtes
Interesse daran, dass der Schutzbereich eines ohne vollständige Prüfung erteil-
ten Patents nicht nachträglich erweitert wird. Solange eine solche Prüfung nicht
erfolgt ist, kann und muss sich ein Dritter anhand der erteilten Fassung des Pa-
tents Aufschluss darüber verschaffen, ob ein von ihm beabsichtigtes Verhalten
von den Merkmalen des Patents Gebrauch macht. Maßgeblich hierfür ist auch
bei einem ohne vollständige Prüfung erteilten Patent dessen Schutzbereich,
nicht ein möglicherweise darüber hinausgehender Offenbarungsgehalt der Pa-
tentschrift. Auch wenn das nicht vollständig geprüfte Patent nach Maßgabe von
§ 12 ErstrG nachträglich einer Prüfung unterworfen werden kann, steht es ge-
mäß § 6 ErstrG in seinen Wirkungen schon vor dieser Prüfung einem nach § 49
PatG erteilten Patent gleich. Für die Frage, ob eine Patentverletzung vorliegt, ist
deshalb auch vor der Durchführung des Prüfungsverfahrens nach § 12 Abs. 1
ErstrG dessen nach § 14 PatG zu bestimmender Schutzbereich maßgeblich.
Ein Dritter, der objektiv zutreffend zu dem Ergebnis kommt, dass eine von ihm
beabsichtigte Handlung nicht in den Schutzbereich des Patents fällt, hat ein
berechtigtes und schützenswertes Interesse daran, dass sein Verhalten nicht
dadurch als Patentverletzung bewertet werden kann, dass der Schutzbereich
des zunächst erteilten Rechts später erweitert wird. Dies gilt unabhängig davon,
wieweit vor der Erteilung des Patents das Vorliegen der Schutzvoraussetzun-
gen geprüft worden ist.
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Dem steht nicht entgegen, dass auch eine Patentanmeldung (§ 34 PatG)
nach ihrer Veröffentlichung gewisse Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfal-
tet. Zwar ist die aus § 7 ErstrG und § 23 PatG resultierende Vergütungspflicht
im Falle einer ordnungsgemäßen Anzeige gemäß § 23 Abs. 3 PatG in mancher
Beziehung vergleichbar mit der in § 33 PatG vorgesehenen Entschädigungs-
pflicht für den Zeitraum nach der Veröffentlichung des Hinweises auf die Mög-
lichkeit der Einsicht in die Akten einer Patentanmeldung. Die Rechte aus einem
ohne vollständige Prüfung erteilten Patent sind jedoch - anders als die Rechte
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- 14 -
aus einer Patentanmeldung - nicht auf diesen Entschädigungsanspruch be-
schränkt, sondern reichen erheblich weiter. Deshalb besteht auch ein erhöhtes
Schutzbedürfnis zugunsten des Rechtsverkehrs.
Der Senat verkennt nicht, dass es dem Gesetzgeber freigestanden hätte,
ein ohne vollständige Prüfung erteiltes Wirtschafts- oder Ausschließungspatent
einer veröffentlichten Patenanmeldung gleichzustellen - mit der Wirkung, dass
dem Berechtigten bis zu einer Aufrechterhaltung des Patents im Prüfungsver-
fahren gemäß § 12 ErstrG keine Unterlassungsansprüche zugestanden hätten,
er aber die Möglichkeit gehabt hätte, die Patentansprüche unabhängig von der
ursprünglichen Anspruchsfassung innerhalb der durch den Inhalt der Anmel-
dung vorgegebenen Grenzen umzuformulieren. Eine solche Ausgestaltung ist
im Gesetzgebungsverfahren auch erwogen worden (BT-Drucks. 12/1399, S. 36
zu § 6; vgl. v. Mühlendahl/Mühlens, GRUR 1992, 725, 735). Der Gesetzgeber
hat diesen Ansatz aber verworfen und eine ohne vollständige Prüfung erfolgte
Patenterteilung mit der Veröffentlichung eines Hinweises gemäß § 58 Abs. 1
PatG gleichgestellt. Damit hat er den Inhabern solcher Schutzrechte weiter-
gehende Befugnisse zugebilligt. Mangels einer abweichenden Bestimmung im
Erstreckungsgesetz oder sonstigen einschlägigen Vorschriften müssen dem
Patentinhaber konsequenterweise auch die Beschränkungen zur Last fallen, die
sich im Interesse des Vertrauensschutzes zugunsten der Allgemeinheit aus der
Erteilung eines Patents ergeben. Hierin liegt entgegen der Auffassung des Be-
klagten keine Schlechterstellung von ohne vollständige Prüfung erteilten DDR-
Patenten gegenüber Patenten, die nach den Vorschriften des Patentgesetzes
erteilt werden. Gerade weil ein ohne vollständige Prüfung erteiltes Patent ge-
mäß § 6 ErstrG grundsätzlich dieselben Wirkungen hat wie ein nach einer sol-
chen Prüfung erteiltes Patent, darf es im vorliegenden Zusammenhang nicht mit
einer bloßen Anmeldung gleichgesetzt werden. Vielmehr muss es denselben
Regeln unterworfen sein wie jedes andere erteilte Patent.
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- 15 -
Der Umstand, dass die Erweiterung des Schutzbereichs im Rahmen eines
nach Erteilung durchgeführten Prüfungsverfahrens nach dem Patentgesetz der
Deutschen Demokratischen Republik für zulässig angesehen worden ist, führt
zu keiner anderen Beurteilung. Wie bereits dargelegt sind für das erstreckte
Schutzrecht nunmehr gemäß § 5 ErstrG die Regeln des Patentgesetzes und
damit § 22 PatG maßgeblich. Den Regeln des Erstreckungsgesetzes kann nicht
entnommen werden, dass ohne vollständige Prüfung erteilte Patente insoweit
einer Sonderregelung unterliegen sollen. Aus der Gleichstellung solcher
Schutzrechte mit einem gemäß § 58 Abs. 1 PatG wirksam gewordenen Patent
ergibt sich vielmehr, dass sie grundsätzlich denselben Regelungen unterliegen
sollen wie ein solches Patent.
31
Für diese Beurteilung spricht schließlich die Parallele zum Gebrauchs-
musterrecht. Ein Gebrauchsmuster ist mit den hier in Rede stehenden Schutz-
rechten insoweit vergleichbar, als es ohne Prüfung der Schutzvoraussetzungen
eingetragen wird und im Fall seiner Schutzfähigkeit unmittelbare Wirkungen
gegenüber Dritten entfaltet. Der Inhaber des Gebrauchsmusters kann den Ge-
genstand des Schutzrechts nachträglich dadurch ändern, dass er sich auf eine
abweichende Fassung des Schutzbegehrens beruft. Dies ist aber nur dann zu-
lässig, wenn die neue Fassung auf die ursprüngliche Offenbarung gestützt wer-
den kann und im Rahmen der der Gebrauchsmustereintragung zugrunde lie-
genden Schutzansprüche liegt (BGH, Urteil vom 13. Mai 2003 - X ZR 226/00,
BGHZ 155, 51, 56 = GRUR 2003, 867 - Momentanpol I). Auch hier bildet mithin
der aus der eingetragenen Fassung abzuleitende Schutzbereich die Grenze für
nachträgliche Änderungen des Schutzbegehrens.
32
Ein dem Beklagten günstigeres Ergebnis kann nicht aus dem Umstand
hergeleitet werden, dass das Deutsche Patent- und Markenamt im Prüfungsver-
fahren gemäß § 12 ErstrG eine Erweiterung des Schutzbereichs für zulässig
angesehen hat. Selbst wenn der Vortrag des Beklagten zuträfe, wonach dies
33
- 16 -
der ständigen Praxis des Patentamts entsprochen habe, könnte daraus nicht
gefolgert werden, dass entsprechend erweiterte Schutzrechte entgegen § 22
PatG Bestand haben können. Einem entsprechenden Vertrauensschutz des
Patentinhabers steht das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit an einer ver-
lässlichen Eingrenzung des Schutzbereichs entgegen.
2.
Der Schutzbereich des Streitpatents ist im Prüfungsverfahren erwei-
tert worden.
34
a)
Nach der A1-Schrift (K3) weist ein erfindungsgemäßer Windenergie-
konverter folgende Merkmale auf:
35
1' Der
Windenergiekonverter
für
ein Energieversorgungssystem
a' vereinigt
einen
Windenergieumsetzer mit dem Windener-
giespeicher
b' und speichert im Hochdruckverbundsystem mit anderen
Windenergiekonvertern jeweils entweder Wasserstoff oder
Sauerstoff.
2'
Der Rotor weist eine Rotornabe (4) auf.
a' Beide Energieübertragungselemente im Windenergie-
umsetzer sind vorzugsweise zwischen den Lagern (11.1
und 11.2) angeordnet und rotieren um die Rotorachse
(11).
b'
Die Rotornabe (4) ist dem Kanzelrotor angepasst.
c'
In die Rotornabe (4) sind die Flügelarme (7) des Wind-
energiekonverters eingelassen.
d'
Der Umfang der Rotornabe (4) ist als Zahnkranz (14) ge-
staltet.
- 17 -
3'
Die Rotorachse (11) ist mit dem Kanzeldrehstuhl (10) fest ver-
bunden.
4'
Der Kanzeldrehstuhl ist um die vertikale Achse in den Dreh-
stuhllagern (10.1-10.2) drehbar gelagert und dient als Träger
der Generatoren (12) oder Statoren (20).
b) Die Merkmale 1a’, 1b’, 2b’, 2c’ und 2d’ sind, wie auch der Beklagte
nicht verkennt, in Patentanspruch 1 in der Fassung nach der C5-Schrift nicht
enthalten. Der Schutzbereich des Streitpatents erfasst in dieser Fassung folg-
lich auch Vorrichtungen, die eines oder mehrere dieser Merkmale nicht aufwei-
sen. Hierin liegt eine Erweiterung des Schutzbereichs, die zur Nichtigerklärung
des Streitpatents in dieser Fassung führt.
36
V. Patentanspruch 1 kann auch in der Fassung nach den Hilfsanträgen
keinen Bestand haben. Alle diese Fassungen sind durch den Inhalt der ur-
sprünglich eingereichten Unterlagen nicht gedeckt und müssten deshalb zu ei-
ner Erweiterung gegenüber diesen führen.
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38
1. Nach diesen Fassungen weist der erfindungsgemäße Windenergie-
konverter folgende Merkmale auf (die abweichende Gliederung des Patent-
gerichts und die zusätzliche Einfügung gemäß dem dritten und vierten Hilfsan-
trag sind in eckigen Klammern wiedergegeben):
- 18 -
1
1
Der Windenergiekonverter für ein Energieversorgungssystem
[A1] weist auf:
a
1
einen Rotor, der um eine Rotorachse drehbar angeordnet
ist [C2],
b
1
einen Drehstuhl [C4] sowie
c
1
einen Generator [C5].
d
1
Der Windenergiekonverter vereinigt einen Windenergie-
umsetzer mit dem Windenergiespeicher [A2] [A3]
e
1
und speichert im Hochdruckverbundsystem mit anderen
Windenergiekonvertern jeweils entweder Wasserstoff oder
Sauerstoff [A4] [A5].
f
1
Der Windenergiekonverter ist derart getriebelos ausge-
führt, dass zur Übertragung der Kraft aus den Rotorflügeln
kein gesondertes Getriebe angeordnet ist [C1].
2
1
Der Rotor umfasst eine Rotornabe (4) [C3], die
a
1
um eine Rotorachse drehbar angeordnet ist [C7] und
b
1
Läufereinrichtungen aufweist [C8].
c
1
Beide Energieübertragungselemente im Windenergie-
umsetzer sind vorzugsweise zwischen den Lagern (11.1
und 11.2) angeordnet [A9] und rotieren um die Rotorachse
(11) [A10].
d
1
Die Rotornabe ist dem Kanzelrotor (5) angepasst [A6].
e
1
In die Rotornabe sind die Flügelarme (7) des Windener-
giekonverters eingelassen [A7].
f
1
Der Umfang der Rotornabe ist als Zahnkranz (14) gestal-
tet [A8].
3
1
Der Drehstuhl bildet mit der Rotorachse eine Einheit [C6].
- 19 -
4
1
Auf dem Drehstuhl sind Statoreinrichtungen montiert [C9].
5
1
Die Läufereinrichtung und die Statoreinrichtungen bilden den
Generator [C10].
6
1
Die Rotorachse (11) ist mit dem Kanzeldrehstuhl (10) fest ver-
bunden [A11].
7
1
Der Kanzeldrehstuhl ist um die vertikale Achse in den Dreh-
stuhllagern (10.1-10.2) drehbar gelagert [A12] und dient als
Träger der Generatoren (12) oder Statoren (20) [A13].
[8
1
Die Anpassung der Rotornabe an den Kanzelrotor (5) ist da-
durch realisiert, dass der konusförmige Teil des Rotors eben-
falls in der äußeren Kontur der Nabe ausgeführt ist [Z1].]
9
1
Die beiden Energieübertragungselemente (Rotorblätter und
Zahnkranz [Z2]) sind zwischen zwei Ebenen an der Nabe an-
geordnet, die senkrecht zur Rotationsachse der Nabe durch die
Lager (11.1 und 11.2) verlaufen [Z3].
39
Wie bei in dem in erster Instanz gestellten Hilfsantrag sind auch in dieser
Fassung die Merkmale aus der A1-Schrift und die Merkmale aus der C5-Schrift
zusammengefasst und um die zusätzlichen Merkmale 9
1
und (nur nach dem
dritten und dem vierten Hilfsantrag) 8
1
ergänzt.
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Fassungen schon deshalb
unzulässig sind, weil nicht alle darin aufgeführten Merkmale in der C5-Schrift
als zur Erfindung gehörend enthalten sind. Alle mit den Hilfsanträgen verteidig-
ten Fassungen führen jedenfalls deshalb nicht zu einer schutzfähigen Fassung
40
- 20 -
des Streitpatents, weil ihr Gegenstand über den Inhalt der ursprünglich einge-
reichten Unterlagen hinausgeht.
a) Der in Merkmal 2f
1
vorgesehene Zahnkranz am Umfang der Rotor-
nabe, auf den auch in Merkmal 9
1
Bezug genommen wird, ist in den ursprüng-
lich eingereichten Unterlagen (anders als in der C5-Schrift) zwar offenbart. We-
der aus den Patentansprüchen noch aus dem sonstigen Inhalt der Anmeldung
in der ursprünglich eingereichten Fassung geht aber eine Kombination dieses
Merkmals mit Merkmal 2b
1
, also der Anbringung von Läufereinrichtungen an
der Rotornabe, als zur Erfindung gehörend hervor.
41
In der Anmeldung (Erteilungsakten Bl. 15-30) werden zwei alternative
Ausführungsbeispiele beschrieben, bei denen die Kraftübertragung entweder
dadurch erfolgt, dass der Umfang der Rotornabe (4) als Zahnkranz (14) gestal-
tet ist, der über ein Ritzel (13) den Läufer des Generators (12) antreibt, oder
dadurch, dass die Rotornabe (4) mit Läufereinrichtungen (19) bestückt ist, die
mit der Statoreinrichtung (20) ein elektromotorisches System bilden (vgl. S. 3
Z. 66-70 der insoweit inhaltsgleichen A1-Schrift).
42
43
Diese beiden Methoden der Kraftübertragung schließen sich gegenseitig
aus. Eine teilweise Kombination der beiden Methoden in der Form, dass die
Rotornabe mit Läufereinrichtungen bestückt, zugleich aber mit einem Zahn-
kranz versehen wird, der für andere Funktionen eingesetzt werden kann, geht in
den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder aus der Beschreibung noch
aus den Patentansprüchen hervor. In Patentanspruch 9 der Anmeldung, der die
zweite Methode der Kraftübertragung aufgreift, ist ein Zahnkranz gerade nicht
aufgeführt. Eine Kombination der Merkmale 2b
1
und 2f
1
, wie sie erstmals in der
A1-Schrift vorgenommen wurde, indem Patentanspruch 9 als Unteranspruch zu
Patentanspruch 1 ausgestaltet ist, kann den ursprünglich eingereichten Unter-
lagen damit nicht als zur Erfindung gehörend entnommen werden.
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b) Angesichts dessen führt die Kombination der Merkmale 2b
1
und 2f
1
zu einer unzulässigen Erweiterung.
44
Ein Patent kann im Patentnichtigkeitsverfahren nicht in der Weise vertei-
digt werden, dass in einen übergeordneten Patentanspruch Merkmale aus
nachgeordneten Patentansprüchen des erteilten Patents aufgenommen wer-
den, die in ihrer Kombination eine Ausführungsform definieren, die in den An-
meldeunterlagen nicht als mögliche Ausgestaltung der Erfindung offenbart ist
(Senatsurteil vom 14. Mai 2009 - Xa ZR 148/05, GRUR 2009, 36 Rn. 25 - Hei-
zer).
45
c) Der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
gestellte Antrag auf "Verschiebung der Priorität" führt zu keiner anderen Beur-
teilung. Die nach früherem Recht gegebene Möglichkeit, die Folgen einer unzu-
lässigen Erweiterung dadurch zu vermeiden, dass als Tag der Einreichung der-
jenige Tag behandelt wird, an dem die geänderten Unterlagen eingereicht wor-
den sind, besteht nach der seit dem 1. Januar 1968 geltenden Rechtslage (§ 26
Abs. 5 Satz 2 PatG aF, nunmehr § 38 Satz 2 PatG) nicht mehr (BGH, Be-
schluss vom 12. Juli 1979 - X ZB 14/78, BGHZ 75, 143, 145 f. = GRUR 1979,
847 - Leitkörper). Gemäß § 38 Satz 2 PatG ist es generell ausgeschlossen, aus
Änderungen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern, Rechte herzulei-
ten.
46
- 22 -
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97
Abs. 1 ZPO.
47
Keukenschrijver
Berger
Grabinski
Bacher
Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 09.09.2009 - 5 Ni 13/09 -